1 Zulässigkeit des Finanzrechtswegs
2 Form der schriftlichen Erklärungen im Prozess
3 Zuständigkeit der Finanzgerichte
3.1 Die Anfechtungsklage – § 40 FGO
3.2 Die Verpflichtungsklage – § 41 FO
3.3 Klagefrist
3.4 Die Feststellungsklage – § 41 FGO
3.5 Die Sprungklage – § 45 FGO
3.6 Die Untätigkeitsklage – § 46 FGO
3.7 Klageverbindung
3.8 Durchführung von Onlinegerichtsverhandlungen vor dem Finanzgericht
4 Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs
4.1 Begriff und Gegenstand der Revision
4.1.1 Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung
4.1.2 Rechtsfortbildung und Sicherung der Rechtseinheit
4.1.3 Verfahrensfehler
4.1.4 Zulassung der Revision
4.1.5 Vertretungszwang
4.2 Nichtzulassungsbeschwerde
5 Entschädigungsanspruch bei unangemessenen Verzögerungen
6 Elektronischer Rechtsverkehr mit den Gerichten
7 Literaturhinweise
8 Verwandte Lexikonartikel
Nach § 33 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben:
in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden,
in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über die Vollziehung von Verwaltungsakten in anderen als in Abgabenangelegenheiten, soweit die Verwaltungsakte durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften der Abgabenordnung zu vollziehen sind,
in bestimmten öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Streitigkeiten nach dem Steuerberatungsgesetz,
in sonstigen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, sofern für diese durch Bundes- oder Landesgesetz ausdrücklich der Finanzrechtsweg eröffnet ist (z.B. bei Kirchensteuerangelegenheiten in verschiedenen Bundesländern).
Eine Klage ist grundsätzlich nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (→ Einspruchsverfahren) erledigt ist. Für eine Klage gegen den Bescheid über Solidaritätszuschlag für 2020, mit der die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags geltend gemacht wird, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Steuerfestsetzung wegen dieses Punktes vorläufig ist und beim Bundesverfassungsgericht bereits ein einschlägiges Musterverfahren (hier: 2 BvR 1505/20) anhängig ist (BFH vom 26.9.2023, IX R 16/22, BFH/NV 2024, 24).
Nach § 62 Abs. 1 FGO können die Beteiligten vor dem Finanzgericht den Rechtsstreit selbst führen. Ein Zwang zur Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten besteht im Gegensatz zum Revisionsverfahren beim BFH (§ 62 Abs. 4 FGO) nicht.
Zur Zulässigkeit des Finanzrechtswegs beim steuerlichen Kindergeld vgl. die Dienstanweisung des BZSt vom 9.7.2019 (BStBl I 2019, Nr. 12, III R 7 ff.).
Nach § 64 Abs. 1 FGO ist die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Die schriftformgerechte Klageerhebung ist Sachurteilsvoraussetzung und ist daher durch das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Fehlt es an der erforderlichen Schriftlichkeit, ist die Klage grds. unzulässig. § 64 FGO betrifft die formellen Anforderungen an die finanzgerichtliche Klage in erster Instanz. § 64 FGO sagt nichts Näheres über den Inhalt dieses Formerfordernisses aus. Nach der Rspr. ist das Schriftlichkeitserfordernis erfüllt, wenn eine schriftlich erhobene Klage vom Kläger oder seinem Prozessbevollmächtigten handschriftlich (eigenhändig) unterzeichnet ist. § 47 Abs. 2 FGO dispensiert nicht von der Einhaltung der Formvorschriften der §§ 52a, 52d FGO (Niedersächsisches FG vom 16.4.2024, 13 K 114/23, BB 2024, 1238; Revision eingelegt, Az. des BFH: X R 11/24). Dies gilt nicht nur für in elektronischer Form angebrachte Klageschriften, sondern schließt für den zur elektronischen Einreichung verpflichteten Steuerberater auch die Anbringung in Schriftform gem. § 64 Abs. 1 FGO aus. Der Regelungsgehalt des § 47 Abs. 2 FGO beschränkt sich für Steuerberater damit auf die Einreichung über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) an das für diese Zwecke jedenfalls konkludent eröffnete besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des FA.
Im Hinblick auf den Zweck des § 64 FGO hat die Rspr. das Schriftlichkeitserfordernis dann als erfüllt angesehen, wenn die Klage in deutscher Sprache erhoben wurde und die handschriftliche Unterschriftsleistung des Berechtigten aufwies. Die Unterschrift in einer fremden Sprache (z.B. mit fremden Schriftzeichen) ist zulässig, wenn dem Gericht die Möglichkeit einer Identifizierung des Unterzeichners möglich ist. Der Kläger oder sein Bevollmächtigter muss seine Namensunterschrift unter die von ihm abgegebene Klageschrift setzen.
Die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift und anderer bestimmender Schriftsätze durch ein Telegramm oder Telefax ist zulässig. Die Klage ist im Zeitpunkt des Eingangs des Telefaxes auf dem Faxgerät des Gerichts erhoben. Dies gilt auch dann, wenn der Ausdruck wegen eines Papierstaus erst später erfolgt. Maßgebend ist das vom Faxgerät des Gerichts auf dem Dokument ausgewiesene Datum mit Uhrzeit, es sei denn, die Zeiteinstellung dieses Geräts war unrichtig.
Im Revisionsverfahren ist § 64 FGO nicht anwendbar, sondern § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO. Dieser sieht für die Einlegung der Revision ausdrücklich Schriftlichkeit vor. Die inhaltlichen Anforderungen an die Klageschrift sind in § 65 FGO normiert.
Ergänzend zu § 64 FGO regelt § 52a Abs. 1 Satz 1 FGO, dass Beteiligte dem Gericht elektronische Dokumente übermitteln können, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch RechtsVO der Bundesregierung oder der Landesregierungen zugelassen worden ist. Für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, ist eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 SigG erforderlich (§ 52a Abs. 1 Satz 3 FGO). Die Signatur übernimmt für elektronisch übermittelte Dokumente die Funktion der eigenhändigen Unterschrift bei schriftlich eingereichten Dokumenten. Neben der qualifizierten elektronischen Signatur kann auch ein anderes sicheres Verfahren zugelassen werden, das die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt. Die in § 52a FGO enthaltene Regelung der elektronischen Kommunikation in gerichtlichen Verfahren wird durch den § 52b FGO ergänzt, der die Bundesregierung und die Landesregierungen ermächtigt, jeweils für ihren Bereich die elektronische Akte einzuführen.
Rechtsmittel und andere bestimmende Schriftsätze können beim BFH elektronisch eingereicht werden, seit dem 1.1.2016 aber nicht mehr ohne qualifizierte elektronische Signatur (BFH Beschluss vom 19.5.2016, I E 2/16, BFH/NV 2016, 1303).
Mit Beschluss vom 28.4.2023 (XI B 101/22, BStBl II 2023, 763) hat der BFH entschieden, dass Steuerberatern seit dem 1.1.2023 mit dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht (ebenso BFH vom 8.5.2024, II R 3/23, BFH/NV 2024, 804, LEXinform 0954659). In finanzgerichtlichen Verfahren müssen sie seit diesem Zeitpunkt vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente übermitteln. Für die Feststellung, dass einem Steuerberater spätestens seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg i.S.d. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht, ist unerheblich, ob dem jeweiligen Steuerberater die von ihm vorzuhaltenden technischen Einrichtungen zur Verfügung stehen und das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) von diesem tatsächlich freigeschaltet wurde (BFH Beschluss vom 11.8.2023, VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221).
Ein Beteiligter darf erst dann davon ausgehen, dass er ein bestimmtes Dokument erfolgreich an das Gericht übermittelt hat, wenn er für das übermittelte Dokument vom Gericht eine Bestätigung gem. § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erhalten hat (BFH Beschluss vom 24.5.2023, XI R 34/21, BFH/NV 2023, 1172). Dies ist vom Beteiligten zu kontrollieren.
Ein Hinweis auf die für bestimmte Vertretungsberechtigte geltende Verpflichtung, ein Rechtsmittel und dessen Begründung an den BFH nach dem 31.12.2021 ausschließlich als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 52d FGO), zählt nicht zu den zwingend vorgeschriebenen Angaben einer Rechtsbehelfsbelehrung in einem Urteil des FG (BFH vom 3.7.2024, VIII R 2/22, BFH/NV 2024, 1054).
Die anwaltlichen Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung des ordnungsgemäßen Zugangs fristgebundener Schriftsätze bei Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfordern eine präzise Einweisung des für die Versendung zuständigen Personals durch den Rechtsanwalt (OLG Hamm Beschluss vom 15.1.2024, I-22 U 13/23, MDR 2024, 461). Diese hat sich darauf zu beziehen, wo und wie die automatische digitale Eingangsbestätigung i.S.v. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO in der beA-Webanwendung zu finden ist und welcher Inhalt den ordnungsgemäßen Eingang der elektronischen Nachricht bei Gericht anzeigt.
Mit der häufigsten Klageart der → Anfechtungsklage kann die Aufhebung bzw. Änderung eines Verwaltungsaktes (→ Verwaltungsakt) begehrt werden. Darunter fallen die Steuerbescheide (Steuerbescheid), aber beispielsweise auch Feststellungs- (→ Gesonderte Feststellung), Haftungs- (→ Haftung) oder Zinsbescheide (→ Zinsen), die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (→ Verspätungszuschlag gem. § 152 AO) oder die Prüfungsanordnung.
Die Monatsfrist für die Erhebung einer Anfechtungsklage beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 Abs. 1, § 54 Abs. 2 FGO).
Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt gem. § 100 Abs. 1 FGO das Gericht den Verwaltungsakt auf. Bei einem bereits vollzogenen Verwaltungsakt kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Eine erst nach der Zusendung des Prüfungsberichtes gegen die Prüfungsanordnung erhobene Anfechtungsklage ist mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. BFH Beschluss vom 6.10.2015, V B 23/15, BFH/NV 2016, 53).
Hat eine steuerbegünstigte Körperschaft mehrere wirtschaftliche Geschäftsbetriebe und erzielt ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, für den streitig ist, ob er ein Zweckbetrieb ist, einen Gewinn von 0 €, ergibt sich aus einem Steuerbescheid, der eine Steuer von 0 € festsetzt, keine für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage erforderliche Beschwer (BFH vom 16.12.2021, V R 19/21, BStBl II 2022, 774).
Für eine Klage gegen den Bescheid über Solidaritätszuschlag für 2020, mit der die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags geltend gemacht wird, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Steuerfestsetzung wegen dieses Punktes vorläufig ist und beim Bundesverfassungsgericht bereits ein einschlägiges Musterverfahren (hier: 2 BvR 1505/20) anhängig ist (BFH vom 26.9.2023, IX R 16/22, BFH/NV 2024, 24).
Nach § 100 Abs. 2 FGO kann das Gericht einen → Verwaltungsakt, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Für das Finanzgericht besteht in der Urteilsfindung betragsmäßig eine Ober- und Untergrenze. Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf das Gericht nicht über das Klagebegehen hinausgehen. Ein geringerer als der vom Kläger begehrte Betrag darf also nicht festgesetzt werden. Außerdem wird aus der allgemeinen Rechtsschutzfunktion der Finanzgerichte abgeleitet, dass kein höherer als der bisher festgesetzte Steuerbetrag festgesetzt werden kann (Verbot der Verböserung). Innerhalb dieser Ober- und Untergrenze kann das Finanzgericht die zutreffende Steuer ermitteln und festsetzen.
Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es gem. § 100 Abs. 3 FGO, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den → Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit Art oder Umfang der noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist.
Mit der Verpflichtungsklage wird ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde begehrt, nämlich der Erlass eines abgelehnten oder unterlassenden Verwaltungsaktes. Während also bei der → Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit eines bereits erlassenen Verwaltungsaktes zu überprüfen ist, ist hier zu entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf einen zu erlassenden Verwaltungsakt hat.
Beispiel 1:
Ein Stpfl. hat einen Freistellungsbescheid (§ 155 AO) begehrt. Das FA hat dessen Erteilung abgelehnt. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Lösung 1:
Der Stpfl. kann Verpflichtungsklage einlegen, um den Erlass des Freistellungsbescheides zu erzwingen.
Beispiel 2:
Ein Stpfl. beantragt, den Steuerbescheid gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Der Antrag wird abgelehnt, der dagegen eingelegte Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Lösung 2:
Der Stpfl. muss Verpflichtungsklage einlegen, denn er begehrt die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides.
Die Beispiele s. Ax in Finanz und Steuern Band 4, 21. A, Rz. 3190.
Die Verpflichtungsklage ist eine Unterart der Leistungsklage. Neben der o.g. Verpflichtungsklage auf Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes (Legaldefinition in § 40 Abs. 1 FGO) kann auch eine behördliche Leistung anderer Art begehrt werden (§ 40 Abs. 1 Fall 3 FGO), z.B. ein sonstiges Tun, Dulden oder Unterlassen.
Die Frist (→ Fristen und Termine) für die Erhebung der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe (→ Verwaltungsakt) der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 FGO). § 56 FGO räumt die Möglichkeit ein, bei unverschuldetem Versäumen einer gesetzlichen Frist, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wird ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandter fristwahrender Schriftsatz vom Intermediär-Server nicht an den BFH weitergeleitet, weil die Dateibezeichnung unzulässige Zeichen enthält, kommt Wiedereinsetzung von Amts wegen in Betracht, wenn der Absender nicht eindeutig darauf hingewiesen worden ist, dass entsprechende Zeichen nicht verwendet werden dürfen und wenn er nach dem Versenden an Stelle einer Fehlermeldung eine Mitteilung über die erfolgreiche Versendung des Schriftsatzes erhalten hat (BFH Beschluss vom 5.6.2019, IX B 121/18, BStBl II 2019, 554).
Durch die Feststellungsklage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden (§ 41 Abs. 1 FGO). Sie erfordert kein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (§ 44 FGO) und ist nicht fristgebunden (§ 47 FGO). Voraussetzung für die Feststellungsklage ist, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses im Streit ist. Es muss sich um einen konkreten, also nicht bloß angenommenen Sachverhalt handeln.
Die Feststellungsklage ist gegenüber den anderen Klagen subsidiär; eine Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Anfechtungsklage oder eine Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO). Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt. So kann z.B. zur Klärung der Frage, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist, keine Feststellungsklage erhoben werden, da der Kläger die Möglichkeit hat, einen → Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) zu beantragen, den er mit dem Einspruch (→ Einspruchsverfahren) und der → Anfechtungsklage angreifen kann.
Die Sprungklage ist nach § 45 FGO ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt.
Nach § 46 Abs. 1 FGO ist eine Klage – abweichend von § 44 FGO – ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kann das Verfahren bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist, die verlängert werden kann, ausgesetzt werden.
Mit Beschluss vom 7.3.2006 (VI B 78/04, BStBl II 2006, 430) hat der BFH festgestellt, dass auch eine nach Ablauf der Regel-Sperrfrist von sechs Monaten erhobene Untätigkeitsklage nicht ohne weiteres zulässig ist; sie kann jedoch in die Zulässigkeit hineinwachsen. Nach der gesetzlichen Intention steht dem FA regelmäßig eine Bearbeitungszeit für den Einspruch von sechs Monaten zu. Nach den gesamten Umständen des Falles ist zu beurteilen, ob eine Bearbeitungszeit, die über sechs Monate hinausreicht, noch »angemessen« ist.
Bei einer verfrüht erhobenen Untätigkeitsklage hat das FG eine befristete Aussetzung des Klageverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen. Weist das FG die Untätigkeitsklage gleichwohl als unzulässig ab, so hat es in der Urteilsbegründung seine leitenden Ermessenserwägungen hinsichtlich der versagten Aussetzung des Klageverfahrens offenzulegen. Geschieht dies nicht, kann ein Verfahrensmangel i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen.
Die Untätigkeitsklage ist eine besondere Form der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage.
Beispiel 3:
S. Ax, Finanz und Steuern Band 4, 21. A, Rz. 3198.
Ein Stpfl. hat eine ESt-Festsetzung von 10 000 € mit dem Begehren angefochten, die Steuer auf 9 000 € herabzusetzen. Das FA hat über den Einspruch ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes innerhalb angemessener Frist nicht entschieden. Der Stpfl. erhebt Untätigkeitsklage.
Lösung 3:
Erlässt das FA nunmehr die begehrte ESt-Festsetzung hat sich die Klage erledigt. Die Kosten sind dem FA aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 FGO).
Lehnt das FA die Herabsetzung der Steuer auf 9 000 € ab, wird die Untätigkeitsklage auf Antrag des Klägers als Anfechtungsklage fortgesetzt.
Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, in Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist (§ 43 FGO).
Bei einer sog. Videokonferenz muss für die Beteiligten während der gleichzeitigen Bild- und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 FGO, ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal, feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der »Videokonferenz« für die lediglich »zugeschalteten« Beteiligten sichtbar sind. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist (BFH Beschluss vom 30.6.2023, V B 13/22, BFH/NV 2023, 1175). Auf die Beachtung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts kann nicht wirksam verzichtet werden. Dies ist der Disposition der Beteiligten entzogen.
Der BFH entscheidet über das Rechtsmittel
der Revision gegen Urteile des FG und gegen Entscheidungen, die Urteilen des FG gleichstehen,
der Beschwerde gegen andere Entscheidungen des FG, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters.
Die Revision ist zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO),
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Da der BFH im Revisionsverfahren auf eine rechtliche Überprüfung der Entscheidung beschränkt ist, ist er nach § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden. Neues Vorbringen tatsächlicher Art sowie neue Beweismittel finden grundsätzlich keine Berücksichtigung. So ist es z.B. Sache des FG als Tatsacheninstanz, zu entscheiden, welcher Schätzungsmethode es sich bedienen will, wenn diese geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen (BFH vom 16.12.2021, IV R 1/18, BFH/NV 2022, 305). Um es der Revisionsinstanz, beschränkt auf die Überprüfung von Rechtsfehlern, zu ermöglichen, die → Schätzung nachzuvollziehen, hat das FG darzulegen, dass und wie es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat.
Nach der Rechtsprechung des BFH hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt, d.h. wenn die streitige Rechtsfrage nicht nur für die am Prozess unmittelbar Beteiligten, sondern für eine Vielzahl von Stpfl. bedeutsam ist (BFH vom 30.8.2005, IV B 102/03, BStBl II 2005, 864).
Darüber hinaus kommt der Rechtssache nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn die Rechtsfrage klärungsbedürftig (= unterschiedliche Rechtsauffassungen) und klärungsfähig (= Entscheidungserheblichkeit des konkreten Streitfalles) ist.
Der Rechtsfortbildung dienen Entscheidungen über ungeklärte Rechtsfragen, Grundsätze für die Auslegung materiellen und formellen Rechts sowie die Ausfüllung von Gesetzeslücken.
Die Wahrung der Rechtseinheit ist zur Beseitigung oder Verhinderung einer uneinheitlichen Rechtsprechung der FG erforderlich.
Verfahrensfehler i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahren wie bspw. die Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 FGO oder der Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 96 FGO.
Nach § 115 Abs. 1 FGO steht den Beteiligten gegen das Urteil des FG nur dann die Revision an den BFH zu, wenn
das Finanzgericht die Revision zugelassen hat oder
auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH die Revision zugelassen hat.
Voraussetzung der Revision ist also in jedem Fall ihre Zulassung, wobei der BFH nach § 115 Abs. 3 FGO an die Zulassung gebunden ist. Daher treffen die FG grundsätzlich bei jedem Urteil bzw. Gerichtsbescheid eine Entscheidung über die Zulassung der Revision. Bei Zulassung der Revision erfolgt ein ausdrücklicher Ausspruch.
Auszug aus Urteil des FG Sachsen-Anhalt, EFG 2010, 1757: »Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen. Die Klärung des Umfanges einer ggf. erforderlichen Überprüfung des Akteninhaltes und weiterer Unterlagen oder gespeicherter Dateien hinsichtlich der Frage, was noch offenbar i.S.d. § 129 Satz 1 AO ist, hat grundsätzliche Bedeutung. Zudem weicht der Senat mit seiner Entscheidung vom Urteil des FG X vom Y, Az. Z ab, welches bei Überprüfung eines offenbaren Fehlers i.S.d. § 129 AO sogar einen Abgleich mit Steuererklärungen vorangegangener Jahre (im dortigen Streitfall bei der Veranlagung 2001 Behandlung von Freibeträgen im Jahr 1997) als zulässig ansieht.«
Ein ausdrücklicher Ablehnungssatz (»Die Revision wird nicht zugelassen«) erfolgt nur, wenn deren Zulassung ausdrücklich beantragt war.
Nach § 62 Abs. 4 FGO müssen sich die Beteiligten vor dem BFH durch einen Prozessbevollmächtigen vertreten lassen. Nach § 62 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO kommen dafür Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer in Betracht. Die zwingende Prozessvertretung gilt bereits für alle Prozesshandlungen (z.B. Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist o.Ä.). Ein Verstoß gegen den Vertretungszwang führt zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Revision.
Die Nichtzulassung der Revision durch das FG kann durch die Beteiligten mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). Die Nichtzulassungsbeschwerde muss begründet werden, indem die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).
Der BFH entscheidet über die Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss (§ 116 Abs. 5 FGO).
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 198 Abs. 1 GVG, dessen Einführung auf die Rspr. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurückzuführen ist (EGMR vom 8.6.2006, 75529/01, NJW 2006, 2389). Ist dem Entschädigungskläger aufgrund der unangemessen langen Dauer eines Gerichtsverfahrens ein Nichtvermögensnachteil entstanden, ist allein der Gesichtspunkt, der Entschädigungskläger sei neben der Überlänge des Verfahrens keinen weitergehenden immateriellen Nachteilen ausgesetzt gewesen, im finanzgerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht geeignet, dem Entschädigungskläger eine Geldentschädigung zu versagen und ihn auf eine Wiedergutmachung in anderer Weise zu verweisen (BFH vom 23.3.2022, X K 6/20, BStBl II 2022, 811).
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer müssen ab dem 1.1.2018 sicherstellen, dass sie für elektronische Zustellungen seitens der Gerichte erreichbar sind und hierfür einen sicheren Übermittlungsweg eröffnen (§ 174 Abs. 3 Satz 4 ZPO; § 130a Abs. 4 ZPO). Die Pflicht zur Empfangsbereitschaft auf elektronischem Weg besteht allerdings nicht für Zustellungen an die Gerichte. Nach § 130a Abs. 4 ZPO gilt als sicherer Übermittlungsweg beispielsweise das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), das Rechtsanwälte ab dem 1.1.2018 empfangsbereit einrichten müssen. Für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer kommt zurzeit allein die De-Mail als sicherer Übermittlungsweg in Frage. Mit Beschluss vom 28.4.2023 (XI B 101/22, BStBl II 2023, 763) hat der BFH entschieden, dass Steuerberatern seit dem 1.1.2023 mit dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht (ebenso BFH vom 8.5.2024, II R 3/23, BFH/NV 2024, 804, LEXinform 0954659). In finanzgerichtlichen Verfahren müssen sie seit diesem Zeitpunkt vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente übermitteln.
Ax u.a., Finanz und Steuern Bd. 4, 21. A. 2017, 809 ff.; Rätke, Finanzgerichtsverfahren für Steuerberater und Rechtsanwälte, 2. A. 2017; Kahsnitz, Übermittlung elektronischer Dokumente durch Steuerberater ab 1.1.2023, NWB 35/2023, 2399; Rätke, Klage wegen Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags, Kommentierte Nachricht BBK 22/2023, 990.
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