Einkommensteuer-Veranlagungspflicht

Stand: 16. Dezember 2024

Inhaltsverzeichnis

1 Veranlagungspflicht nach § 46 EStG
2 Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG
3 Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 9 EStG
4 Veranlagungspflicht nach § 56 EStDV
5 Checkliste
6 Abgabefrist
7 Literaturhinweise
8 Verwandte Lexikonartikel

1. Veranlagungspflicht nach § 46 EStG

Grundsätzlich hat nach § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG der Stpfl. für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum eine ESt-Erklärung abzugeben. Die Vorschrift betrifft die Veranlagung von ArbN und erfüllt zwei Zwecke. Zum einen soll die Lohnsteuer gegenüber der Einkommensteuer ausgeglichen werden. Zum anderen soll sie durch den Ausschluss der Veranlagung nach § 46 Abs. 4 EStG das Verfahren vereinfachen. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den Voraussetzungen des § 46 EStG durchgeführt:

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  • § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG:

    • Die Summe der steuerpflichtigen Einkünfte ohne Arbeitslohn beträgt mehr als 410 € und/oder

    • die Summe der Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, beträgt mehr als 410 € (→ Härteausgleich).

    Bei dem Betrag von 410 € handelt es sich um eine Freigrenze und keinen Freibetrag; vgl. BFH vom 25.6.1953, IV 417/52 U.

    Durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878) wird klargestellt, dass lediglich die jeweils positive Summe zu einer Pflichtveranlagung führt. Mit Urteilen vom 21.9.2006 (VI R 47/05 und VI R 52/04, BStBl II 2007, 47, 2364 und BStBl II 2007, 45) hat der BFH entschieden, dass auch die negative Summe der Einkünfte über 410 € zu einer Pflichtveranlagung führt. Nach § 52 Abs. 55j EStG gilt die Änderung durch das Jahressteuergesetz auch für Veranlagungszeiträume vor 2006. S.a. OFD Frankfurt vom 12.7.2012, S 2270 A – 11 – St 216.

    Mit Urteil vom 22.5.2006 (VI R 50/04, BStBl II 2006, 801) hat der BFH entschieden, dass die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte i.S.v. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG unter Beachtung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführten Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG zu ermitteln ist. Übersteigt die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 3 EStG vorgeschriebenen Verhältnisrechnung den Betrag von 800 DM (410 €), sind die Steuerpflichtigen demnach von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen.

    Mit Urteil vom 17.1.2013, VI R 32/12, entschied der BFH, dass § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden ist. Die in § 52 Abs. 55j Satz 1 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 geregelte rückwirkende Geltungsanordnung der Vorschrift verstößt nicht gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.

    Mit Urteil vom 26.3.2013 (VI R 22/11, BStBl II 2013, 631) hat der BFH entschieden, dass unter der Summe der Einkünfte bei der Antragsveranlagung derjenige Saldo zu verstehen ist, der sich unter Berücksichtigung der horizontalen und vertikalen Verlustverrechnung ergibt. Die Klägerin erklärte in der Einkommensteuererklärung 2005 neben Einkünfte aus § 19 EStG u.a. Einkünfte aus der Vermietung einer 1999 erworbenen Eigentumswohnung sowie Einkünfte aus einem Immobilienfonds. Aus der Veräußerung der Wohnung resultierte ein Veräußerungsverlust nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Erklärung führte zu einer Steuernachzahlung. Das Finanzamt setzte die sonstigen Einkünfte mit 0 € an, da es sich bei dem Verlust um einen nicht ausgleichsfähigen Verlust nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG handelte und stellte einen verbleibenden Verlustvortrag fest. Mit dem Einspruch beabsichtigte die Klägerin die Rücknahme des Antrags auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, weil es statt der erwarteten Steuererstattung nunmehr zu einer Nachzahlung gekommen sei. Der BFH vertrat hierzu die Auffassung, wonach die Voraussetzung für eine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorlagen. Eine Pflichtveranlagung wird durchgeführt, wenn die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen sind, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 sowie § 24a EStG, mehr als 410 € betragen. Der Begriff »Summe der Einkünfte« sei dem Grunde und der Höhe nach einheitlich nach den §§ 2–24 EStG zu bestimmen. Wegen der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 Abs. 3 EStG und des Fehlens verrechenbarer positiver Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Streitjahr sei der Veräußerungsverlust aus § 23 EStG nicht in die Berechnung der Summe der Einkünfte einzubeziehen.

    Mit Urteil vom 24.3.2015, 12 K 1964/12, entschied das FG Köln, dass die Anordnung der Verlustverrechnung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Einkünften in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG als Spezialvorschrift hinsichtlich des Ortes der Verlustverrechnung zu verstehen und vorrangig ist gegenüber dem Verweis auf § 10d EStG. Die Verlustverrechnung auf Einkunftsebene ist auch im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Zunächst folgt dies daraus, dass, wie auch der Kläger geltend macht, der Begriff der Summe der Einkünfte i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 2 Abs. 3 EStG einheitlich auszulegen ist und darunter derjenige Saldo zu verstehen ist, der nach horizontaler und vertikaler Verrechnung der Einkünfte verbleibt; vgl. BFH Beschluss vom 26.3.2013, VI R 22/11.

    Zur Pflichtveranlagung bei Antrag eines Arbeitnehmers, Kapitaleinkünfte in die Veranlagung einzubeziehen, musste das Sächsische FG mit Urteil vom 16.11.2017, 6 K 1271/17 Stellung nehmen und kam zu folgendem Ergebnis: Beantragt ein Arbeitnehmer seine Einkünfte aus KapVerm, die der Abgeltungsteuer unterlegen haben, in die Veranlagung einzubeziehen und die Günstigerprüfung durchzuführen, entfällt die Abgeltungswirkung. Die Kapitaleinkünfte sind dann als Einkünfte i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG anzusehen. Für die Anträge auf Einbeziehung der Kapitaleinkünfte und auf Durchführung der Günstigerprüfung bestehen keine Formerfordernisse.

    Nach § 2 Abs. 8 EStG gilt die »Nichtverdoppelung« der 410 € auch für eingetragene Lebenspartnerschaften. Wird hingegen eine Einzelveranlagung durchgeführt, so ist beim anderen Ehegatten/Lebenspartner eine Einzelveranlagung ohne Würdigung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG durchzuführen; vgl. BFH vom 21.9.2006, VI R 80/04.

    Auch wenn ein Stpfl. Gewinneinkünfte von mehr als 410 € erzielt, ist er nicht zur Übermittlung der Einkommensteuererklärung in elektronischer Form verpflichtet, wenn zusätzlich die Voraussetzungen eines der Veranlagungstatbestände nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG erfüllt sind. Es besteht kein genereller Vorrang des Veranlagungstatbestands des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vor den anderen Veranlagungstatbeständen; vgl. BFH vom 28.10.2020, X R 36/19.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 2 EStG: Der ArbN bezieht gleichzeitig von mehreren ArbG Arbeitslohn. § 46 Abs. 2 Nr. 2 EStG ist nicht anzuwenden, soweit nach § 38 Abs. 3a Satz 7 EStG Arbeitslohn von mehreren ArbG für den LSt-Abzug zusammengerechnet worden ist.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG: wenn Beiträge zu Krankenversicherungen und gesetzlichen Pflegeversicherungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 erstattet wurden, die Erstattung mehr als 410 € betrug und der im Kj. erzielte Arbeitslohn höher ist als die Summe aus dem Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1), dem ArbN-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) und dem Sonderausgaben-Pauschbetrag (§ 10c Satz 1) oder bei Ehegatten, die die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 erfüllen, höher ist als die Summe aus dem doppelten Grundfreibetrag, dem ArbN-Pauschbetrag und dem doppelten Sonderausgaben-Pauschbetrag.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG: Beide Ehegatten beziehen Arbeitslohn und ein Ehegatte hat die Steuerklasse V oder VI oder bei Steuerklasse IV wurde der Faktor (§ 39f EStG) eingetragen.

    Nach dem rkr. Urteil des FG Düsseldorf vom 17.3.2010 (15 K 2978/08 E, EFG 2010, 878, LEXinform 5010024) ist die Pflichtveranlagung bei Steuerklasse III/V verfassungskonform. Die Möglichkeit durch gesetzwidriges Unterlassen einer Steuererklärung i.V.m. der Steuerklassenkombination III/V Nachzahlungen zu vermeiden, führt nicht zu einem verfassungswidrigen Vollzugsdefizit des § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG.

    Die verheirateten Kläger erzielten im Streitjahr 2007 beide Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Die Einkünfte des Klägers unterlagen während des Veranlagungszeitraums dem LSt-Abzug nach der Steuerklasse III, die der Klägerin nach der Steuerklasse V. Das FA setzte die ESt für 2007 auf 16 495 € fest. Hierbei folgte das FA den Angaben der Kläger lt. Steuererklärung. Gegen den Steuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein und begehrten, den ESt-Bescheid aufzuheben. Zur Begründung gaben sie an, es komme bekanntermaßen bei der Steuerklassenkombination III/V zu Steuernachzahlungen, so auch bei ihnen. Diese Nachzahlung wäre nicht angefallen, wenn sie sich gesetzeswidrig verhalten hätten und keine Steuererklärung abgegeben hätten. Die zutreffende Besteuerung hinge bei der Steuerklassenkombination III/V in erster Linie von der Mitwirkungs- und Erklärungsbereitschaft der Stpfl. ab. Tatsächlich dürfte eine große Anzahl Stpfl. von der Möglichkeit der Nichtabgabe einer entsprechenden Steuererklärung Gebrauch machen. Dies werde von Seiten der Verwaltung nicht unterbunden, obwohl die Ausgabe der entsprechenden Steuerkarten bekannt sei. Seit 2004 hätten die Finanzbehörden Erkenntnisse über die erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aller ArbN. Eine Auswertung der Daten und eine Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen in gleich gelagerten Fällen erfolge dennoch nicht. Diese Handhabe verstoße gegen die Verfassung.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 4 EStG: Wenn ein Freibetrag (→ Lohnsteuerermäßigungsverfahren) als Lohnsteuerabzugsmerkmal vermerkt ist. Die Veranlagungspflicht gilt allerdings nur, wenn der im Kj. insgesamt erzielte Arbeitslohn höher ist als die Summe aus dem Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1), dem ArbN-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) und dem Sonderausgaben-Pauschbetrag (§ 10c Satz 1) oder bei Ehegatten, die die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 erfüllen, höher ist als die Summe aus dem doppelten Grundfreibetrag, dem ArbN-Pauschbetrag und dem doppelten Sonderausgaben-Pauschbetrag; dasselbe gilt für einen Steuerpflichtigen, der zum Personenkreis des § 1 Abs. 2 EStG gehört oder für einen beschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmer, wenn diese Eintragungen auf einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug (§ 39 Abs. 3 Satz 1 EStG) erfolgt sind.

    Die Anwendung der Vorschrift auch auf beschränkt einkommensteuerpflichtige ArbN, wenn diese Eintragungen auf einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug (§ 39 Abs. 3 Satz 1 EStG) erfolgt sind, wurde mit dem sog. JStG 2019 gestrichen. Der Grund liegt darin, dass die Pflichtveranlagungstatbestände für beschränkt Stpfl. in § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG nunmehr abschließend geregelt wurden; vgl. BT-Drs. 19/13436, 118.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 4a Buchst. d und e EStG: Bei einer besonderen Aufteilung des Ausbildungsfreibetrags (→ Ausbildungsfreibetrag) und/oder Behindertenpauschbetrages → Behindertenpauschbetrag) (anderes Verhältnis als je zur Hälfte).

  • § 46 Abs. 2 Nr. 5 EStG: Wenn bei einem Stpfl. die LSt für einen sonstigen Bezug i.S.d. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 und 4 EStG (→ Außerordentliche Einkünfte) nach § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG oder für einen sonstigen Bezug nach § 39c Abs. 5 EStG ermittelt wurde (→ Sonstige Bezüge). Der Grund für die Pflichtveranlagung liegt in der Ermäßigung, die durch eine Pflichtveranlagung überprüft werden soll.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 5a EStG: Bei Berechnung der LSt von einem sonstigen Bezug und wenn dabei der Arbeitslohn aus früheren Dienstverhältnissen des Kj. außer Betracht geblieben ist (§ 39b Abs. 3 Satz 2, § 41 Abs. 1 Satz 7 EStG, Großbuchstabe S (→ Lohnsteuerbescheinigung).

  • § 46 Abs. 2 Nr. 6 EStG: Bei Auflösung der Ehe und Wiederheirat eines Ehegatten im Veranlagungszeitraum.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a EStG: Bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S.d. § 1 Abs. 1 EStG ist bei der Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale (§ 39 EStG) ein Ehegatte i.S.d. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG berücksichtigt worden.

  • § 46 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b EStG: Bei einem Steuerpflichtigen, der zum Personenkreis des § 1 Abs. 3 oder des § 1a EStG gehört, sind Lohnsteuerabzugsmerkmale nach § 39 Abs. 2 EStG gebildet worden.

Bei einer Pflichtveranlagung ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO zu beachten. Die vierjährige Festsetzungsfrist beginnt erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Einkommensteuererklärung abgegeben worden ist, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, für das die Steuererklärung abzugeben ist. Die Anlaufhemmung von bis zu drei Jahren kommt bei Pflichtveranlagungen aber dann nicht zur Anwendung, wenn die Einkommensteuererklärung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist von vier Jahren abgegeben wird und die Pflichtveranlagung lediglich auf einem Antrag des Arbeitnehmers zur Gewährung einer Steuerermäßigung nach Ablauf dieser Frist von vier Jahren beruht (BFH Urteil vom 28.3.2012, BStBl II 1012, 711).

Fordert die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auf, so ist er gem. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO hierzu gesetzlich verpflichtet mit der Folge, dass sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO richtet. Eine Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung liegt auch dann vor, wenn das FA zusätzlich ausführt, der Steuerpflichtige möge das Schreiben mit einem entsprechenden Hinweis zurücksenden, falls er seiner Auffassung nach nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sei (BFH Urteil vom 4.10.2017, VI R 53/15; BStBl II 2018, 123). Vorliegend stellt das Schreiben des FA vom 20.9.2007 eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung in Form eines Verwaltungsakts dar: Der Kläger wird darin unter Setzung eines Termins unmissverständlich aufgefordert, die Steuererklärung für 2006 einzureichen. Das FA weist zudem darauf hin, dass es berechtigt sei, zu Zwangsmitteln zu greifen, sollte die Steuererklärung bis zum genannten Termin nicht vorliegen. Damit gibt die Behörde zu erkennen, dass sie sich für berechtigt hält, die Abgabe der angeforderten Steuererklärung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Aus dem Fehlen einer Begründung bzw. einer Rechtsbehelfsbelehrung kann nicht geschlossen werden, dass keine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung i.S.d. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO vorliegt (vgl. BFH Beschluss vom 16.2.2012, II B 99/11). Da der Kläger für das Streitjahr 2006 zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, war die vierjährige Verjährungsfrist infolge der Anlaufhemmung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei Einreichung der Steuererklärung im Dezember 2011 noch nicht abgelaufen.

Auch wenn ein Stpfl. Gewinneinkünfte von mehr als 410 € erzielt, ist er nicht zur Übermittlung der Einkommensteuererklärung in elektronischer Form verpflichtet, wenn zusätzlich die Voraussetzungen eines der Veranlagungstatbestände nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG erfüllt sind; vgl. BFH vom 28.10.2020, X R 36/19.

2. Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG

Ohne Veranlagungspflicht kann die Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG auch beantragt werden. Der Antrag ist durch Abgabe einer ESt-Erklärung zu stellen (→ Antragsveranlagungen zur Einkommensteuer).

Fällt das Ende der Festsetzungsfrist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, endet sie erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (2. Januar des Folgejahres). Der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist ein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO; vgl. BFH vom 20.1.2016, VI R 14/15.

Bei einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar, sodass die Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kj., in dem die Steuer entstanden ist, beginnt; vgl. BFH vom 28.7.2021, X R 35/20.

Zur Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG s.a. OFD Frankfurt vom 12.7.2012, S 2270 A – 11 – St 216.

3. Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 9 EStG

Durch das Jahressteuergesetz erfolgt eine neue Nr. 9 in der Aufzählung des Abs. 2: »wenn ein Antrag im Sinne der Nummer 8 gestellt wird und daneben beantragt wird, als unbeschränkt Stpfl. i.S.d. § 1 Abs. 3 behandelt zu werden; die Zuständigkeit liegt beim lohnsteuerlichen Betriebsstättenfinanzamt des ArbG.«

Mit der Änderung wird klargestellt, dass es für die örtliche Zuständigkeit bei Stpfl. die einen Antrag auf Behandlung als unbeschränkt Stpfl. nach § 1 Abs. 3 EStG stellen, nicht darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt der Antrag gestellt wird. Wird bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren beantragt, als unbeschränkt Stpfl. nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt zu werden und wird dieser Antrag auch genehmigt, liegt nach § 46 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b EStG eine Pflichtveranlagung vor, für die das Betriebsstättenfinanzamt zuständig ist. Wird jedoch erst im Rahmen einer Antragsveranlagung zusätzlich beantragt, als unbeschränkt Stpfl. nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt zu werden, soll auch in diesen Fällen das lohnsteuerliche Betriebsstättenfinanzamt des ArbG zuständig sein. Mit dieser Änderung wird auch klargestellt, dass die Zuständigkeitsregel des § 19 Abs. 2 AO in diesen Fällen nicht anwendbar ist; vgl. BT-Drs. 19/1343/6, 118.

4. Veranlagungspflicht nach § 56 EStDV

Ohne nichtselbstständige Arbeit besteht eine Veranlagungspflicht nur unter den Voraussetzungen des § 56 EStDV.

Ehegatten, bei denen die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung vorliegen

Personen, bei denen die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung nicht vorliegen

kein Ehegatte bezieht Arbeitslohn

mindestens ein Ehegatte bezieht Arbeitslohn

kein Arbeitslohn

bei Arbeitslohn

Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt im Kj. 2024 mehr als 23 208 € (§ 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStDV)

Veranlagungspflicht nach § 46 Abs. 2 EStG

Gesamtbetrag der Einkünfte beträgt im Kj. 2024 mehr als 11 604 € (§ 56 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStDV)

Veranlagungspflicht nach § 46 Abs. 2 EStG

Abb.: Steuererklärungspflicht nach § 56 EStDV

Zur Höhe des Grundfreibetrages i.S.d. § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG s. → Einkommensteuertarif.

5. Checkliste

Die nachfolgende Übersicht enthält eine Checkliste zur Überprüfung der Abgabepflicht.

Fallgruppe:

§ 46

Zusammenveranlagte

Ehegatten;

§ 26 i.V.m. 26b EStG

Andere Steuerpflichtige (alleinstehende, getrennt oder einzeln veranlagte Ehegatten);

§ 25 bzw. § 26a EStG

Abs. 2 Nr. 1 EStG

Die positive Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfenen (Neben-)Einkünfte (ohne Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 6 EStG) übersteigt im Veranlagungszeitraum

  • bei Ehegatten zusammen insgesamt 410 €.

  • beim Steuerpflichtigen

allein 410 €.

  • Steuerfreie Einnahmen gem. § 3 und 3b EStG gehören nicht zu den Nebeneinkünften.

  • Altersentlastungsbetrag gem. § 24a EStG und Freibetrag für LuF nach § 13 Abs. 3 EStG, soweit sie auf die Nebeneinkünfte entfallen, werden bei der Ermittlung der Nebeneinkünfte abgezogen.

Oder:

Die positive Summe der Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen (z.B. Lohnersatzleistungen, steuerfreie ausländische Einkünfte), übersteigt im Veranlagungszeitraum 410 €.

Abs. 2 Nr. 2 EStG:

Mindestens ein Ehegatte

Der Steuerpflichtige

hat nebeneinander von mehreren Arbeitgebern Arbeitslohn bezogen.

Abs. 2 Nr. 3 EStG

wenn Beiträge zu Krankenversicherungen und gesetzlichen Pflegeversicherungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 erstattet wurden, die Erstattung mehr als 410 € betrug und der im Kj. erzielte Arbeitslohn höher ist als die Summe aus dem Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1), dem ArbN-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) und dem Sonderausgaben-Pauschbetrag (§ 10c Satz 1) oder bei Ehegatten, die die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 erfüllen, höher ist als die Summe aus dem doppelten Grundfreibetrag, dem ArbN-Pauschbetrag und dem doppelten Sonderausgaben-Pauschbetrag.

Abs. 2 Nr. 3a EStG:

Wenn beide Ehegatten Arbeitslohn und einer von ihnen

mindestens für einen Teil des VZ nach der Steuerklasse V oder VI besteuert wurde.

Oder wenn das Faktorverfahren nach § 39f EStG angewendet wurde.

Abs. 2 Nr. 4 EStG:

Wenn für einen Steuerpflichtigen ein Freibetrag nach § 39a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG, 5 oder 6 ermittelt worden ist.

Ausnahme:

Jahresarbeitslohn insgesamt nicht höher als 13 150 € bzw. bei Ehegatten nicht höher als 24 950 €.

Abs. 2 Nr. 4a EStG:

Wenn bei einem Elternpaar, das § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht erfüllt,

  • in Fällen des § 33a Abs. 2 Satz 5 EStG der Freibetrag für ein Kind i.S.d. § 21 Abs. 1 EStG

oder

  • in Fällen des § 33b Abs. 5 Satz 3 EStG der einem Kind zustehende Pauschbetrag für Körperbehinderte in einem anderen Verhältnis als je zur Hälfte auf die Elternteile aufgeteilt werden soll.

Abs. 2 Nr. 6 EStG:

Wenn die Ehe des Arbeitnehmers im VZ durch Tod/Scheidung/Aufhebung aufgelöst worden ist und er oder sein ehemaliger Ehegatte im VZ wieder geheiratet hat.

Abs. 2 Nr. 8 EStG:

Die Ehegatten bzw. der Steuerpflichtige beantragen die Veranlagung zur Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommen-steuer. Es gilt die allgemeine Festsetzungsfrist.

Abb.: Checkliste § 46 EStG

6. Abgabefrist

Steuerlich nicht beratene Arbeitnehmer haben im Falle einer Pflichtveranlagung ihre Einkommensteuererklärung grundsätzlich bis zum 31.5. des Folgejahres beim Finanzamt einzureichen. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBl I 2016, 1679, BStBl I 2016, 694) ist die Abgabefrist bis zum 31.7. des Folgejahres verlängert worden. Diese verlängerte Abgabefrist gilt erstmals für die Einkommensteuererklärung 2018 (Abgabetermin hierfür ist der 31.7.2019).

Durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz wurden die Erklärungsfristen für 2020 in beratenen Fällen und die zinsfreien Karenzzeiten erneut verlängert. Zugleich wurden die Erklärungsfristen und Karenzzeiten für 2021 bis 2024 verlängert. Das BMF-Schreiben beantwortet Anwendungsfragen zu diesen Rechtsänderungen; vgl. BMF vom 23.6.2022, BStBl I 2022, 938.

Bei Pflichtveranlagungen ist auch die Anlaufhemmung zu beachten. Die vierjährige Festsetzungsfrist beginnt in diesen Fällen erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Einkommensteuererklärung abgegeben worden ist, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, für das die Steuererklärung abzugeben ist. Die Anlaufhemmung von bis zu drei Jahren kommt bei Pflichtveranlagungen aber dann nicht zur Anwendung, wenn die Einkommensteuererklärung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist von vier Jahren abgegeben wird und die Pflichtveranlagung lediglich auf einem Antrag des Arbeitnehmers zur Gewährung einer Steuerermäßigung nach Ablauf dieser Frist von vier Jahren beruht (BFH Urteil vom 28.3.2012, BStBl II 2012, 711).

7. Literaturhinweise

Hillmoth, Pflicht- und Antrags-, getrennte und Zusammenveranlagung, INF 2004, 255; Kontny u.a., Antragsveranlagung ohne Ende, FR 2007, 122; Geserich, Veranlagung bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit; NWB 2012, 2210; Giels, Veranlagungspflichten und Härteausgleich, StFAN 10/2022, 14.

8. Verwandte Lexikonartikel

Antragsveranlagungen zur Einkommensteuer

Einkommensteuer

Härteausgleich

Unbeschränkte und beschränkte Einkommensteuerpflicht

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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