1 Korrekturgrundsätze
2 Schreib-, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten gem. §§ 129 und 173a AO
3 Steuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO
4 Vorläufige Steuerbescheide gem. § 165 AO
5 Schlichte Änderungen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO
6 Erledigung von Massenanträgen nach § 172 Abs. 3 AO
6.1 Verfahren
6.2 Ausschluss des Einspruchsverfahrens
7 Nachträglich bekannt gewordene neue Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 Abs. 1 AO
7.1 Allgemeines
7.2 Tatsachen und Beweismittel
7.3 Nachträgliches Bekanntwerden
7.4 Rechtserheblichkeit
7.5 Anwendung § 173 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AO
7.6 Ermittlungsfehler des Finanzamts
7.6.1 Änderungen zugunsten
7.6.2 Änderung zuungunsten
7.7 Grobes Verschulden
7.7.1 Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen
7.7.2 Grobes Verschulden eines Bevollmächtigten
7.7.3 Grobes Verschulden bei der Abgabe elektronisch erstellter Steuererklärungen
7.7.3.1 Notwendigkeit der ausreichend verständlichen, klaren und eindeutigen Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung
7.7.3.2 Grobes Verschulden entfällt nicht wegen unvollständigem Ausdruck der Steuererklärungsformulare, die mittels Elster-Formular elektronisch abgegeben werden
7.7.4 Unbeachtlichkeit des groben Verschuldens nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO
7.8 Änderungssperre
7.9 Anwendung in Feststellungsfällen
8 Korrektur von Schreib- und Rechenfehlern des Steuerpflichtigen – § 173a AO
9 Widerstreitende Steuerfestsetzungen – § 174 AO
9.1 Allgemeines
9.2 § 174 Abs. 1 AO – Mehrfachberücksichtigung eines Sachverhalts zuungunsten des Steuerpflichtigen
9.3 § 174 Abs. 2 AO – Mehrfachberücksichtigung eines Sachverhalts zugunsten des Steuerpflichtigen
9.4 § 174 Abs. 3 AO – Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts
9.5 § 174 Abs. 4 AO – Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts durch Rechtsbehelf oder Einspruch des Steuerpflichtigen
9.6 Widerstreitende Anrechnungsverfügungen und Abrechnungsbescheide – § 218 Abs. 3 AO i.V.m. § 174 AO
9.7 Hinzuziehung eines Dritten nach § 174 Abs. 5 AO
10 Änderung von Steuerbescheiden aufgrund von Grundlagenbescheiden – § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
11 Ereignis mit Wirkung für die Vergangenheit i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
11.1 Allgemeine Voraussetzungen
11.2 Abgrenzung zur Korrektur wegen neuer Tatsachen i.S.d. § 173 AO
11.3 Nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung
11.4 Änderung steuerrechtlicher Normen
11.5 Rechnungsberichtigung gem. § 14 UStG kein rückwirkendes Ereignis
11.6 Einzelfälle aus der Rechtsprechung zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
11.6.1 Gewerblicher Grundstückshandel
11.6.2 Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG bei Änderung der Vorjahresbilanz
11.6.3 Anschaffungsnahe Herstellungskosten i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG
11.6.4 Rücklagen gem. § 6b Abs. 3 EStG
11.6.5 Erstattung von Sonderausgaben gem. § 10 EStG in einem Folgejahr
11.6.6 Nachträgliche Zustimmung oder Antragserweiterung beim Realsplitting nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG
11.6.7 Nachträgliche Änderung von Veräußerungs- und Aufgabegewinnen gem. § 16 EStG
11.6.8 Nachträgliche Änderung von Veräußerungsgewinnen gem. § 17 EStG
11.6.9 Nachträgliche Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten
11.6.10 Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG
11.6.11 Zusammenveranlagung nach bestandskräftiger Einzelveranlagung
11.6.12 Keine Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids nach Kaufpreisherabsetzung
11.6.13 Gewinn aus Restschuldbefreiung
11.6.14 Rücknahme des Antrags auf ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG
12 Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen – § 175a AO
13 Änderung von Steuerbescheiden bei Datenübermittlung durch Dritte – § 175b AO
14 Berichtigung materieller Fehler
15 Beachtung der Kleinbetragsverordnung
16 Änderungsvorschriften aus anderen Steuergesetzen
16.1 Änderung von Steuerbescheiden bei verdeckter Gewinnausschüttung oder verdeckter Einlage – § 32a KStG
16.2 Kapitalertragsteuer
16.3 Aufhebung und Änderung nach § 35b GewStG
16.3.1 Grundsätzliches
16.3.2 Aufhebung oder Änderung des Gewerbesteuermessbescheides nach § 35b GewStG von Amts wegen
16.3.3 Umfang der Änderung
16.3.4 Folgerungen aus der Anfechtung der einkommensteuerlichen Einkünftequalifikation
16.3.5 Anwendung des § 35b GewStG im Organkreis
16.4 Korrektur von Kindergeldfestsetzungen
17 Vertrauensschutz nach § 176 AO bei der Korrektur von Steuerbescheiden
18 Beachtung der Verjährungsvorschriften
19 Zinsberechnung bei einer Korrektur der Steuerfestsetzung
20 Zinsberechnung bei einer Korrektur der Berechnung des Zinslaufs
21 Vorrang eines BFH-Urteils gegenüber Korrekturvorschriften
22 Literaturhinweise
23 Verwandte Lexikonartikel
Für Steuerbescheide und denen gleichgestellte Bescheide (z.B. Feststellungs- und Steuermessbescheide gem. § 181 Abs. 1 AO, Zinsbescheide gem. § 239 AO), greifen die Korrekturvorschriften der §§ 129, 164, 165 und 172 bis 175 AO. Für sonstige Verwaltungsakte (z.B. Stundung, Erlass, Zwangsgeld, Verspätungszuschlag, Aussetzung der Vollziehung, Anrechnungsverfügung) sind die §§ 130 und 131 AO anwendbar (→ Rücknahme und Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO).
Ist die Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt, so ist zunächst die mögliche Nichtigkeit (§ 125 AO), danach die Möglichkeit der Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§§ 126, 127 AO) und danach erst die Möglichkeit der Korrektur nach den o.g. Vorschriften zu prüfen.
Bei der Korrektur eines Steuerbescheids ist die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO zu berücksichtigen (s. Tz. 17).
Der nach Eintritt der Unanfechtbarkeit materiell bestandskräftige Steuerbescheid kann nur innerhalb der Festsetzungsfrist korrigiert werden (§ 169 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). S. hierzu Tz. 18.
Nach Eintritt der → Festsetzungsverjährung vorgenommene Korrekturen führen zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, jedoch nicht zur Nichtigkeit. Im Falle der Anfechtung sind sie aufzuheben. Ohne Anfechtung werden sie bestandskräftig und entfalten ihre volle Wirksamkeit.
Bei der Berechnung der Festsetzungsfrist sind Anlauf- und Ablaufhemmungen zu beachten (§§ 170 und 171 AO).
Die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen, kann geändert werden, solange der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist (BFH vom 20.4.2023, III R 25/22, BStBl II 2023, 823).
Es entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein Änderungsbescheid selbst bei Angabe einer fehlerhaften Änderungsgrundlage rechtmäßig ist, falls er durch den Tatbestand einer anderen Änderungsvorschrift gedeckt ist (BFH vom 12.8.2013, X B 196/12, BFH/NV 2013, 1761). Dies gilt auch dann, wenn die irrtümlich gewählte Änderungsvorschrift (im Streitfall § 164 Abs. 2 AO) an der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung scheitert und im Zeitpunkt des Erkennens des Fehlers durch das FA eine Änderung nach der ursprünglich anwendbaren Norm (im Streitfall § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) wegen eingetretener Verjährung ebenfalls nicht mehr möglich gewesen wäre.
Schreib-, Rechenfehler und Schreib- und Rechenfehlern ähnliche offenbare Unrichtigkeiten (→ Berichtigung von Schreib-/Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten gem. § 129 AO und § 173a AO) können innerhalb der Festsetzungsverjährung nach § 129 AO berichtigt werden. Danach dürfen nur rein mechanische Fehler korrigiert werden. Bei der entferntesten Möglichkeit eines Rechtsanwendungsfehlers oder einer fehlenden oder fehlerhaften Sachverhaltsermittlung ist § 129 AO nicht anwendbar. Fehler bei der Willensäußerung des FA sind nach § 129 AO korrigierbar. Fehler in der Willensbildung des FA fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 129 AO.
§ 129 AO ist auf alle Verwaltungsakte anwendbar, also sowohl auf die Steuerbescheide und denen gleichgestellte Bescheide (Feststellungsbescheide, Messbetragsfestsetzungen und Zinsbescheide) als auch auf die sonstigen Verwaltungsakte (Anrechnungsverfügung, Abrechnungsbescheid gem. § 218 AO, Stundung, Erlass, Zwangsgeld, Verspätungszuschlag, Aussetzung der Vollziehung, Fristverlängerung).
Gem. § 173a AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit dem Stpfl. bei Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde bestimmte, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend mitgeteilt hat.
Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten (z.B. Erfass- oder Übertragungsfehler) können über § 173a AO nicht korrigiert werden. Hier ist § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu prüfen. Vgl. hierzu Tz. 7.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 173a AO sind nur Schreib- oder Rechenfehler bei der Erstellung einer Steuererklärung erfasst. Fehler oder Unvollständigkeiten im Rahmen der Datenübertragung an das FA (z.B. bei Abbruch der Internetverbindung oder Fehlern der genutzten Software) werden von der Vorschrift nicht erfasst (BFH Beschluss vom 27.4.2022, IX B 57/21, BFH/NV 2022, 803; so auch BFH vom 18.7.2023, IX R 17/22, BStBl II 2024, 90, LEXinform 0954498).
Werden Besteuerungsgrundlagen vom Stpfl. oder seinem Berater ermittelt, aber nicht an das FA übertragen, liegt daher kein Fall des § 173a AO vor.
Steuerbescheide, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (→ Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung) stehen, können nach § 164 Abs. 2 AO bis zum Ablauf der → Festsetzungsverjährung jederzeit geändert werden. Der Bescheid ist für alle rechtlichen und tatsächlichen Korrekturen – zugunsten und zuungunsten des Stpfl. – offen.
Die Korrekturmöglichkeit wird nur eingeschränkt durch die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO (AEAO zu § 176, Nr. 2; s. Tz. 17) und die Bindungswirkung einer verbindlichen Zusage.
Eine Änderung ist jederzeit möglich. Aus welchen Gründen dies geschieht, ist unerheblich. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist hierzu nicht erforderlich.
§ 164 Abs. 2 AO kann auch gezielt zur Verhinderung der Festsetzungsverjährung angewendet werden (BFH Beschluss vom 20.8.1998, BFH/NV 99, 287).
Nach § 165 Abs. 1 AO vorläufige Steuerbescheide können gem. § 165 Abs. 2 AO bis zum Ablauf der → Festsetzungsverjährung jederzeit geändert werden. Ausführliche Erläuterungen s. unter → Vorläufige Steuerfestsetzung.
Bei einem fehlerhaften Bescheid hat der Stpfl. zwei Möglichkeiten: Er kann Einspruch einlegen oder einen Antrag auf (schlichte) Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO stellen. Bei unklaren Formulierungen ist regelmäßig ein Einspruch anzunehmen, da dadurch die Rechte des Stpfl. umfassender gewahrt werden.
Auf Antrag des Stpfl. kann innerhalb der Einspruchsfrist (→ Einspruchsverfahren) ein Steuerbescheid zugunsten als auch zuungunsten des Stpfl. nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO geändert werden. Nach Ablauf der Einspruchsfrist ist mit Zustimmung des Stpfl. nur noch eine Änderung zuungunsten des Stpfl. möglich (→ Schlichte Änderung).
Beantragt der Stpfl. (ausdrücklich) eine schlichte Änderung (zu seinen Gunsten), ist zu beachten, dass eine Antragserweiterung nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr möglich ist (vgl. AEAO, § 172 Nr. 2).
Es ist auch nicht ausreichend, dass der Stpfl. die Änderung rechtzeitig innerhalb der Einspruchsfrist ohne Begründung beantragt und den Umfang seines Änderungsbegehrens erst nach Ablauf der Einspruchsfrist konkretisiert. Die Anforderungen an die Konkretisierung des Antrags auf schlichte Änderung i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind nicht strenger als die Anforderungen an die Konkretisierung des Gegenstands des Klagebegehrens i.S.d. § 65 Abs. 1 FGO (vgl. BFH Beschluss vom 22.5.2019, XI R 17/18, BStBl II 2019, 647).
Der Stpfl. kann mit einem schlichten Änderungsantrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO) nicht mit Erfolg eine nochmalige sachliche Überprüfung der bereits im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumente verlangen (FG Münster vom 19.10.2017, 5 K 3971/14 U, EFG 2017, 1865; vgl. auch BFH vom 5.2.2010, VIII B 139/08, BFH/NV 2010, 831). Neue materiell-rechtliche Gesichtspunkte, die erstmals nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung in einem Änderungsverfahren vorgebracht werden, müssen nicht weiter geprüft werden, wenn der Stpfl. keine hinreichenden sachlichen Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner Behauptungen liefert.
Analog § 367 Abs. 2b AO sollen unbegründete, außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nach einer höchstrichterlichen Klärung der im Antrag aufgeworfenen Rechtsfrage nach § 172 Abs. 3 AO rationell abgewickelt werden können. Die Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung beziehen sich auf anhängige Verfahren vor dem EuGH, dem BVerfG und dem BFH. Kann nach Ausgang des Verfahrens den Anträgen nicht entsprochen werden, sind die Anträge durch Allgemeinverfügung zurückzuweisen. S. hierzu → Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und -einsprüchen.
Der Ausschluss des Einspruchs in Fällen, in denen außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung durch Allgemeinverfügung nach § 172 Abs. 3 AO erledigt wurden (§ 348 Nr. 6 AO), dient der rationelleren Abwicklung von Massenrechtsbehelfsverfahren. Es würde dem Sinn und Zweck der vorgenannten Regelung entgegenstehen, wenn über die höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage erneut im Rahmen eines Einspruchsverfahrens entschieden werden müsste. Der Rechtsweggarantie wird durch die Klagemöglichkeit mit einer auf ein Jahr verlängerten Klagefrist (abweichend von der Grundregel des § 47 Abs. 1 FGO) hinreichend Rechnung getragen.
Nach § 173 Abs. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder zu einer niedrigeren Steuer (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) führen. Bei einer Änderung zugunsten des Stpfl. darf kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekannt werden dieser Tatsachen vorliegen.
Tatsache i.S.d. § 173 AO ist alles, was Merkmal eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, wie z.B.
Zustände,
Vorgänge,
Beziehungen,
Eigenschaften,
Zufluss/Abfluss von BE, BA, Einnahmen, WK, Sonderausgaben, Entnahmen,
Vorhandensein von WG,
Lieferungen, sonstige Leistungen, Eigenverbrauch,
Typ und Bauweise eines Kfz,
Mitgliedschaft in der Kirche,
innere Tatsachen, die nur anhand äußerer Merkmale festgestellt werden können (z.B. Gewinnerzielungsabsicht, gewerblicher Betätigungswille bei gewerblichem Grundstückshandel),
Einnahmen und Ausgaben im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte,
die Existenz einer Forderung (sog. vorgreifliches Rechtsverhältnis; die Bewertung der Forderung ist Schlussfolgerung),
die zutreffenden Angaben über Zustand, Alter etc. bei Ermittlung des Entnahmewerts eines WG,
der Anteil der Investitionszinsen an Schuldzinsen auf Überentnahmen (§ 4 Abs. 4a EStG; FG Saarland vom 3.12.2008, 1 K 2374/04),
neue Erkenntnisse aus einem Benennungsverlangen (BFH vom 9.3.2016, X R 9/13, BStBl II 2016, 815).
Keine Tatsachen i.S.d. § 173 AO sind:
Schlussfolgerungen aller Art, insbes. die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen,
die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BFH vom 12.5.2009, IX R 45/08, BStBl II 2009, 891),
die Änderung der Rechtsprechung durch den BFH,
die Bewertung einer Forderung (ist Schlussfolgerung),
das Geständnis eines Finanzbeamten über die unrichtige Rechtsanwendung (BFH vom 5.7.2007, BFH/NV 2007, 1809–1810,
ein Benennungsverlangen i.S.d. § 160 AO oder die (fehlende) Antwort hierauf (BFH vom 9.3.2016, X R 9/13, BStBl II 2016, 815),
das Nichtwissen eines Stpfl., dass eine Steuervergünstigung existiert (BFH vom 25.1.2001, BStBl II 2001, 414),
der Entnahmewert von WG, wenn die Angaben über Zustand, Alter etc. in der Steuererklärung zutreffend sind,
die Bewertung einer Forderung (ist Schlussfolgerung),
die Erkenntnis, dass die Schuldzinsen des Stpfl. gem. § 4 Abs. 4a EStG dem Betriebsergebnis außerbilanziell hinzugerechnet werden müssen (ist das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung; BFH vom 9.4.2014, X R 1/11, BFH/NV 2014, 1499–1501),
in der Bilanzposition sonstige Rückstellungen enthaltene Entsorgungskosten von Energiesparlampen (BFH vom 25.1.2017, I R 70/15, BStBl II 2017, 780).
Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das zur Aufklärung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts dient, wie z.B.
Urkunden (z.B. Verträge, Geschäftspapiere),
Auskünfte von Auskunftspersonen,
Sachverständigengutachten, soweit sie die Erkenntnis neuer Tatsachen vermitteln.
Bei einer unvollständig abgegebenen Einkommensteuererklärung sind als »neue Tatsachen« folgende Fallgestaltungen möglich:
Nachträgliches Bekanntwerden einer bisher nicht erklärten Einkunftsart:
Es handelt sich um eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Gewinn/Überschuss) oder des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (Verlust). Siehe BFH vom 8.2.1998 (IX R 14/97, BFH/NV 1999, 743). Eine Aufspaltung dieser Einkünfte in steuererhöhende Einnahmen einerseits und steuermindernde Ausgaben andererseits ist nicht zulässig (AEAO zu § 173 Nr. 6.2). Somit kann eine steuermindernde Tatsache nur dann berücksichtigt werden, wenn den Stpfl. kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden trifft (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO).
Nachträgliches Bekanntwerden von BE und BE (alternativ: Einnahmen und WK) bei einer bereits im Steuerbescheid erfassten Einkunftsart bzw. Einkunftsquelle:
Es handelt sich um zwei neue Tatsachen i.S.d. § 173 AO. Die Einnahmen fallen unter § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, die Ausgaben bzw. WK unter § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. In diesen Fällen ist das Verschulden des Stpfl. nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedrigen Steuer führen, in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln stehen, die zu einer höheren Steuer führen (AEAO zu § 173 Nr. 6.1).
Bei der Umsatzsteuer stellen die stpfl. Umsätze und die eigenständigen Vorsteuerbeträge jeweils selbstständige Tatsachen dar, die getrennt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO zu beurteilen sind (BFH vom 8.8.1991, V R 106/88, BStBl II 1992, 12).
Mit Urteil vom 19.10.1995 (V R 60/92, BStBl II 1996, 149) hat der BFH Folgendes entschieden:
Umsätze, die – nach Steuerfestsetzung aufgrund einer Schätzung – in einer USt-Erklärung angegeben werden, sind regelmäßig nur insoweit nachträglich bekannt gewordene Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 AO, als sie die vom FA im Schätzungsbescheid bereits erfassten Umsätze übersteigen. Die in der USt-Erklärung erklärten, im Schätzungsbescheid nicht erfassten Vorsteuerbeträge stehen mit den nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen grundsätzlich nur insoweit im Zusammenhang i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO, als sie zur Ausführung dieser Umsätze verwendet wurden. Die Vorsteuerbeträge können im Schätzungswege im Verhältnis der geschätzten zu den erklärten Umsätzen aufgeteilt werden. S. dazu OFD Magdeburg vom 19.7.2004 (S 0351 – 16 – St 251, DStR 2004, 1748).
Die Art und Weise, in der der Stpfl. seine Aufzeichnungen geführt hat, ist eine Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dies gilt im Fall der Einnahmen-Überschussrechnung nicht nur für Aufzeichnungen über den Wareneingang gem. § 143 AO, sondern ebenso für sonstige Aufzeichnungen und die übrige Belegsammlung (BFH vom 6.5.2024, III R 14/22, n.v.; DStR 2024, 1550).
Tatsachen oder Beweismittel werden nachträglich bekannt, wenn sie einem für die Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten bekannt werden, nachdem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen worden ist. Erfolgt eine Abzeichnung des Verfügungsteils, ist die Willensbildung i.d.R. damit abgeschlossen. Sofern im automatisierten Verfahren nachträglich vor Absendung des Steuerbescheids eine materiell-rechtliche Kontrolle der gesamten Steuerfestsetzung vorgenommen wird, sind alle bis dahin bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen. Tatsachen und Beweismittel, die dem FA bis zum Abschluss einer solchen Kontrolle bekannt geworden sind, in dem zu erlassenden Steuerbescheid aber keine Berücksichtigung gefunden haben, können zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr Gegenstand einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO sein.
Wird ein Steuerbescheid geändert und sind dabei bestimmte Tatsachen nicht berücksichtigt worden, sind diese Tatsachen bei einer beabsichtigten späteren Änderung nach § 173 AO nicht (mehr) neu, wenn nach § 88 AO Anlass bestand, sie bereits bei Erlass des Änderungsbescheids zu berücksichtigen (BFH Beschluss vom 18.12.2014, VI R 21/13, BStBl II 2017, 4). Ist das FA hingegen im Rahmen der Änderung eines Steuerbescheids zur (umfassenden) Berücksichtigung aller bis dahin bekanntgewordenen Tatsachen nicht verpflichtet, bleibt eine Änderung nach § 173 AO möglich. Davon ist insbes. bei der Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und in Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO auszugehen.
Der Finanzbehörde gilt nur der Inhalt der Akten als bekannt, die in der zuständigen Dienststelle für den zu veranlagenden Stpfl. geführt werden. Tatsachen, die sich aus den Akten anderer Stpfl. ergeben, gelten auch dann nicht als bekannt, wenn für deren Bearbeitung dieselbe Person zuständig ist (BFH vom 13.6.2012, VI R 85/10, BStBl II 2013, 5).
Eine Änderung wegen neuer Tatsachen ist ausgeschlossen, wenn die Tatsache dem Sachbearbeiter zum maßgeblichen Zeitpunkt bekannt war oder bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Der Bezug einer im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge vereinbarten lebenslangen Versorgungsleistung stellt einen Dauersachverhalt dar, dessen Umstände nicht durch eine Archivierung von damit in Zusammenhang stehenden Unterlagen im Keller bzw. im Archiv unbekannt werden. Das Bekanntsein einer Tatsache erstreckt sich grundsätzlich auf alle Veranlagungszeiträume, für die die Tatsache relevant ist. Dies gilt auch bei einem Wechsel der Zuständigkeit der Finanzbehörden und Übernahme des Steuerfalles im sog. aktenlosen Veranlagungsverfahren (FG Rheinland-Pfalz vom 16.6.2015, 5 K 1154/13, DStRE 2016, 811). Diese Entscheidung des FG hat über den entschiedenen Einzelfall hinaus Bedeutung für alle Dauersachverhalte. Bei Dauertatbeständen mit Wirkung für die Zukunft kann sich das FA (u.a.) nicht darauf berufen, archivierte Unterlagen seien bereits vernichtet worden.
Nach dem Urteil des BFH vom 12.3.2019 (IX R 29/17, BFH/NV 2019, 1057, LEXinform 0951562) gelten dem FA alle Tatsachen als bekannt, die dem für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständigen Sachbearbeiter zur Kenntnis gelangen. Die Finanzbehörde muss sich den gesamten Inhalt der bei ihr geführten Akte als bekannt zurechnen lassen. Dies gilt auch, wenn der Bearbeiter den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht vollständig prüft, z.B. weil er nur überschlägig prüft, ihm keine Prüfhinweise dazu vorliegen oder die vorliegenden Prüfhinweise andere im Änderungsverfahren nicht streitige Tatsachen betreffen.
Neue Tatsachen oder Beweismittel rechtfertigen nur dann die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 AO, wenn sie rechtserheblich sind. Die Rechtserheblichkeit ist zu bejahen, wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre. Hätte das FA bei ursprünglicher Kenntnis nicht anders entscheiden können, kommt eine Änderung nach § 173 AO nicht in Betracht (BFH vom 12.5.2009, IX R 45/08, BStBl II 2009, 891).
Bei der Prüfung der Frage, ob die Tatsachen zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führen, sind Steueranrechnungsbeträge unbeachtlich. Vielmehr ist auf die festzusetzende Steuer abzustellen. Im Fall eines Antrags nach § 32d Abs. 4 oder 6 EStG ist die zunächst mit Abgeltungswirkung (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) einbehaltene Kapitalertragsteuer der bisher festgesetzten Steuer hinzuzurechnen (vgl. BFH vom 12.5.2015, VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806; vgl. auch BFH vom 21.8.2019, X R 16/17, BStBl II 2020, 99). Wie im Fall des § 32d Abs. 6 EStG ordnet das Gesetz dabei für die Antragsveranlagung aus § 32d Abs. 4 EStG eine Gesamtbetrachtung an, die auch hinsichtlich der Frage, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Kapitaleinkünften nach § 173 Abs. 1 AO zu einer höheren (Nr. 1) oder niedrigeren Steuer (Nr. 2) führt, berücksichtigt werden muss. Aufgrund der Besonderheiten, die mit der Einführung des gesonderten Tarifs für Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG verbunden sind, ist daher in den Vergleich nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen (BFH vom 25.3.2021, VIII R 7/18, BStBl II 2023, 166). Dadurch führt die geplante Steuerfestsetzung im Korrekturbescheid zu einer Steuerminderung und in den Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Dabei ist das grobe Verschulden des Stpfl. zu prüfen. Bei der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG hat der entscheidende Senat eine Ausnahme von dem Grundsatz erkannt, dass anzurechnende Abzugs- oder Vorauszahlungsbeträge grds. im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO nicht in den Vergleich der ursprünglichen mit der beabsichtigten Steuerfestsetzung einbezogen werden.
Nachträglich bekannt gewordene Kapitalerträge stellen neue Tatsachen i.S.d. § 173 AO dar, die zur Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO führen, wenn sich durch die Erfassung der Kapitalerträge eine geänderte (höhere) Einkommensteuerschuld ergibt und noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Die Steuerfestsetzung ist auch dann nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn sich nach Anrechnung der Kapitalertragsteuer eine niedrigere verbleibende Einkommensteuerschuld und damit ein Steuererstattungsanspruch ergeben.
Durch die Einführung der → Abgeltungsteuer ist seit dem Veranlagungszeitraum 2009 die Einkommensteuer für Kapitalerträge i.S.d. § 20 EStG, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, mit dem Steuerabzug grundsätzlich abgegolten. Entsprechend der Zielsetzung des § 43 Abs. 5 EStG (Abgeltungswirkung) ist eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach Eintritt der Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung grds. nicht mehr möglich, wenn der Stpfl. mit seiner Einkommensteuererklärung keinen Antrag gem. § 32d Abs. 4 oder Abs. 6 EStG gestellt hat. Der BFH hat jedoch entschieden, dass der Antrag auf Einbeziehung der Kapitalerträge in die Einkommensteuerveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG (sog. Antragsveranlagung) ein unbefristetes Veranlagungswahlrecht darstellt (BFH vom 21.8.2019, X R 16/17, BStBl II 2020, 99). Der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG kann daher zeitlich auch nach der Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt werden, sofern die Steuerfestsetzung zu diesem Zeitpunkt verfahrensrechtlich noch änderbar ist. Voraussetzung ist daher, dass dem Stpfl., sofern die betroffene Festsetzung bereits formell bestandskräftig ist und nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, für sein nachträglich geltend gemachtes Wahlrecht eine bestandskraftdurchbrechende Änderungsvorschrift zur Seite steht. Dabei ist § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und das grobe Verschulden zu prüfen.
Zur ausführlichen Darstellung der Anrechnungsmöglichkeit von Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuer vgl. → Rücknahme und Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO. Die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen, kann geändert werden, solange der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist (BFH vom 20.4.2023, III R 25/22, BStBl II 2023, 823).
Sind sowohl das FA seiner Ermittlungspflicht als auch der Stpfl. seiner Mitwirkungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen, ohne dass der Verstoß des FA deutlich überwiegt (BFH Beschluss vom 18.12.2014, VI R 21/13, BStBl II 2017, 4; BFH vom 20.12.1998, BStBl II 1989, 585), fällt das nachträgliche Bekanntwerden einer rechtserheblichen Tatsache oder eines rechtserheblichen Beweismittels i.d.R. in den Verantwortungsbereich des Stpfl. Eine Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist dann zulässig (BFH vom 11.11.1987, BStBl II 1988, 115).
Voraussetzung für das Korrekturverbot aufgrund eines Ermittlungsfehlers ist, dass der Stpfl. seine Mitwirkungspflichten erfüllt hat, insbes. den Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich dargestellt hat (vgl. BFH vom 26.2.2003, BFH/NV 2003, 1029 und BFH Beschluss vom 18.6.2015, VI R 84/13, BFH/NV 2015, 1342). Verzichtet das FA gegenüber dem Stpfl. ausdrücklich auf die Abgabe einer Feststellungserklärung und fordert ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auf, verletzt es seine Ermittlungspflicht, wenn die geforderten Angaben für die Ermittlung des für die Grundbesitzbewertung maßgebenden Sachverhalts nicht ausreichen und es keine weiteren Fragen stellt (vgl. BFH 29.11.2017, II R 52/15, BStBl II 2018, 419). Erfüllt der Stpfl. in einem solchen Fall seinerseits seine Mitwirkungspflichten, indem er die vom FA gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet, ist das FA nach Treu und Glauben an einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gehindert, wenn es später Kenntnis von steuererhöhenden Tatsachen erlangt.
Wird ein Steuerbescheid geändert und sind dabei bestimmte Tatsachen nicht berücksichtigt worden, sind diese Tatsachen bei einer beabsichtigten späteren Änderung nach § 173 AO nicht (mehr) neu, wenn nach § 88 AO Anlass bestand, sie bereits bei Erlass des Änderungsbescheids zu berücksichtigen (BFH Beschluss vom 18.12.2014, VI R 21/13, BStBl II 2017, 4). Ist das FA hingegen im Rahmen der Änderung eines Steuerbescheids zur (umfassenden) Berücksichtigung aller bis dahin bekanntgewordenen Tatsachen nicht verpflichtet, bleibt eine Änderung nach § 173 AO möglich. Davon ist insbes. bei der Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und in Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO auszugehen (BFH Beschluss vom 18.12.2014, VI R 21/13, BStBl II 2017, 4).
Beruft sich der Stpfl. auf eine Verletzung der Ermittlungspflicht, hat er im Zweifel die Verletzung nachzuweisen (BFH vom 19.5.1998, BStBl II 1998, 599).
Im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kann eine Tatsache nicht zum Nachteil des Stpfl. als bereits bekannt gelten, wenn der zuständige Bearbeiter sie lediglich hätte kennen können oder kennen müssen. Die Finanzbehörde kann sich nicht auf sein eigenes Versäumnis oder Verschulden hinsichtlich eines Ermittlungsfehlers berufen (BFH vom 26.11.1996, BStBl II 1997, 422).
Hat der Stpfl. die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt, kann die Finanzbehörde nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert sein, den Steuerbescheid zuungunsten des Stpfl. nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, obwohl rechtserhebliche Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, wenn die spätere Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels auf einer Verletzung der dem FA obliegenden Ermittlungspflicht beruht. Dies ist dann der Fall, wenn das FA die Steuerfestsetzung trotz bekannter Zweifel an der Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen endgültig vornimmt (BFH vom 20.12.1988, BStBl II 1989, 585).
Der Stpfl. trägt insoweit die objektive Beweislast, wenn er eine Verletzung der Ermittlungspflichten durch das FA rügt (BFH vom 19.5.1998, I R 140/97, BStBl II 1998, 599 und BFH vom 18.6.2015, VI R 84/13, BFH/NV 2015, 1342).
Die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Stpfl. ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn den Stpfl. ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder des Beweismittels trifft. Als grobes Verschulden hat der Stpfl. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Zum Begriff der groben Fahrlässigkeit vgl. BFH vom 10.2.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017, 7. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen groben Verschuldens trägt das FA (vgl. BFH vom 10.2.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017, 7; AEAO zu § 173, Nr. 5.1).
Ein grobes Verschulden kann angenommen werden, wenn
trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben wurde (BFH vom 16.9.2004, IV R 62/02, BStBl II 2005, 75),
allgemeine Grundsätze der Buchführung verletzt werden,
ausdrückliche Hinweise in zugegangenen Vordrucken, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen des FA nicht beachtet werden,
ausdrücklich in Steuererklärungsformularen gestellte, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogene Frage, nicht beachtet werden (BFH vom 10.8.1988, IX R 219/84, BStBl II 1989, 131),
der Steuerberater dem steuerlich unerfahrenen Stpfl. lediglich eine komprimierte Einkommensteuererklärung zur Prüfung aushändigt und damit dem Stpfl. die Möglichkeit nimmt, die darin enthaltenen Angaben auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen (BFH vom 16.5.2013, III R 12/12, BStBl II 2016, 512).
Nach Auffassung des BFH liegt auch dann ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 AO vor, wenn ein Stpfl. deshalb keine Angaben in einem Erklärungsvordruck macht, weil er aufgrund eines Rechtsirrtums der Meinung ist, sie seien in seinem Fall nicht von Bedeutung (BFH vom 20.11.2008, III R 107/06, BFH/NV 2009, 545).
Offensichtliche Versehen und alltägliche Irrtümer, die sich nie ganz vermeiden lassen, wie z.B.
Verwechslungen,
Schreib-,
Rechen-,
Übertragungsfehler,
rechtfertigen nicht den Vorwurf des groben Verschuldens.
Der Begriff des Verschuldens i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen (BFH vom 10.2.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017, 7). Das schlichte Vergessen des Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung ist nicht grundsätzlich grob fahrlässig i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das grobe Verschulden des Stpfl. am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen ist von der Finanzbehörde darzulegen und zu beweisen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Fehler des Stpfl. auf leichter Fahrlässigkeit beruhen. Zweifel hieran gehen zu Lasten der Finanzbehörde, die insoweit die Feststellungslast trägt (BFH vom 10.2.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017, 7). Daher liegt kein grobes Verschulden vor, wenn der Stpfl. grundsätzlich um die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen weiß, die Eintragung im Steuererklärungsformular aber aufgrund eines bloßen mechanischen Versehens unterbleibt (FG Rheinland-Pfalz vom 30.8.2011, 3 K 2674/10, EFG 2012, 15, zu unterbliebenen Eintragungen in einem elektronischen Formular). Werden Einnahmen eines angestellten Chefarztes aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen im Rahmen der Einkommensteuererklärung irrtümlich sowohl bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit als auch bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erklärt, weil weder der Chefarzt noch sein Steuerberater erkannt haben und nach den Umständen des Streitfalls auch nicht erkennen mussten, dass diese Einnahmen bereits dem Lohnsteuerabzug unterlegen haben, liegt kein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor (BFH vom 18.4.2023, VIII R 9/20, BStBl II 2023, 895).
Nimmt der Stpfl. bei der Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten die Hilfe eines Bevollmächtigten oder anderer Hilfspersonen in Anspruch, so muss er sich ein etwaiges grobes Verschulden dieser Personen wie ein eigenes Verschulden zurechnen lassen. So hat nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Stpfl. auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (z.B. BFH vom 17.11.2005, III R 44/04, BStBl II 2006, 412, m.w.N.). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich aus der Verantwortung des Stpfl. für die Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung (§ 150 Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt.
Den Steuerberater trifft kein grobes Verschulden, wenn er schlicht den Eintrag von bereits ermittelten Besteuerungsgrundlagen (hier Verlust) in das elektronische Formular vergessen hat (vgl. BFH vom 10.2.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017, 7).
Nach dem BFH-Urteil vom 3.12.2009 (VI R 58/07, BStBl II 2010, 531) kann einem Steuerberater ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Zahnbehandlungskosten, die als außergewöhnliche Belastungen steuerliche Berücksichtigung hätten finden können, zur Last fallen, wenn er es unterlässt, seinen Mandanten nach solchen Aufwendungen zu fragen. Nach Ansicht des BFH muss von Angehörigen der steuerberatenden Berufe verlangt werden, dass sie den Inhalt der Merkblätter kennen und die üblichen Vordrucke beherrschen. Der steuerliche Berater dürfe gerade bei einem steuerlichen Laien nicht ohne Nachfrage davon ausgehen, dass aufgrund der bestehenden Krankenversicherung und der zumutbaren Belastung der vertretenen Stpfl. keine steuerlich relevanten Krankheitskosten vorliegen. Vielmehr muss er die von ihm beratenen Stpfl. im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen nach Aufwendungen fragen, die steuerlich zu berücksichtigen sind. Denn ein Steuerberater habe seinen Mandanten, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er grundsätzlich auszugehen hat, umfassend zu beraten. Im Rahmen dieser Verpflichtung habe er den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln. Er dürfe sich insbes. nicht darauf verlassen, dass die steuerlich relevanten Angaben und Unterlagen durch Dritte derart aufbereitet werden, dass Nachfragen beim Stpfl. selbst entbehrlich werden. Verstößt der steuerliche Berater gegen diese Pflichten, handelt er grob fahrlässig.
Ein Steuerberater handelt ebenfalls grob fahrlässig, wenn er bei der Erstellung einer Einnahmen-Überschussrechnung die Buchungsunterlagen vom Mandanten übernimmt und nicht überprüft, ob die Buchungen nach dem Zu- und Abflussprinzip vorgenommen worden sind. Die Rechtsprechung verlangt bei Übernahmen einer EÜR vom Mandanten oder vom Buchführungsbüro eine gründliche Prüfung durch den Steuerberater. Unterlässt der Steuerberater diese Prüfung, handelt er grob schuldhaft. Dieses Verschulden ist dem Mandanten nach dem Rechtsgedanken des § 150 Abs. 2 AO zuzurechnen (BFH vom 17.11.2005, III R 44/04, BStBl II 2006, 412). Übernimmt z.B. ein Steuerberater die von einem Buchführungshelfer erstellten Buchungsunterlagen ungeprüft und übersieht dabei, dass auch Kreditoren- und Debitorenkonten angesprochen worden waren, ist eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen, wenn dadurch in der EÜR verschiedene BA unberücksichtigt bleiben (FG München vom 11.9.2009, 10 K 2536/08, EFG 2010, 101; Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter Az. des BFH X B 167/09; als unzulässig verworfen mit Beschluss vom 3.2.2010, X B 167/09).
Eine Kirchensteuerfestsetzung, die darauf beruht, dass in der von einem Steuerberater erstellten und elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung mitgeteilt wird, der Stpfl. gehöre einer kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft an, obwohl der Stpfl. bereits vor dem Veranlagungszeitraum aus der Kirche ausgetreten war und dieser Umstand ordnungsgemäß i.S.d. § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG gemeldet worden ist, kann weder nach § 175b Abs. 1 oder Abs. 2 AO noch nach §§ 129, 173 AO geändert werden (FG Baden-Württemberg Gerichtsbescheid vom 5.1.2021, 10 K 1662/20, EFG 2021, 1689; Revision eingelegt, Az. des BFH: I R 6/21; erledigt durch Zurückverweisung mit Urteil vom 24.11.2021). Den Stpfl. trifft auch bei Einschaltung eines Steuerberaters hinsichtlich der in der Steuererklärung zu beantwortenden Fragen über seine persönlichen Verhältnisse und damit auch hinsichtlich der Kirchenzugehörigkeit eine erhöhte Nachprüfungspflicht. Kommt er dieser nicht nach, handelt er grob fahrlässig i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Die erhöhten Sorgfaltsanforderungen an den Steuerberater sind auf die Prüfung der steuerlichen Rechtslage gerichtet. Werden Einnahmen eines angestellten Chefarztes aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen im Rahmen der Einkommensteuererklärung irrtümlich sowohl bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit als auch bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erklärt, weil weder der Chefarzt noch sein Steuerberater erkannt haben und nach den Umständen des Streitfalls auch nicht erkennen mussten, dass diese Einnahmen bereits dem Lohnsteuerabzug unterlegen haben, liegt kein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor (BFH vom 18.4.2023, VIII R 9/20, BStBl II 2023, 895). Der steuerliche Berater hatte im Streitfall keinen Anlass, die Richtigkeit der Lohnsteuerbescheinigung in Zweifel zu ziehen.
Nach Auffassung der Verwaltung ist bei der Frage, ob die Unterlassung bestimmter steuerrelevanter Angaben in der Steuererklärung auf einem groben Verschulden des Stpfl., einem entschuldbaren mechanischen Versehen oder einem entschuldbaren Rechtsirrtum infolge mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruht, nicht zwischen Steuererklärungen auf Papier und elektronisch erstellten Steuererklärungen zu unterscheiden (AEAO zu § 173, Tz 5.6). Auch bei der elektronischen Erstellung der Steuererklärung z.B. mithilfe des Programms ElsterFormular kann der Stpfl. bei Erfassung der Daten anhand der gewohnten Formularoberfläche vom kompletten Steuererklärungsvordruck und allen dort gestellten Fragen Kenntnis nehmen. Außerdem werde über eine Hilfefunktion im Umfang der amtlichen Anleitung Unterstützung geboten. Auch der BFH vertritt die Meinung, dass der Begriff des Verschuldens i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen ist wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen. Mit Urteil vom 10.2.2015 (IX R 18/14, BStBl II 2017, 7) hat er entschieden, dass kein grobes Verschulden vorliegt, wenn der Stpfl. grundsätzlich um die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen weiß, die Eintragung im Steuererklärungsformular aber aufgrund eines bloßen mechanischen Versehens unterbleibt (FG Rheinland-Pfalz vom 30.8.2011, 3 K 2674/10, EFG 2012, 15, zu unterbliebenen Eintragungen in einem elektronischen Formular).
Der BFH hat mit Urteil vom 20.3.2013 (VI R 9/12, BFH/NV 2013, 1143, BFHE 240, 507, LEXinform 0928927) entschieden, dass der Stpfl. auch dann regelmäßig grob fahrlässig i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO handele, wenn er die dem elektronischen ElsterFormular beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt. Dies gelte allerdings nur, soweit solche Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig seien.
In dem entschiedenen Fall war streitig, ob Unterhaltsleistungen, die bei einer in elektronischer Form abgegebenen Einkommensteuererklärung (ELSTER) versehentlich nicht erklärt wurden, im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid noch zu berücksichtigen seien. Der Kläger und Revisionsbeklagte leistete ab der Geburt seines Sohnes monatliche Unterhaltszahlungen an die Kindesmutter. Unterhaltsleistungen hatte er in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2008, die er mit dem elektronischen ElsterFormular 2008/2009 eingereicht hatte, nicht erklärt. Das dazu vom Kläger verwendete ElsterFormular enthielt in Zeile 102 die Angabe »Unterhalt für bedürftige Personen« und verwies ohne weitere Erläuterungen auf die Anlage Unterhalt. Der Hilfstext zur Anlage Unterhalt führte die gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen beispielhaft auf (»z.B. Eltern, Großeltern und Kinder«), nannte dort aber nicht die Mutter eines gemeinsamen Kindes als mögliche Unterhaltsberechtigte. Im ElsterFormular fand sich das erst am Ende der Anlage Unterhalt.
Grobes Verschulden sei anzunehmen, wenn der Stpfl. seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er etwa eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet. Diese Grundsätze seien auch auf eine im elektronischen Wege über das ElsterFormular abgegebene Steuererklärung anzuwenden. Deshalb seien auch die Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit zu berücksichtigen, wie sie gleichermaßen auch für solche in Papierform gelten.
Da im betreffenden Hauptvordruck des ElsterFormulars keine Erläuterungen enthalten seien und die Anlage Unterhalt, auf die stattdessen hingewiesen wird, zwar im Hilfstext die Unterhaltsberechtigung zwischen Großeltern, Eltern und Kindern als Beispiel nenne, aber gerade nicht auf die einer Kindesmutter hingewiesen werde, träfe den Stpfl. kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der geleisteten Unterhaltszahlungen. Aufgrund der unübersichtlichen Vordruckgestaltung hätte sich nicht aufdrängen müssen, dass auch Unterhaltsleistungen an seine mit ihm nicht verwandte und nicht verheiratete Kindesmutter hätten eingetragen werden müssen. Obwohl die Anlage Unterhalt selbst am Ende die Kindesmutter als Unterhaltsberechtigte nenne, enthalte der Erläuterungstext der Anlage gerade zu dieser Unterhaltsberechtigung nichts. Daher habe der Stpfl. es nicht grob fahrlässig unterlassen, ohne Anhaltspunkte sich der Anlage selbst zuzuwenden. Insoweit sei am Computerbildschirm ein Überblick über die ausfüllbaren Felder im ElsterFormular deutlich schwieriger zu erlangen als in einer Steuererklärung in Papierform.
Dagegen hat der BFH, ebenfalls mit Entscheidungsdatum 20.3.2013 (VI R 5/11, BFH/NV 2013, 1142, BFHE 240, 504, LEXinform 0928269), festgestellt, dass die unterlassene Geltendmachung von Unterhaltsleistungen an die Mutter eines gemeinsamen Kindes im Veranlagungszeitraum 2006 den Vorwurf groben Verschuldens rechtfertigt.
Das grobe Verschulden könne insbes. darin gesehen werden, dass der Kläger die mit »Unterhalt für bedürftige Personen« überschriebene Zeile im Steuererklärungsvordruck unbeantwortet ließ und er nicht nur die in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung aufgeführten zwei auf ihn zutreffenden Sachverhalte, sondern auch den dort angeführten Hinweis nicht beachtet habe, dass eine Unterhaltspflicht gegenüber der Mutter eines gemeinsamen Kindes bestehen kann. Die Einlassung des Klägers, er habe eine elektronische Steuererklärung abgegeben und deshalb deren schriftliche Anleitung nicht zur Verfügung gehabt, sei im Ergebnis unbeachtlich.
Bei Nichtbeachtung von Hinweisen und Angaben im elektronischen ElsterFormular könne grobe Fahrlässigkeit angenommen werden, sofern sie ausreichend verständlich und klar sind. Es gelte insoweit nichts anderes als für Hinweise in Papierform.
Mit Urteil vom 20.3.2013 (VI R 5/11, BFH/NV 2013, 1142, BFHE 240, 504, LEXinform 0928269) hat der BFH festgestellt, dass allein der Umstand, dass die mit ElsterFormular abgegebene elektronische Einkommensteuererklärung keinen vollständigen Ausdruck der Steuererklärungsformulare liefere, eine ansonsten gegebene grobe Fahrlässigkeit nicht entfallen lasse. Zwar sei bei der elektronischen Steuererklärung im Gegensatz zur Einkommensteuererklärung in Papierform ein Nachteil darin zu sehen, dass letztlich nur die Werte und Kennziffern aufgeführt werden, zu denen der Stpfl. Eintragungen vorgenommen habe. Dies betreffe aber nicht den Grund für die Annahme der groben Fahrlässigkeit hinsichtlich fehlender An- und Eingaben im ElsterFormular selbst.
Grobes Verschulden ist gegeben, wenn der Steuerberater seinem steuerlich unerfahrenen Mandanten nur eine komprimierte Steuererklärung aus Elster zur Prüfung aushändigt (vgl. BFH vom 16.5.2013, III R 12/12, BStBl II 2016, 512).
Das Verschulden des Stpfl. ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedrigeren Steuer führen, in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln stehen, die zu einer höheren Steuer führen. Stehen die steuermindernden Tatsachen mit steuererhöhenden Tatsachen im Zusammenhang, sind die steuermindernden Tatsachen nicht nur bis zur steuerlichen Auswirkung der steuererhöhenden Tatsachen, sondern uneingeschränkt zu berücksichtigen (BFH vom 2.8.1983, VIII R 190/80, BStBl II 1984, 4). Ein derartiger Zusammenhang ist gegeben, wenn eine zu einer höheren Besteuerung führende Tatsache die zur Steuerermäßigung führende Tatsache ursächlich bedingt, sodass der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist (BFH vom 28.3.1985, IV R 159/82, BStBl II 1986, 120, vom 5.8.1986, IX R 13/81, BStBl II 1987, 297, und vom 8.8.1991, V R 106/88, BStBl II 1992, 12).
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist gem. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO sinngemäß auf einen Gewinnfeststellungsbescheid für eine PersGes auch dann anzuwenden, wenn sich eine gegenläufige Änderung (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) aus einem anderen Bescheid (z.B. dem Einkommensteuerbescheid für einen feststellungsbeteiligten Gesellschafter) ergibt (vgl. BFH vom 10.9.2020, IV R 6/18, BStBl II 2021, 197).
Soweit Steuerbescheide aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, können diese nach § 173 Abs. 2 AO nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine → Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.
Die Korrekturmöglichkeit nach § 164 Abs. 2 AO (→ Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung) bleibt auch bestehen, wenn ein wirksamer Vorbehalt der Nachprüfung trotz Aufhebungspflicht, z.B. nach einer (abschließenden) Außenprüfung, nicht aufgehoben wird.
Die in § 173 Abs. 2 Satz 1 AO enthaltene Änderungssperre bezieht sich lediglich auf beabsichtigte Änderungen i.S.d. § 173 Abs. 1 AO.
Ein nach einer Außenprüfung ergangener Steuer- oder Feststellungsbescheid kann daher noch aufgrund eines fortwirkenden Nachprüfungsvorbehalts geändert werden (BFH vom 14.9.1993, BStBl II 1995, 2).
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen sind zwar Außenprüfungen i.S.d. § 173 Abs. 2 AO; eine Änderungssperre lösen sie aber nur aus, wenn die daraufhin ergangenen Bescheide endgültigen Charakter haben, also nicht nur Vorauszahlungen oder Voranmeldungen betreffen (BFH vom 14.12.2011, XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004).
Für Feststellungsbescheide (→ Gesonderte Feststellung) gelten gem. § 181 Abs. 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß (sog. gleichgestellte Bescheide). Insoweit findet § 173 AO Anwendung.
Bei einem Feststellungsbescheid kommt es demzufolge für die Frage der Zulässigkeit einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO darauf an, ob die neuen Tatsachen oder Beweismittel sich zu Gunsten oder zu Ungunsten des Stpfl. auswirken, dem der Gegenstand der Feststellung zuzurechnen ist. Dabei kommt es nur auf die Änderungen der festgestellten Besteuerungsgrundlagen selbst an, nicht auf die steuerlichen Auswirkungen in den Folgebescheiden (BFH vom 24.6.2009, IV R 55/06, BStBl II 2009, 950).
Lautet die Feststellung auf einen in Euro bemessenen Betrag, ist die Anwendung des § 173 Abs. 1 AO auf die Änderungen dieses Betrages abzustellen.
Bei einer Feststellung der steuerfreien, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO ist die konkrete Höhe der in einer deutschen Betriebsstätte erzielten Einnahmen sowie der Umstand, dass keine Aufzeichnungen vorhanden sind, die eine direkte Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben einerseits zu der deutschen und anderseits zu der ausländischen Betriebsstätte ermöglichen, Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (BFH vom 21.2.2017, VIII R 46/13, BStBl II 2017, 745).
Hat eine Feststellung nicht die betragsmäßigen Besteuerungsgrundlagen, sondern eine Eigenschaft oder rechtliche Bewertung zum Gegenstand (z.B. Art der Einkünfte, Grundstücksart, Zurechnung des Grundstücks), findet bei nachträglichem Bekanntwerden neuer Tatsachen oder Beweismittel § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Anwendung, wenn das FA von Amts wegen tätig wird. Dagegen findet § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO Anwendung, wenn der Stpfl. die Änderung des Feststellungsbescheids begehrt (vgl. AEAO zu § 173, Tz. 10).
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO (Unbeachtlichkeit des groben Verschuldens) ist gem. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO sinngemäß auf einen Gewinnfeststellungsbescheid für eine PersGes auch dann anzuwenden, wenn sich eine gegenläufige Änderung (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) aus einem anderen Bescheid (z.B. dem Einkommensteuerbescheid für einen feststellungsbeteiligten Gesellschafter) ergibt (vgl. BFH vom 10.9.2020, IV R 6/18, BStBl II 2021, 197). Hingegen sind für die Gewinnfeststellung (Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO) die steuerlichen Auswirkungen in den Folgebescheiden für die Änderung nach § 173 Abs. 1 AO nicht maßgeblich. Erfolgt eine gesonderte Feststellung auch einheitlich (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO), ist hierbei nicht auf die Verhältnisse der Gesellschaft/Gemeinschaft insgesamt, sondern auf die Verhältnisse jedes einzelnen Feststellungsbeteiligten individuell abzustellen. Danach ist ein Bescheid über eine gesonderte und einheitliche Feststellung aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die entweder zu einer Erhöhung oder – bei fehlendem groben Verschulden des Stpfl. – zu einer Minderung der Besteuerungsgrundlagen bei jedenfalls einem Feststellungsbeteiligten führen (vgl. BFH vom 16.4.2015, IV R 2/12, BFH/NV 2015, 1331, und vom 10.9.2020, IV R 6/18, BStBl II 2021, 197; AEAO zu § 173 AO Nr. 10.2.1; BMF vom 1.11.2021, BStBl I 2021, 2147).
Nach § 173a AO wird die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden vorgeschrieben, soweit dem Stpfl. bei Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde rechtserhebliche Tatsachen nicht mitgeteilt hat. Schreibfehler sind insbes. Rechtschreibfehler, Wortverwechselungen oder Wortauslassungen oder fehlerhafte Übertragungen. Rechenfehler sind insbes. Fehler bei der Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division sowie bei der Prozentrechnung.
Ein solcher Schreib- oder Rechenfehler muss durchschaubar, eindeutig oder augenfällig sein. Das ist dann der Fall, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als Schreib- oder Rechenfehler erkennbar ist und kein Anhaltspunkt dafür erkennbar ist, dass eine unrichtige Tatsachenwürdigung, ein Rechtsirrtum oder ein Rechtsanwendungsfehler vorliegt.
Das bei § 173 AO ungeschriebene, von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestandsmerkmal der Rechtserheblichkeit ist von der Literatur und der Rechtsprechung ausführlich besprochen worden. Danach ist von der Rechtserheblichkeit der »berichtigten« Tatsache auszugehen, wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis dieser Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre.
Eine Korrektur des fehlerhaften Steuerbescheids ist innerhalb der Festsetzungsfrist des § 169 AO möglich. Sie endet nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des fehlerhaften Bescheides (Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 2 Satz 2 AO).
Das schlichte Vergessen eines Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärung ist kein Schreib- oder Rechenfehler i.S.d. § 173a AO. In derartigen Fällen kann aber eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 AO vorliegen.
Die Feststellungslast trägt die Finanzbehörde für Tatsachen, die zu einer Änderung zuungunsten des Stpfl. führen würden. Der Stpfl. trägt dagegen die Feststellungslast für solche Tatsachen, die eine Änderung zu seinen Gunsten ermöglichen. Sind die Voraussetzungen nach § 173a AO erfüllt, steht die Korrektur nicht im Ermessen der Finanzbehörde.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 173a AO sind nur Schreib- oder Rechenfehler bei der Erstellung einer Steuererklärung erfasst. Fehler oder Unvollständigkeiten im Rahmen der Datenübertragung an das FA (z.B. bei Abbruch der Internetverbindung oder Fehlern der genutzten Software) werden von der Vorschrift nicht erfasst (BFH Beschluss vom 27.4.2022, IX B 57/21, BFH/NV 2022, 803). Werden Besteuerungsgrundlagen vom Stpfl. oder seinem Berater ermittelt, aber nicht an das FA übertragen, liegt daher kein Fall des § 173a AO vor.
Widerstreitende Steuerfestsetzungen können nach § 174 AO geändert werden, wenn sich ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zugunsten bzw. zuungunsten eines oder mehrerer Stpfl. ausgewirkt hat.
Durch § 174 AO ist es möglich, bei inhaltlich widersprüchlichen Bescheiden den fehlerhaften Bescheid aufzuheben oder zu ändern, um die durch den sog. Widerstreit entstandenen Vor- und Nachteile auszugleichen. In welchen Fällen des Widerstreits eine Korrektur möglich ist, regelt § 174 AO abschließend.
§ 174 AO wird regelmäßig anzuwenden sein, wenn der Widerstreit nicht durch andere Korrekturtatbestände beseitigt werden kann. Allerdings kann § 174 AO auch mit anderen Korrekturtatbeständen konkurrieren.
Mit Urteil vom 19.8.2015 (X R 50/13, BStBl II 2017, 15) hat der BFH entschieden, dass ein bestimmter Sachverhalt i.S.d. § 174 AO der einzelne Lebensvorgang im Sinne eines Sachverhaltskomplexes ist, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Auch im Rahmen des § 174 Abs. 4 AO muss der dem geänderten sowie der dem zu ändernden Steuerbescheid zugrunde liegende Sachverhalt übereinstimmen. Übereinstimmung setzt jedoch keine vollständige Identität voraus (vgl. auch BFH vom 21.9.2016, V R 24/15, BStBl II 2017, 143). Die irrige steuerliche Beurteilung in dem geänderten Bescheid muss sich ausschließlich auf diesen bestimmten Sachverhalt bezogen haben und darf nicht auf einem erst um weitere Tatsachen ergänzten Sachverhalt beruhen. In dem zu ändernden Bescheid dürfen hingegen weitere Sachverhaltselemente hinzutreten, um einen gesetzlichen Tatbestand zu erfüllen, der den zunächst irrig beurteilten Sachverhalt nunmehr mit den richtigen steuerlichen Folgen versieht. Maßstab für die Frage, ob ein Sachverhalt in dem geänderten Bescheid irrig beurteilt wurde, ist der letzte dem Änderungsbescheid vorausgegangene Bescheid. Unerheblich ist, ob die irrige Beurteilung sich auf Tatsachen oder Rechtsfragen bezog.
Für die Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Stpfl. gem. § 174 Abs. 1 AO sind folgende Voraussetzungen zu beachten:
Ein bestimmter Sachverhalt wurde mehrfach berücksichtigt, z.B. Zahlung von A an B. Der Begriff erfasst nicht nur eine einzelne steuererhebliche Tatsache, sondern den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex (vgl. BFH vom 4.2.2016, III R 12/14, BStBl II 2016, 818);
die Mehrfachberücksichtigung (sog. positiver Widerstreit) erfolgte in mehreren (i.d.R. zwei) Bescheiden;
berücksichtigt i.S.d. § 174 Abs. 1 AO sind alle Vorgänge, die in den erklärten (und bei der Veranlagung erfassten) Einkünften des Stpfl. enthalten sind. Legt das FA z.B. den erklärten Gewinn bei der Veranlagung zugrunde, sind alle Geschäftsvorfälle berücksichtigt, die in der Gewinnermittlung des Stpfl. erfasst worden sind;
Berücksichtigung zuungunsten bedeutet, dass eine Auswirkung auf festgesetzte Steuer bzw. die festgestellten Besteuerungsgrundlagen vorliegt;
es muss eine gesetzeswidrige Mehrfachberücksichtigung, eine sog. Kollision der Bescheide, vorliegen; die Objektkollision (verschiedene Steuerarten), die Subjektkollision (verschiedene Personen), die Periodenkollision (verschiedene Zeiträume) und die Zuständigkeitskollision (verschiedene Finanzämter);
die Korrektur erfolgt nur auf Antrag des Stpfl.
Ein inhaltlicher Widerspruch wegen Verletzung des Korrespondenzprinzips (Einnahme bei A = Ausgabe bei B) ist kein Widerstreit i.S.d. § 174 Abs. 1 AO (BFH Beschluss vom 31.5.2005, IX B 187/03, BFH/NV 2005, 1489).
Die Korrektur des fehlerhaften Bescheides ist gem. § 174 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO auch noch nach Ablauf der Festsetzungsfrist möglich, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des letzten Bescheides gestellt wird (Ablaufhemmung). Ein Widerstreit zwischen einem inländischen und einem ausländischen Steuerbescheid liegt nicht vor, wenn derselbe Sachverhalt im Ausland bei der Bemessungsgrundlage für die Steuer und im Inland im Rahmen des Progressionsvorbehalts hätte berücksichtigt werden können (BFH vom 20.3.2019, II R 61/15, BStBl II 2020, 463).
Für die Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Stpfl. gem. § 174 Abs. 2 AO sind folgende Voraussetzungen zu beachten:
Bei § 174 Abs. 2 AO handelt es sich wie bei Abs. 1 um einen sog. positiven Widerstreit;
die Aufhebung bzw. Änderung des fehlerhaften Bescheides erfolgt von Amts wegen;
die Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA ist unbeachtlich, solange die Sachverhaltsberücksichtigung überwiegend auf die Erklärung des Stpfl. zurückzuführen ist. Für die Anwendung des § 174 Abs. 2 AO ist es unerheblich, ob die Doppelberücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts irrtümlich erfolgt ist oder vom Stpfl. bewusst herbeigeführt worden ist (BFH vom 6.9.1995, XI R 37/95, BStBl II 1996, 148).
§ 174 Abs. 1 Satz 2 AO (Ablaufhemmung) ist sinngemäß anzuwenden. Auch bei Ablauf der Festsetzungsfrist für den fehlerhaften Bescheid kann die Korrektur noch innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem der letzte der widerstreitenden Bescheide unanfechtbar geworden ist.
Nach der Rechtsprechung des BFH (vom 6.9.1995, XI R 37/95, BFHE 179, 196, BStBl II 1996, 148) ist eine Änderung gem. § 174 Abs. 2 AO nur dann möglich, wenn der Stpfl. selbst (allein oder überwiegend) die fehlerhafte Berücksichtigung verursacht hat und aus diesem Grund nicht auf die Bestandskraft des Steuerbescheides vertrauen kann (vgl. auch BFH vom 22.6.2020, III R 25/19, BStBl II 2022, 63; LEXinform 0952252). Im Rahmen dieser Prüfung ist auch der Beitrag des FA, der zur doppelten Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts geführt hat, zu würdigen. Dabei kann sich ein Stpfl., der eine unrichtige Steuererklärung abgegeben hat, regelmäßig nicht auf Ermittlungsfehler des FA berufen (BFH vom 22.9.1983, BStBl II 1984, 510; vgl. auch BFH Beschluss vom 13.4.2012, IX B 189/11, BFH/NV 2012, 1098).
Für die Änderung des Steuerbescheids gem. § 174 Abs. 3 AO sind folgende Voraussetzungen zu beachten:
Bei § 174 Abs. 3 AO handelt es sich um die gleichen Grundfälle wie bei § 174 Abs. 1 und 2 AO, nur dass der Sachverhalt nicht mehrfach, sondern gar nicht berücksichtigt worden ist (sog. negativer Widerstreit);
die falsche Annahme durch den zuständigen Sachbearbeiter, der Sachverhalt sei in einem anderen Bescheid zu berücksichtigen, muss ursächlich für die Nichtberücksichtigung im richtigen Bescheid sein (BFH vom 29.5.2001, VIII R 19/00, BStBl II 2001, 743). An dieser Kausalität fehlt es, wenn die Nichtberücksichtigung des Sachverhalts darauf beruht, dass das FA von diesem Sachverhalt gar keine Kenntnis hatte oder annahm, dieser Sachverhalt sei ohne steuerliche Bedeutung;
die falsche Annahme des FA muss aktenkundig sein;
die falsche Annahme muss für den Stpfl. im Zeitpunkt der Bekanntgabe des fehlerhaften Bescheides erkennbar sein;
die Erkennbarkeit ist gegeben, wenn die Nichtberücksichtigung auf Angaben des Stpfl. beruht, weil er selbst der Auffassung war, der Sachverhalt sei in einem anderen Bescheid zu berücksichtigen und somit das FA zu der entsprechenden Annahme veranlasst hat;
die Korrektur ist bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für den Bescheid (= richtiger Bescheid ohne Berücksichtigung des SV), in dem das FA den Sachverhalt aufgrund der falschen Annahme ursprünglich berücksichtigen wollte (§ 174 Abs. 3 Satz 2 AO) möglich (Ablaufhemmung). Der Ablauf der Festsetzungsfrist für den zu korrigierenden Bescheid ist dabei unbeachtlich.
In den Fällen des § 174 Abs. 3 AO muss dem Betroffenen eine Änderungsmöglichkeit eingeräumt werden, wenn er auf eine irrige Rechtsansicht vertraut hat und ohne Änderungsmöglichkeit seine Rechte nicht weiterverfolgen könnte. Hatte der Stpfl. die Möglichkeit, sich gegen die geänderte Auffassung des FA durch Einspruch zur Wehr zu setzen und hat er diese Möglichkeit nicht wahrgenommen, so ist eine Änderung nach § 174 Abs. 3 AO daher nicht geboten (BFH vom 6.12.2006, XI R 62/05, BStBl II 2007, 238).
Wenn Umsätze und Vorsteuerbeträge einer KG erkennbar deshalb nicht beim Organträger berücksichtigt werden, weil das FA davon ausgeht, diese seien mangels Organschaft bei der KG zu erfassen, besteht eine Änderungsbefugnis gem. § 174 Abs. 3 AO (BFH vom 16.3.2023, V R 14/21 (V R 45/19), BFH/NV 2023, 790).
Für die Änderung des Steuerbescheids gem. § 174 Abs. 4 AO sind folgende Voraussetzungen zu beachten:
Bei § 174 Abs. 4 AO handelt es sich wie bei Abs. 3 um die gleichen Grundfälle wie bei § 174 Abs. 1 und 2 AO, nur dass der Sachverhalt nicht mehrfach, sondern gar nicht berücksichtigt worden ist (sog. negativer Widerstreit);
der fehlerhafte Bescheid muss aufgrund eines Rechtsbehelfs oder (ausdrücklichen) Antrags des Stpfl. durch das FA (oder das Gericht) aufgehoben oder geändert worden sein;
durch diese Aufhebung oder Änderung muss der Sachverhalt nunmehr ohne steuerliche Regelung sein (= negativer Widerstreit);
§ 174 Abs. 4 AO ist nicht auf Fälle der Objekt-, Perioden-, Zuständigkeits- oder Subjektkollision beschränkt, sondern enthält eine spezialgesetzliche Ausformung von Treu und Glauben. Hat der Stpfl. erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten, so hat er auch die damit denklogisch verbundenen Nachteile hinzunehmen;
eine Änderung aufgrund des § 174 Abs. 4 AO erfolgt immer zuungunsten des Stpfl. Der Stpfl., der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (vgl. BFH vom 19.8.2015, X R 50/13, BStBl II 2017, 15);
die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO ist keine Ermessensentscheidung (vgl. BFH vom 14.3.2012, XI R 2/10, BStBl II 2012, 653).
Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids gem. § 174 Abs. 4 AO wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid, welcher auf Initiative des Stpfl. zu seinen Gunsten geändert wurde, ist nicht ausgeschlossen, wenn das FA bei Erlass des ursprünglichen Bescheids wissentlich fehlerhaft gehandelt hat. Der Stpfl. soll vielmehr im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an dieser Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist. Allein die abstrakte Besorgnis, die Zulässigkeit der Änderung gem. § 174 Abs. 4 AO könne die FinVerw zum Missbrauch einladen, reicht nicht aus, um die Änderungsmöglichkeit allgemein einzuschränken, da dies den Kern des § 174 Abs. 4 AO berührte. Es bedarf vielmehr konkreter Indizien, die auf ein treuwidriges Verhalten hindeuten (BFH vom 25.10.2016, X R 31/14, BStBl II 2017, 287).
Wird der Gewerbesteuermessbescheid aufgrund eines Rechtsbehelfs aufgehoben, weil der Stpfl. eine selbstständige Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausübt, ist das FA nach § 174 Abs. 4 AO im Grundsatz berechtigt, den Einkommensteuerbescheid durch Versagung der Tarifbegrenzung gem. § 32c EStG a.F. zu ändern (BFH vom 4.2.2016, III R 12/14, BStBl II 2016, 818). In diesem Fall beruhen beide steuerlichen Folgerungen, sowohl die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids als auch die Versagung der Tarifbegrenzung nach § 32c EStG a.F., auf der rechtlichen Qualifikation der vom Stpfl. ausgeübten Tätigkeit und damit auf dem gleichen bestimmten Sachverhalt i.S.d. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO.
Für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO reicht es aus, wenn die Änderungsvoraussetzungen, insbes. die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheids zugunsten des Stpfl., bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen (BFH vom 12.5.2022, VI R 20/19, BStBl II 2023, 6).
§ 174 Abs. 4 AO hat nicht zum Gegenstand, eine Folgerichtigkeit der Rechtsanwendung in allen Streitjahren herzustellen (BFH vom 20.11.2019, XI R 49/17, BFH/NV 2020, 497). Ändert das FA seine Rechtsauffassung zu einem Dauersachverhalt (hier: Überlassung eines WG ohne angemessenes Nutzungsentgelt an den Gesellschafter-Geschäftsführer einer KapGes), und hat dies in einzelnen Streitjahren einkommensmindernde Auswirkungen, kann nicht auf dieser Grundlage und unter Hinweis auf § 174 Abs. 4 AO eine einkommenserhöhende Wirkung in anderen Streitjahren durch Änderung von Bescheiden umgesetzt werden.
Wurden Umsätze in Änderungsbescheiden zur Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer zunächst rechtsirrig als umsatzsteuerpflichtig (und eine Umsatzsteuerverbindlichkeit auslösend) berücksichtigt, darf das FA, wenn es dem Einspruch des Stpfl. gegen den Umsatzsteuerbescheid dadurch abhilft, dass es die Umsätze umsatzsteuerfrei belässt, den bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheid nach § 174 Abs. 4 AO einkommenserhöhend in dem Umfang ändern, in dem es zuvor zu einer Einkommensminderung gekommen war (BFH vom 17.3.2022, XI R 5/19, BStBl II 2022, 607; LEXinform 0952469). Die zutreffende Berücksichtigung desselben Sachverhalts kann auch bei einer anderen Steuerart infrage kommen, sofern, bezogen auf den zu beurteilenden Sachverhalt, eine sachliche Verbindung zwischen beiden Regelungsgegenständen besteht. Der Irrtum darüber, ob ein Sachverhalt das Entstehen von Umsatzsteuerverbindlichkeiten nach sich zieht, ist im Bilanzrecht, Einkommensteuerrecht und Körperschaftsteuerrecht eine irrige Beurteilung eines Sachverhalts i.S.d. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO, die lediglich mit der (hier: irrigen Beurteilung) bei der Umsatzsteuer inhaltlich übereinstimmt. Die (irrigen) Beurteilungen müssen nicht rechtlich voneinander abhängen.
Die ab 1.1.2015 geltende Korrektur- und Verjährungsvorschrift des § 218 Abs. 3 AO ermöglicht die Korrektur von widerstreitenden Anrechnungsverfügungen bzw. Abrechnungsbescheiden unter entsprechender Anwendung des § 174 Abs. 4 und 5 AO. Beantragt z.B. ein Ehegatte die Korrektur seiner Anrechnungsverfügung zu seinen Gunsten, ermöglicht es § 218 Abs. 3 AO, eine sich danach ergebende widerstreitende Anrechnung beim anderen Ehegatten zu korrigieren. Der zugrunde liegende einheitliche Lebenssachverhalt ist bei allen Beteiligten übereinstimmend zu beurteilen. Die nachteilige Korrektur gegenüber den anderen Beteiligten ist nur zulässig, wenn diese am Ausgangsverfahren beteiligt wurden und die Entscheidung im Ausgangsverfahren allen Beteiligten bekannt gegeben wurde. Rechtsbehelfe können nur gegen den im Ausgangsverfahren erlassenen Verwaltungsakt eingelegt werden.
Wurde die Korrektur einer Anrechnungsverfügung zu Gunsten nicht auf Antrag des Stpfl. durchgeführt (Änderung von Amts wegen), ist § 218 Abs. 3 AO nicht anwendbar.
Nach § 174 Abs. 5 Satz 1 AO ist § 174 Abs. 4 AO auch gegenüber einem Dritten anwendbar, wenn dieser an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides nach § 174 Abs. 4 AO geführt hat, beteiligt war. Die Vorschrift gibt eine eigenständige Regelung der Zulässigkeit der Hinzuziehung oder Beiladung des Dritten (BFH Beschluss vom 17.10.1985, BFH/NV 1987, 479). Der Erlass oder die Änderung eines Steuerbescheids gegenüber dem Dritten setzt voraus, dass dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den gegen ihn gerichteten Steueranspruch zu dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, hinzugezogen oder beigeladen worden ist (BFH vom 13.4.2000 BFH/NV 2001, 137).
Ausführliche Erläuterungen enthält die Verfügung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 3.7.2023 (S 0352.2.1-8/3 St43; LEXinform 7013646).
Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird (Ausführlich in → Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO).
Bei Eintritt eines Ereignisses mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit ist der zugrunde liegende Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Erläuterungen enthält die Vfg. des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 18.1.2024 (S 0353 1.1-8 St 43; LEXinform 7013835).
Die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt voraus, dass nachträglich ein Ereignis eingetreten ist, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Hierzu rechnen alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, aber auch tatsächliche Lebensvorgänge, die steuerlich (ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen) in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH Beschluss GrS vom 19.7.1993, GrS 2/92, BStBl II 1993, 897).
Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhaltes rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich danach allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Steuerrecht. Nach diesem ist zu beurteilen, ob zum einen eine Änderung des ursprünglich gegebenen Sachverhalts den Steuertatbestand überhaupt betrifft und ob sich darüber hinaus der bereits entstandene materielle Steueranspruch mit steuerlicher Rückwirkung ändert.
Der Fall eines rückwirkenden Ereignisses liegt vor allem dann vor, wenn die Besteuerung nach dem maßgeblichen Einzelsteuergesetz nicht an Lebensvorgänge, sondern unmittelbar oder mittelbar an Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse oder Verwaltungsakte anknüpft und diese Umstände nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit gestaltet werden (BFH vom 21.4.1988, IV R 215/85, BStBl II 1988, 863).
Die Änderung des Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nur zulässig, wenn das rückwirkende Ereignis nachträglich, d.h. nach Entstehung des Steueranspruchs und nach dem Erlass des Steuerbescheids (ggf. des zuletzt erlassenen Änderungsbescheids) eingetreten ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen nicht vor, wenn das FA, wie im Fall des § 173 Abs. 1 AO, lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt (vgl. BFH vom 6.3.2003, XI R 13/02, BStBl II 2003, 554).
Ist im Einzelfall die Änderung des Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen, kann in Fällen, in denen das Ereignis zwar schon vor Erlass des Steuerbescheids eingetreten, dem FA jedoch erst nachträglich bekannt geworden ist, die Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 AO in Betracht kommen (vgl. BFH vom 17.3.1994, V R 123/91, BFH/NV 1995, 274).
Nach § 175 Abs. 2 Satz 2 AO gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis. § 175 Abs. 2 Satz 2 AO ist nicht auf die Bescheinigung der anrechenbaren Körperschaftsteuer bei verdeckten Gewinnausschüttungen anzuwenden (s. hierzu und zum Anwendungszeitraum der Vorschrift Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO). Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, sind auch dann kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können; ggf. kommt hier aber § 173 AO zur Anwendung.
Eine rückwirkende Änderung steuerrechtlicher Normen ist kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH vom 9.8.1990, X R 5/88, BStBl II 1991, 55).
Auch eine Entscheidung des BVerfG stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar (vgl. BFH vom 12.5.2009, IX R 45/08, BStBl II 2009, 891).
Mit dem durch das Jahressteuergesetz 2020 neu eingefügten Satz 4 in § 14 Abs. 4 UStG wird klargestellt, dass die Berichtigung einer Rechnung kein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und § 233a Abs. 2a AO ist.
Die Veräußerung eines vierten Grundstücks im Rahmen eines gewerblichen Grundstückshandels ist kein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH vom 6.7.1999, VIII R 17/97, BStBl II 2000, 306). Nach Vfg. der OFD Koblenz vom 12.4.2001 (S 0351 A – St 53 1, LEXinform 0575756) kommt die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, bezogen auf die Veranlagungen des Jahres der (ersten) Grundstücksanschaffung und der Folgejahre bis zum Jahr der Veräußerung des vierten Objekts, in Betracht.
Wird ein für das BV am Schluss des Wj. maßgebender Wertansatz korrigiert (z.B. im Rahmen einer Korrektur wegen neuer Tatsachen gem. § 173 AO), der sich auf die Höhe des Gewinns der Folgejahre auswirkt, so stellt dies ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung hinsichtlich der Veranlagung für die Folgejahre dar (BFH vom 30.6.2005, IV R 11/04, BStBl II 2005, 809). S. hierzu auch → Bilanzberichtigung und Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 EStG.
Zu den Herstellungskosten eines Gebäudes gehören gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG auch Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die innerhalb von drei Jahren nach der Anschaffung des Gebäudes durchgeführt werden, wenn die Aufwendungen ohne die Umsatzsteuer 15 % der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen (anschaffungsnahe Herstellungskosten). Wird nachträglich die 15 %-Grenze i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG überschritten, so stellt dies ein rückwirkendes Ereignis dar.
Die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG kann vom Stpfl. rückwirkend aufgestockt werden, wenn sich der Veräußerungspreis in einem späteren Veranlagungszeitraum erhöht (vgl. BFH vom 13.9.2000, X R 148/97, BStBl II 2001, 641).
Ab Veranlagungszeitraum 2012 ist bei den Aufwendungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG ein Erstattungsbetrag innerhalb des Veranlagungszeitraums mit anderen Aufwendungen der jeweiligen Nummer zu verrechnen; ein Erstattungsüberhang erhöht in den Fällen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dann den Gesamtbetrag der Einkünfte.
Behörden i.S.d. § 6 Abs. 1 AO und andere öffentliche Stellen, die einem Stpfl. für die von ihm geleisteten Beiträge i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG steuerfreie Zuschüsse gewähren oder Vorsorgeaufwendungen im Sinne dieser Vorschrift erstatten (übermittelnde Stelle), haben der zentralen Stelle jährlich die zur Gewährung und Prüfung des Sonderausgabenabzugs nach § 10 EStG erforderlichen Daten nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln. Ein Steuerbescheid ist zu ändern, soweit Daten nach § 10 Abs. 4b Satz 4 EStG vorliegen und sich hierdurch oder durch eine Korrektur oder Stornierung der entsprechenden Daten eine Änderung der festgesetzten Steuer ergibt.
Wird nach Eintritt der Bestandskraft sowohl die Zustimmung zur Anwendung des Realsplittings erteilt als auch der Antrag nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG (bis VZ 2014: § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) gestellt, liegen die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor (BFH vom 12.7.1989, X R 8/84, BStBl II 1989, 957). Auch die nachträgliche betragsmäßige Erweiterung eines bereits vorliegenden Antrags stellt i.V.m. der erweiterten Zustimmungserklärung ein rückwirkendes Ereignis dar (BFH vom 28.6.2006, XI R 32/05, BStBl II 2007, 5). Demgegenüber liegt kein rückwirkendes Ereignis vor, wenn dem Unterhaltspflichtigen bei einem erst nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids gestellten Antrag auf Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen die Zustimmungserklärung des Unterhaltsempfängers bereits vor Eintritt der Bestandskraft vorlag (BFH vom 20.8.2014, X R 33/12, BStBl II 2015, 138). Die Stellung des Antrags auf Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2007 durch den Geber samt Einreichung der Zustimmungserklärung des Empfängers ist bereits das rückwirkende Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AO, das zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung des Empfängers der Unterhaltsleistung nach § 22 Nr. 1a EStG 2007 führt (BFH vom 28.7.2021, X R 15/19, BStBl II 2023, 312). Auf die tatsächliche Anerkennung der Leistungen als Sonderausgaben beim Geber kommt es nicht an. Gem. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO mit Ablauf des Jahres des Eintritts des rückwirkenden Ereignisses. Der nach Ablauf der Festsetzungsfrist erlassene Änderungsbescheid für den Empfänger ist rechtswidrig und anfechtbar.
Wird die gestundete Kaufpreisforderung für die Veräußerung eines Gewerbebetriebs in einem späteren VZ ganz oder teilweise uneinbringlich, so stellt dies ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung dar (BFH vom 19.7.1993, GrS 2/92, BStBl II 1993, 897).
Die Zahlung von Schadensersatzleistungen für betriebliche Schäden nach Betriebsaufgabe beeinflusst die Höhe des Aufgabegewinns, weil sie ein rückwirkendes Ereignis auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe darstellt (BFH vom 10.2.1994, IV R 37/92, BStBl II 1994, 564).
Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer KapGes, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt.
Fallen nach Auflösung einer KapGes nachträgliche Anschaffungskosten für eine Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG an, können diese bei der Ermittlung des Auflösungsgewinns als rückwirkendes Ereignis berücksichtigt werden (vgl. BFH vom 2.10.1984, VIII R 20/84, BStBl II 1985, 428).
Wird der Verkauf eines Anteils an einer KapGes (wesentliche Beteiligung i.S.v. § 17 EStG) nach Übertragung des Anteils und vollständiger Bezahlung des Kaufpreises durch den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleiches, mit dem die Vertragsparteien den Rechtsstreit über den Eintritt einer im Kaufvertrag vereinbarten auflösenden Bedingung beilegen, rückgängig gemacht, so ist dies ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung (BFH vom 19.8.2003, VIII R 67/02, BStBl II 2004, 107).
Der Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses steht nicht entgegen, dass der Sachverhalt, auf den sich das Ereignis auswirkt (hier: Veräußerung einer qualifizierten Beteiligung, Entstehung nachträglicher Anschaffungskosten) im Ausgangsbescheid nicht berücksichtigt war (BFH vom 16.6.2015, IX R 30/14, BStBl II 2017, 94).
Vor der Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks dem Grunde nach entstandene Nachlassverbindlichkeiten, die erst danach beziffert und konkretisiert werden, führen nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das gilt auch dann, wenn das FA erst nach Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks Kenntnis von den Nachlassverbindlichkeiten erlangt (BFH vom 26.7.2023, II R 5/21, BStBl II 2024, 166, LEXinform 0953487).
Weder der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG noch die Vorlage einer Steuerbescheinigung sind ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH vom 12.5.2015, VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806). Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das einen korrekturbedürftigen Zustand auslöst (vgl. BFH vom 14.7.2020, VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92), da durch den Änderungsbescheid erstmals die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag i.S.d. § 32d Abs. 6 EStG geschaffen werden. Die geänderte Zusammensetzung der Besteuerungsgrundlagen in einem Änderungsbescheid ist hingegen kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn durch den Erlass des Änderungsbescheids die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes nicht erstmals eintreten (BFH vom 26.9.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5)).
Erfüllen Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung (§ 26 Abs. 1 EStG), können sie nach der im Jahr 2008 geltenden Rechtslage zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG), Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) sowie der besonderen Veranlagung im Jahr der Eheschließung (§ 26c EStG) wählen und die einmal getroffene Wahl bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides frei widerrufen (BFH vom 14.6.2018, III R 20/17, BStBl I 2019, 694). Dieses Wahlrecht besteht auch dann, wenn einer der Ehegatten zuvor einzeln veranlagt wurde. Eine Zusammenveranlagung setzt in einem solchen Fall voraus, dass der Bescheid des anderen Ehegatten geändert werden kann. Falls dieser bestandskräftig ist, kommt als Rechtsgrundlage § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch dann in Betracht, wenn der andere Ehegatte besonders veranlagt wurde.
Die Herabsetzung der Gegenleistung i.S.d. § 16 Abs. 3 GrEStG ermöglicht keine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. BFH vom 22.7.2020, II R 32/18, BStBl II 2021, 167).
Abweichend von den Aussagen im BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl I 2010, 18) stellt die erteilte Restschuldbefreiung ein auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe rückwirkendes Ereignis dar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betrieb vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde (BMF vom 8.4.2022, BStBl I 2022, 632; s.a. BFH vom 6.4.2022, X R 28/19, BStBl II 2023, 341, LEXinform 0952633).
Die Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG (ermäßigte Besteuerung) stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar (BFH vom 20.4.2023, III R 25/22, BStBl II 2023, 823).
Nach § 175a AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit dies zur Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung oder eines Schiedsspruchs nach einem Vertrag i.S.d. § 2 AO geboten ist. Die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Verständigungsvereinbarung oder des Schiedsspruchs.
Zum internationalen Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren in Steuersachen vgl. Merkblatt vom 13.7.2006, BStBl I 2006, 461. Zum Teil-Einspruchsverzicht s. § 354 Abs. 1a AO, zur Teil-Rücknahme eines Einspruchs s. § 362 Abs. 1a AO.
Nach § 175b AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i.S.d. § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Das FA ist bei einer fehlerhaften Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten zur Änderung nach § 175b AO verpflichtet. Ein Ermessen steht ihm nicht zu (BFH vom 20.2.2024, IX R 20/23, BStBl II 2024, 587, LEXinform 0954767). Es ist unerheblich, worauf die unzutreffende Berücksichtigung der übermittelten Daten durch die Finanzbehörde zurückzuführen ist. Auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten seitens des Stpfl. oder der Ermittlungspflichten durch die Finanzbehörde kommt es in den Fällen des § 175b AO – anders als in den Fällen des § 173 AO – nicht an. Unerheblich ist auch, ob dem Stpfl. bei Erstellung der Steuererklärung ein Schreib- oder Rechenfehler i.S.d. § 173a AO oder der Finanzbehörde bei Erlass des Steuerbescheids ein mechanisches Versehen i.S.d. § 129 AO, ein Fehler bei der Tatsachenwürdigung oder ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen ist. Die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175b AO kann sich je nach Sachlage zu Gunsten wie auch zu Ungunsten des Stpfl. auswirken.
Gelten Daten, die von mitteilungspflichtigen Stellen nach Maßgabe des § 93c AO an die Finanzverwaltung übermittelt wurden, nach § 150 Abs. 7 Satz 2 AO als Angaben des Stpfl., ist der Steuerbescheid gem. § 175b Abs. 2 AO aufzuheben oder zu ändern, soweit diese Daten zu Ungunsten des Stpfl. unrichtig sind. Dies gilt auch dann, wenn der Fehler erst nach Ablauf der Einspruchsfrist bemerkt wird. Gem. § 171 Abs. 10a AO (Ablaufhemmung) endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Zugang der nach § 93c Abs. 3 AO korrigierten Daten, soweit Daten eines Stpfl. i.S.d. § 93c AO innerhalb von sieben Kj. nach dem Besteuerungszeitraum oder dem Besteuerungszeitpunkt den Finanzbehörden zugegangen sind.
Nach § 175b Abs. 4 AO ist die Aufhebung oder Änderung eines materiell fehlerhaften Steuerbescheids nach § 175b Abs. 1 oder 2 AO nicht zulässig, wenn nachträglich (nach Erlass des Steuerbescheids) eDaten übermittelt werden, die nicht rechtserheblich sind. Die Beschränkung auf nachträglich übermittelte Daten soll durch das JStG 2024 (Regierungsentwurf lt. Beschluss des Bundeskabinetts vom 5.6.2024) gestrichen werden, da nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift die Rechtserheblichkeit der fraglichen eDaten als Voraussetzung für eine Änderung der Steuerfestsetzung auch dann gegeben sein muss, wenn keine nachträgliche Übermittlung erfolgt.
Soweit § 175b Abs. 1 AO an »Daten im Sinne des § 93c« AO anknüpft, beschränkt sich dies nicht lediglich auf die Inhalte des in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definierten Datensatzes, sondern umfasst nach dem den Regelungsbereich der Norm umschreibenden Eingangssatz des § 93c Abs. 1 AO alle steuerlichen Daten eines Stpfl., die aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einer mitteilungspflichtigen Stelle an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind (vgl. BFH vom 8.9.2021, X R 5/21, BStBl II 2022, 398; LEXinform 0953514). Danach ist die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO zulässig, wenn ein Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung, entgegen der gesetzlichen Anordnung, die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers nicht übermittelt, der Datensatz der Steuernummer einer Person zugeordnet wird, die nicht Versicherungsnehmer ist und der Veranlagungs-Sachbearbeiter materiell-rechtlich zu Unrecht entscheidet, dieser Person den Sonderausgabenabzug zu gewähren.
§ 175b AO ist erstmals anzuwenden, wenn steuerliche Daten eines Stpfl. für Besteuerungszeiträume nach 2016 oder Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2016 aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten als mitteilungspflichtiger Stelle elektronisch an Finanzbehörden zu übermitteln sind (Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO).
Eine Kirchensteuerfestsetzung, die darauf beruht, dass in der von einem Steuerberater erstellten und elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung mitgeteilt wird, der Stpfl. gehöre einer kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft an, obwohl der Stpfl. bereits vor dem Veranlagungszeitraum aus der Kirche ausgetreten war und dieser Umstand ordnungsgemäß i.S.d. § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG gemeldet worden ist, kann weder nach § 175b Abs. 1 oder Abs. 2 AO noch nach §§ 129, 173 AO geändert werden (FG Baden-Württemberg Gerichtsbescheid vom 5.1.2021, 10 K 1662/20, EFG 2021, 1689; Revision eingelegt, Az. des BFH: I R 6/21).
Zur Berichtigung von materiellen Fehlern gem. § 177 AO siehe unter → Schätzung.
Bei Änderung oder Berichtigung von Steuerfestsetzungen sind die Vorschriften der → Kleinbetragsverordnung zu beachten.
Änderungsvorschriften nach den Einzelsteuergesetzen sind: § 10d EStG, § 32a KStG, § 35b GewStG, § 70 Abs. 2 und 3 EStG, §§ 24 und 24a BewG, § 20 GrStG.
§ 32a KStG enthält eine eigenständige Änderungsvorschrift für den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids gegenüber dem Anteilseigner, soweit bei einer KapGes ein Steuerbescheid mit Feststellungen über eine verdeckte Gewinnausschüttung erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides der Körperschaft (§ 32a Abs. 1 Satz 2 KStG).
Nach dem Urteil des BFH vom 5.6.2015 (VIII B 20/15, NV, GmbHR 2015, 1053) regelt § 32a KStG – anders als § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO – nicht die Anpassung eines Folgebescheides an den Grundlagenbescheid. § 32a KStG eröffnet keine uneingeschränkte Anpassungsmöglichkeit für bestandskräftige Bescheide. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Änderung eines bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheides, wenn die Durchbrechung der eingetretenen Bestandskraft auf § 32a KStG gestützt wird, ohne dass der im Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheides bereits vorliegende Körperschaftsteuerbescheid geändert wird. Das Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein hat sich zur Anwendung des § 32a KStG bei fehlender Auswirkung einer verdeckten Gewinnausschüttung auf die Höhe der festgesetzten Körperschaftsteuer geäußert (FinMin des Landes Schleswig-Holstein vom 8.6.2023, VI 313-S 2845a-003, FMNR202300989).
§ 32a Abs. 2 KStG verlangt, dass gegenüber dem Gesellschafter ein Steuer- oder Feststellungsbescheid mit Rücksicht auf das Vorliegen einer verdeckten Einlage ergeht (BFH vom 11.9.2018, I R 59/16, BStBl II 2019, 368). Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids des Gesellschafters wegen der Erfassung von Schwarzeinnahmen und nicht hinsichtlich der Berücksichtigung einer verdeckten Einlage kann folglich die Änderung der an die Gesellschaft gerichteten Körperschaft- bzw. Feststellungsbescheide nach § 32a Abs. 2 KStG nicht rechtfertigen.
Wird ein Einkommensteuerbescheid des Anteilseigners einer KapGes wegen einer vGA nach Ablauf der Festsetzungsfrist geändert, bevor wegen derselben vGA ein Körperschaftsteuerbescheid der Gesellschaft geändert oder erlassen wird, ist der geänderte Einkommensteuerbescheid rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids wird jedoch nach § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG nachträglich beseitigt, wenn ein erstmaliger oder geänderter Körperschaftsteuerbescheid wegen derselben vGA vor Ablauf der für diesen Bescheid geltenden Festsetzungsfrist erlassen wird (vgl. BFH vom 10.12.2019, VIII R 2/17, BStBl II 2020, 679).
Die seit 2009 geltende → Abgeltungsteuer soll die Veranlagung beim Privatanleger weitestgehend entbehrlich machen. Dieser administrative Entlastungseffekt würde verfehlt, wenn nachträglich entdeckte Fehler bei der Ermittlung der abzuführenden Kapitalertragsteuer aus einem früheren Kj. rückwirkend korrigiert werden müssten. Ändert sich nämlich die Bemessungsgrundlage für die Kapitalertragsteuer in Bezug auf ein früheres Kj., hätte eine rückwirkende Korrektur durch das Kreditinstitut die Neuberechnung von Verlusttöpfen, Freistellungsauftragsvolumen und/oder ausländischen anrechenbaren Steuern sowie die Änderung von Verlust- und Steuerbescheinigungen und Veranlagungen zur Folge. Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (BGBl I 2010, 1768) wurden daher für die Abgeltungsteuer neue Vorschriften zur Vermeidung aufwendiger jahresübergreifender Korrekturen geschaffen.
Danach muss die auszahlende Stelle Korrekturen, die aufgrund materieller Fehler beim Kapitalertragsteuerabzug erforderlich werden, grundsätzlich erst zum Zeitpunkt ihrer Kenntnisnahme vornehmen (§ 43a Abs. 3 Satz 7 EStG).
Eine Korrektur im Veranlagungsverfahren ist nur möglich, wenn der Stpfl. eine Bescheinigung seines Kreditinstitutes einreicht, mit der das Kreditinstitut bestätigt, dass es die Korrektur im Rahmen des Kapitalertragsteuerverfahrens nicht vorgenommen hat und auch nicht vornehmen wird (§ 20 Abs. 3a Satz 2 EStG). Damit soll verhindert werden, dass Korrekturen doppelt berücksichtigt werden.
Die Änderung des § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG ist auf Korrekturen anzuwenden, die Kapitalerträge betrifft, die ab 2009 zugeflossen sind. Der mit Jahressteuergesetz 2010 (BGBl I 2010, 1768) eingefügte § 20 Abs. 3a EStG ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden.
Grundsätzlich besteht keine Bindungswirkung zwischen Gewerbesteuer und Einkommensteuer. Inhaltlich stimmen Gewerbebetrieb i.S.d. GewStG und »gewerbliches Unternehmen« i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG zwar überein. Verfahrensrechtlich liegt allerdings keine Bindung vor. Im Gewerbesteuerrecht und im Einkommensteuerrecht hat grundsätzlich eine getrennte Beurteilung zu erfolgen. So ist z.B. eine falsche einkommensteuerliche Behandlung nicht bindend für die Gewerbesteuer und umgekehrt.
Beispiel 1:
Der EDV-Berater E, der Anwendersoftware entwickelt, ist in jeweils bestandskräftigen ESt-Veranlagungen als Gewerbetreibender eingestuft worden. Nach der Rspr. des BFH (vom 4.5.2004, XI R 9/03, BStBl II 2004, 989; s. auch H 15.6 [Abgrenzung selbstständige Arbeit/Gewerbebetrieb, a) Beispiel für selbstständige Arbeit] EStH) ist die Tätigkeit jedoch als selbstständige Arbeit i.S.d. § 18 EStG einzustufen. Die Gewerbesteuermessbescheide der betreffenden Jahre sind aufgrund von Einsprüchen noch nicht bestandskräftig.
Lösung 1:
Die Gewerbesteuermessbescheide sind aufzuheben, da keine verfahrensrechtliche Bindung an die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide besteht.
Beispiel 2:
Der bisher als selbstständiger Psychotherapeut nach § 18 EStG behandelte Stpfl. P wird unter Beachtung der Grundsätze des BMF-Schreibens vom 22.10.2004 (IV B 2 – S 2246 – 3/04, BStBl I 1030, s. auch H 15.6 [Abgrenzung selbstständige Arbeit/Gewerbebetrieb, a) Beispiel für selbstständige Arbeit] EStH) als Gewerbetreibender eingestuft. Die Einkommensteuerbescheide der vergangenen Jahre sind bestandskräftig. Der Sachbearbeiter des FA fragt sich, ob er noch Gewerbesteuersteuermessbescheide erlassen kann.
Lösung 2:
Das FA kann so lange Gewerbesteuermessbescheide erlassen, wie die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO) noch nicht eingetreten ist. Auch hier besteht keine verfahrensrechtliche Bindung an die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide. Die – aufgrund der Bestandskraft nicht mehr mögliche – Änderung der Einkommensteuerbescheide ist nicht Voraussetzung für den Erlass der Gewerbesteuermessbescheide.
Nur ausnahmsweise wird die Bestandskraft eines Gewerbesteuermessbescheides bzw. Verlustfeststellungsbescheides nach § 35b Abs. 1 GewStG durchbrochen, wenn ein ESt-Bescheid, ein KSt-Bescheid oder ein Feststellungsbescheid aufgehoben oder geändert wird und die Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt (s. näher R 35b.1 Abs. 1 Satz 5 und 6 GewStR 2016). Die vorzunehmende Änderung ist insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrages oder des vortragsfähigen Gewerbeverlustes beeinflusst. Sie hat von Amts wegen zu erfolgen, eines Antrags des Stpfl. bedarf es hierzu nicht.
§ 35b GewStG enthält eine selbstständige Rechtsgrundlage zur Änderung oder Aufhebung von Gewerbesteuermessbescheiden und Verlustfeststellungsbescheiden (R 35b.1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewStR 2016). Die Vorschrift dient der Verfahrensvereinfachung. Sie bezweckt die Vermeidung einer unerwünschten Verdoppelung von Rechtsbehelfsverfahren, in denen der Stpfl. (Rechtsbehelfsführer) sowohl gegen den Einkommensteuer(änderungs)bescheid als auch gegen den Gewerbesteuermessbescheid ein und dieselben (materiell-rechtlichen) Einwendungen erhebt. Sind gleichzeitig auch die Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 AO erfüllt, geht diese Änderungsvorschrift vor (R 35b.1 Abs. 1 Satz 3 GewStR 2016).
Den Umfang der Änderung bestimmt § 35b Abs. 1 Satz 2 GewStG. Danach ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrages beeinflusst. Dies trifft auch dann zu, wenn die Aufhebung oder Änderung des Einkommensteuerbescheides darauf beruht, dass die Tätigkeit des Stpfl. nicht mehr wie bisher als gewerbliche qualifiziert, sondern einer anderen Einkunftsart zugeordnet wird (BFH vom 23.6.2004, X R 59/01, BStBl II 2004, 901).
§ 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG setzt nach seinem Wortlaut voraus, dass durch die Aufhebung oder Änderung des Einkommensteuerbescheids der Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt wird. Angesichts des Umstandes, dass in der zitierten Norm nicht etwa schlechthin von »Gewinn« oder von »Einkünften« oder gar von der »Höhe des Gewinns oder der Einkünfte« ohne konkreten Bezug zu einer bestimmten Einkunftsart die Rede ist, sondern vom »Gewinn aus Gewerbebetrieb«, sind nach dem Wortlaut der Vorschrift neben dem unstreitigen Fall einer Herauf- oder Herabsetzung des gewerblichen Gewinns auch – und erst recht – Konstellationen erfasst, in denen der »Gewinn aus Gewerbebetrieb« zur Gänze entfällt, etwa deswegen, weil die Einkünfte aus Gewerbebetrieb im ESt-Änderungsbescheid in solche einer anderen Einkunftsart oder gar in solche aus einer nicht steuerbaren Betätigung (z.B. Liebhaberei oder Veräußerung von PV außerhalb der Geltungsbereiche der §§ 17 und 23 EStG sowie des § 21 UmwStG) umqualifiziert werden.
Beispiel 3:
Der Gewinn aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG ist im ESt-Bescheid im Jahr 01 mit 180 000 € erfasst. Der maßgebende Gewerbeertrag wurde im bestandskräftigen Gewerbesteuermessbescheid für das gleiche Jahr i.H.v. 155 000 € ermittelt. Dabei wurde u.a. die Hälfte der gezahlten Pachtzinsen für ein Grundstück (insgesamt 20 000 €) nach § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG dem Gewerbeertrag i.S.d. § 7 GewStG hinzugerechnet. Aufgrund eines Einspruches gegen den ESt-Bescheid wurden weitere Pachtzinszahlungen i.H.v. 8 000 € anerkannt.
Lösung 3:
Das FA hat von Amts wegen den Gewerbesteuermessbescheid zu ändern. Dabei muss es den Gewerbeertrag mit 8 000 € geringer ansetzen und eine weitere Hinzurechnung i.H.v. 3 000 € vornehmen (R 35b.1 Abs. 2 Satz 3 GewStR 2009). Im Ergebnis mindert sich der maßgebende Gewerbeertrag um 4 000 € auf 151 000 €.
Zur Zuständigkeit s. § 35b Abs. 2 GewStG. Ändert das FA den ESt-Bescheid in der Weise, dass ein bisher als Veräußerungsgewinn behandelter Gewinn aus Gewerbebetrieb nunmehr als laufender Gewinn beurteilt wird, so darf der GewSt-Messbescheid nach § 35b GewStG geändert werden (BFH vom 16.12.2004, X R 14/03, BStBl II 2005, 184).
Ein bestandskräftiger Verlustfeststellungsbescheid kann nur nach § 35b Abs. 2 Satz 2 und 3 GewStG geändert werden, wenn der Gewerbesteuermessbescheid für denselben Erhebungszeitraum nach den Änderungsvorschriften der AO oder nach § 35b Abs. 1 GewStG zumindest dem Grunde nach geändert werden könnte (R 35b.1 Abs. 2 Satz 2 GewStR 2016).
Ein Gewerbesteuer-Messbescheid ist auch dann aufzuheben oder zu ändern, wenn die vorausgegangene Aufhebung oder Änderung eines Einkommensteuerbescheides bzw. eines Bescheides zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung darauf beruht, dass die ausgeübte Tätigkeit nicht mehr als gewerbliche Tätigkeit qualifiziert, sondern einer anderen Einkunftsart zugeordnet wird (BFH vom 23.6.2004, X R 590/01, BStBl II 2004, 901). Der XI. Senat des BFH hatte diese Frage zwar anders entschieden (BFH vom 10.3.1999, XI R 28/98, BStBl II 199, 475). Er hat der Entscheidung des X. Senates vom 23.6.2004 aber nach § 11 Abs. 3 FGO zugestimmt.
Eine Klage gegen einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte ist zulässig, wenn die Feststellung der unzutreffenden Einkunftsart gerügt wird. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist zu bejahen. Auch die Klage gegen einen Einkommensteuerbescheid, der die Steuer auf 0 € festsetzt, könnte daher nicht mangels Beschwer als unzulässig zurückgewiesen werden, wenn die falsche Einkünftequalifikation geltend gemacht wird.
Ein Gewerbesteuer-Messbescheid ist auch dann nach § 35b GewStG zu ändern, wenn sich die Zuordnung des gewerblichen Gewinns zum laufenden Gewinn oder Veräußerungsgewinn ändert. Soweit bisher ein nicht stpfl. Veräußerungsgewinn angesetzt worden ist, kann wegen einer geänderten Behandlung als laufender gewerblicher Gewinn der Gewerbesteuer-Messbescheid trotz Bestandskraft auch zu Ungunsten des Stpfl. geändert werden (BFH vom 16.12.2004, X R 1/03, BStBl II 2005, 184).
Wird der Körperschaftsteuerbescheid des Organträgers infolge eines verminderten Jahresüberschusses der Organgesellschaft geändert, ist der GewSt-Messbescheid des körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organträgers von Amts wegen nach § 35b GewStG zu ändern (BFH vom 21.10.2009, I R 29/09, BStBl II 2010, 644). Der Gewinn der Organgesellschaft ist als unselbstständige Besteuerungsgrundlage im Gewerbeertrag des Organträgers enthalten. Ändert sich der Gewinn der Organgesellschaft wirkt sich dies auf den Gewerbeertrag genauso aus wie die Änderung des eigenen Gewinns. § 35b GewStG verlangt nur, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb durch die Änderung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerfestsetzung »berührt« sein muss. Er verlangt nicht, dass die Gewinnänderung den nämlichen Gewerbebetrieb betrifft.
Ob die Änderung nach § 35b GewStG auch dann möglich ist, wenn zwar eine gewerbesteuerliche, nicht jedoch eine körperschaftsteuerliche Organschaft vorliegt, hat der BFH ausdrücklich offengelassen.
Das Urteil eröffnet aus verfahrensrechtlicher Sicht u.U. die Möglichkeit, die Änderung bereits bestandskräftiger Veranlagungen zu erreichen. Die Änderung von Gewerbesteuermessbescheiden des Organträgers aufgrund des § 35b GewStG kann möglich sein, wenn andere Änderungsvorschriften bereits ausgeschlossen sind, z.B. aufgrund der erhöhten Bestandskraft nach einer Betriebsprüfung (§ 173 Abs. 2 AO). Unternehmen können künftig nach dieser Rechtsprechung darauf vertrauen, dass nur ein Änderungsantrag sowohl für körperschaft- als auch gewerbesteuerliche Zwecke notwendig ist. Vorsichtshalber sollte dennoch ggf. für beide Steuerarten der Antrag gestellt werden.
Eine Korrektur ist nach den §§ 70 Abs. 2 und 3 sowie den Korrekturvorschriften der AO zu prüfen. Ausführliche Erläuterungen s. »Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz« (DA-KG; BZSt vom 17.9.2021, BStBl I 2021, ab S. 1683) und → Kindergeld.
§ 176 AO schützt das Vertrauen des Stpfl. in die Gültigkeit einer Rechtsnorm, der Rspr. eines obersten Gerichtshofs des Bundes oder einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift (z.B. EStR). Unter Aufhebung und Änderung ist jede Korrektur einer Steuerfestsetzung nach §§ 164, 165, 172 ff. AO oder nach den Einzelsteuergesetzen zu verstehen (vgl. AEAO vor §§ 172 bis 177, Nr. 3), aber nicht die Berichtigung nach § 129 AO (AEAO zu § 176, Nr. 1).
Bei Änderung der Steuerfestsetzung ist so vorzugehen, als hätte die frühere für den Stpfl. günstige Rechtsauffassung nach wie vor Gültigkeit. Ist z.B. eine Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt worden (§ 164 AO), so muss eine dem Stpfl. günstige Rspr. des BFH, die bei der Vorbehaltsfestsetzung berücksichtigt worden war, auch dann weiter angewendet werden, wenn der BFH seine Rspr. zum Nachteil des Stpfl. geändert hat (AEAO zu § 176, Nr. 2).
§ 176 Abs. 2 AO gewährt keinen Änderungsschutz, wenn der BFH eine dort bezeichnete Verwaltungsvorschrift erst nach dem Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet (BFH vom 24.8.2023, V R 49/20, BFH/NV 2024, 53).
Nach § 169 Abs. 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist (→ Festsetzungsverjährung) abgelaufen ist. Die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung sind bei den Bescheiden über die gesonderte Feststellung (→ Gesonderte Feststellung) von Besteuerungsgrundlagen (→ Feststellungsverjährung) gem. § 181 Abs. 1 AO sowie bei den Bescheiden über die Festsetzung von Steuermessbescheiden (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO) sinngemäß anzuwenden. Für Zinsbescheide gilt nach § 239 Abs. 1 AO davon abweichend eine einjährige Festsetzungsfrist.
Falls anlässlich einer Steuerfestsetzung → Zinsen festgesetzt wurden, löst die Korrektur dieser Steuerfestsetzung eine Änderung der bisherigen Zinsfestsetzung aus (§ 233a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 AO). Dabei ist es gleichgültig, worauf die Korrektur beruht (z.B. auch Änderung durch Einspruchsentscheidung oder durch oder aufgrund der Entscheidung eines FG).
Soweit die Steuerfestsetzung auf der erstmaligen Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder eines Verlustrücktrags (→ Verlustabzug nach § 10d EStG) beruht, beginnt der Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kj., in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden ist.
Ist bei der vorangegangenen Steuerfestsetzung eine Zinsfestsetzung unterblieben, weil z.B. bei Wirksamkeit der Steuerfestsetzung die Karenzzeit noch nicht abgelaufen war, ist bei der erstmaligen Zinsfestsetzung aus Anlass der Korrektur der Steuerfestsetzung für die Berechnung der Zinsen ebenfalls der Unterschied zwischen dem neuen und dem früheren Soll maßgebend.
Berechnungsfehler, die den Zinslauf betreffen, können nicht über die Änderungsvorschrift des § 233a Abs. 5 Satz 1 AO, sondern nur auf der Grundlage der gem. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO auf Zinsfestsetzungen anwendbaren Regelungen in §§ 129, 172 ff. AO korrigiert werden (BFH vom 13.12.2022, VIII R 16/19, n.v., BFHE 278, 414).
§ 110 Abs. 2 FGO ist dahingehend auszulegen, dass die Rechtskraft eines Urteils Vorrang gegenüber den Änderungsvorschriften der AO hat (BFH vom 4.3.2020, II R 11/17, BStBl II 2021, 155; LEXinform 0951296). Eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils aufgrund geänderter Sachlage ist lt. BFH nur in engen Grenzen möglich. Sie ist insbes. dann ausgeschlossen, wenn das Gericht im Urteil Bodenrichtwerte nicht berücksichtigen konnte, weil sie zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung trotz mehrmaliger Aufforderungen an den Gutachterausschuss nicht ermittelt wurden, aber eine solche Ermittlung nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung erfolgte, ohne dass für die verzögerte Bearbeitung ein sachlicher Grund erkennbar wurde.
Geserich, Änderungsbefugnis wegen neuer Tatsachen bei Aufnahme von Vorläufigkeitsvermerken, NWB 16/2015, 1103; Sikorski, Korrektur von Steuerbescheiden bei einbehaltener Abgeltungssteuer, NWB 9/2016, 621; Pohl, Änderung eines Steuerbescheids nach § 32a EStG, NWB 21/2019, 1526; Rukaber, Nacherklärte Einkünfte als neue Tatsachen im Rahmen einer Günstigerprüfung, NWB 47/2021, 3444; Kahsnitz, Rückwirkendes Ereignis beim Realsplitting, NWB 9/2022, 579; Strahl, Vorliegen eines groben Verschuldens i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, NWB 25/2023, 1754; Schulze, Rechtsprechungsradar Verfahrensrecht (AO), SteuerStud 7/2023, 434; Carlé, Der Antrag auf Günstigerprüfung kann ein rückwirkendes Ereignis sein, NWB 48/2023, 3233; Kahsnitz, Korrektur bestandskräftiger Bescheide nach Außenprüfung, NWB 29/2024, 1952.
→ Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und -einsprüchen
→ Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO
→ Bilanzberichtigung und Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 EStG
→ Rücknahme und Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO
→ Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung
→ Vorläufige Steuerfestsetzung
→ Zinsen
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