Insolvenzverfahren

Stand: 16. Dezember 2024

Inhaltsverzeichnis

1 Grundsätzliches zur Behandlung des zivil- und steuerrechtlichen Insolvenzverfahrens
2 Reform des Insolvenzrechts
2.1 Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens
2.2 Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts
2.3 Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes
3 Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen in der Krise
4 Eröffnung des Insolvenzverfahrens
4.1 Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens
4.2 Eröffnungsgründe
4.2.1 Eröffnungsgründe im Überblick
4.2.2 Feststellung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit
4.2.2.1 Illiquiditätszeitraum von längstens drei Wochen
4.2.2.2 Liquiditätslücke
4.2.3 Drohende Zahlungsunfähigkeit
4.2.4 Überschuldung
4.2.4.1 Definition der Überschuldung
4.2.4.2 Prognosezeitraum
4.3 Eröffnungsantrag und Rechtsbehelfe
4.3.1 Antragsberechtigung
4.3.2 Gläubigerantrag
4.3.2.1 Antragstellung nach § 14 Abs. 1 InsO
4.3.2.2 Antragstellung durch die Finanzbehörde und Rechtsbehelfsverfahren
4.3.3 Antragsrecht bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften
4.3.4 Entscheidung über Insolvenzantrag
4.4 Insolvenzantragspflicht
4.4.1 Antragspflicht bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften
4.4.2 Antragsfrist
4.4.3 Keine Antragspflicht für natürliche Personen
5 Vorläufige Maßnahmen
5.1 Grundsätzliches
5.2 Starker vorläufiger Insolvenzverwalter
5.3 Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter
5.4 Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters
6 Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
6.1 Verfahrensunterbrechungen
6.2 Verfügungsverbot des Schuldners
6.3 Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer Personengesellschaft bzw. eines oder mehrerer Gesellschafter
6.3.1 Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer Personengesellschaft
6.3.2 Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Gesellschafters
6.3.2.1 Allgemeine Grundsätze
6.3.2.2 Besonderheiten bei der KG
6.4 Insolvenzverwaltung
6.4.1 Insolvenzverwalter
6.4.2 Vergütung des Insolvenzverwalters
6.4.2.1 Grundlage für die Berechnung der Vergütung
6.4.2.2 Vergütungsvorschuss
6.4.3 Verwertung von Sicherungsgut durch den Insolvenzverwalter
6.4.3.1 Verlust der Sicherungsrechte
6.4.3.2 Bewegliches Sicherungsgut
6.4.3.3 Unbewegliches Sicherungsgut
6.4.4 Einsicht des Insolvenzverwalters in Steuerakten des Insolvenzschuldners
7 Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren
7.1 Grundsätzliches zur Anwendung
7.2 Regelungen ab 1.1.2021
7.3 Überblick über den Ablauf der Eigenverwaltungsplanung, dem Schutzschirmverfahren bis zur Anordnung der Eigenverwaltung
7.3.1 Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung
7.3.2 Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung
7.3.3 Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung
7.3.4 Das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren
7.3.5 Vorbereitung einer Sanierung und Schutzschirm
7.3.6 Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung
7.3.7 Anordnung der Eigenverwaltung
7.3.8 Aufhebung der Eigenverwaltung
8 Geltendmachung der Ansprüche
8.1 Allgemeiner Überblick
8.2 Insolvenzforderungen
8.2.1 Grundsätzliches
8.2.2 Geltendmachung durch Anmeldung zur Forderungstabelle
8.2.2.1 Form und Frist der Geltendmachung
8.2.2.2 Begründete Ansprüche
8.3 Masseverbindlichkeiten
8.3.1 Grundsätzliches
8.3.2 Massekosten
8.3.3 Sonstige Masseverbindlichkeiten
8.4 Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens
8.5 Nachrang der Abgabenansprüche nach § 39 InsO
9 Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen
10 Einspruchsverfahren in Fällen der Insolvenz
11 Aufrechnung mit Insolvenzforderungen
12 Haftungsfälle
13 Beendigung des Insolvenzverfahrens
13.1 Allgemeines
13.2 Befriedigung der Insolvenzgläubiger
13.2.1 Grundsätzliches
13.2.2 Beendigung des Insolvenzverfahrens nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans
13.3 Grundsätzliches zu den Pflichten des Insolvenzverwalters
13.4 Beendigung des Insolvenzverfahrens ohne Vorbehalt der Nachtragsverteilung
13.5 Beendigung des Insolvenzverfahrens mit Vorbehalt der Nachtragsverteilung
13.5.1 Erstattungsfälle
13.5.2 Fälle mit Zahllast
14 Das Verbraucherinsolvenzverfahren
14.1 Allgemeiner Überblick
14.2 Restschuldbefreiung
14.2.1 Grundsätzliches zu den Anwendungsvoraussetzungen
14.2.2 Restschuldbefreiung und Steuerstraftaten
14.2.3 Übergangsregelung
14.3 Ertragsteuerliche Behandlung von Gewinnen aus einer erteilten Restschuldbefreiung
14.3.1 Verwaltungsregelung im BMF-Schreiben vom 22.12.2009
14.3.2 Steuerbefreiung nach § 3a Abs. 5 EStG
14.4 Die ertragsteuerrechtliche Behandlung der Treuhändervergütung im Verbraucherinsolvenzverfahren
15 Literaturhinweise
16 Verwandte Lexikonartikel

1. Grundsätzliches zur Behandlung des zivil- und steuerrechtlichen Insolvenzverfahrens

Das insolvenzrechtliche Verfahren nach der InsO sowie die damit im Zusammenhang stehende steuerrechtliche Behandlung im Insolvenzverfahren kann nicht losgelöst voreinander behandelt werden. Das zivilrechtliche Verfahren nach der InsO ist ein unverzichtbarer Bestandteil der steuerrechtlichen Problematik des Insolvenzverfahrens.

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Die steuerrechtliche Kommentierung erfolgt wegen der Komplexität der Thematik in dem Stichwort → Insolvenzen und Steuern. In dem hier vorliegenden Stichwort »Insolvenzverfahren« wird das insolvenzrechtliche Verfahren nach der InsO kommentiert.

2. Reform des Insolvenzrechts

2.1. Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens

Das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) tritt mit Wirkung vom 1.10.2020 in Kraft. Mit dem Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens wird überschuldeten Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern ein schnellerer Neuanfang ermöglicht. Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre statt wie bisher im Regelfall sechs Jahre sorgt dafür, dass Betroffene schneller wieder aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können (s.u. den Gliederungspunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren« und dort den Gliederungspunkt »Restschuldbefreiung«).

Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre wird rückwirkend auch für alle Insolvenzverfahren gelten, die ab dem 1.10.2020 beantragt wurden. Damit können auch diejenigen Schuldnerinnen und Schuldnern bei einem wirtschaftlichen Neuanfang unterstützt werden, die durch die Covid-19-Pandemie in die Insolvenz geraten sind. Für Insolvenzverfahren, die im Zeitraum vom 17.12.2019 bis einschließlich 30.9.2020 beantragt wurden, wird das derzeit sechsjährige Verfahren monatsweise verkürzt (Art. 103k EGInsO; s.u. den Gliederungspunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren« und dort »Restschuldbefreiung« und »Übergangsregelung«).

Anders als bislang wird es künftig für eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren nicht mehr erforderlich sein, dass die Schuldnerinnen und Schuldner ihre Verbindlichkeiten in einer bestimmten Höhe tilgen. Allerdings müssen Schuldnerinnen und Schuldner auch weiterhin bestimmten Pflichten und Obliegenheiten nachkommen, um eine Restschuldbefreiung erlangen zu können, z.B. einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder sich um eine solche bemühen. Darüber hinaus werden die Schuldnerinnen und Schuldner in der sog. Wohlverhaltensphase stärker zur Herausgabe von erlangtem Vermögen herangezogen. Außerdem wird ein neuer Grund zur Versagung der Restschuldbefreiung geschaffen, wenn in der Wohlverhaltensphase unangemessene Verbindlichkeiten begründet werden (s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Pressemitteilung vom 30.12.2020, LEXinform 0457841).

2.2. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts

Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) tritt am 1.1.2021 in Kraft.

Mit Art. 1 des SanInsFoG wird durch das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG)

ein Rechtsrahmen für Restrukturierungen eingeführt, mit dem Insolvenzen abgewendet werden können. Davon können insbesondere auch Unternehmen Gebrauch machen, die infolge der Corona-Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind (s.u. den Gliederungspunkt »Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen in der Krise«).

Das SanInsFoG beinhaltet in Art. 5 (Änderung der InsO) sowie in Art. 10 (Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes – COVInsAG) zudem eine Fortentwicklung des geltenden Sanierungs- und Insolvenzrechts (s.a. den nachfolgenden Gliederungspunkt).

Für die von der Pandemie betroffenen Unternehmen werden zudem weitergehende Erleichterungen geschaffen: So wird der für die Überschuldungsprüfung des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO maßgebliche Zeitraum von zwölf Monaten übergangsweise auf vier Monate reduziert, um auf die derzeitigen Prognoseunsicherheiten Rücksicht zu nehmen (§ 4 COVInsAG).

Für Unternehmen, bei denen die Auszahlung der seit dem 1.11.2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch aussteht, wird zudem die Insolvenzantragspflicht bis zum 30.4.2021 ausgesetzt (§ 1 Abs. 3 COVInsAG).

Daneben werden auch die bestehenden Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren fortentwickelt. Es wird sichergestellt, dass der Verzicht auf die Bestellung einer Insolvenzverwalterin oder eines Insolvenzverwalters in den sog. Eigenverwaltungsverfahren grundsätzlich nur gut und solide vorbereiteten Vorhaben vorbehalten bleibt. Den Unternehmen wird zugleich ein rechtssicherer Weg zu den eigenverwaltungsbasierten Sanierungsoptionen eröffnet (s.u. den Gliederungspunkt »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren«). Da sich die Erfüllung dieser Anforderungen unter den gegenwärtigen Krisenbedingungen nicht immer wird sicherstellen lassen, sollen die neuen Anforderungen aber nicht für Unternehmen gelten, deren Insolvenz auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist (s. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Pressemitteilung vom 30.12.2020, LEXinform 0457841).

2.3. Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes

Das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 31.10.2022 (BGBl I 2022, 1966) enthält in Art. 9 Änderungen des COVInsAG. Diese Änderungen sind am 9.11.2022 in Kraft getreten (Art. 10 Satz 2 des Gesetzes vom 31.10.2022).

Das COVInsAG wird dabei umbenannt in »Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG)«. Die neue Bezeichnung gibt zu erkennen, dass das Gesetz nicht mehr ausschließlich Bestimmungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie enthält (BT-Drs. 20/4087, 6).

Nach § 4 Abs. 2 SanInsKG (bisheriges COVInsAG) wird

  • der Prognosezeitraum des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO (s.u. den Gliederungspunkt »Überschuldung« und dort »Prognosezeitraum«) von zwölf Monaten und

  • der Planungszeitraum des § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO (s.u. den Gliederungspunkt »Überblick über den Ablauf der Eigenverwaltungsplanung, dem Schutzschirmverfahren bis zur Anordnung der Eigenverwaltung« und dort »Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung«) von sechs Monaten

auf vier Monate verkürzt. Die Regelung gilt in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 (s.a. Schädlich, NWB 2/2023, 117).

Hinweis:

Die bisherige Regelung des § 4 COVInsAG wird § 4 Abs. 1 SanInsKG. Die bisherige Regelung sah eine Verkürzung des Prognosezeitraums auf vier Monate für die Dauer des Jahres 2021 vor. Dies galt allerdings nur für Unternehmen, bei denen die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen war.

In § 4 Abs. 2 SanInsKG wird darauf verzichtet, den Anwendungsbereich der Vorschrift an eine entsprechende Voraussetzung zu binden, insbes. ein Kausalitätserfordernis zu benennen, das die Prognoseunsicherheiten auf die Entwicklungen an den Energiemärkten rückbezieht. Von den derzeitigen Verhältnissen sind mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar betroffen. Einem Kausalitätserfordernis müsste daher ein Maß für eine hinreichende Betroffenheit zugrunde gelegt werden, das sich schwerlich festlegen lässt, ohne damit Unsicherheiten der Art in Kauf zu nehmen, die durch die Verkürzung des Prognosezeitraums gerade ausgeschlossen werden sollen. Die Antragspflicht wegen Überschuldung wird nicht ausgesetzt, sondern an Verhältnisse angepasst, die längerfristige Prognosen ohnehin kaum zulassen (BT-Drs. 20/4087, 6).

Beachte:

Die Verkürzung des Prognose- und Planungszeitraums auf vier Monate ab dem 9.11.2022 gilt nach § 4 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG auch für solche Unternehmen, bei denen bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung am 9.11.2022 eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vorlag, es sei denn, dass der für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO bereits verstrichen ist. Somit können auch Unternehmen, die zwar bereits überschuldet sind, bei denen der für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO aber noch nicht verstrichen ist, von der Neuregelung profitieren. Soweit bei diesen Unternehmen keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die Fortführung des Unternehmens jedenfalls für die nächsten vier Monate überwiegend wahrscheinlich ist, entfällt daher eine zuvor bestandene Insolvenzantragspflicht.

Bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren befindliche überschuldete Unternehmen können bei einer isolierten Überschuldung, die durch den kürzeren Prognosezeitraum der neuen Regelung entfallen würde, einen selbst gestellten Insolvenzantrag zurücknehmen (BT-Drs. 20/4087, 7 und 8).

Hinweis:

Nach § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO ist ein Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen.

Nach § 4a SanInsKG wird die Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 von bisher sechs auf acht Wochen verlängert.

Die Höchstfrist zur Antragstellung wegen Zahlungsunfähigkeit wird hingegen nicht modifiziert. Bei der Zahlungsunfähigkeit bleibt es dabei, dass die Ungewissheit über eine Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit längstens drei Wochen hinzunehmen ist (s.a. BT-Drs. 19/24181, 193 sowie BT-Drs. 20/4087, 8).

Seit dem 1.1.2021 sieht § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO unterschiedliche Höchstfristen für die Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und nach Eintritt der Überschuldung vor. Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags nach Eintritt der Überschuldung wurde von drei auf sechs Wochen verlängert, um es »dem Schuldner [zu] ermöglichen, laufende Sanierungsbemühungen außergerichtlich noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen oder gegebenenfalls eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens ordentlich und gewissenhaft vorzubereiten« (BT-Drs. 19/24181, 193). Durch die temporäre Verlängerung von sechs auf acht Wochen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die aktuelle Situation und die mit ihr einhergehenden Planungsunsicherheiten dazu führen können, dass für Sanierungsbemühungen sowie die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens mehr Zeit erforderlich sein kann (BT-Drs. 20/4087, 8).

3. Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen in der Krise

Mit Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG 1.1.2021 UG) ein Rechtsrahmen zur Ermöglichung insolvenzabwendender Sanierungen geschaffen, der es Unternehmen ermöglicht, sich auf der Grundlage eines von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans zu sanieren. Dieser Restrukturierungsrahmen ermöglicht es dem Unternehmen, die Verhandlungen zu dem Plan selbst zu führen und den Plan selbst zur Abstimmung zu stellen. Die Instrumentarien des Rahmens stehen im Stadium der drohenden und noch nicht eingetretenen Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung.

Da die Sanierungsmöglichkeiten außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht Thema dieses Stichwortes sind, soll hier lediglich ein Überblick über das StaRUG gegeben werden.

Das StaRUG ist in folgende vier Teile gegliedert:

  1. Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement.

    Mit § 1 wird eine allgemeine und rechtsformübergreifende Regelung zu Krisenfrüherkennungs- und -reaktionspflichten der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger geschaffen.

  2. Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen.

    Kapitel 1 enthält die Bestimmungen zu den Anforderungen an Restrukturierungspläne sowie an das Verfahren der Abstimmung über solche Pläne. Der Restrukturierungsplan ist damit, nicht anders als der Insolvenzplan, ein Instrument zur kollektiv-privatautonomen Bewältigung der schuldnerischen Krise. Angesichts dieser funktionalen Übereinstimmungen und mit Blick darauf, dass sich das Insolvenzplanrecht in der Praxis bewährt hat, orientieren sich die Bestimmungen zum Restrukturierungsplan über weite Strecken eng an den bestehenden insolvenzplanrechtlichen Regelungen.

    So sind nach § 2 Abs. 1 StaRUG nach insolvenzrechtlichem Vorbild die zum maßgeblichen Zeitpunkt gegen den Schuldner begründeten Forderungen sowie die an dessen Vermögen begründeten Rechte, die in einem Insolvenzverfahren zur Absonderung berechtigen würden, einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan zugänglich. Es handelt sich damit um jene Forderungen und Rechte, die im Insolvenzplanverfahren einer zwangsweisen Gestaltung durch einen Insolvenzplan unterworfen werden können.

    Die §§ 5 bis 16 StaRUG regeln die Anforderungen an den Restrukturierungsplan. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem darstellenden und einem gestaltenden Teil des Plans und die Pflicht zur Beifügung bestimmter Anlagen ist im Ausgangspunkt an §§ 219 ff. InsO angelehnt.

    Die Planabstimmung regeln die §§ 17 bis 28 StaRUG. Dem insolvenzplanrechtlichen Vorbild folgend (§ 243 InsO) stimmt jede der nach § 9 StaRUG gebildeten Gruppen gesondert über den Insolvenzplan ab. In jeder dieser Gruppen muss daher die erforderliche Summenmehrheit von 75 % erreicht werden.

    Kapitel 2 enthält die Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente.

    Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können nach § 30 Abs. 1 StaRUG vorbehaltlich des Abs. 2 von jedem insolvenzfähigen Schuldner in Anspruch genommen werden. Für natürliche Personen gilt dies nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind. Nach § 30 Abs. 2 StaRUG sind die Bestimmungen auf Unternehmen der Finanzbranche i.S.d. § 1 Abs. 19 des Kreditwesengesetzes nicht anzuwenden.

    Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht die Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 bis 3 InsO und § 42 Abs. 2 BGB (s.u. den Gliederungspunkt »Insolvenzantragspflicht«). Die Antragspflichtigen sind jedoch verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO (s.u.) oder einer Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO (s.u.) ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. Die Stellung eines den Anforderungen des § 15a InsO genügenden Insolvenzantrags gilt als rechtzeitige Erfüllung der Anzeigepflicht (§ 42 Abs. 1 und 2 StaRUG).

    Kapitel 3 regelt in den §§ 73 bis 83 StaRUG die Bestellung und Vergütung eines Restrukturierungsbeauftragten. Die Bestellung erfolgt von Amts wegen (§ 73 StaRUG) oder auf Antrag (§ 77 StaRUG).

    Kapitel 4 regelt in den §§ 84 bis 88 StaRUG öffentliche Restrukturierungssachen. In Verfahren über Restrukturierungssachen erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt (§ 84 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).

    Kapitel 5 regelt in den §§ 89 bis 91 StaRUG das Anfechtungs- und Haftungsrecht.

    Kapitel 6 regelt in den §§ 92 und 93 StaRUG die Arbeitnehmerbeteiligung und den Gläubigerbeirat.

  3. Sanierungsmoderation.

    Auf Antrag eines restrukturierungsfähigen Schuldners bestellt das Gericht eine geeignete, insbes. geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zum Sanierungsmoderator (§ 94 Abs. 1 StaRUG). Der Sanierungsmoderator vermittelt zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern bei der Herbeiführung einer Lösung zur Überwindung der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten (§ 96 Abs. 1 StaRUG).

  4. Frühwarnsysteme.

    Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 InsO und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist (§ 102 StaRUG).

4. Eröffnung des Insolvenzverfahrens

4.1. Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens

Zum Insolvenzverfahren s.a. die Verwaltungsregelungen der AEAO zu § 251 AO.

Ein Insolvenzverfahren kann über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden (§ 11 Abs. 1 InsO). Ein Insolvenzverfahren kann ferner eröffnet werden (§ 11 Abs. 2 InsO):

  1. über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (OHG, KG, GbR usw.; ab 1.1.2024: rechtsfähige PersGes, s. Hinweis);

  2. nach Maßgabe der §§ 315 bis 334 InsO über einen Nachlass, über das Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft oder über das Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, das von den Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wird.

Insolvenzfähig sind somit:

  • natürliche und juristische Personen;

  • der nicht rechtsfähige Verein. Der nicht rechtsfähige Verein steht insoweit einer juristischen Person gleich (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsO);

  • Personengesellschaften;

  • aufgelöste juristische Personen oder Personengesellschaften, solange die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen ist;

  • Gesellschaften bürgerlichen Rechts.

Hinweis:

Unter dem in der InsO wiederkehrenden Begriff der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit versteht § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die Partnerschaftsgesellschaft, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Partenreederei und die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung.

Gem. Art. 35 Nr. 7 Buchst. a i.V.m. Art. 137 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl I 2021, 3436) wird u.a. in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO mit Wirkung ab 1.1.2024 die Wörter »Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit« durch die Wörter »rechtsfähige Personengesellschaft« ersetzt.

All die in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO genannten Gesellschaftsrechtsformen sind zukünftig unter dem besser verständlichen Oberbegriff der rechtsfähigen PersGes zusammenzufassen. Dazu zählt insbes. auch die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, die ausweislich § 1 EWIVAG aufgrund ihrer strukturellen Nähe zu den PersGes in der Bundesrepublik Deutschland als Sonderform der offenen Handelsgesellschaft zählt. Eine inhaltliche Änderung ist mit dieser terminologischen Klarstellung nicht verbunden. Weiterhin nicht zu den rechtsfähigen PersGes zählen demgegenüber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Gestalt der nicht rechtsfähigen Gesellschaft und die stille Gesellschaft (BT-Drs. 19/27635, 203).

Ist der Schuldner eine natürliche Person, so soll er darauf hingewiesen werden, dass er nach Maßgabe der §§ 286 bis 303a InsO Restschuldbefreiung erlangen kann (§ 20 Abs. 2 InsO; s.u. den Gliederungspunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren«).

4.2. Eröffnungsgründe

4.2.1. Eröffnungsgründe im Überblick

Eröffnungsgründe (§ 16 InsO) sind

  • die eingetretene Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO),

  • die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und

  • die Überschuldung (§ 19 InsO).

4.2.2. Feststellung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit

4.2.2.1. Illiquiditätszeitraum von längstens drei Wochen

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Merkmale der »Dauer« und der »Wesentlichkeit« hat der Gesetzgeber nicht definiert. Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit und zur Abgrenzung zur Zahlungsstockung nimmt der BGH mit Urteil vom 24.5.2005 (IX ZR 123/04, DStR 2005, 1616, LEXinform 1536686) Stellung.

Nach der Feststellung des BGH unter II.1.b seines Urteils versteht es sich von selbst, dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründet. Nach Auffassung des BGH (unter II.2) gilt eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben lässt, lediglich als Zahlungsstockung und stellt keinen Insolvenzeröffnungsgrund dar. Als Zahlungsstockung ist nur eine Illiquidität anzusehen, die den Zeitraum nicht überschreitet, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dabei ist von einer Ungewissheit über die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft von längstens drei Wochen auszugehen (BGH IX ZR 123/04 unter II.2.a).

4.2.2.2. Liquiditätslücke

Ein Schuldner ist nicht bereits dann zahlungsunfähig, wenn er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht – binnen der dreiwöchigen Frist – zu 100 % erfüllen kann (BGH IX ZR 123/04 unter II.3). Je geringer der Umfang der Unterdeckung ist, desto eher ist es den Gläubigern zumutbar, einstweilen zuzuwarten, ob es dem Schuldner gelingen wird, die volle Liquidität wieder zu erlangen. Das Geschäftsleben ist in weiten Teilen dadurch gekennzeichnet, dass Phasen mit guter Umsatz- und Ertragslage und Rückschläge sich abwechseln. Insbesondere mittelständische Unternehmen mit geringer Eigenkapitalausstattung, etwa Handwerksbetriebe, sind oft darauf angewiesen, dass Kundenzahlungen vollständig und zeitnah erfolgen. Wird ein größerer Auftrag nicht bezahlt, kann dies eine Liquiditätskrise auslösen. Je kleiner die Liquiditätslücke ist, desto begründeter ist die Erwartung, dass es dem Schuldner gelingen wird, das Defizit in absehbarer Zeit zu beseitigen – sei es durch eine Belebung seiner Geschäftstätigkeit, sei es durch die anderweitige Beschaffung neuer flüssiger Mittel, sei es durch Einigung mit Gläubigern –, also die Zahlungsfähigkeit wieder zu erlangen. In einem solchen Fall brächte die Insolvenzeröffnung den Gläubigern keinen Vorteil, insbesondere keine schnellere und betragsmäßig höhere Befriedigung (BGB IX ZR 123/04 unter II.3.b. bb).

Einen Insolvenzgrund auch bereits bei sehr kleinen Liquiditätslücken anzunehmen, verbietet sich im Interesse des Schuldners. Sofern seine Auftragslage gut ist und künftig mit anderen Zahlungseingängen gerechnet werden kann, wäre es unangemessen, wenn er wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste.

Der BGH hält es für angemessen, einen Schwellenwert von 10 % anzusetzen (BGB IX ZR 123/04 unter II.4.b). Im Urteilsfall hatte die GmbH über liquide Mittel i.H.v. 641 161 € verfügt. Diesen liquiden Mitteln standen fällige Verbindlichkeiten von 705 813 € gegenüber. Die danach vorhandene Unterdeckung von 64 652 € entspricht 9,2 % der Verbindlichkeiten.

Liegt eine Unterdeckung von weniger als 10 % vor, genügt sie allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Wenn diese gleichwohl angenommen werden soll, müssen besondere Umstände vorliegen, die diesen Standpunkt stützen. Ein solcher Umstand kann auch die auf Tatsachen gegründete Erwartung sein, dass sich der Niedergang des Schuldner-Unternehmens fortsetzen wird. Geht es um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, muss das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) solche Umstände feststellen. Geht es um die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG, muss die Gesellschaft, die den Geschäftsführer in Anspruch nimmt, oder deren Insolvenzverwalter die besonderen Umstände vortragen und beweisen.

Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muss umgekehrt der Geschäftsführer der Gesellschaft – falls er meint, es sei doch von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen – entsprechende Indizien vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen – dann läge nur eine Zahlungsstockung vor –, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird. Im Zusammenhang mit einem Gläubigerantrag (§ 14 InsO) muss sich der Schuldner auf diese Umstände berufen, und das Insolvenzgericht hat sie festzustellen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO).

Im Urteilsfall IX ZR 123/04 rechtfertigen die mindestens 9,2 %ige Unterdeckung und eine auf unstreitige Tatsachen gegründete schlechte Zukunftsprognose zusammen die Annahme, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig war. Dies war für den Schuldner erkennbar; zumindest hat er das Gegenteil nicht bewiesen.

Mit Urteil vom 19.12.2017 (II ZR 88/16, DStR 2028, 478, LEXinform 1666350) nimmt der BGH zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit mittels einer Liquiditätsbilanz Stellung. Zahlungsunfähigkeit und nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen (s. BGH vom 24.5.2005, IX ZR 123/04).

Diese Beurteilung ist allein anhand objektiver Umstände vorzunehmen (BGH II ZR 88/16 unter II.2.a). In die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit aufzustellende Liquiditätsbilanz sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln (sog. Aktiva I) die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (sog. Aktiva II) einzubeziehen und zu den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) sowie den innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) in Beziehung zu setzen.

Hinweis:

Zur Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit s. den Beitrag von Hees u.a., DATEV-magazin 12/2020, LEXinform 0932961). S.a. AEAO Tz. 2.1.1 zu § 251 AO.

4.2.3. Drohende Zahlungsunfähigkeit

Auch die drohende Zahlungsunfähigkeit ist Eröffnungsgrund. Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO sowie AEAO Tz. 2.1.2 zu § 251 AO). Die drohende Zahlungsunfähigkeit erfordert eine Prognose der künftigen Liquiditätslage. Die Feststellung erfolgt mit Hilfe eines Liquiditätsplans. In diesem werden die prognostizierten Einzahlungen den absehbaren Auszahlungen für einen gewissen Zeitraum gegenübergestellt.

Beachte:

Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Art. 5 Nr. 10 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 in § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO geregelt, dass ab dem 1.1.2021 in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist.

Durch diese Regelung werden Unsicherheiten hinsichtlich der Dauer des Prognosezeitraums der drohenden Zahlungsunfähigkeit beseitigt. Für den Prognosezeitraum werden derzeit Zeiträume zwischen einigen Monaten bis zu drei Jahre oder das Fälligkeitsdatum der spätesten Forderung vorgeschlagen. Die Prognosefähigkeit sinkt mit der zeitlichen Erstreckung der Prognosezeiträume und die wohl herrschende Meinung stellt derzeit für den Prognosezeitraum auf das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr ab. Die abnehmende Prognosesicherheit je zukünftiger die Ereignisse sind, spricht dafür, den in aller Regel zugrunde zu legenden Prognosezeitraum nicht zu lang zu wählen. Eine Anknüpfung an Geschäftsjahre mag sich unter Planungsgesichtspunkten anbieten, hieraus resultieren jedoch unterschiedliche Prognosedauern. Abhängig vom Zeitpunkt im aktuellen Geschäftsjahr ergeben sich bei einem Abstellen auf das aktuelle und das darauf folgende Geschäftsjahr Prognosezeiträume von knapp über zwölf Monaten bis zu knapp unter 24 Monaten. Diese unterschiedliche Länge des Prognosezeitraums vermag nicht zu überzeugen, weshalb der Prognosezeitraum für den Regelfall auf 24 Monate festgeschrieben wird. Der Prognosezeitraum gilt »in aller Regel«. In Einzelfällen kann auch auf einen kürzeren oder längeren Prognosezeitraum abzustellen sein. Hierdurch können Besonderheiten des Schuldners oder seines Geschäftsbetriebs berücksichtigt werden (BT-Drs. 19/24181, 196).

4.2.4. Überschuldung

4.2.4.1. Definition der Überschuldung

Bei juristischen Personen, rechtsfähigen Personengesellschaften ohne haftende natürliche Person und in Nachlassfällen ist neben der Zahlungsunfähigkeit die Überschuldung als eigenständiger Eröffnungsgrund bestimmt (§§ 19, 320 InsO). Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Sofern aber eine positive Fortbestehensprognose gegeben ist, also die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist und keine Zahlungsunfähigkeit droht, liegt keine Überschuldung vor. Bei der zur Feststellung der Überschuldung vorzunehmenden Bewertung des Schuldnervermögens sind die Fortführungswerte zugrunde zu legen, wenn die Unternehmensfortführung nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Andernfalls sind die Werte zugrunde zu legen, die bei der Liquidation des Unternehmens zu erzielen wären (AEAO Tz. 2.1.3 zu § 251 AO).

Hinweis:

Zur Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit s. den Beitrag von Hees u.a., DATEV-magazin 12/2020, LEXinform 0932961). S.a. AEAO Tz. 2.1.3 zu § 251 AO.

4.2.4.2. Prognosezeitraum

Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Art. 5 Nr. 11 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO geregelt, dass ab dem 1.1.2021 in der Regel ein Prognosezeitraum von 12 Monaten zugrunde zu legen ist. Danach liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist »in den nächsten zwölf Monaten« nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Die sich an die Überschuldung knüpfende Antragspflicht (§ 15a Abs. 1 InsO) zwingt die Geschäftsleiter zu einer vorausschauenden Planung, welche ihrerseits Grundvoraussetzung für die frühzeitige Entdeckung von Krisenanzeichen ist. Zudem steht der Überschuldungstatbestand für eine hinreichend schwerwiegende Gefährdung der Gläubigerinteressen, an die sich eine Pflicht zur Antragstellung knüpfen sollte. Ist der Schuldner innerhalb eines absehbaren Zeitraums nicht mehr in der Lage, sein Unternehmen fortzuführen und reicht in einer solchen Situation das schuldnerische Vermögen nicht zur Deckung aller Verbindlichkeiten aus, besteht Anlass zur Bereinigung dieser Gefährdung der Gläubigerinteressen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Zeitraum, welcher der Fortführungsprognose des § 19 Abs. 2 Satz 1 zugrunde zu legen ist, wird auf zwölf Monate beschränkt (BT-Drs. 19/24181, 196 f.).

Durch Art. 10 Nr. 4 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des SanInsFoG vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird § 4 neu in das COVInsAG eingefügt. Abweichend von § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO verkürzt sich der Prognosezeitraum zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie von zwölf auf einen Zeitraum von vier Monaten.

Das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 31.10.2022 (BGBl I 2022, 1966) enthält in Art. 9 Änderungen des COVInsAG. Diese Änderungen sind am 9.11.2022 in Kraft getreten (Art. 10 Satz 2 des Gesetzes vom 31.10.2022).

Das COVInsAG wird dabei umbenannt in »Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG)«.

Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG (bisheriges COVInsAG) wird der Prognosezeitraum des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO von zwölf Monaten auf vier Monate verkürzt. Die Regelung gilt in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 (s.a. Schädlich, NWB 2/2023, 117; s.o. den Gliederungspunkt »Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes«).

4.3. Eröffnungsantrag und Rechtsbehelfe

4.3.1. Antragsberechtigung

Das Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. Antragsberechtigt sind sowohl die Gläubiger als auch der Schuldner (§ 13 Abs. 1 Satz 2 InsO).

4.3.2. Gläubigerantrag

4.3.2.1. Antragstellung nach § 14 Abs. 1 InsO

Den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann – außer bei drohender Zahlungsunfähigkeit – jeder Gläubiger stellen, der ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat und seinen Anspruch sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft macht (vgl. § 14 Abs. 1 InsO).

Beachte:

Beantragt der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so ist auch die drohende Zahlungsunfähigkeit Eröffnungsgrund (§ 18 Abs. 1 InsO).

Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO wird ein Insolvenzantrag nicht dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird. Wird die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt, so hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn der Antrag als unbegründet abgewiesen wird (§ 14 Abs. 3 InsO).

Die Hürden für einen zulässigen Gläubigerantrag sind hinreichend hoch, um zu vermeiden, dass Schuldner bei lediglich vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten in ein Insolvenzeröffnungsverfahren gezwungen und den damit einhergehenden Nachteilen und Reputationsverlusten ausgesetzt werden. Ein Gläubiger muss – damit sein Antrag zulässig ist – nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ein rechtliches Interesse an der Verfahrenseröffnung haben und einen Eröffnungsgrund glaubhaft machen. An das Vorliegen dieser Voraussetzungen sind bei Erfüllung der Forderung nach Antragstellung strenge Anforderungen zu stellen (BGH Beschluss vom 12.7.2012, IX ZB 18/12, DB 2012, 1922, LEXinform 1579983, Rz. 7; BGH Beschluss vom 18.12.2014, IX ZB 34/14, DB 2015, 303, LEXinform 1650231, Rz. 13). Ein rechtliches Interesse ist in diesem Fall regelmäßig nur bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern anzuerkennen, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben (BGH Beschluss vom 12.7.2012, IX ZB 18/12, DB 2012, 1922, LEXinform 1579983, Rz. 7). Ein Eröffnungsgrund ist nur glaubhaft gemacht, wenn sein Vorliegen nach dem Vortrag des Gläubigers überwiegend wahrscheinlich ist. Die Beurteilung, ob die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auch nach Erfüllung der Antragsforderung wahrscheinlich ist, hat das Insolvenzgericht im Einzelfall unter Berücksichtigung des gesamten Sachvortrags des Gläubigers, der indiziellen Bedeutung bestimmter Tatsachen für das Bestehen eines Eröffnungsgrundes und der Wirkung gesetzlicher Vermutungen vorzunehmen (BGH Beschluss vom 18.12.2014, IX ZB 34/14, DB 2015, 303, LEXinform 1650231, Rz. 10).

4.3.2.2. Antragstellung durch die Finanzbehörde und Rechtsbehelfsverfahren

Die Stellung eines Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners durch die Finanzbehörde ist kein Verwaltungsakt, sondern stellt schlichtes hoheitliches Handeln dar, dessen Überprüfung dem FG und nicht dem Insolvenzgericht obliegt (BFH Beschluss vom 31.8.2011, VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105). Dem Stpfl. stehen als Rechtsbehelfe hiergegen die allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) bzw. im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) zu (vgl. BFH Beschluss vom 12.8.2011, VII B 159/10, BFH/NV 2011, 2104; s.a. AEAO Tz. 2.3 zu § 251 AO).

4.3.3. Antragsrecht bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften

Zum Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (ab 1.1.2024: rechtsfähigen PersGes) ist außer den Gläubigern jedes Mitglied des Vertretungsorgans, bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien jeder persönlich haftende Gesellschafter, sowie jeder Abwickler berechtigt. Bei einer juristischen Person ist im Fall der Führungslosigkeit auch jeder Gesellschafter, bei einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft zudem auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Antragstellung berechtigt (§ 15 Abs. 1 InsO).

4.3.4. Entscheidung über Insolvenzantrag

Über den Insolvenzantrag selbst entscheidet das Insolvenzgericht. Gegen eine ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag steht dem antragstellenden Gläubiger das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (§ 34 Abs. 1 InsO). Die Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Insolvenzgericht einzulegen (§§ 4 und 6 InsO, § 569 ZPO). Die Frist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung (§ 6 Abs. 2 InsO). Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist die Rechtsbeschwerde gegeben, soweit sie zugelassen ist (§ 574 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses über die sofortige Beschwerde bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen (§ 575 ZPO; s.a. AEAO Tz. 2.3 zu § 251 AO).

4.4. Insolvenzantragspflicht

4.4.1. Antragspflicht bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften

Geraten Unternehmen in Insolvenz, können nicht nur Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen (§ 14 InsO), sondern sind die Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet (§ 15a Abs. 1 InsO). Diese Pflicht ist straf- und haftungsbewehrt. Voraussetzung der Insolvenzantragspflicht einer juristischen Person ist der Eintritt

  • der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO; s.o.) oder

  • der Überschuldung (§ 19 InsO, s.o.).

Die drohende Zahlungsunfähigkeit (s.o.) löst keine Antragspflicht aus.

Haftungsgefahren resultieren aus gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverboten bei eingetretener Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 130a Abs. 1 Satz 1, auch i.V.m. § 177a Satz 1 HGB und § 99 Satz 1 GenG). Auch die Vorstände von Vereinen unterliegen haftungsbewehrten Insolvenzantragspflichten (§ 42 Abs. 2 BGB).

Hinweis:

Gem. Art. 35 Nr. 2 i.V.m. Art. 137 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl I 2021, 3436) werden u.a. in § 15a InsO mit Wirkung ab 1.1.2024 die Wörter »Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit« durch die Wörter »rechtsfähige Personengesellschaft« ersetzt (s.o. zur Änderung des § 11 InsO).

Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) werden mit Art. 5 Nr. 9 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 in § 15b InsO ab dem 1.1.2021 die Zahlungsverbote im Fall der Insolvenzreife von haftungsbeschränkten Rechtsträgern (s.o.) zu einer allgemeinen und rechtsformneutralen Vorschrift zusammengefasst und durch die Integration in die InsO rechtssystematisch mit den Regelungen zur Insolvenzantragspflicht zusammengeführt.

§ 15b Abs. 1 Satz 1 InsO statuiert ein Zahlungsverbot der Mitglieder des Vertretungsorgans oder Abwickler der juristischen Person im Stadium der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Änderungen gegenüber dem geltenden Recht sind damit nicht verbunden. Satz 2 nimmt von dem Zahlungsverbot solche Zahlungen aus, die mit der Sorgfalt eines ordnungsgemäßen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

Die Abs. 2 und 3 des § 15b InsO konkretisieren den Maßstab für die nach Abs. 1 Satz 2 für die Privilegierung von Zahlungen maßgebliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Nach § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, grds. und vorbehaltlich des § 15b Abs. 3 InsO als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Das schließt vor allem solche Zahlungen ein, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen.

Nach § 15b Abs. 2 Satz 2 InsO besteht das Privileg des Satz 1 im Zeitraum vom Eintritt der Insolvenzreife bis zu dem für eine rechtzeitige Antragstellung maßgeblichen Zeitpunkt (drei Wochen, s.o.) allerdings nur dann und solange, wie die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben.

Aus § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO folgt zunächst, dass die Regelungen zu den Zahlungsverboten auch nach Stellung eines Insolvenzantrags fortgelten. Andererseits bleibt für die Regelungen kein Raum, wenn eine Zahlung mit der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgt. Das versteht sich bei der Bestellung eines »starken« vorläufigen Verwalters nach § 22 Abs. 1 InsO von selbst, da es hier mit Blick auf den Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an der Zurechenbarkeit der Zahlung an den Antragspflichtigen fehlt. Bei einem »schwachen« vorläufigen Verwalter, der seine Zustimmung zur Zahlung erklärt, bleibt für die Anwendung der Regelungen mit Blick auf die Verantwortlichkeit des vorläufigen Verwalters kein Raum. Dieser hat bei seiner Zustimmungsentscheidung eigenständig das Interesse der Gläubiger an einer bestmöglichen Massesicherung zu wahren. Bei der Verletzung seiner dahingehenden Pflichten haftet der vorläufige Verwalter.

Nach § 15b Abs. 3 InsO scheidet eine haftungsrechtliche Privilegierung von Zahlungen in der Regel aus, wenn sie im Zuge einer Insolvenzverschleppung geleistet werden. Ist der für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitraum (drei Wochen, s.o.) abgelaufen, lassen sich Zahlungen nur unter Ausnahmebedingungen noch als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbaren.

§ 15b Abs. 4 InsO fasst die Haftungsvorschriften für die Vornahme von verbotswidrigen Zahlungen zusammen. Werden trotz des bestehenden Zahlungsverbots i.S.d. § 15b Abs. 1 InsO Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person nach § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO zur Erstattung verpflichtet. Der Ersatzverpflichtete soll aber nach Satz 2 geltend machen können, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist. Hierdurch wird vermieden, dass die Inanspruchnahme des Ersatzpflichtigen über dasjenige hinausgeht, was zur Erreichung des Zwecks der Zahlungsverbote – die Erhaltung der Masse im Interesse der Gläubiger – erforderlich ist.

Nach § 15b Abs. 5 InsO gilt das Zahlungsverbot auch für Zahlungen an Personen, die an der juristischen Person beteiligt sind, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht erkennbar (BT-Drs. 19/24181, 193 ff.).

Die Vorschrift des § 15b Abs. 8 InsO löst eine bestehende Pflichtkollision von Geschäftsführern im Zeitraum vom Eintritt der Insolvenzreife bis zur Verfahrenseröffnung auf.

Der Vorrang der Massesicherungspflicht vor der Pflicht zur Abführung von Abgaben entspringt dem insolvenzrechtlichen Gedanken, dass ab dem Eintritt der Insolvenzreife die selektive Zahlung einzelner Verbindlichkeiten, die ab Verfahrenseröffnung als Insolvenzforderungen geltend zu machen sind, unzulässig sein muss. Dieser insolvenzrechtliche Gedanke wird auch vom BFH anerkannt. Verweigert der vorläufige Verwalter die erforderliche Zustimmung für die Zahlung der Steuern, entfällt auch nach der Rspr. des BFH mangels Verschulden eine Haftung des Geschäftsführers (BFH vom 22.10.2019 (VII R 30/18, BFH/NV 2020, 711, LEXinform 0952073). Da jeder vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (»schwacher« vorläufiger Insolvenzverwalter) aufgrund der insolvenzrechtlichen Massesicherungspflicht eine Zustimmung zur Entrichtung von Steuern nie erteilen darf, wirkt diese Rechtsprechung formalistisch.

Wird entgegen der Verpflichtung nach § 15a InsO ein Insolvenzantrag verspätet gestellt, gilt die Regelung des § 15b Abs. 8 Satz 1 InsO nach Satz 2 nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters fällig werdenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.

Wenn der Geschäftsleiter seine Pflichten nach § 15a InsO zunächst verletzt hat, dann aber doch noch einen Antrag stellt, oder wenn es aufgrund eines Fremdantrags zur Bestellung eines Verwalters kommt, ist es zwar richtig, den Geschäftsleiter für die bis zum Beginn des vorläufigen Insolvenzverfahrens fällig gewordenen Steuerschulden haften zu lassen. Für die ab diesem Zeitpunkt fällig werdenden Steuerschulden ist deren Nichtbegleichung aber nicht mehr auf die frühere Pflichtverletzung zurückzuführen. Denn auch bei rechtzeitiger Antragstellung hätten die Forderungen nicht beglichen werden können, und der Geschäftsleiter, der seine Pflichten nunmehr wieder erfüllt, sollte sich wiederum nicht der oben dargestellten Pflichtenkollision ausgesetzt sehen.

Unberührt bleibt die Haftung nach § 69 AO für die die bereits vor Eintritt der Insolvenzreife begangenen Pflichtverletzungen in Gestalt der Nichtzahlung von Steuern, die bereits vor Eintritt der Insolvenzreife fällig waren. Denn hier lag im Zeitpunkt der Fälligkeit noch keine insolvenzrechtliche Pflicht vor, welche mit der Steuerzahlungspflicht kollidiert haben könnte. Haftungsbewehrt bleibt auch die Nichtbegleichung derjenigen Steuerschulden, die im Zeitraum zwischen dem (fruchtlosen) Ablauf der Insolvenzantragsfrist und der (aufgrund eines später dann doch noch nachgeholten Antrags) Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens fällig werden.

Die strafrechtlichen Sanktionen für eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht sind in § 15a Abs. 4 und 5 InsO geregelt: Möglich ist eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Wer wegen einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO (Insolvenzverschleppung) strafrechtlich verurteilt wurde, kann für einen Zeitraum von fünf Jahren nach der Verurteilung als Vertretungsorgan einer juristischen Person nicht mehr bestellt werden (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG, § 76 Abs. 3 Nr. 3 AktG).

4.4.2. Antragsfrist

Nach § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO i.d.F. des SanInsFoG vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) ist ein Insolvenzantrag spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen.

Das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 31.10.2022 (BGBl I 2022, 1966) enthält in Art. 9 Änderungen des COVInsAG. Diese Änderungen sind am 9.11.2022 in Kraft getreten (Art. 10 Satz 2 des Gesetzes vom 31.10.2022).

Das COVInsAG wird dabei umbenannt in »Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG)«.

Nach § 4a SanInsKG wird die Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 von bisher sechs auf acht Wochen verlängert.

Die Höchstfrist zur Antragstellung wegen Zahlungsunfähigkeit wird hingegen nicht modifiziert. Bei der Zahlungsunfähigkeit bleibt es dabei, dass die Ungewissheit über eine Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit längstens drei Wochen hinzunehmen ist (s.a. BT-Drs. 19/24181, 193 sowie BT-Drs. 20/4087, 8).

Seit dem 1.1.2021 sieht § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO unterschiedliche Höchstfristen für die Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und nach Eintritt der Überschuldung vor. Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags nach Eintritt der Überschuldung wurde von drei auf sechs Wochen verlängert, um es »dem Schuldner zu ermöglichen, laufende Sanierungsbemühungen außergerichtlich noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen oder gegebenenfalls eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens ordentlich und gewissenhaft vorzubereiten« (BT-Drs. 19/24181, 193). Durch die temporäre Verlängerung von sechs auf acht Wochen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die aktuelle Situation und die mit ihr einhergehenden Planungsunsicherheiten dazu führen können, dass für Sanierungsbemühungen sowie die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens mehr Zeit erforderlich sein kann (BT-Drs. 20/4087, 8).

4.4.3. Keine Antragspflicht für natürliche Personen

Natürliche Personen sind nicht verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Das gilt auch, wenn diese ein Gewerbe betreiben oder freiberuflich tätig sind. Auch bei PersGes (OHG, KG, GbR) besteht grundsätzlich keine Insolvenzantragspflicht. Das gilt allerdings nicht für rechtsfähige PersGes, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, was in der Praxis etwa bei der GmbH & Co. KG der Fall ist (§ 15a Abs. 1 Satz 3 InsO).

5. Vorläufige Maßnahmen

5.1. Grundsätzliches

Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO kann zur Sicherung der Vermögensmasse bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden. Es ist zwischen dem sog. »starken« und »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterscheiden, da sich aufgrund seiner unterschiedlichen rechtlichen Stellung auch unterschiedliche Rechtsfolgen im Hinblick auf seine Tätigkeiten ergeben.

5.2. Starker vorläufiger Insolvenzverwalter

Das Insolvenzgericht kann die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) mit dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) verbinden, sodass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Verwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die von diesem »starken« vorläufigen Verwalter begründeten Verbindlichkeiten werden nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO zu latenten Masseverbindlichkeiten des künftigen Insolvenzverfahrens (z.B. USt aus der Verwertung von Sicherungsgut oder Berichtigungsbeträge nach § 15a UStG; AEAO Tz. 3.1 zu § 251 AO).

Die Bestellung eines »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters hat zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt Steuerbescheide grundsätzlich nicht mehr ergehen dürfen (analoge Anwendung des § 240 Satz 2 ZPO; AEAO Tz. 4.1.2 zu § 251 AO). Die bis dahin begründeten Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Ergehen dürfen Steuerbescheide nur bezüglich solcher Ansprüche, die nach Verfahrenseröffnung als Masseansprüche nach § 55 Abs. 2 InsO gelten. Diese sind dem vorläufigen Verwalter bekanntzugeben (s.u.). Kommt es nicht zur Eröffnung des Verfahrens, sind diese Steuerverbindlichkeiten vom vorläufigen Verwalter vor dem Ende seiner Tätigkeit aus dem von ihm verwalteten Vermögen zu begleichen (§ 25 Abs. 2 InsO).

5.3. Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter

Der Einsatz eines »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters wird in der Praxis bislang meistens vermieden. Das Insolvenzgericht sieht i.d.R. von einem allgemeinen Verfügungsverbot (§ 22 Abs. 1 InsO) ab und bestimmt die Rechte des vorläufigen Verwalters individuell (§ 22 Abs. 2 InsO). Hierbei wird i.d.R. festgelegt, dass dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot erteilt wird (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative InsO), sondern dass seine Verfügung beispielsweise nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam wird (Zustimmungsvorbehalt, § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative InsO). Die für eine Verfügung des Schuldners nach dieser Vorschrift erforderliche Zustimmung kann im Voraus (Einwilligung) oder nachträglich (Genehmigung) erteilt werden (vgl. §§ 182 bis 184 BGB). Solange sie fehlt, ist eine getroffene Verfügung schwebend unwirksam (BFH Urteil vom 26.9.2017, VII R 40/16, BStBl II 2018, 772, Rz. 16; s.a. Anmerkung vom 4.1.2018, LEXinform 0949292).

Die Bestellung eines vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters führt nicht dazu, dass die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht; diese verbleibt vielmehr beim Schuldner bzw. dessen Organen (BFH Urteil vom 16.5.2017, VII R 25/16, BStBl II 2017, 934). Der Schuldner bzw. der Geschäftsführer einer GmbH ist an der Erfüllung seiner steuerlichen Pflicht nicht durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt gehindert. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters steht der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers der in Insolvenz geratenen GmbH nicht entgegen (BFH Urteil vom 16.5.2017, VII R 25/16, BStBl II 2017, 934). Denn im Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim gesetzlichen Vertreter der GmbH (s.a. BFH vom 22.10.2019, VII R 30/18, BFH/NV 2020, 711, LEXinform 0952073). Der vorläufige Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt ist kein Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO, sondern ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter. Der GmbH-Geschäftsführer wird durch den vorläufigen Insolvenzverwalter aus seiner Pflichtenstellung nicht verdrängt (so auch BFH vom 26.9.2017, VII R 40/16, BStBl II 2018, 772).

Zur Rechtsmacht des vorläufigen Insolvenzverwalters hat der BGH mit Urteil vom 24.9.2020 (IX ZR 289/18, DStR 2021, 43, LEXinform 4223686) entschieden, dass der vom Insolvenzgericht angeordnete Zustimmungsvorbehalt lediglich bewirkt, dass der vorläufige Verwalter wirksame Verfügungen des Schuldners verhindern kann. Der Verwalter ist rechtlich aber nicht in der Lage, den Schuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten. Ebenso wenig kann er selbst Verfügungen mit Wirkung für und gegen die spätere Insolvenzmasse vornehmen. Er hat kein Initiativrecht. Der mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattete vorläufige Verwalter tritt nicht an die Stelle des Schuldners, sondern an seine Seite. Aufgrund der durch einen Zustimmungsvorbehalt bewirkten Verfügungsbeschränkung des Schuldners kann der vorläufige Verwalter dementsprechend nicht von sich aus den Widerruf der für ein Gemeinschaftskonto vereinbarten Einzelverfügungsbefugnis erklären (BGH IX ZR 289/18, Rz. 20).

Die Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters hindert den Schuldner insbes. nicht daran, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen zu übernehmen. Dies gilt auch für eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede (Eröffnung eines Girokontos; BGH vom 16.9.2021, IX ZR 213/20, DB 2021, 2544, LEXinform 4238074, Rz. 14). Die Kontokorrentabrede erlischt vielmehr gem. §§ 115, 116 InsO erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Hinweis:

Mit Urteil vom 22.10.2019 (VII R 30/18, BFH/NV 2020, 711, LEXinform 0952073) hat der BFH seine Rspr. VII R 40/16 bestätigt und entschieden, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim gesetzlichen Vertreter der GmbH verbleibt, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH beantragt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts bestellt wird. Der Geschäftsführer kann sich nicht allein mit der Behauptung entlasten, er habe angenommen, der vorläufige Insolvenzverwalter werde seine Zustimmung zur Abgabentilgung verweigern; hypothetische Kausalverläufe sind nicht zu berücksichtigen (Anmerkung vom 28.4.2020, LEXinform 0653733).

Der »schwache« vorläufige Verwalter begründet keine Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO, sondern lediglich Insolvenzverbindlichkeiten. Dies gilt selbst dann, wenn er später auch zum (endgültigen) Insolvenzverwalter bestellt wird (BFH Urteil vom 21.12.1988, V R 29/86, BStBl II 1989, 434 und OFD Frankfurt vom 4.11.2009 S 7340 A – 85 – St 11, SIS 10 40 63, Rz. 13).

Zur Begründung der Rechtsstellung eines »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters und somit zur Entstehung bzw. zur Nichtbegründung von Masseverbindlichkeiten hat der BFH mit Urteil vom 9.12.2014 (X R 12/12, BStBl II 2016, 852; Nöcker, NWB 37/2015, 2710) Stellung genommen.

Sachverhalt und Entscheidungsgründe:

Im Urteilsfall war der Stpfl. vom Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 2 InsO war dem Insolvenzschuldner in diesem Beschluss nicht auferlegt worden. Das Insolvenzgericht hatte allerdings angeordnet, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Den Pflichtenumfang des vorläufigen Insolvenzverwalters hatte das Insolvenzgericht u.a. wie folgt erweitert:

  • Er hatte die Aufgabe, durch Überwachung des Insolvenzschuldners dieses Vermögen zu sichern und zu erhalten,

  • er wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Insolvenzschuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen und auf ein von ihm einzurichtendes Anderkonto einzuzahlen,

  • er war zur Fortführung des Betriebes bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung ermächtigt; zur Stilllegung des Betriebes war er nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichts befugt.

Nach der Urteilsbegründung hatte der Stpfl. trotz der Ausdehnung seiner Befugnisse als vorläufiger Insolvenzverwalter durch den Beschluss des Insolvenzgerichts weder die Stellung eines »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO noch ist diese Vorschrift analog anwendbar.

Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten nach der Eröffnung des Verfahrens auch solche Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Die Rechtsstellung dieses »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters unterscheidet sich deutlich von der des sog. »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist. So gelten die von einem »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Bei Rechtsstreiten, die das Vermögen des Schuldners betreffen, wird das Verfahren nach § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Bei dem sog. »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter treten diese Rechtsfolgen nicht ein. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. In diesem Fall sind zwar Verfügungen des Schuldners ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich unwirksam (vgl. § 24 Abs. 1, § 81 InsO); andererseits kann aber auch der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht (allein) über das Vermögen des Schuldners verfügen. Schuldner und vorläufiger Insolvenzverwalter haben eine vergleichbar starke Stellung. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist als »Berater« des Schuldners anzusehen.

Im Urteilsfall hat das Insolvenzgericht den Verwalter nicht als vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO bestellt. Stattdessen hat es ihn nur mit einem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO ausgestattet. Ein »starker« vorläufiger Insolvenzverwalter i.S.d. § 22 Abs. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter deshalb nicht. Er konnte folglich keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründen (s.a. Anmerkung vom 23.8.2016, LEXinform 0948030).

Wurde ein »schwacher« vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ist dieser nicht Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO. Steuerbescheide können weiterhin bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen und sind dem Schuldner bekannt zu geben, soweit kein Empfangsbevollmächtigter bestellt ist (AEAO Tz. 3.1 Abs. 2 zu § 251 AO; s.u. den Gliederungspunkt »Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen«).

Der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter kann in der Regel keine Masseverbindlichkeiten begründen (BGH Urteil vom 18.7.2002, IX ZR 195/01, DB 2002, 2011). Aufgrund der Regelung des § 55 Abs. 4 InsO gelten jedoch Umsatzsteuerverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 4 Satz 1 InsO) und den damit gleichstehenden Verbindlichkeiten (§ 55 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 bis 4 InsO) des Schuldners, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet werden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Zu Einzelheiten der Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO ab 1.1.2021 siehe BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116; s.u.).

Durch Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO geändert. Zu der Änderung s. die Erläuterungen unter den unter Beachte angegebenen Gliederungspunkten.

Beachte:

Für Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt wurden, sind die Regelungen des BMF-Schreibens vom 20.5.2015 BStBl I 2015, 476), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 18.11.2015 (BStBl I 2015, 886) weiterhin anzuwenden (s.a. Streit u.a., BMF zur Behandlung der Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren, DB 2022, 767).

Das BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116) findet Anwendung auf alle Insolvenzverfahren, deren Eröffnung ab dem 1.1.2021 beantragt wurde.

Zu den Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO s. insbesondere die Gliederungspunkte

  • »Insolvenzforderung«,

  • »Masseverbindlichkeiten«,

  • »Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO«,

  • Insolvenzen und Steuern die Gliederungspunkte »Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG« sowie »Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG«.

5.4. Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters

Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters wird in § 26a InsO geregelt.

Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet, setzt das Insolvenzgericht die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters gegen den Schuldner durch Beschluss fest. (§ 26a Abs. 1 InsO). Die Festsetzung erfolgt gegen den Schuldner, es sei denn, der Eröffnungsantrag ist unzulässig oder unbegründet und den antragstellenden Gläubiger trifft ein grobes Verschulden. Der Beschluss ist dem vorläufigen Verwalter und demjenigen, der die Kosten des vorläufigen Insolvenzverwalters zu tragen hat, zuzustellen (§ 26a Abs. 2 InsO).

Gegen den Beschluss steht dem vorläufigen Verwalter und demjenigen, der die Kosten des vorläufigen Insolvenzverwalters zu tragen hat, die sofortige Beschwerde zu. § 567 Abs. 2 ZPO gilt entsprechend (§ 26a Abs. 3 InsO).

Die Regelung stellt klar, dass auch bei Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens das Insolvenzgericht für die Festsetzung der Vergütung sowie der Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters zuständig ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf ihn übergegangen ist. Der vorläufige Insolvenzverwalter erhält mit dem Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Insolvenzgerichts einen vorläufig vollstreckbaren Titel i.S.d. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die §§ 63 f. InsO finden über die Verweisung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO Anwendung.

Nach § 63 Abs. 3 Satz 1 InsO wird die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters gesondert vergütet. Die Höhe der Vergütung regelt § 11 i.V.m. § 2 Abs. 1 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InsVV) vom 19.8.1998 (BGBl I 1998, 2205). Er erhält in der Regel 25 % der Vergütung des Insolvenzverwalters (§ 2 Abs. 1 InsVV) bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt (§ 63 Abs. 3 Satz 2 InsO). Maßgebend für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Verwaltung oder der Zeitpunkt, ab dem der Gegenstand nicht mehr der vorläufigen Verwaltung unterliegt.

Durch Art. 6 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 die InsVV geändert.

6. Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

6.1. Verfahrensunterbrechungen

Das Steuerfestsetzungsverfahren, das Rechtsbehelfsverfahren und der Lauf der Rechtsbehelfsfristen werden, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen und abstrakt dazu geeignet sind, sich auf zur Tabelle anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken, analog zu § 240 ZPO unterbrochen (vgl. BFH Urteil vom 24.8.2004, VIII R 14/02, BStBl II 2005, 246).

Eine Verfahrensunterbrechung tritt nicht ein, wenn keine Forderungen gegenüber der Insolvenzmasse für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung geltend zu machen sind (z.B. im Falle einer Erstattung für die Masse; BFH Urteil vom 13.5.2009, XI R 63/07, BStBl II 2010, 11 sowie AEAO Tz. 4.1.2 zu § 251 AO).

6.2. Verfügungsverbot des Schuldners

Mit dem Zeitpunkt, der im Eröffnungsbeschluss genannt ist, wird die Beschlagnahme des gegenwärtigen und auch des während des Verfahrens erworbenen Schuldnervermögens (Neuerwerb, § 35 InsO) wirksam. Das damit ausgesprochene Verfügungsverbot erstreckt sich auf das gesamte, der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen einschließlich der Geschäftsbücher des Schuldners, auf alle im Besitz des Schuldners befindlichen Sachen und alle von ihm genutzten Grundstücke und Gebäude (§§ 35, 36 InsO). Nicht zur Insolvenzmasse gehören die unpfändbaren Gegenstände i.S.d. § 36 InsO und das Vermögen aus einer nach § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Tätigkeit (sog. insolvenzfreies Vermögen; s.u. den Gliederungspunkt »Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens«).

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und § 80 Abs. 1 InsO). Die Verwaltungs- und Verfügungsrechte werden durch den Insolvenzverwalter ausgeübt (§ 34 Abs. 3 AO; AEAO Tz. 4.1.1 Abs. 1 zu § 251 AO).

Hat der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Gegenstand der Insolvenzmasse verfügt, so ist diese Vfg. unwirksam (§ 81 Abs. 1 InsO). Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte (§ 82 InsO).

Beachte:

Mit Urteil vom 18.8.2015 (VII R 24/13, BStBl II 2016, 255) hatte der BFH darüber zu entscheiden, welche Folgen es hat, wenn nur das ehemals örtlich zuständige FA Kenntnis von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Stpfl. hat und das aktuell zuständige FA deshalb eine Steuererstattung nicht auf das Konto des nach § 80 Abs. 1 InsO empfangsberechtigten Insolvenzverwalters, sondern auf das Konto des Insolvenzschuldners leistet.

Der Insolvenzverwalter kann sich nicht auf eine Zurechnung der Kenntnis des ehemals örtlich zuständigen FA berufen, wenn er selbst seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat. Im Streitfall ist diese Voraussetzung erfüllt, da der Insolvenzverwalter entweder von dem Wohnsitzwechsel des Insolvenzschuldners gewusst hat, ohne das FA über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu informieren, oder keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat, den Wohnsitz des Insolvenzschuldners nachzuverfolgen. Darüber hinaus hat der Insolvenzverwalter über mehrere Jahre weder die erforderlichen ESt-Erklärungen abgegeben noch den Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt (Pressemitteilung des BFH Nr. 81/2015 vom 2.12.2015, LEXinform 0443852 sowie Anmerkung vom 8.12.2015, LEXinform 0947401).

Mit der Eröffnung des Verfahrens können bis zu diesem Zeitpunkt begründete Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (Insolvenzforderungen) nur noch nach Maßgabe der InsO geltend gemacht werden. Dies gilt auch für Ansprüche, auf die steuerliche Verfahrensvorschriften entsprechend anzuwenden sind (z.B. Rückforderung von Investitionszulage; AEAO Tz. 4.1.1 Abs. 4 zu § 251 AO).).

Nach dem BFH-Urteil vom 3.2.2016 (X R 25/12, BStBl II 2016, 391) verliert der Stpfl. aufgrund des mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 80 Abs. 1 InsO eingetretenen Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter nicht generell die originär ihm zustehende Befugnis, von ihm getätigte bzw. ihm zurechenbare Aufwendungen als Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 4 EStG abzuziehen. Denn die nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO eintretenden Rechtsfolgen beziehen sich ausdrücklich nur auf »das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen« bzw. »einen Gegenstand der Insolvenzmasse« i.S.d. §§ 35 ff. InsO. Im Umkehrschluss hierzu ergibt sich zum einen, dass der Schuldner außerhalb der Insolvenzmasse stehendes – insolvenzfreies – Vermögen nach wie vor frei verwalten und uneingeschränkt darüber verfügen darf. Dies betrifft in erster Linie sein gem. § 36 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 850, 850c ZPO unpfändbares Arbeitseinkommen. Mit Recht hat daher der BGH in seinem Urteil vom 14.1.2010 (IX ZR 93/09, LEXinform 1560733) klargestellt, dass freiwillige Zahlungen des Insolvenzschuldners mit Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, nicht durch die §§ 87, 89 InsO untersagt sind und dadurch insbes. auch der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt wird.

6.3. Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer Personengesellschaft bzw. eines oder mehrerer Gesellschafter

6.3.1. Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer Personengesellschaft

Die folgende Übersicht zeigt die Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft.

Zur Insolvenz der Personengesellschaft s.a. AEAO zu § 251 Tz. 4.4.1.1. Zivilrechtlich wird die PersGes durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst. Steuerrechtlich besteht sie zunächst fort (s.a. AEAO zu § 122 Tz. 2.7.1).

6.3.2. Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Gesellschafters

6.3.2.1. Allgemeine Grundsätze

Die folgende Übersicht zeigt die Auswirkungen einer Gesellschafterinsolvenz auf eine Gesellschaft.

Verbleibt nur noch ein nicht insolventer Gesellschafter, kann die Gesellschaft nicht fortbestehen. In diesem Fall kommt es zur liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft unter Anwachsung des Gesellschaftsvermögens im Vermögen des letztverbliebenen Gesellschafters (Schädlich, NWB 48/2018, 3540 unter 3.c).

6.3.2.2. Besonderheiten bei der KG

Scheidet der einzige bzw. der letzte Komplementär aus der KG aus, führt das zur Auflösung der KG; die Haftungsbeschränkung der Kommanditisten wird dadurch zunächst nicht beeinträchtigt (s. Schädlich, NWB 48/2018, 3540 unter 3.B). Die Gemeinschafter G1 bis G3 (s.o.) führen die Gesellschaft fort.

Nach drei Monaten wandelt sich die KG kraft Gesetzes in eine OHG mit den entsprechenden haftungsrechtlichen Konsequenzen (Schädlich, NWB 48/2018, 3540 unter 3.b) oder die Gesellschafter nehmen eine neue Komplementärin auf und erhalten so die GmbH & Co. KG.

Mit Urteil vom 15.6.2018 (3 K 1568/15, EFG 2018, 1453, LEXinform 5021312, rkr.) hat das FG Rheinland-Pfalz zur sog. »Simultaninsolvenz« von KG und sämtlichen Gesellschaftern entschieden.

Entscheidungssachverhalt:

An der GmbH & Co. KG (KG), waren als einzige Komplementärin die G Verwaltungs-GmbH (GmbH) sowie als einziger Kommanditist Herr A beteiligt. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 1.12.10 wurde an diesem Tag um 9:00 Uhr das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH & Co. KG eröffnet. Ebenfalls am 1.12.10, 9:00 Uhr, wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH sowie des A eröffnet. Der Gesellschaftsvertrag sah das Ausscheiden des insolventen Gesellschafters vor.

Der Insolvenzverwalter I, der sowohl für die KG, die GmbH und für A bestellt wurde, machte geltend, dass die im Feststellungsbescheid des FA ausgewiesenen Beteiligten im Feststellungszeitraum nicht mehr Gesellschafter der Beigeladenen gewesen seien. Vielmehr seien diese im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem Gesellschaftsvertrag i.V.m. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB aus der KG ausgeschieden. Die KG bestünde zwar weiter, jedoch ohne Gesellschafter.

Entscheidungsgründe:

Die GmbH und A sind weiterhin Gesellschafter – und damit Mitunternehmer – der KG. Die gleichzeitige Eröffnung der Insolvenzverfahren über das Vermögen des einzigen persönlich haftenden Gesellschafters und des einzigen Kommanditisten einer KG führt weder zum Ausscheiden der Gesellschafter aus der KG noch zu dem liquidationslosen Erlöschen der Gesellschaft. Nach dem Wortlaut der Gesellschaftsvertrags und nach der gesetzlichen Regelung des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB sind sowohl die GmbH als auch A aus der KG ausgeschieden.

Im Urteilsfall liegt nicht lediglich eine sog. »vertikale Simultaninsolvenz«, d.h. die gleichzeitige Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer KG und ihres persönlich haftenden Gesellschafters vor, bei der letzterer – sofern keine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen wurde – aus der Gesellschaft ausscheidet, das Gesellschaftsvermögen dem verbleibenden Gesellschafter anwächst und die Gesellschaft liquidationslos erlischt, sondern die gleichzeitige Insolvenz sowohl der Kommanditgesellschaft als auch sämtlicher Gesellschafterhorizontale Simultaninsolvenz«).

Da in diesem Fall (horizontale Simultaninsolvenz) – mangels verbleibender Gesellschafter – die Möglichkeit des Anwachsens nicht besteht und gleichzeitig das Bestehen einer rechtlich verselbstständigten Vermögensmasse ohne staatlichen Hoheitsakt (vgl. § 80 Abs. 1 BGB) nicht möglich ist, kann die Vorschrift des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB – ebenso wie entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelungen – keine Anwendung finden.

6.4. Insolvenzverwaltung

6.4.1. Insolvenzverwalter

Sobald das Gericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, verliert der Schuldner i.d.R. die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (Ausnahme: Eigenverwaltung des Vermögens durch den Schuldner nach § 270 Abs. 1 InsO; § 27 Abs. 1 Satz 2 InsO; s.u. den Gliederungspunkt »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren«). Aus diesem Grunde wird vom Gericht ein Insolvenzverwalter bestellt (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und § 80 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter sichert, verwaltet, verwertet und verteilt die Insolvenzmasse. Der Insolvenzschuldner bleibt jedoch auch nach Insolvenzeröffnung der maßgebliche Unternehmer. Der Insolvenzverwalter nimmt hingegen die Stellung eines Vermögensverwalters i.S.v. § 34 Abs. 3 AO ein. Er hat daher nach § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen, d.h. Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen auch für Zeiträume vor der Insolvenzeröffnung sowie Leisten von Zahlungen nach den gesetzlichen Bestimmungen. Er wird nicht Vertreter des Schuldners, sondern ist lediglich ein gesetzlich legitimiertes und in Bezug auf die Insolvenzmasse kraft eigenen Rechts im eigenen Namen handelndes Organ. Auch wird er nicht Steuersubjekt. Der Schuldner behält für die steuerbaren Umsätze die Unternehmereigenschaft (s.a. AEAO Tz. 4.2 zu § 251 AO).

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Anfechtungskompetenz aus §§ 4, 11 AnfG gegen einen Duldungsbescheid auf den Insolvenzverwalter über. Wenn allerdings der Rechtsstreit gegen den Duldungsbescheid des FA nicht mehr anhängig ist, kann der Insolvenzverwalter das Verfahren nicht mehr aufnehmen (BFH Beschluss vom 24.7.2019, VII B 65/19, BStBl II 2020, 367; Anmerkung vom 25.9.2019, LEXinform 0881824).

Der in § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO geregelte Ausschluss juristischer Personen von der Bestellung zum Insolvenzverwalter ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das BVerfG mit Beschluss vom 12.1.2016 (1 BvR 3102/13, LEXinform 5213901) entschieden. Die Verfassungsbeschwerde einer Rechtsanwalts-GmbH, die aufgrund ihrer Eigenschaft als juristische Person nicht in die Vorauswahlliste eines Insolvenzgerichts aufgenommen wurde, hat das BVerfG zurückgewiesen. Der Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Mit der geordneten Durchführung des Insolvenzverfahrens, das neben der Durchsetzung privater Interessen auch die vom Staat geschuldete Justizgewähr verwirklicht, schützt der Gesetzgeber ein Rechtsgut von hohem Rang. Er durfte aus den Besonderheiten der intensiven insolvenzgerichtlichen Aufsicht über den Insolvenzverwalter die Notwendigkeit ableiten, dass nur eine natürliche Person mit diesem Amt betraut werden soll. Zudem verfügen juristische Personen auch unter der geltenden Gesetzeslage – jedenfalls faktisch – über einen Marktzugang, der ihnen eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit bei Unterstützung von Insolvenzverwaltern ermöglicht (s.a. Pressemitteilung des BVerfG vom 11.2.2016, LEXinform 0444082).

Die Festsetzung von Zwangsgeld zur Durchsetzung der steuerlichen Erklärungspflichten des Insolvenzverwalters ist weder unverhältnismäßig noch ermessensfehlerhaft, auch wenn voraussichtlich nicht mit steuerlichen Auswirkungen zu rechnen ist (BFH Urteil vom 6.11.2012, VII R 72/11, BStBl II 2013, 141).

Zur ertragsteuerlichen Behandlung der Insolvenzverwaltertätigkeit hat der BFH mit Urteil vom 15.12.2010 (VIII R 50/09, BStBl II 2011, 506) entschieden, dass Einkünfte aus einer Tätigkeit als Insolvenzverwalter oder aus der Zwangsverwaltung von Liegenschaften, auch wenn sie von Rechtsanwälten erzielt werden, grundsätzlich den Einkünften aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zuzurechnen sind. Auch die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter ist eine vermögensverwaltende Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG (BFH Urteil vom 27.8.2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002, Rz. 24 und 25). Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter oder Zwangsverwalter die Tätigkeit unter Einsatz vorgebildeter Mitarbeiter ausübt, sofern er dabei selbst leitend und eigenverantwortlich tätig bleibt; insoweit ist § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 und 4 EStG entsprechend anzuwenden (Aufgabe der Rspr. zur sog. Vervielfältigungstheorie).

Auch eine Partnerschaftsgesellschaft, die Insolvenzverwaltung betreibt, erzielt auch dann Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG, wenn sie fachlich vorgebildete Mitarbeiter einsetzt, sofern ihre Gesellschafter als Insolvenzverwalter selbst leitend und eigenverantwortlich tätig bleiben (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG; BFH Urteil vom 26.1.2011, VIII R 3/10, BStBl II 2011, 498; bestätigt durch BFH Urteil vom 27.8.2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002). Dies setzt allerdings nicht voraus, dass jeder Gesellschafter in allen Unternehmensbereichen leitend tätig ist und an jedem Auftrag mitarbeitet. »Teamarbeit« oder Mitarbeit ist grundsätzlich ausreichend, aber auch in dem Sinne erforderlich, dass sich jeder Gesellschafter kraft seiner persönlichen Berufsqualifikation an der »Teamarbeit« beteiligt. Die Gesellschafter müssen an der Bearbeitung der erteilten Aufträge zumindest in der Weise mitwirken, dass die Berufsträger die mit einem übernommenen Auftrag verbundenen Aufgaben untereinander aufteilen und jeder den ihm zugewiesenen Aufgabenbereich aufgrund seiner Sachkenntnis eigenverantwortlich leitet (s.a. BFH Urteil vom 10.10.2012, VIII R 42/10, BStBl II 2013, 79).

Im Revisionsverfahren VIII R 6/12 vom 27.8.2014 (BStBl II 2015, 1002) war eine aus sieben Anwälten bestehende Rechtsanwalts-GbR durch den Gesellschafter X auch auf dem Gebiet der Insolvenzverwaltung tätig. In den Streitjahren 2003 und 2004 waren zusätzlich drei Rechtsanwälte angestellt, von denen Y jährlich 25 bzw. 38 Mal zum Insolvenzverwalter/Treuhänder bestellt wurde.

Nach den Feststellungen des BFH hat die GbR, soweit die Mitunternehmer-Gesellschafter als Rechtsanwälte tätig waren, eine freiberufliche Tätigkeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt. Soweit der Mitunternehmer-Gesellschafter X darüber hinaus als (vorläufiger) Insolvenzverwalter tätig war, erzielt die GbR Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Die GbR hat auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, da die Vergütungen aus den von dem angestellten Rechtsanwalt Y als Insolvenzverwalter geführten Verfahren nicht auf eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit der Mitunternehmer der GbR entfielen.

Die Einkünfte der GbR werden jedoch nicht nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zu solchen aus Gewerbebetrieb umqualifiziert. Denn obwohl es sich bei den von Y als Insolvenzverwalter erzielten Umsätzen der GbR mangels leitender und eigenverantwortlicher Tätigkeit der Gesellschafter um eine gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG handelt, ist diese von so untergeordneter Bedeutung, dass die Umqualifizierung der Einkünfte der GbR in gewerbliche Einkünfte zu einem unverhältnismäßigen Ergebnis führen würde.

Im Unterschied zur sog. gemischten Tätigkeit eines Einzelunternehmers, bei dem gleichzeitig verrichtete gewerbliche und freiberufliche Betätigungen selbst bei sachlichen und wirtschaftlichen Berührungspunkten in der Regel getrennt zu beurteilen sind, fingiert die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG für gemischt tätige Personengesellschaften sämtliche Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb, wenn die Personengesellschaft neben nicht gewerblichen Tätigkeiten gleichzeitig eine gewerbliche Tätigkeit ausübt. Unerheblich ist dabei nach dem Wortlaut der Norm, ob der gewerblichen Tätigkeit im Rahmen des gesamten Unternehmens nur geringfügige wirtschaftliche Bedeutung zukommt (BFH Urteile vom 10.8.1994, I R 133/93, BStBl II 1995, 171 und vom 19.2.1998, IV R 11/97, BStBl II 1998, 603).

Eine Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß, die nicht dazu führt, dass die gesamte Tätigkeit der Personengesellschaft einheitlich als gewerblich fingiert wird, liegt dann vor, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft und den Betrag von 24 500 € im Veranlagungszeitraum nicht übersteigen (BFH Urteil vom 27.8.2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002, Rz. 53). Dabei sind die Nettoumsätze zugrunde zu legen, um das Verhältnis der Umsätze bei unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen nicht zu verfälschen (s.a. Anmerkung vom 17.2.2015, LEXinform 0652579).

Zur einkommensteuerrechtlichen Qualifizierung der Tätigkeit eines Insolvenzverwalters siehe die ausführlichen Erläuterungen unter → Einkünfte aus selbstständiger Arbeit.

Zur Unternehmereigenschaft eines Insolvenzverwalters s.a. die Vfg. der OFD Frankfurt vom 20.1.2010 (S 7104 A – 81 – St 110, UR 2010, 921). Die von einem für eine Rechtsanwaltskanzlei als Insolvenzverwalter tätigen Rechtsanwalt ausgeführten Umsätze sind der Kanzlei zuzurechnen. Dies gilt sowohl für einen angestellten als auch für einen an der Kanzlei als Gesellschafter beteiligten Rechtsanwalt, selbst wenn dieser ausschließlich als Insolvenzverwalter tätig ist und im eigenen Namen handelt. Die Rechtsanwaltskanzlei rechnet über diese Umsätze im eigenen Namen und unter Angabe ihrer eigenen Steuernummer ab (§ 14 Abs. 4 UStG). Es findet insofern kein Leistungsaustausch zwischen der Rechtsanwaltskanzlei und dem Rechtsanwalt statt (s.a. BMF vom 28.7.2009, BStBl I 2009, 864).

6.4.2. Vergütung des Insolvenzverwalters

6.4.2.1. Grundlage für die Berechnung der Vergütung

Insolvenzverwalter erbringen mit ihrer Geschäftsführung i.S.d. § 63 Satz 1 InsO im Rahmen einer Dienstleistung eine sonstige Leistung für das Unternehmen des Gemeinschuldners. Eine sonstige Leistung wird im Zeitpunkt ihrer Vollendung, d.h. mit dem Ende der Erfüllungshandlungen bewirkt (s.a. Abschn. 13.1 Abs. 3 Satz 1 UStAE). Der Leistungszeitraum für die sonstige Leistung des Insolvenzverwalters beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Gericht. Im Rahmen des Schlusstermins nach § 197 InsO erfolgt die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Schlussrechnung des Insolvenzverwalters und die Genehmigung der Auszahlung der Quote an die Insolvenzgläubiger. Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht auf Antrag des Insolvenzverwalters die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO). Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hat lediglich deklaratorischen Charakter. Die Leistung des Insolvenzverwalters ist erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 Abs. 1 InsO erbracht, soweit keine anderen Beendigungsgründe vorliegen. Erst mit diesem Beschluss endet das Amt des Insolvenzverwalters (BFH Urteil vom 2.12.2015, V R 15/15, BStBl II 2016, 486). Dementsprechend entsteht die USt in diesem Zeitpunkt und muss mit dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Umsatzsteuersatz versteuert werden.

Zur Berücksichtigung einer Umsatzsteuererstattung an die Masse bei der Bemessung der Verwaltervergütung hat der BGH mit Beschluss vom 25.10.2007 (IX ZB 147/06, UR 2008, 236) wie folgt entschieden: Eine Umsatzsteuererstattung, die die Masse bei Einreichung der Schlussrechnung mit Sicherheit noch zu erwarten hat, ist bei der Bemessungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters zu berücksichtigen. Das gilt auch dann, wenn sich dieser Anspruch aus dem Vorsteuerabzug hinsichtlich der festzusetzenden Vergütung des Verwalters ergibt.

Grundlage für die Berechnung der Vergütung des Insolvenzverwalters ist gem. § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO der Wert der Insolvenzmasse bei Beendigung des Verfahrens (s.a. §§ 1 ff. InsVV). Nach dem BGH-Beschluss vom 11.11.2021 (IX ZB 19/20, LEXinform 4241247) wird im Allgemeinen der Anspruch des Insolvenzverwalters nach Erledigung der zu vergütenden Tätigkeit fällig. Eine Vergütungsfestsetzung für einzelne Zeitabschnitte eines Insolvenzverfahrens sehen weder die Insolvenzordnung noch die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung vor.

Solange der Insolvenzverwalter weitere Verwertungsmaßnahmen durchführt, ist seine Tätigkeit nicht erledigt. Ist der Anspruch auf eine Vergütung noch nicht fällig, kommt nur eine Festsetzung eines Vorschusses in Betracht (BGH Beschluss vom 21.7.2016, IX ZB 70/14, BB 2016, 1985, LEXinform 1655244; s. den nachfolgenden Gliederungspunkt).

Zwar setzt die Fälligkeit nicht die Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens durch gerichtlichen Beschluss voraus. Jedoch muss das Geschäft erledigt sein. Dies ist der Fall, wenn das Insolvenzverfahren abschlussreif ist. Im Regelfall gehört zu den von dem Insolvenzverwalter zuvor zu erledigenden Aufgaben nach § 66 Abs. 1 InsO, dass er bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung legt. Unabhängig davon muss die Verwertung der Insolvenzmasse abgeschlossen sein. Solange der Insolvenzverwalter weitere Verwertungsmaßnahmen durchführt, ist seine Tätigkeit nicht erledigt. Demgemäß kann der Insolvenzverwalter im Regelfall eine Festsetzung seiner Vergütung erst verlangen, wenn nur noch der Schlusstermin und die (abschließende) Schlussverteilung ausstehen (BGH IX ZB 19/20, Rz. 16).

Beachte:

Durch Art. 6 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 die InsVV geändert.

Einnahmen der Masse, die noch nicht feststehen, können grundsätzlich noch nicht Grundlage der Vergütungsfestsetzung des Verwalters sein. Steht aber ein späterer Massezufluss bei Einreichung der Schlussrechnung schon mit Sicherheit fest, ist dieser bereits bei der Schlussrechnung und der hierauf gestützten Vergütungsfestsetzung zu berücksichtigen. Steuererstattungsansprüche der Masse, die nach Einreichung der Schlussrechnung mit Sicherheit zu erwarten sind, werden deshalb in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Voraussetzung ist allerdings, dass diese tatsächlich an die Masse ausbezahlt werden und daher die Masse erhöhen.

Bezieht man in die Berechnungsgrundlage der Vergütung des Insolvenzverwalters die zu erwartende Vorsteuererstattung i.H.d. USt ein, die auf seine ohne Vorsteuererstattung berechnete Vergütung zu zahlen ist, ergibt sich eine höhere Vergütung. Dies führt zu einer entsprechend höheren USt und diese wiederum zu einem erhöhten Betrag an Vorsteuererstattung. Berücksichtigt man diese Erhöhung erneut bei der Berechnungsgrundlage der Verwaltervergütung, setzt sich die wechselweise Erhöhung von USt, Vorsteuererstattung und Verwaltervergütung fort. Die jeweilige Erhöhung verringert sich aber mit jedem Rechenschritt und bewegt sich letztlich gegen Null. Bei welchem Betrag es praktisch zur Deckung kommt, kann allerdings nur in mehreren Rechenschritten ermittelt werden.

Mit Urteil vom 26.2.2015 (IX ZB 9/13, BFH/NV 2015, 944) hat der BGH das Problem in der Art gelöst, dass nur derjenige Vorsteuerbetrag in die Berechnungsgrundlage einzubeziehen ist, der sich nach der ohne eine Vorsteuererstattung ermittelten Vergütung des Insolvenzverwalters bemisst. Zwar kann und muss der Insolvenzverwalter den Vorsteuerbetrag, der sich aus der so (unter Einbeziehung der »ersten« Vorsteuererstattung) ermittelten Vergütung und der von ihm entsprechend auszustellenden Rechnung ergibt, für die Masse beim FA geltend machen. Kommt es zu einer Vorsteuererstattung, dann stellt dies einen nachträglichen Massezufluss dar, der grundsätzlich erneut bei der Berechnungsgrundlage berücksichtigt werden und zu einer weiteren Erhöhung der Vergütung führen kann. Im Voraus können solche mögliche spätere Erstattungen jedoch nicht in die Berechnungsgrundlage der Verwaltervergütung einbezogen werden, weil nicht sicher ist, dass sie tatsächlich erfolgen. Zweifel bestehen deswegen, weil die späteren Erstattungsanträge eine Berichtigung des ursprünglich geltend gemachten Vorsteuerabzugs zum Gegenstand hätten, deren Ursache allein darin läge, dass sich durch die vorangegangene, dieselbe Leistung betreffende Vorsteuererstattung die Vergütung des Insolvenzverwalters und damit die Grundlage für die Bemessung der Vorsteuer änderte.

6.4.2.2. Vergütungsvorschuss

Vor Beendigung des Insolvenzverfahrens kann der Insolvenzverwalter nach § 9 InsVV einen Vorschuss auf die Vergütung und die Auslagen aus der Insolvenzmasse entnehmen, wenn das Insolvenzgericht zustimmt. Die Zustimmung soll erteilt werden, wenn das Insolvenzverfahren länger als sechs Monate dauert oder wenn besonders hohe Auslagen erforderlich werden.

Nach der Entscheidung des BFH vom 7.11.2018 (IV R 20/16, BStBl II 2019, 224; Anmerkung vom 29.1.2019, LEXinform 0881246) handelt es sich bei der Vergütung des Insolvenzverwalters um eine Gesamtvergütung für eine einheitliche Tätigkeit während des gesamten Insolvenzverfahrens, da sich die Vergütung nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens bemisst. Der Insolvenzverwalter hat demnach die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung grundsätzlich erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens erbracht. Erst zu diesem Zeitpunkt tritt die Gewinnrealisierung ein und ist die Forderung auf die Gesamtvergütung (gewinnrealisierend) zu aktivieren.

Bei dem in § 9 InsVV vorgesehenen Betrag, den der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts aus der Insolvenzmasse entnehmen darf, handelt es sich nicht um eine Vergütung für eine selbstständig abrechenbare und vergütungsfähige Teilleistung, sondern um einen bloßen Vorschuss auf die (endgültige) Vergütung, der noch nicht zu einer Gewinnrealisierung führt.

Vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens sind demnach die bereits aus der Insolvenzmasse entnommenen Vorschüsse nach § 9 InsVV als erhaltene Anzahlungen zu passivieren.

Ermittelt der Insolvenzverwalter den Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung, sind die Vorschüsse im Zeitpunkt des Zuflusses in voller Höhe als Betriebseinnahme zu erfassen (s.a. BayLfSt vom 3.6.2019, S 2134.1.1 – 10/5/St 32, DStR 2019, 1469, LEXinform 5236910).

6.4.3. Verwertung von Sicherungsgut durch den Insolvenzverwalter

6.4.3.1. Verlust der Sicherungsrechte

Die Eröffnung des Insolvenzverfahren hat die Wirkung, dass alle im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherungsrechte ihre Wirksamkeit verlieren (§ 88 InsO; AEAO Tz. 4.1.1 Abs. 3 zu § 251 AO).

6.4.3.2. Bewegliches Sicherungsgut

Nach § 166 Abs. 1 InsO können Insolvenzverwalter bewegliche Sachen, die sich in ihrem Besitz befinden, auch dann freihändig verwerten, wenn an diesen ein Absonderungsrecht (z.B. Sicherungseigentum) besteht. Der Insolvenzverwalter entnimmt in diesem Falle vorweg aus der Insolvenzmasse:

  • die Kosten der Feststellung des Gegenstandes mit einem Pauschalbetrag von 4 % des Verwertungserlöses (§ 171 Abs. 1 InsO) und

  • die Kosten der Verwertung mit 5 % des Verwertungserlöses oder den tatsächlich entstandenen Verwertungskosten, wenn diese erheblich höher oder erheblich niedriger sind (§ 171 Abs. 2 InsO).

Durch die Feststellungskostenpauschale (§ 171 Abs. 1 InsO) sollen die Aufwendungen für die Feststellung und Zuordnung von Sicherheiten zu einzelnen Gläubigern auf der Grundlage der Sicherungsverträge und die Trennung von Sicherungsgegenständen abgedeckt werden.

Die Verwertungskostenpauschale (§ 171 Abs. 2 InsO) soll den Aufwand erfassen, der durch die Veräußerung des mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstandes entsteht (Zeit- und Arbeitsaufwand des Verwalters, Sachverständigengutachten etc.).

Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Verwertung von Sicherungsgut s. Abschn. 1.2 Abs. 4 UStAE sowie das BMF-Schreiben vom 30.4.2014 (BStBl I 2014, 816; → Verschaffung der Verfügungsmacht unter dem Gliederungspunkt »Sicherungsübereignung«).

6.4.3.3. Unbewegliches Sicherungsgut

Mit Urteil vom 18.8.2005 (V R 31/04, BStBl II 2007, 183) hat der BFH entschieden, dass der Insolvenzverwalter mit der Veräußerung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks eine entgeltliche sonstige Leistung (Geschäftsbesorgung) an den Grundpfandgläubiger erbringt, wenn er einen Teil des Veräußerungserlöses für die Masse einbehält. Zur Begründung führte der BFH aus, dass der Insolvenzverwalter kein gesetzliches Recht besitzt, die Verwertungskosten vom Veräußerungserlös für die Masse einzubehalten (§ 170 Abs. 1 InsO bezieht sich nur auf bewegliche Sachen und Forderungen). Dieser Teil des Veräußerungserlöses ist daher Entgelt für die sonstige Leistung des Insolvenzverwalters (Abschn. 1.2 Abs. 4 UStAE).

Mit Urteil vom 28.7.2011 (V R 28/09, BStBl II 2014, 406) hat der BFH seine bisherige Rechtsauffassung bestätigt. Die Leistungen eines Insolvenzverwalters bei dem freihändigen Verkauf von mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücken und der Einziehung mit Pfandrechten belasteter Mietforderungen im Wege der »kalten Zwangsverwaltung« gegen Einbehaltung eines Massekostenbeitrages bzw. Inkassogebühren unterliegen als entgeltliche Geschäftsbesorgung im Auftrag der absonderungsberechtigten Gläubiger der USt. In seinem Urteil vom 28.7.2011 (V R 28/09, BStBl II 2014, 406) betont der BFH ausdrücklich, dass nur dann eine entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung an den Grundpfandgläubiger vorliegt, wenn der Insolvenzverwalter vom Verwertungserlös einen Massekostenbeitrag zugunsten der Masse einbehalten darf. Vergleichbares gilt für die freihändige Verwaltung grundpfandrechtsbelasteter Grundstücke durch den Insolvenzverwalter. An einem Entgelt fehlt es allerdings, wenn vereinbarungsgemäß bei einem die besicherte Forderung übersteigenden Erlös kein Massebeitrag einbehalten werden darf (s.a. Anmerkung vom 6.10.2011, LEXinform 0941015 sowie das BMF-Schreiben vom 30.4.2014, BStBl I 2014, 816, → Verschaffung der Verfügungsmacht unter dem Gliederungspunkt »Veräußerung des mit einem Grundpfandrecht belasteten Grundstücks durch den Insolvenzverwalter«).

Hinweis:

Zu der Zwangsverwaltung bzw. der sog. kalten Zwangsverwaltung s. die Erläuterungen unter dem Gliederungspunkt »Vermietung von zwangsverwaltetem Grundbesitz«.

6.4.4. Einsicht des Insolvenzverwalters in Steuerakten des Insolvenzschuldners

Mit Urteil vom 24.11.2009 (1 K 1752/07, EFG 2010, 930, LEXinform 5009823, Rechtsausführungen bestätigt durch BFH-Beschluss vom 15.9.2010, II B 4/10, BFH/NV 2011, 2, LEXinform 5905802) hat das FG Rheinland-Pfalz zu der Frage Stellung genommen, ob und ggf. in welchem Umfang ein Insolvenzverwalter (Kläger) Anspruch auf Einsicht in die Steuerakten des Insolvenzschuldners (Schuldner) hat.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht dem Insolvenzverwalter, der nach § 34 Abs. 3 und 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, das Recht zu, dass die Finanzbehörde über seinen im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren gestellten Antrag auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet. Das Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters reicht grundsätzlich nicht weiter als das zunächst dem Insolvenzschuldner zustehende Akteneinsichtsrecht.

Zu den Auskunftsrechten des Insolvenzverwalters gegenüber dem FA s. AEAO zu § 251 Tz. 4.5 sowie OFD Frankfurt vom 15.5.2018 (S 0130 A – 115 – St 23, DB 2018, 1957).

Ein Insolvenzverwalter ist hinsichtlich der beim FA gespeicherten personenbezogenen Daten des Insolvenzschuldners nicht Betroffener i.S.v. Art. 15 Abs. 1 DSGVO. Bei dem datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht, das untrennbar mit der Person des Schuldners verknüpft und einer von der Person des Schuldners losgelösten Verwertung nicht zugänglich ist. Damit wird es nicht Teil der Insolvenzmasse (OVG Bremen Beschluss vom 10.1.2023, 1 LA 420/21, LEXinform 4264134).

7. Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

7.1. Grundsätzliches zur Anwendung

Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.12.2011 (BGBl I 2011, 2582) und Berichtigung vom 19.12.2011 (BGBl I 2011, 2800) wird u.a. ab 1.3.2012 (Inkrafttreten Art. 10 ESUG) die Fortführung von sanierungsfähigen Unternehmen erleichtert (§ 270b InsO – Schutzschirmverfahren) sowie der Zugang zur Eigenverwaltung (bisher § 270 InsO – jetzt §§ 270 und 270a InsO) vereinfacht.

Die Vorschriften der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) gelten nicht für Verbraucherinsolvenzverfahren i.S.v. §§ 304 ff. InsO (§ 270 Abs. 1 Satz 3 InsO; s.u. den Gliederungspunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren«).

Mit Art. 5 Nr. 37 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) werden u.a. mit Wirkung ab 1.1.2021 die §§ 270 bis 270c InsO a.F. durch die §§ 270 bis 270f InsO n.F. ersetzt (Regelungen zum Eigenverwaltungsverfahren). Die Regelungen zum Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren werden dadurch erschwert, dass nach § 270a InsO n.F. der Schuldner seinem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung einen Eigenverwaltungsplanung beifügen muss (s.u. den Gliederungspunkt »Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung«). Bei Zahlungsunfähigkeit ist das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren aufzuheben (§ 270d Abs. 4 i.V.m. § 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO n.F.).

7.2. Regelungen ab 1.1.2021

Mit den §§ 270 bis 270f InsO n.F. wird Schuldnern eine rechts- und planungssichere Option für den Zugang zum Verfahren geboten. Andererseits wird die beantragte Eigenverwaltung an den Interessen der Gläubigerschaft ausgerichtet. Wesentlicher Baustein dieses Zugangs ist eine Eigenverwaltungsplanung, mit welcher der Schuldner ein auf die Krisenursachen und Krisenerscheinungen rückführbares Konzept für die Bewältigung der Insolvenz bzw. Durchführung des Insolvenzverfahrens vorzulegen und darzulegen hat, wie die Unternehmensfortführung in den nächsten sechs Monaten gewährleistet und finanziert werden kann (Finanzplan nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO). Auch muss die Planung Darlegungen zu den Kostenimplikationen der Eigenverwaltung im Vergleich zum Regelverfahren enthalten. Bei Vorlage einer vollständigen und schlüssigen Planung kann dem Schuldner der Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung nur dann verweigert werden, wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Planung in wesentlichen Punkten von unzutreffenden Tatsachen ausgeht. Der Anordnung steht es auch entgegen, wenn

  • wesentliche Zahlungsrückstände gegenüber ArbN oder anderen wesentlichen Gläubigern bestehen,

  • der Schuldner in den letzten drei Geschäftsjahren seinen handelsrechtlichen Offenlegungspflichten nicht nachgekommen ist oder

  • in den letzten drei Jahren vor dem Antrag bereits ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren anhängig war oder

  • der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen hat.

In allen diesen Fällen ist die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht per se ausgeschlossen. Sie kommt aber nur in Betracht, wenn nach der Überzeugung des Gerichts trotz dieser Umstände anzunehmen ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigerschaft auszurichten.

Die Vorschriften der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) gelten nicht für Verbraucherinsolvenzverfahren i.S.v. §§ 304 ff. InsO (§ 270 Abs. 2 InsO n.F.; s.u. den Gliederungspunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren«).

7.3. Überblick über den Ablauf der Eigenverwaltungsplanung, dem Schutzschirmverfahren bis zur Anordnung der Eigenverwaltung

7.3.1. Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung

Mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (s.o. §§ 13, 15a InsO) wegen

  • drohender Zahlungsunfähigkeit (s.o.; § 18 InsO; s.a. § 270c Abs. 5 InsO) oder

  • Überschuldung (s.o.; § 19 InsO; s.a. § 270d Abs. 1 InsO)

stellt der Schuldner zusätzlich einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270a Abs. 1 InsO). Diesem Antrag ist eine Eigenverwaltungsplanung beizufügen, der Folgendes umfasst (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO):

  1. einen Finanzplan, der den Zeitraum von sechs Monaten abdeckt und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll,

  2. ein Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens,

  3. eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern,

  4. eine Darstellung der Vorkehrungen, die der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, insolvenzrechtliche Pflichten zu erfüllen, und

  5. eine begründete Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten, die im Rahmen der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren und im Verhältnis zur Insolvenzmasse voraussichtlich anfallen werden.

Hinweis:

Das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 31.10.2022 (BGBl I 2022, 1966) enthält in Art. 9 Änderungen des COVInsAG. Diese Änderungen sind am 9.11.2022 in Kraft getreten (Art. 10 Satz 2 des Gesetzes vom 31.10.2022).

Das COVInsAG wird dabei umbenannt in »Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG)«.

Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 SanInsKG (bisheriges COVInsAG) wird der Planungszeitraum des § 270 Abs. 1 Nr. 1 InsO von sechs Monaten auf vier Monate verkürzt. Die Regelung gilt in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 (s.a. Schädlich, NWB 2/2023, 117; s.o. den Gliederungspunkt »Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes«).

Die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270b InsO) und damit mittelbar auch für die Eigenverwaltung (§ 270f InsO) knüpfen an den Gegenstand dieser Antragsanlagen an. Nach § 270b Abs. 1 InsO wird die vorläufige Eigenverwaltung bei vollständiger und schlüssiger Eigenverwaltungsplanung angeordnet.

Mit dem Erfordernis der Vorlage einer Eigenverwaltungsplanung nach § 270a Abs. 1 InsO wird dreierlei erreicht. Erstens wird ein die Eigenverwaltung anstrebender Schuldner angehalten, diese sorgfältig vorzubereiten, diese Vorbereitung ordentlich zu dokumentieren und sich dabei selbst der Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit des Eigenverwaltungsvorhabens zu versichern. Zweitens wird einem Schuldner, der die Eigenverwaltung sorgfältig vorbereitet und eine den von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehende, vollständige und schlüssige Planung vorlegt, ein rechtssicherer Weg in die Eigenverwaltung aufgezeigt. Und drittens muss sich der Schuldner während der Eigenverwaltung an den vorgelegten Angaben, insbes. zum Finanzplan, zum Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens und zu den Kostenauswirkungen der Eigenverwaltung messen lassen. Handlungen und Maßnahmen, die sich mit dem vorgelegten Konzept nicht vereinbaren lassen oder dessen Realisierung gar gefährden, das Bekanntwerden von nicht offengelegten Umständen oder eine Sprengung des Rahmens der Kostenschätzung können wie auch nicht nachvollziehbare Änderungen im verfolgten Konzept Anknüpfungspunkte für eine Beendigung der Eigenverwaltung bilden.

Der Schuldner hat nach § 270a Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO u.a. eine Erklärung darüber vorzulegen, ob, in welchem Umfang und wem gegenüber er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen, einem Steuerschuldverhältnis, gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten in Vollzug befindet.

7.3.2. Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung

Die Voraussetzungen der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung sind in § 270b InsO geregelt. Für die Zeit nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann das Insolvenzgericht statt eines vorläufigen Insolvenzverwalters einen vorläufigen Sachwalter bestellen (§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO).

Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung sind, dass

  1. die Eigenverwaltungsplanung vollständig und schlüssig ist und

  2. die Eigenverwaltungsplanung nicht zur Kenntnis des Gerichts in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht.

Liegt eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung vor, ist das Gericht gehalten, die vorläufige Eigenverwaltung anzuordnen.

Weist die Eigenverwaltungsplanung behebbare Mängel auf, kann das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung dennoch anordnen und eine Frist zur Behebung der Mängel setzen. Die Frist zur Behebung der Mängel darf 20 Tage nicht überschreiten. Durch diese Regelung soll dem Schuldner die Möglichkeit zur Nachbesserung der Eigenverwaltungsplanung gegeben werden (§ 270b Abs. 1 Satz 2 InsO).

Unter den Voraussetzungen des § 270b Abs. 2 InsO soll die vorläufige Eigenverwaltung nur dann angeordnet werden, wenn eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts ergibt, dass die Eigenverwaltung trotz des Vorliegens dieser Sachverhalte im Interesse der Gläubiger liegt. Es handelt sich dabei um Zahlungsrückstände gegenüber ArbN oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den weiteren in § 270a Abs. 2 Nr. 1 InsO genannten Gläubigern (s.o.).

7.3.3. Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung

Bestellt das Gericht entgegen dem schuldnerischen Antrag einen vorläufigen Insolvenzverwalter, ist die Entscheidung zu begründen. Das ermöglicht es der Gläubigerversammlung, auf Basis der Begründung zu entscheiden, ob eine nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 271 InsO beantragt werden soll (§ 270b Abs. 4 InsO; BT-Drs. 1924181, 206).

Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt und die Eigenverwaltung beantragt, sieht das Gericht jedoch die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat es seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen (§ 270c Abs. 5 InsO n.F., bisher § 270a Abs. 2 InsO a.F.).

7.3.4. Das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren

Nach § 270c Abs. 1 InsO kann das Gericht den vorläufigen Sachwalter beauftragen, Bericht zu erstatten über

  1. die Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Plausibilität der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere, ob diese von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und durchführbar erscheint,

  2. die Vollständigkeit und Geeignetheit der Rechnungslegung und Buchführung als Grundlage für die Eigenverwaltungsplanung, insbesondere für die Finanzplanung und

  3. das Bestehen von Haftungsansprüchen des Schuldners gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder der Organe.

Ob eine Berichterstattung beauftragt wird, liegt im Ermessen des Gerichts. Eine Beauftragung kann sich insbes. anbieten, wenn Zweifel bestehen, ob die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO aufzuheben ist.

Nach § 270c Abs. 2 InsO hat der Schuldner dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter unverzüglich wesentliche Änderungen mitzuteilen, welche die Eigenverwaltungsplanung betreffen.

Das Gericht kann vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 bis 5 InsO anordnen (§ 270c Abs. 3 InsO). Auf Antrag des Schuldners hat es ein Vollstreckungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO anzuordnen. Die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sowie die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots kommen als vorläufige Sicherungsmaßnahmen hingegen nicht in Betracht, da sie mit dem Erhalt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht vereinbar sind (BT-Drs. 19/24181, 206). Wenn die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO angeordnet wird, kann das Gericht als vorläufige Sicherungsmaßnahme auch anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter bedürfen (§ 270c Abs. 3 Satz 2 InsO). Mit einer solchen Anordnung wird die Verfügungsbefugnis des Schuldners, der in der (vorläufigen) Eigenverwaltung gerade erhalten werden soll, temporär eingeschränkt. Dies ist gerechtfertigt, weil noch nicht feststeht, ob die Mängel der Eigenverwaltungsplanung innerhalb der gesetzten Frist behoben werden und die vorläufige Eigenverwaltung daher bestehen bleibt oder gem. § 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO aufzuheben ist. Sobald feststeht, dass die Mängel fristgerecht beseitigt wurden, ist die ergangene Anordnung aufzuheben.

Im Rahmen des SanInsFoG vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wurde die InsO bezüglich der Regelungen zum Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270 ff. InsO) ergänzt. Nach § 276a Abs. 3 InsO in der ab dem 1.1. 2021 geltenden Fassung findet nunmehr § 276a Abs. 1 InsO auch vor Verfahrenseröffnung Anwendung, wenn die vorläufige Eigenverwaltung oder eine andere Sicherungsmaßnahme angeordnet wurde.

Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige PersGes, so haben der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners. Die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung ist nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimmt. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt.

Zu den Auswirkungen der Anordnungen der vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und Erlass einer Anordnung i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO auf eine umsatzsteuerliche Organschaft s. das BMF-Schreiben vom 4.3.2021 (BStBl I 2021, 316) sowie Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 6 UStAE (→ Insolvenzen und Steuern unter dem Gliederungspunkt »Insolvenz in Fällen umsatzsteuerlicher Organschaft«).

Zu der Auswirkung der Regelung des § 276a Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 InsO in der ab 1.1.2021 geltenden Fassung auf eine umsatzsteuerliche Organschaft s. das BMF-Schreiben vom 22.6.2021 (BStBl I 2021, 856) sowie Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 7 UStAE.

Des Weiteren hat das Gericht auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. § 55 Abs. 2 InsO gilt entsprechend (§ 270c Abs. 4 InsO). Dies aber nur dann, wenn die entsprechende Verbindlichkeit in dem als Teil der Eigenverwaltungsplanung vorgelegten Finanzplan aufgenommen ist. Zur Aufstellung eines Finanzplans s. § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Begründung von Masseverbindlichkeiten für Verbindlichkeiten, die nicht in dem Finanzplan aufgenommen sind, ist nicht ausgeschlossen. Sie steht im Ermessen des Gerichts und ist nach § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO besonders zu begründen. Damit das Gericht gegebenenfalls eine entsprechende Anordnung treffen kann, muss der Schuldner im Antrag begründen, warum die Anordnung auch Verbindlichkeiten erfassen soll, die nicht vom Finanzplan umfasst sind.

Hinweis:

Zur Qualifizierung einer USt-Forderung als Masseverbindlichkeit im Rahmen eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens hat der BFH mit Urteil vom 7.5.2020 (V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178, LEXinform 0952519) entschieden, dass die Insolvenzschuldnerin im Rahmen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nicht ausschließlich Masseverbindlichkeiten begründen kann. Der BGH vertritt dazu die Auffassung, dass im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nicht stets Masseverbindlichkeiten begründet werden (vgl. BGH vom 22.11.2018, IX ZR 167/16; LEXinform 1672512; Sterzinger, UStB 5/2019, 153). Der Schuldner begründet im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren auch außerhalb des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO a.F. nur insoweit Masseverbindlichkeiten, als er vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist die Bestimmung des § 55 Abs. 4 InsO a.F. nicht entsprechend anwendbar. Eine solche strikte Begründung von Masseverbindlichkeiten führt nach Ansicht des BGH zu einer Auszehrung der späteren Insolvenzmasse. Dies liefe der vollständigen Befriedigung der Massegläubiger und der weiteren Betriebsfortführung sowie der Sanierung als den obersten Zielen des Insolvenzverfahrens (§ 1 Satz 1 InsO) zuwider.

Anders als im vorläufigen Regelverfahren handelt es sich bei den im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren entstehenden Steuerschulden nicht um Masseverbindlichkeiten, sondern um Insolvenzforderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur zur Tabelle angemeldet und quotal befriedigt werden können.

Beachte:

Mit Art. 5 Nr. 14 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird § 55 Abs. 4 InsO mit Wirkung ab 1.1.2021 geändert. Nach der Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO gelten die dort genannten Verbindlichkeiten auch dann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten, wenn sie u.a. vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind (s.a. BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 3). Zu den Masseverbindlichkeiten s. → Insolvenzen und Steuern unter dem Gliederungspunkt »Geltendmachung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis« und dort »Masseverbindlichkeiten« sowie unter dem Gliederungspunkt »Die Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren« und dort den Gliederungspunkt »Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.

7.3.5. Vorbereitung einer Sanierung und Schutzschirm

Bei einer angestrebten Sanierung nach § 270d InsO kann das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans bestimmen (§ 270d Abs. 1 InsO). Die Frist darf höchstens drei Monate betragen. Den Nachweis der Anordnungsvoraussetzungen erbringt der Schuldner durch eine Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer vergleichbar qualifizierten Person (§ 270d Abs. 1 InsO) aus der hervorgeht, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.

Ergibt sich aus der Bescheinigung das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen, bestimmt das Gericht eine Frist zur Vorlage des Plans und ernennt einen vorläufigen Sachwalter (§ 270b Abs. 1 InsO). Dabei kann es von einem Vorschlag des Schuldners nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 270d Abs. 2 InsO). Damit erhält der Schuldner die Sicherheit, die Sanierung durch das Insolvenzplanverfahren mit einer für ihn vertrauenswürdigen, gleichzeitig aber unabhängigen Person vorbereiten zu können. Die Bestellung einer anderen Person ist vom Gericht im Beschluss zu begründen, damit die Gläubiger in Kenntnis dieser Umstände nach Eröffnung des Verfahrens entscheiden können, ob eine Abwahl des gerichtlich bestellten und Neuwahl des vorgeschlagenen Sachwalters nach § 274 InsO i.V.m. § 57 InsO in Betracht kommt. Nach § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO muss der vorläufige Sachwalter personenverschieden von dem Aussteller der Bescheinigung sein.

Der Schuldner wird durch den Schutzschirm des Beschlusses für einen begrenzten Zeitraum dem unmittelbaren Zugriff seiner Gläubiger entzogen.

Der Schuldner oder der vorläufige Sachwalter haben dem Gericht den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen (§ 270d Abs. 4 InsO).

7.3.6. Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung

Nach § 270e Abs. 1 InsO ist die vorläufige Eigenverwaltung durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu beenden, wenn

  1. der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen insolvenzrechtliche Pflichten verstößt oder sich auf sonstige Weise zeigt, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, die Geschäftsführung am Interesse der Gläubigergesamtheit auszurichten,

  2. Mängel der Eigenverwaltungsplanung nicht innerhalb der gem. § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO gesetzten Frist (20 Tage) behoben wurden,

  3. sich die Erreichung des Eigenverwaltungsziels, insbesondere eine angestrebte Sanierung sich als aussichtslos erweist,

  4. dies von dem vorläufigen Sachwalter mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses oder vom vorläufigen Gläubigerausschuss beantragt wird oder

  5. dies der Schuldner beantragt.

Nach § 270e Abs. 2 InsO ist die vorläufige Eigenverwaltung zudem zu beenden, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragt und glaubhaft macht, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht vorliegen und ihm durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen.

§ 270e Abs. 3 InsO regelt, dass der bisherige vorläufige Sachwalter zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt werden kann.

7.3.7. Anordnung der Eigenverwaltung

Nach § 270 Abs. 1 InsO ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Durch die Regelung des § 270f Abs. 1 InsO wird klargestellt, dass die Anordnung der Eigen-verwaltung nur bei einem entsprechenden Antrag des Schuldners in Betracht kommt. Die Eigenverwaltung ist anzuordnen, wenn die Anordnungsvoraussetzungen für die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b InsO weiterhin vorliegen und kein Aufhebungsgrund für die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270e InsO vorliegt.

Die insolvenzrechtlichen Vorschriften bleiben durch die Eigenverwaltung – von wenigen Ausnahmen abgesehen – unberührt. Im Grunde sind nur Befugnisse des Insolvenzverwalters auf den Schuldner selbst zu übertragen. Insolvenzforderungen sind schriftlich beim Sachwalter zur Tabelle anzumelden (§ 270f Abs. 2 InsO).

Nach § 270f Abs. 3 InsO sind § 270b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 InsO (s.o. unter dem Gliederungspunkt »Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung«) entsprechend anzuwenden.

Auswirkungen auf das Besteuerungsverfahren (z.B. die Veranlagungszeiträume) ergeben sich durch die Anordnung der Eigenverwaltung nicht.

Umsatzsteuerlich kommt es aber mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Zu den Einzelheiten vgl. AEAO Tz. 9.2 zu § 251 sowie Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE. Da der Schuldner im Fall der Eigenverwaltung jedoch selbst rechtsgeschäftlich mit Verfügungsbefugnis handeln kann, der Sachwalter demgegenüber nur Kontroll- und Aufsichtspflichten ausübt, ist der Schuldner selbst steuerlich als Vertreter der Insolvenzmasse i.S.v. §§ 34, 35 AO anzusehen. Daher ist er Bekanntgabeadressat für alle die Insolvenzmasse betreffenden Verwaltungsakte.

Beachte:

Nach dem BFH-Urteil vom 27.9.2018 (V R 45/16, BStBl II 2019, 356) führt die Vereinnahmung von Entgelten nach Insolvenzeröffnung für bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen auch im Verfahren der Eigenverwaltung zu einer zweiten Berichtigung als Masseverbindlichkeit (s. Abschn. 17.1 Abs. 11 ff. UStAE). S. die Kommentierung und die Zusammenstellungen sowie die Beispiele unter → Insolvenzen und Steuern unter dem Gliederungspunkt »Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG«.

7.3.8. Aufhebung der Eigenverwaltung

Die Aufhebungsgründe des § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO sind neu und entsprechen den Aufhebungsgründen für die vorläufige Eigenverwaltung des § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO (s.o. den Gliederungspunkt »Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung«). Die Aufhebungsgründe des § 272 Abs. 1 Nr. 3 und 5 InsO entsprechen den Regelungen des bisherigen § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO a.F.

8. Geltendmachung der Ansprüche

8.1. Allgemeiner Überblick

Insolvenzgläubiger können gem. § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO (s. nachfolgenden Gliederungspunkt) und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner »begründeten« Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern nur erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen (s.a. BFH Urteil vom 24.8.2011, V R 53/09, BStBl II 2012, 256 sowie vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 21). Diese Einschränkungen gelten aber nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen sind und die der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen hat (BFH Urteil vom 29.8.2007, IX R 4/07, BStBl II 202, 145; s.a. rechtskräftiges Urteil des FG Baden-Württemberg vom 27.5.2009, 1 K 105/06, EFG 2009, 1585, LEXinform 5008633 und BFH Urteil vom 24.8.2011, V R 53/09, BStBl II 2021, 256).

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten zu unterscheiden. Die Steuerforderungen sind je nachdem, ob es sich um Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten handelt, unterschiedlich geltend zu machen.

8.2. Insolvenzforderungen

8.2.1. Grundsätzliches

Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist (s. BFH vom 19.1.2021, VII R 38/19, BFH/NV 2021, 1057, Rz. 26). Der Rechtsgrund für Steueransprüche ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird (BFH vom 16.5.2013, IV R 23/11, BStBl II 2013, 759, Rz. 19 sowie vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 23).

Insolvenzforderungen sind die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensansprüche gegen den Insolvenzschuldner (§ 38 InsO). Die Insolvenzforderungen werden aus der Insolvenzmasse quotal bedient (AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO; s.a. → Insolvenzen und Steuern unter dem Gliederungspunkt »Insolvenzforderungen«).

Nach § 55 Abs. 4 Satz 1 InsO gelten Umsatzsteuerverbindlichkeiten sowie diesen gleichgestellten Verbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 bis 4 InsO des Insolvenzschuldners, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten.

Beachte:

Durch Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO geändert. S.u. den Gliederungspunkt »Masseverbindlichkeiten« sowie die Kommentierung unter → Insolvenzen und Steuern unter dem Gliederungspunkt »Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«.

8.2.2. Geltendmachung durch Anmeldung zur Forderungstabelle

8.2.2.1. Form und Frist der Geltendmachung

Vor der Insolvenzeröffnung begründete Ansprüche können nur durch schriftliche Anmeldung zur Forderungstabelle (AEAO Tz. 5.2 zu § 251 AO) geltend gemacht werden (§ 87 InsO). Nachrangige Insolvenzforderungen sind nur dann anzumelden, wenn das Insolvenzgericht hierzu besonders auffordert (vgl. § 174 Abs. 3 InsO). Die Tabelle wird im ersten Drittel des Zeitraums zwischen Anmeldungs- und Prüfungstermin (vgl. §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 175 Satz 2 InsO) bei der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsichtnahme ausgelegt.

Die zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Forderungen sind innerhalb der im Eröffnungsbeschluss genannten Frist schriftlich beim Verwalter anzumelden, soweit nicht die Möglichkeit einer Aufrechnung besteht. Die Insolvenzordnung unterscheidet dabei nur Insolvenzforderungen (vgl. § 38 InsO) und nachrangige Insolvenzforderungen (vgl. § 39 InsO). Die Anmeldung soll die Forderungen nach Grund und Betrag bezeichnen. Diese soll ferner einen Hinweis darauf enthalten, welche Forderungen bereits vor Eröffnung des Verfahrens festgesetzt worden waren und bei welchen Bestandskraft eingetreten ist.

Forderungen können nach § 177 Abs. 1 InsO auch nachträglich, d.h. nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldet werden. Die gem. § 28 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmende Anmeldefrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Deshalb sind Forderungsanmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 1 InsO) und Änderungsmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 3 InsO) bis zum Schlusstermin möglich (BFH vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 26).

Bei der Anmeldung der Forderungen sind nach § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO zugrunde liegt.

Beachte:

Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 2 InsO ist nicht die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat anzumelden, sondern jene Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Forderung nach Einschätzung des Gläubigers eine Steuerstraftat zugrunde liegt. Insoweit unterscheiden sich die Regelungen in § 174 Abs. 2 und § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO, der Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis von der Restschuldbefreiung ausnimmt, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist (s.u. den Gliederungsunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren« und dort »Restschuldbefreiung«). Nach der Begründung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BT-Drs. 17/11268, 32) soll nämlich bei der Anmeldung zur Tabelle unbeachtlich sein, wann die Verurteilung tatsächlich erfolgt (s.a. BFH vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 25).

8.2.2.2. Begründete Ansprüche

Die Insolvenzordnung stellt für die Einordnung der zum Verfahren anzumeldenden Ansprüche nur auf den Zeitpunkt der Begründetheit ab (vgl. § 38 InsO). Auf die steuerrechtliche Entstehung der Forderung kommt es im Insolvenzverfahren demzufolge nicht an (→ Insolvenzen und Steuern).

8.3. Masseverbindlichkeiten

8.3.1. Grundsätzliches

Die Insolvenzmasse ist das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners, das ihm im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört, sowie das Vermögen, das er während des laufenden Verfahrens hinzuerwirbt (§§ 35, 36 InsO). Aus der Insolvenzmasse sind die Kosten des Insolvenzverfahrens (Massekosten) sowie die sonstigen Masseverbindlichkeiten vorweg, d.h. vor den Insolvenzforderungen zu befriedigen (§ 53 InsO). Masseverbindlichkeiten sind also solche, die vor allen anderen Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse in voller Höhe bedient werden (§ 55 InsO; AEAO Tz. 6 zu § 251 AO).).

8.3.2. Massekosten

Massekosten sind die Gerichtskosten des Insolvenzverfahrens sowie die Vergütungen und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 54 InsO).

8.3.3. Sonstige Masseverbindlichkeiten

Sonstige Masseverbindlichkeiten sind u.a.

  1. Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters (Alt. 1) oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse (Alt. 2) begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

    § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO (»durch Handlungen des Insolvenzverwalters«) umfasst alle Forderungen, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters innerhalb seines amtlichen Wirkungskreises einschließlich deliktischer Handlungen und pflichtwidriger Unterlassungen begründet werden (BFH vom 14.12.2022, X R 9/20, BFH/NV 2023, 1141, LEXinform 4261961, Rz. 40).

    Der Insolvenzverwalter kann als Partei kraft Amtes »im Rahmen der Verwaltung« Verträge mit Wirkung für und zu Lasten der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO) abschließen (s. BFH vom 18.9.2019, XI R 19/17, BStBl II 2020, 172, Rz. 40). Im Urteilsfall XI R 19/17 beauftragte der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Rechtsanwalt. Dieser sollte prüfen, ob den Kommanditisten neben ihrem Gewinnanteil auch Teile ihrer Kommanditeinlage ausgezahlt worden sind und wieder zurückgefordert werden können. Die in den Honorarabrechnungen des Rechtsanwalts ausgewiesene USt machte der Insolvenzverwalter für die Stpfl. als Vorsteuer geltend.

    In seinem Urteil XI R 19/17 hat der BFH entschieden, dass im Rahmen der Abwicklung des insolventen Unternehmens anfallende Kosten zur Prüfung der Frage, ob ein Anspruch nach § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB besteht, grds. zu den Allgemeinkosten der früheren unternehmerischen Tätigkeit gehören. Das Recht auf Vorsteuerabzug steht der Insolvenzmasse (nur) dann zu, wenn der Insolvenzverwalter die Masse wirksam verpflichtet hat (s. → Insolvenzen und Steuern, Gliederungspunkt »Die Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren« und dort »Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«);

    Der zweiten Tatbestandsalternative (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO), den »in anderer Weise« durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten, sind Abgabenforderungen zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen. Dafür ist eine aktive Maßnahme des Verwalters nicht erforderlich (vgl. BFH vom 7.7.2020, X R 13/19, BStBl II 2021, 174, Rz. 38). Es kommt nicht darauf an, ob der Abgabentatbestand durch ein Verhalten des Insolvenzverwalters oder durch andere Tatsachen erfüllt ist. Vielmehr genügt es, dass die Abgabenforderung durch die Insolvenzverwaltung ausgelöst wird oder jedenfalls einen Bezug zur Masse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (BFH X R 9/20, Rz. 40).

    Mit Urteil vom 14.12.2022 (X R 9/20, BFH/NV 2023, 1141, LEXinform 4261961) hat der BFH entschieden, dass die auf den einkommensteuerpflichtigen Gewinn aus dem Verkauf massezugehöriger sicherungsübereigneter beweglicher WG des BV durch den absonderungsberechtigten Gläubiger im Verfahren nach § 170 Abs. 2 InsO (Überlassung durch den Insolvenzverwalter zur Verwertung) entfallende Teileinkommensteuer eine »in anderer Weise« durch die Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO ist. Durch die Überlassung (nur) zur Verwertung erfolgt keine echte Freigabe und damit auch keine Entlassung des Gegenstandes aus dem Insolvenzbeschlag des § 35 Abs. 1 InsO (s. Bodden, NWB 28/2023, 1946).

  2. Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

    In der Insolvenz des Mieters besteht ein Mietverhältnis über unbewegliche Gegenstände gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Ansprüche des Vermieters aus einem solchen Mietverhältnis sind Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO), wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Ansprüche für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Vermieter dagegen gem. § 108 Abs. 3 InsO nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.

    Bei einem Mietvertrag über einen unbeweglichen Gegenstand ist in der Insolvenz des Mieters die Mietforderung für den Monat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, in dem Umfang Masseverbindlichkeit, der dem ab der Verfahrenseröffnung verbleibenden Teil des Monats entspricht (BGH vom 11.3.2021, IX ZR 152/20, DStR 2021, 1488, LEXinform 4228864);

  3. Verbindlichkeiten durch Handlungen des Insolvenzschuldners, die mit Zustimmung des Insolvenzverwalters mit Vermögen der Insolvenzmasse ausgeführt werden (§ 35 Abs. 2 InsO); gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen ausdrücklich frei, handelt es sich um Insolvenzforderungen.

    Zur Begründung bzw. Nichtbegründung von Masseverbindlichkeiten bei einer fortgesetzten Tätigkeit eines Freiberuflers in der Insolvenz hat der BFH mit Urteil vom 6.6.2019 (V R 51/17, BStBl II 2021, 52) Folgendes entschieden: Ist bei einer Tätigkeit ohne Wissen und Billigung des Insolvenzverwalters unklar, ob es sich umsatzsteuerrechtlich um eine solche des Insolvenzschuldners handelt, entsteht keine Masseverbindlichkeit.

    Mit Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird in § 35 InsO ein neuer Abs. 3 eingefügt. Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4. (s.u. die Erläuterungen unter dem Gliederungspunkt »Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens«).

  4. Handlungen des verfügungsberechtigten vorläufigen Insolvenzverwalters (»starker« vorläufiger Verwalter, § 55 Abs. 2 InsO). Werden dabei Ertragsteuern begründet, stellen diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten dar.

    Wird der vorläufige Insolvenzverwalter ohne ein allgemeines Verfügungsverbot und nur mit einem Zustimmungsvorbehalt bestellt, sind die von ihm begründeten Verbindlichkeiten bisher keine Masseverbindlichkeiten; eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO kommt nicht in Betracht (rechtskräftiges Urteil des FG Baden-Württemberg vom 27.5.2009, 1 K 105/06, EFG 2009, 1585, LEXinform 5008633).

  5. Für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt werden, können Masseverbindlichkeiten auch nach § 55 Abs. 4 InsO entstehen. Zur Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO a.F. s. das BMF-Schreiben (koordinierter Ländererlass) vom 20.5.2015 (BStBl I 2015, 476).

    Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO neu gefasst. Mit den Änderungen wird der Anwendungsbereich der Vorschrift u.a. auf bestimmte Steuerarten beschränkt (BT-Drs. 19/25353, 13). S. die Kommentierung zu → Insolvenzen und Steuern unter dem Gliederungspunkt »Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«. Zur Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO n.F. s. das BMF-Schreiben (koordinierter Ländererlass) vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116).

    Die Verbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Im Gegensatz zu den latenten Masseverbindlichkeiten des § 55 Abs. 2 InsO, die durch einen »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, handelt es sich bei den latenten Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO ausschließlich um solche aus dem Steuerschuldverhältnis. Steuererstattungsansprüche und Steuervergütungsansprüche werden von § 55 Abs. 4 InsO nicht erfasst (Rz. 6 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116). § 55 Abs. 4 InsO bezieht sich nur auf Verbindlichkeiten, nicht aber auf Forderungen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm ist eine abweichende Auslegung nicht möglich. Erstattungsansprüche zählen zu den Insolvenzforderungen (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil) und nicht zu den Masseverbindlichkeiten des § 55 Abs. 4 InsO und müssen als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet werden (Niedersächsisches FG Urteil vom 7.9.2017, 11 K 10305/15, EFG 2017, 1977, LEXinform 5020641, rkr.).

    Vom Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO betroffen sind ab 1.1.2021 folgende Steuerarten

    • Umsatzsteuer,

    • sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,

    • bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern.

      Energiesteuerverbindlichkeiten können nur dann Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO darstellen, wenn sie aus sog. Neugeschäften entstehen, weshalb durch bereits bei Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters bestehende Lieferverträge (»Altgeschäfte«) keine Masseverbindlichkeiten begründet werden können (BFH vom 13.12.2022, VII R 49/20, LEXinform 0953375),

    • Luftverkehr- und Kfz-Steuer und

    • Lohnsteuer.

      Werden Löhne während des Insolvenzeröffnungsverfahrens an die ArbN ausgezahlt, stellt die hierbei entstandene Lohnsteuer mit Verfahrenseröffnung eine Masseverbindlichkeit dar. Dies gilt nicht für Insolvenzgeldzahlungen; diese unterliegen als steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 2 EStG nicht dem Lohnsteuerabzug (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 28).

    Steuerliche Nebenleistungen werden von § 55 Abs. 4 InsO nicht erfasst (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 7 und 8).

    Die ab Festsetzung gegen den Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner entstehenden Säumniszuschläge auf als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO zu qualifizierende Umsatz- und Lohnsteuerforderungen sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO geltend zu machen (BMF vom 11.1.2022, Rz. 8).

    Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO werden begründet:

    • durch Handlungen des »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters (z.B. Verwertung von Anlagevermögen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen einer Einzelermächtigung, Einziehung von Forderungen), auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (s. den Gliederungspunkt »Vorläufige Maßnahmen«);

    • durch Handlungen des Insolvenzschuldners, die mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (z.B. Zustimmung zu Umsatzgeschäften) erfolgen. Die Zustimmung kann aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen).

      Hierbei ist es unbeachtlich, ob der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Gericht mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde oder nicht. Auch ohne einen Zustimmungsvorbehalt i.S.d. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO können entsprechende Steuerverbindlichkeiten durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, insbes. wenn ihm zahlreiche Rechte durch das Insolvenzgericht eingeräumt oder Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden (BMF vom 11.1.2022, Rz. 2).

    Soweit der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter ausdrücklich der Handlung des Insolvenzschuldners widersprochen hat, entstehen keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.

Die Verbindlichkeiten des starken vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO sowie die Verbindlichkeiten des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO gelten erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten (s.a. BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 32). Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Steuerforderungen und Steuererstattungen ohne Einschränkung aufrechenbar, soweit die Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Der Umstand, dass bestimmte Steuerforderungen später (nach Insolvenzeröffnung) zu Masseverbindlichkeiten werden, hindert die Aufrechnung nicht (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 48).

8.4. Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens

In Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen versuchen Schuldner, die vor der Eröffnung des Verfahrens eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hatten, oftmals diese Tätigkeit nach Eröffnung des Verfahrens – mit oder ohne Kenntnis oder Duldung des Insolvenzverwalters – fortzusetzen oder eine neue Tätigkeit zu beginnen. Das Interesse des Schuldners, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen, stellt aber die Insolvenzpraxis vor erhebliche Probleme. So gehören Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, gem. § 35 InsO in vollem Umfang ohne Abzug für beruflich bedingte Ausgaben zur Insolvenzmasse. Damit ist eine selbstständige Tätigkeit des Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens nahezu ausgeschlossen.

Übt der Insolvenzschuldner dennoch – mit oder ohne Wissen oder Einwilligung des Verwalters – eine selbstständige Tätigkeit aus, dann hat der Insolvenzverwalter häufig ein Interesse, zwar den durch eine selbstständige Tätigkeit erzielten Neuerwerb für die Masse zu vereinnahmen, mit durch den Neuerwerb in vielfältiger Form begründete Verbindlichkeiten jedoch nicht die Masse zu belasten. Ein Weg, dem Insolvenzschuldner die Möglichkeit einer selbstständigen Tätigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens zu eröffnen, ist eine Art »Freigabe« des Vermögens, das der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse. Eine vergleichbare Regelung findet sich bereits in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hinsichtlich der Wohnung des Schuldners. Den Neugläubigern, also den Gläubigern, die nach Eröffnung des Verfahrens mit dem Schuldner kontrahiert haben, stehen, sofern eine entsprechende Erklärung des Verwalters vorliegt, als Haftungsmasse die durch die selbstständige Tätigkeit erzielten Einkünfte zur Verfügung. Eine Verpflichtung der Insolvenzmasse durch die Tätigkeit des Schuldners scheidet dann von vornherein aus. Macht der Verwalter von der Freigabe keinen Gebrauch und duldet er die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenzschuldner, dann werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten, da insofern eine Verwaltungshandlung vorliegt (s.a. BFH Urteil vom 16.7.2015, III R 32/13, BStBl II 2016, 251). Dies würde auch für Verbindlichkeiten gelten, die der Schuldner unter Einsatz von Gegenständen begründet, die nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar sind.

Beachte:

Zur Begründung bzw. Nichtbegründung von Masseverbindlichkeiten bei einer fortgesetzten Tätigkeit eines Freiberuflers in der Insolvenz hat der BFH mit Urteil vom 6.6.2019 (V R 51/17, BStBl II 2021, 52) Folgendes entschieden: Ist bei einer Tätigkeit ohne Wissen und Billigung des Insolvenzverwalters unklar, ob es sich umsatzsteuerrechtlich um eine solche des Insolvenzschuldners handelt, entsteht keine Masseverbindlichkeit.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe des BFH (V R 51/17):

  • Wird eine zu stpfl. Einkünften führende Tätigkeit ohne Wissen und Zutun des Insolvenzverwalters ausgeübt und gelangen die Erträge nicht zur Masse, entsteht der Steueranspruch nicht als Masseverbindlichkeit (s.a. BFH vom 18.5.2010, X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114, LEXinform 0179600).

  • Im Streitfall wird keine Masseverbindlichkeit »in anderer Weise« nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, weil der Schuldner seine Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübte und die Entgelte nicht zur Masse gelangten (BFH V R 51/17, Rz. 13).

  • Die durch die selbstständige Tätigkeit begründeten Steuerforderungen sind nicht von vornherein bis zur Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten. Denn eine unterbliebene Erklärung des Insolvenzverwalters steht nicht einer »konkludenten Positiverklärung« gleich (BFH V R 51/17, Rz. 17).

Mit Urteil vom 18.12.2019 (XI R 10/19, BStBl II 2020, 480) führt der BFH seine Rechtsprechung V R 51/17 fort (s.a. Anmerkung vom 5.6.2020, LEXinform 0889465).

Hat der Insolvenzverwalter Kenntnis davon, dass der Insolvenzschuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübt, oder war eine solche Tätigkeit für ihn erkennbar, ist er in einem nach dem 30.6.2007 eröffneten Insolvenzverfahren gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO verpflichtet, unverzüglich zu erklären, ob er die Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigibt oder nicht (s.u. Beachte). Verletzt der Insolvenzverwalter diese Pflicht, führt sein pflichtwidriges Unterlassen dazu, dass Verbindlichkeiten »in anderer Weise« i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet werden (Fortführung der BFH-Urteile vom 18.5.2010, X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114; vom 1.6.2016, X R 26/14, BStBl II 2016, 848; vom 6.6.2019, V R 51/17, BStBl II 2021, 52).

Der Verkauf eines Kfz der Insolvenzschuldnerin durch den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin führt nicht zu einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Insolvenzverwalter weder Kenntnis von der Veräußerung hatte noch davon Kenntnis hätte haben müssen (FG Münster vom 28.2.2023, 15 K 552/20, EFG 2023, 731, LEXinform 5025283; s.a. Anmerkung vom 19.4.2023, LEXinform 0888970).

Beachte:

Mit Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird in § 35 InsO ein neuer Abs. 3 eingefügt. Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4.

Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter unverzüglichen Anzeige einer beabsichtigten oder bereits ausgeübten selbstständigen Tätigkeit zu erstatten. Auf die Informationen über die selbstständige Tätigkeit des Schuldners ist der Insolvenzverwalter angewiesen, um abschätzen zu können, ob eine Freigabe der Tätigkeit im Interesse der Insolvenzmasse geboten ist.

Nach § 35 Abs. 3 Satz 2 kann der Schuldner den Verwalter um die Freigabe der angezeigten Tätigkeit ersuchen. In diesem Fall hat sich der Insolvenzverwalter unverzüglich, spätestens jedoch nach einem Monat zu dem Ersuchen des Schuldners zu erklären. Hierdurch erlangt der Schuldner Rechts- und Planungssicherheit hinsichtlich der von ihm geplanten oder bereits ausgeübten Tätigkeit. Kann der Verwalter allerdings binnen der Monatsfrist die Vor- und Nachteile, die eine Freigabe für die Masse hätte, nicht abschließend beurteilen, ist er im Falle einer hierauf gestützten vorsorglichen Verweigerung der Freigabe nicht gehindert, die Entscheidung zu korrigieren, sobald er die erforderliche Einschätzung vornehmen kann.

Die Einkommensteuer aus einer nach Insolvenzeröffnung neu aufgenommenen einzelunternehmerischen Tätigkeit ist als Masseschuld aufgrund massebezogenen Verwaltungshandelns gegen den Insolvenzverwalter (Treuhänder) festzusetzen, wenn dieser die selbstständige Tätigkeit im Interesse der Masse erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht für seinen Unterhalt belassen werden, und die Aufnahme der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die selbstständige Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen (BFH Urteile vom 16.4.2015, III R 21/11, BStBl II 2016, 29 und vom 16.7.2015, III R 32/13, BStBl II 2016, 251; s.a. Anmerkung vom 5.1.2016, LEXinform 0947438).

Der Insolvenzverwalter hat abzuwägen, ob der Behalt des Neuerwerbs in der Masse für diese vorteilhaft ist. In diesem Fall hat er aber auch alle mit dem Neuerwerb in Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Ist die Fortführung der selbstständigen Tätigkeit für die Masse nachteilig, dann muss der Verwalter den Neuerwerb aus der Masse an den Insolvenzschuldner freigeben können. Diese Freigabemöglichkeit ist in § 35 Abs. 2 InsO geregelt (Insolvenzfreies Vermögen nach AEAO Tz. 7 zu § 251 AO; s.a. BT-Drs. 16/3227, Begründung zu Nr. 12, 17; Schädlich, NWB 33/2014, 2486).

Der BFH hat mit Urteil vom 15.12.2009 (VII R 18/09, BStBl II 2020, 758) zu der Frage Stellung genommen, inwieweit ein »Neuerwerb« nach § 35 Abs. 1 InsO zur Insolvenzmasse gehört und ob mit vor der Insolvenz entstandenen ESt-Schulden des Insolvenzschuldners mit einem nach Insolvenzeröffnung entstandenen Vorsteuererstattungsanspruch aufgerechnet werden kann. Nach der Entscheidung des BFH ist das FA wegen des Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht berechtigt, einen während des Insolvenzverfahrens aufgrund einer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgeübten Tätigkeit des Insolvenzschuldners (hier: Tätigkeit des Insolvenzschuldners als selbstständiger Architekt) entstandenen Vorsteuererstattungsanspruch mit einer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners aufzurechnen, wenn der Insolvenzverwalter den Vorsteuererstattungsanspruch nicht insolvenzrechtlich wirksam freigegeben hat.

Gibt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einzelne Gegenstände aus der Insolvenzmasse uneingeschränkt frei und überlässt sie dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung, so bleibt der Gemeinschuldner insoweit Unternehmer und schuldet die durch die unternehmerische Nutzung dieser Gegenstände ausgelöste USt (rechtskräftiges Urteil FG Sachsen-Anhalt vom 24.4.2008, 1 K 1292/04, LEXinform 5006901).

Nach dem Urteil des FG Münster vom 14.2.2023 (2 K 2804/21, LEXinform 5025235) bleibt das FA während des Insolvenzverfahrens berechtigt, auch dann Steuerforderungen gegen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aufzurechnen, wenn beide Ansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, diese aber aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen Tätigkeit resultieren.

Auch das FG Köln hat mit rechtskräftigem Urteil vom 21.4.2011 (6 K 1598/07, EFG 2011, 1844, LEXinform 5012499) zur Vermögensfreistellung des Insolvenzverwalters entschieden. Der Insolvenzverwalter kann Gegenstände, die zur Insolvenzmasse gehören, durch eine Erklärung aus dem Insolvenzbeschlag freigeben, wodurch sie in das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners fallen. Gegenstand der Freigabe kann auch ein Bauvorhaben des Insolvenzschuldners sein. Übt der Insolvenzschuldner eine selbstständige Tätigkeit aus, kann der Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 InsO gegenüber dem Schuldner erklären, dass Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden können. Die Freigabe ist nicht nur bei Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, sondern auch bei Personenhandelsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co KG möglich.

Bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit ihren Erwerb ziehen, ist die USt aus dieser Tätigkeit keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BFH Urteil vom 17.3.2010, XI R 30/08, BFH/NV 2010, 2128, LEXinform 0179332). Im Streitfall beruhte die USt auf die vom Schuldner im Rahmen seines Fliesenfachgeschäfts erbrachten Leistungen nicht auf einer Verwertung der Masse. Denn der Schuldner hat im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit keine zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände genutzt. Das FG hat festgestellt, dass der Schuldner über keinerlei Vermögensgegenstände, sondern nur über sein Fachwissen als Fliesenleger verfügte. Sind derartige Gegenstände vom Schuldner nicht genutzt worden, kann es auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob eine wirksame Freigabe erfolgt ist, nicht ankommen. Die eigene Arbeitskraft des Schuldners fällt nicht in die Insolvenzmasse (vgl. BGH Beschluss vom 18.12.2008, IX ZB 249/07, LEXinform 1552532) und kann deshalb auch nicht der Nutzung eines Massegegenstandes gleichgesetzt werden.

Die auf die Einkünfte des Insolvenzschuldners aus selbstständiger Arbeit entfallenden Ertragsteuern sind keine Masseverbindlichkeiten nach Freigabe der Tätigkeit, da die Erträge tatsächlich auch nicht zur Masse gelangen (Urteil Niedersächsisches FG vom 1.10.2009, 15 K 110/09, LEXinform 5009389; Rechtsausführungen bestätigt durch BFH vom 18.9.2012, VIII R 47/09, BFH/NV 2013, 411, LEXinform 0927558). Auch das FG Münster hat mit rechtskräftigem Urteil vom 29.3.2011 (10 K 230/10 E, EFG 2011, 1806, LEXinform 5012153) entschieden, dass Einkommensteuerschulden des Insolvenzschuldners aus einer nach Insolvenzeröffnung aufgenommenen nichtselbstständigen Tätigkeit ohne Verwendung von Gegenständen aus der Insolvenzmasse keine Massekosten oder -schulden sind und gegenüber dem Insolvenzschuldner selbst durch Leistungsbescheid festgesetzt werden müssen. Sie sind nicht durch eine Handlung des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse entstanden.

Das FG Münster hat mit Urteil vom 27.9.2013 (14 K 1917/12 AO, LEXinform 0440867) entschieden, dass der durch eine vom Insolvenzverwalter freigegebene Tätigkeit erworbene ESt-Erstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt. Er kann daher vom FA mit vorinsolvenzrechtlichen Steuerschulden verrechnet werden (FG Münster Pressemitteilung vom 4.11.2013, LEXinform 0440867). Diese Rechtsauffassung vertritt auch der BFH in seinem Urteil vom 26.11.2014 (VII R 32/13, BStBl II 2015, 561). Wird eine selbstständige Tätigkeit gem. § 35 Abs. 2 InsO aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben, ist ein ESt-Erstattungsanspruch, der auf Vorauszahlungen beruht, die erst nach der Freigabe festgesetzt und allein nach den zu erwartenden Einkünften aus der freigegebenen Tätigkeit berechnet worden sind, nicht i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Insolvenzmasse geschuldet. Darüber hinaus ist ein ESt-Erstattungsanspruch auch dann nicht der Insolvenzmasse geschuldet, wenn er auf Vorauszahlungen beruht, die nach der Freigabe aus Mitteln geleistet worden sind, die zum freigegebenen Vermögen gehören (s.a. Anmerkung vom 5.3.2015, LEXinform 0946662).

Im Gegensatz dazu hat der BFH mit Urteil vom 24.2.2015 (VII R 27/14, BStBl II 2015, 993) entschieden, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an das FA entrichtete Beträge, die nicht aus freigegebenen Vermögen stammen, gem. § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG nur auf Steuerschulden angerechnet werden können, die zu den Masseverbindlichkeiten gehören. In Höhe eines nach Anrechnung der Zahlungen auf nachinsolvenzlich begründete Steuerschulden verbliebenen Überschusses entsteht ein Erstattungsanspruch zugunsten der Masse gem. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG. Einer Aufrechnung gegen diesen Erstattungsanspruch mit Insolvenzforderungen des FA steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen (s.a. Anmerkung vom 7.5.2015, LEXinform 0946828).

Der BFH hat mit Beschluss vom 1.9.2010 (VII R 35/08, BStBl II 2011, 336) entschieden, dass das FA einen Anspruch eines Insolvenzschuldners auf Vergütung von USt mit zur Insolvenztabelle angemeldeten Steuerforderungen verrechnen darf, wenn der Insolvenzschuldner den Vergütungsanspruch durch Fortführung seines Unternehmens während des Insolvenzverfahrens erworben und der Insolvenzverwalter diese Tätigkeit aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hatte. Vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens erworbenes Vermögen gehört zwar grundsätzlich zur Insolvenzmasse und dient damit der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger (§ 35 InsO). Jedoch hat der Insolvenzverwalter bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners zu erklären, ob auch hieraus herrührendes Vermögen zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren sollen geltend gemacht werden können. Gibt er dem Schuldner gegenüber die Erklärung ab, dass er die Aktiva und Passiva aus dem Insolvenzbeschlag freigibt, hat dies nach der Entscheidung des BFH zur Folge, dass das FA einen durch die Tätigkeit ggf. begründeten Umsatzsteuervergütungsanspruch gegen Steuerforderungen verrechnen kann, die in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und unbefriedigt geblieben sind. Denn das Aufrechnungsverbot, das eine Verrechnung gegen Ansprüche, die ein Gläubiger während des Verfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, verbietet (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO), greife nicht ein; ebenso wenig sei der InsO ein ungeschriebenes allgemeines Verbot zu entnehmen, mit Insolvenzforderungen gegen Ansprüche des Schuldners aufzurechnen, die nicht in die Insolvenzmasse fallen. Die InsO weise also den Insolvenzgläubigern nicht etwa ausschließlich die Insolvenzmasse als Haftungssubstrat zu.

Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem der in Insolvenz geratene Schuldner während des Insolvenzverfahrens eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen und der Insolvenzverwalter den betreffenden Betrieb aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hatte. Da der Schuldner Lieferungen und Leistungen erbrachte, für welche nicht er, sondern gem. § 13b UStG die Leistungsempfänger die USt schuldeten, entstanden erhebliche Überhänge an Vorsteuerbeträgen und damit Steuervergütungsansprüche. Gegen diese rechnete das FA mit seinen Forderungen aus vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandener USt auf, so dass der Anspruch des Klägers erloschen war. Den hierüber erlassenen Abrechnungsbescheid hielt das FG für rechtmäßig; dessen Urteil hat der BFH jetzt bestätigt (s.a. Pressemitteilung des BFH Nr. 101/10 vom 24.11.2010, LEXinform 0435925).

Nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Kraftfahrzeugsteuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist (BFH Urteil vom 13.4.2011, II R 49/09, BStBl II 2011, 944). Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach § 35 Abs. 2 InsO durch den Insolvenzverwalter ist für die Beurteilung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit oder insolvenzfreie Verbindlichkeit ohne Bedeutung. Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter gem. § 35 Abs. 2 InsO ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. »Ansprüche aus dieser Tätigkeit« sind entgegen dem missverständlichen Wortlaut nicht Ansprüche des Schuldners, sondern Ansprüche gegen den Schuldner, also Verbindlichkeiten des Schuldners. Die Kraftfahrzeugsteuer ist keine Verbindlichkeit des Schuldners aus einer selbstständigen Tätigkeit (BFH Urteil vom 8.9.2011, II R 54/10, BStBl II 2012, 149). Zur Beantwortung der Frage, ob das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist und damit ein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse besteht, ist zwischen der Freigabe des Fahrzeugs (sog. echte Freigabe) und der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO zu unterscheiden.

Hat der Insolvenzverwalter eine echte Freigabe des Fahrzeugs erklärt, entfällt ein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse. Denn durch die Freigabeerklärung wird das Fahrzeug aus der Insolvenzmasse entlassen und fällt in das insolvenzfreie Schuldnervermögen zurück.

Im Gegensatz zur echten Freigabe des Fahrzeugs hat die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO keine Auswirkungen auf die Massezugehörigkeit eines im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Fahrzeugs. Durch diese Erklärung wird das Fahrzeug nicht aus der Insolvenzmasse entlassen. Denn eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gem. § 35 Abs. 2 InsO umfasst nur den Neuerwerb und nicht das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits vorhandene Vermögen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO, wonach die Freigabe »Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit«, also den Neuerwerb betrifft.

Eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO kann nicht dahin ausgelegt werden, dass der Insolvenzverwalter neben der selbstständigen Tätigkeit zugleich im Wege der echten Freigabe (sämtliches) bereits vorhandenes unternehmerisches Vermögen des Schuldners freigegeben hat. Der Erklärungsinhalt einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO erfüllt nicht die inhaltlichen Voraussetzungen einer echten Freigabe eines Gegenstandes. Denn der Insolvenzverwalter ist nur zu einer echten Freigabe einzelner Gegenstände aus der Insolvenzmasse befugt. Diese müssen mit ausreichender Bestimmtheit bezeichnet sein (BFH Urteil vom 8.9.2011, II R 54/10, BStBl II 2012, 149; s.a. Zens, NWB 2012, 2397).

Beachte:

Sicherungseigentum an beweglichen Sachen begründet im Insolvenzverfahren ein Absonderungsrecht (§ 51 Nr. 1, § 50 Abs. 1 InsO).

Durch die Überlassung (nur) zur Verwertung (§ 170 Abs. 2 InsO) erfolgt keine echte Freigabe und damit auch keine Entlassung des Gegenstandes aus dem Insolvenzbeschlag. Die Erklärung zur Verwertungsüberlassung kann nicht zugleich als Freigabeerklärung gewertet werden, da es an der bei einer Freigabe erforderlichen Willenserklärung gegenüber dem Insolvenzschuldner fehlt (s. BFH vom 14.12.2022, X R 9/20, BFH/NV 2023, 1141, LEXinform 4261961, Rz. 51).

8.5. Nachrang der Abgabenansprüche nach § 39 InsO

Gegenüber den Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO nachrangig sind bestimmte Ansprüche, die in § 39 InsO im Einzelnen benannt sind. Dazu gehören z.B. die ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung anfallenden Zinsen, soweit sie die Insolvenzforderungen betreffen, die Verfahrenskosten der Insolvenzgläubiger sowie die rückständigen Bußgelder und Zwangsgeldansprüche. Säumniszuschläge auf Insolvenzforderungen sind nachrangige Forderungen i.S.d. § 39 InsO, wenn sie auf den Zeitraum nach der Eröffnung des Verfahrens entfallen.

9. Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Prüfungsanordnung bei einer PersGes an den Insolvenzverwalter zu richten (BFH Beschluss vom 4.10.1991, VIII B 93/90, BStBl II 1992, 59). Dies gilt unabhängig davon, ob Zeiträume vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geprüft werden sollen (FG München vom 4.10.2022, 12 K 465/22, LEXinform 5025090 unter II.2.a). Der Insolvenzverwalter tritt als Prüfungssubjekt an die Stelle des bisher stpfl. Gemeinschuldners und ist Inhaltsadressat der Prüfungsanordnung).

Zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen s. AEAO zu § 122 Nr. 2.9 sowie AEAO Tz. 4.3.2 zu § 251 AO und → Insolvenzen und Steuern.

10. Einspruchsverfahren in Fällen der Insolvenz

Die Vfg. der OFD Hannover vom 26.2.2008 (S 0625 – 40 – StO 141, DStR 2008, 923, LEXinform 5230204) nimmt zu Einspruchsverfahren in Fällen der Insolvenz ausführlich Stellung (s.a. AEAO Tz. 4.1.2 zu § 251 AO; s. → Insolvenzen und Steuern).

11. Aufrechnung mit Insolvenzforderungen

Für die Aufrechnung gelten die Vorschriften des BGB (§§ 387 bis 396 BGB) sinngemäß. Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Das FA kann gegen eine abgetretene Forderung der Insolvenzmasse unter den Voraussetzungen des § 406 BGB auch gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklären (BFH Urteil vom 13.12.2016, VII R 1/15, BStBl II 2017, 541; s.a. Anmerkung vom 19.4.2017, LEXinform 0653157). Siehe die ausführlichen Erläuterungen unter → Aufrechnung.

12. Haftungsfälle

Der Insolvenzverwalter haftet nach § 60 InsO für insolvenzspezifische Pflichten und nach § 69 AO für steuerliche Pflichten. Verletzt der Insolvenzverwalter seine steuerlichen Pflichten, so haftet er für rückständige Steuer- und Abgabenbeträge, die während seiner Tätigkeit entstanden sind, neben der Insolvenzmasse persönlich nach §§ 34, 69, 191 Abs. 1 AO. Zur Haftung des Insolvenzverwalters für pflichtwidrige unternehmerische Entscheidungen im Rahmen der Betriebsfortführung s. das BGH-Urteil vom 12.3.2020 (IX ZR 125/17, LEXinform 1683594). Der dem Insolvenzverwalter bei unternehmerischen Entscheidungen zustehende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn die Maßnahme aus der Perspektive ex ante angesichts der mit ihr verbundenen Kosten, Aufwendungen und Risiken im Hinblick auf die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Masse zu sichern und zu wahren, nicht mehr vertretbar ist.

13. Beendigung des Insolvenzverfahrens

13.1. Allgemeines

Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO). Die Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 187 InsO) erfolgt aus der Insolvenzmasse. Die Schlussverteilung erfolgt, sobald die Verwertung der Insolvenzmasse beendet ist (§ 196 InsO). Nach § 53 InsO ist die Insolvenzmasse vor der Verteilung um die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) und die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu berichtigen.

13.2. Befriedigung der Insolvenzgläubiger

13.2.1. Grundsätzliches

Die InsO sieht zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger grundsätzlich die Verwertung der Insolvenzmasse und die Verteilung des Erlöses nach den Vorschriften der InsO vor (§§ 159 ff., 187 ff. InsO). Abweichend dazu kann die Befriedigung der Gläubiger und die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten durch einen Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) geregelt werden (s.a. AEAO zu § 251 Tz. 10).

In einem Insolvenzplan, der vom Insolvenzverwalter – ggf. im Auftrag der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO) – oder vom Schuldner selbst beim Insolvenzgericht eingebracht werden kann (§ 218 Abs. 1 InsO), können abweichend von den gesetzlichen Regelungen des Insolvenzverfahrens z.B. geregelt werden (AEAO zu § 251 Tz. 11):

  • die Befriedigung der Gläubiger (einschließlich der Absonderungsgläubiger),

  • die Verwertung der Insolvenzmasse,

  • die Verteilung der Insolvenzmasse an die Beteiligten und

  • die Inanspruchnahme des Schuldners nach Verfahrensbeendigung.

Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist und der Insolvenzplan nichts anderes vorsieht, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO).

13.2.2. Beendigung des Insolvenzverfahrens nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans

Nach § 217 Abs. 1 Satz 1 InsO können die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens in einem Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden. Zur Erstellung eines Insolvenzplans s. auch oben den Gliederungspunkt »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren«.

Im Fall des Insolvenzplanverfahrens beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist und der Insolvenzplan nicht etwas anderes vorsieht (§ 258 Abs. 1 InsO). Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist die eingetretene Unterbrechung des Steuerfestsetzungsverfahrens und damit der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Festsetzungsverfahren beendet (s. BFH vom 18.12.2002, I R 33/01, BStBl II 2003, 630). Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlöschen nicht nur die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses, sondern der bisherige Insolvenzschuldner erhält das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO).

Beispiel 1:

Rechtsanwalt R erzielt u.a. Einkünfte aus selbstständiger Arbeit aus einer Beteiligung an einer Sozietät. Diese wurde mit Gesellschafterbeschluss zum 31.12.10 aufgelöst und als Liquidationsgesellschaft fortgeführt. Es wurde ein Liquidator bestellt, der nicht an der Gesellschaft beteiligt war.

Über das Vermögen des R wurde im August des Kj. 11 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den auf R entfallenden Teil am Liquidationserlös der Sozietät vereinnahmte der Insolvenzverwalter zugunsten der Insolvenzmasse.

Mit Beschluss vom 14.8.13 bestätigte das Amtsgericht einen von R erstellten Insolvenzplan.

Mit Beschluss vom 18.3.14 wurde das Insolvenzverfahren gem. § 258 Abs. 1 InsO aufgehoben.

Am 4.6.14 erließ das FA gegenüber R einen geänderten ESt-Bescheid für das Kj. 12, mit dem die für R gesondert und einheitlich festgestellten Einkünfte aus selbstständiger Arbeit aus der ehemaligen Sozietät i.H.v. 20 018 € berücksichtigt wurden. Der Abrechnungsteil des Bescheids wies eine Nachzahlung aus (… € Einkommensteuer zzgl. Zinsen, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer).

In dem sich anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren argumentierte R, dass ihm im Kj. 12 keine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit zugeflossen seien. Die Einkünfte seien von dem Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse vereinnahmt worden. Deshalb sei die darauf entfallende ESt gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass das Insolvenzverfahren mittels eines Insolvenzplans beendet worden sei.

Lösung 1:

Der Sachverhalt und die Lösung sind dem BFH-Urteil vom 23.10.2018 (VII R 13/17, BStBl II 2019, 126) nachgebildet.

Die Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht nach § 248 Abs. 1 InsO und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach§ 258 Abs. 1 InsO stehen der Erhebung der ESt schon deswegen nicht entgegen, weil es sich bei der ESt für das Kj. 12, soweit sie auf den hier allein maßgeblichen Einkünften des R aus der aufgelösten Sozietät beruht, um eine Masseverbindlichkeit gehandelt hat und Masseverbindlichkeiten von den Wirkungen des Insolvenzplanverfahrens grds. nicht betroffen sind.

Die streitigen ESt-Schulden waren gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO Masseverbindlichkeiten. Sie resultierten aus der Verwaltung des zur Masse gehörenden Anteils des R an der aufgelösten Sozietät und hätten, wären sie rechtzeitig erklärt und festgesetzt worden, gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden müssen (s.a. BFH vom 1.6.2016, X R 26/14, BStBl II 2016, 848, Rz. 30).

Zwar können Ansprüche oder Verbindlichkeiten des Schuldners, die – wie im Beispielsfall – erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ermittelt werden, aber bereits während des Insolvenzverfahrens in insolvenzrechtlicher Hinsicht »begründet« worden sind und somit zunächst zur Insolvenzmasse gehört haben, grds. auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens Gegenstand insolvenzrechtlicher Beschränkungen sein.

Die Wirkungen des Insolvenzplans treten jedoch grds. nur gegenüber den am Insolvenzplanverfahren beteiligten Personen ein (§§ 254, 254a InsO). Massegläubiger sind nach den gesetzlichen Regelungen keine Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens. Daher ermöglicht die Aufstellung eines Insolvenzplans auch keine von den Vorschriften der InsO über Massegläubiger abweichenden Regelungen; die Bestimmungen über die Befriedigung der Massegläubiger sind grds. »planfest«. Aus diesem Grund gilt insbes. auch die Befreiung von den Restverbindlichkeiten nach § 227 Abs. 1 InsO nur gegenüber Insolvenzgläubigern. Sie erstreckt sich nicht auf Masseverbindlichkeiten (s.a. Anmerkung vom 8.1.2019, LEXinform 0881197).

Beachte:

Wird die ESt erstmals nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens festgesetzt, ist der Steuerbescheid dem vormaligen Insolvenzschuldner als Inhaltsadressat bekannt zu geben; eine Bekanntgabe an den vormaligen Insolvenzverwalter kommt nicht mehr in Betracht; das hat der BFH mit Urteil vom 2.4.2019 (IX R 21/17, BStBl II 2019, 481) entschieden. S. dazu die Erläuterungen im Gliederungspunkt »Beendigung des Insolvenzverfahrens ohne Vorbehalt der Nachtragsverteilung« sowie dort das Beispiel 2.

Mit Urteil vom 8.3.2022 (VI R 33/19, BStBl II 2023, 98) nimmt der BFH u.a. Stellung zu der Befriedigung der Insolvenzgläubiger nach der Verfahrensaufhebung im Zusammenhang mit dem Insolvenzplanverfahren Stellung.

Während im Regelinsolvenzverfahren die Insolvenzgläubiger einschließlich der nicht am Verfahren beteiligten Gläubiger gem. § 201 Abs. 1 InsO ihre verbleibenden Forderungen nach Verfahrensaufhebung uneingeschränkt gegen den Schuldner geltend machen können, wird der Schuldner im Insolvenzplanverfahren nach § 227 Abs. 1 InsO mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit, sofern im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist. Die im gestaltenden Teil des Insolvenzplans geregelten Wirkungen treten gem. § 254 Abs. 1 InsO mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten ein; nach § 254b InsO auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben (sog. Nachzügler). Diese Personen unterliegen mithin nicht nur den negativen, sondern auch den positiven Planwirkungen. Sie können damit die Planquote beanspruchen, die auf Forderungen ihrer Art im Insolvenzplan festgeschrieben wurde (BGH vom 10.5.2012, IX ZR 206/11, Rz. 10 f., LEXinform 1579687 und BGH Beschluss vom 7.5.2015, IX ZB 75/14, Rz. 12, LEXinform 1596706). Deswegen bestimmt § 229 Satz 3 InsO, dass der dem Insolvenzplan zugrunde gelegte Finanzplan alle bei der Ausarbeitung bekannten Gläubiger zu berücksichtigen hat, auch wenn diese ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

Der Insolvenzplan bildet fortan die allein maßgebliche Grundlage für die gesamte Vermögens- und Haftungsabwicklung und auch die betroffenen Abgabenforderungen unterliegen nur noch dessen Festlegungen. Gem. § 257 Abs. 1 Satz 1 InsO können die Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüftermin bestritten worden sind, aus dem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan i.V.m. der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben (s.a. BFH vom 22.10.2014, I R 39/13, BStBl II 2015, 577, Rz. 15 ff.).

Die rechtsgestaltenden und abschließenden Regelungen des Insolvenzplanes stehen einer nachträglichen Änderung der Steuerfestsetzung gem. § 164 Abs. 2 AO, die zu einer Erhöhung, Verringerung oder dem Wegfall der Steuerforderung führen würde, entgegen BFH I R 39/13, Rz. 19).

Soweit Insolvenzforderungen nach § 227 Abs. 1 InsO als erlassen gelten oder ein sog. Verzicht auf sie fingiert wird, sind sie nicht erloschen, sondern bestehen als natürliche, unvollkommene Verbindlichkeiten fort, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden. Die mit dem Insolvenzplan bewirkte Befreiung berührt damit nicht den Bestand der Forderungen als solchen, sondern nur deren Durchsetzbarkeit (BFH vom 8.3.2022, VI R 33/19, BStBl II 2023, 98, Rz. 25).

Dies gilt auch für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Zustimmung der Finanzbehörde zu einem Insolvenzplan ersetzt daher weder eine Stundung noch einen Erlass i.S.d. §§ 222, 227 AO. Folglich erlöschen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 47 AO auch dann nicht mit der Zustimmung zu einem Insolvenzplan, wenn der Plan einen (Teil-)Erlass der Ansprüche vorsieht. Es besteht nur ein Vollstreckungs- und Aufrechnungsverbot (BFH VI R 33/19, Rz. 26).

Zwar kann die Erfüllung von Insolvenzplänen durch nachträglich erhobene Forderungen gefährdet oder unmöglich werden, insbes. dann, wenn diese vorsehen, dass eine bestimmte Summe Geldes unter den Insolvenzgläubigern verteilt wird. Dieses Problem hat der Gesetzgeber jedoch gesehen. Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.12.2011 (BGBl I 2011, 2582) sind mit Wirkung vom 1.3.2012 die Bestimmungen der §§ 259a, 259b InsO eingeführt worden. Danach kann der Schuldner Vollstreckungsschutz beantragen, wenn die Durchführung des Plans durch nachträglich erhobene Forderungen gefährdet wird; im Insolvenzverfahren nicht angemeldete Forderungen von Insolvenzgläubigern verjähren spätestens in einem Jahr nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans.

Nach § 259b Abs. 1 InsO verjährt die Forderung eines Insolvenzgläubigers, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden ist, in einem Jahr. Die Verjährungsfrist beginnt, wenn die Forderung fällig und der Beschluss rechtskräftig ist, durch den der Insolvenzplan bestätigt wurde.

Nach dem BFH-Urteil vom 8.3.2022 (VI R 33/19, BStBl II 2023, 98) ist der Erlass eines Haftungs- und Nachforderungsbescheids nach Abschluss eines Insolvenzplanverfahrens möglich.

Wird das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben, kann das FA Lohnsteuer, die es nicht zur Insolvenztabelle angemeldet hat, als Nachzügler im Wege eines Haftungs- und Nachforderungsbescheids innerhalb der Frist des § 259b InsO festsetzen. Dem FA ist kein Verschulden an der Nichtanmeldung von Steuer- und Haftungsansprüchen zur Insolvenztabelle anzulasten, wenn es die Kenntnis vom Bestehen der Ansprüche erst nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans infolge einer Lohnsteuer-Außenprüfung erlangt. Die (teilweise) Befreiung des Insolvenzschuldners von seinen Verbindlichkeiten durch den Insolvenzplan berührt nur die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, weshalb das FA bei deren Festsetzung nicht auf die Insolvenzquote beschränkt ist.

Beachte:

Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) oder mit dessen Einstellung (§ 211 InsO) endet grds. auch die Wirkung des § 80 Abs. 1 InsO, sodass der Insolvenzschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerhält (BFH vom 28.11.2017, VII R 1/16, BStBl II 2018, 457).

Zur Haftung des Insolvenzschuldners für die vom Insolvenzverwalter begründeten Umsatzsteuerschulden hat das FG Düsseldorf mit Urteil vom 13.7.2022 (4 K 1280/21, UStB 2023, 207, LEXinform 5024838, Revision eingelegt, Az. BFH: XI R 23/22, LEXinform 0954434) entschieden, dass der ehemalige Insolvenzschuldner für alle USt-Verbindlichkeiten seines Unternehmens nachinsolvenzrechtlich voll einstehen muss. Aus der eingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters kann auch in Bezug auf die als Masseverbindlichkeiten begründeten USt-Schulden keine Beschränkung der Nachhaftung des Insolvenzschuldners für die Zeit nach der Beendigung eines Insolvenzverfahrens hergeleitet werden (s.a. Anmerkung vom 31.8.2022, LEXinform 0888442).

13.3. Grundsätzliches zu den Pflichten des Insolvenzverwalters

Nach § 34 Abs. 3 AO hat der Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter alle steuerlichen Pflichten zu erfüllen, die dem Insolvenzschuldner oblägen, wenn über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre. Hierzu gehört insbesondere die Abgabe von Steuererklärungen. Zwar endet das Amt des Insolvenzverwalters, wenn das Insolvenzverfahren beendet ist, soweit keine Nachtragsverteilung stattfindet. Jedoch lässt die Beendigung des Amtes als Insolvenzverwalter dessen nach § 34 Abs. 3 AO entstandene Pflichten unberührt (vgl. § 36 AO), soweit diese den Zeitraum betreffen, in dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) bestanden hat, und soweit er sie erfüllen kann.

Vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§ 258 Abs. 1 InsO), hat der Insolvenzverwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten (§ 258 Abs. 2 Satz 1 InsO). Für die nicht fälligen Masseansprüche kann auch ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, dass ihre Erfüllung gewährleistet ist (§ 258 Abs. 2 Satz 2 InsO).

Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlöschen die Ämter des Insolvenzverwalters (§ 259 Abs. 1 Satz 1 InsO).

13.4. Beendigung des Insolvenzverfahrens ohne Vorbehalt der Nachtragsverteilung

Ist die Verpflichtung zur Abgabe der USt-Voranmeldung vor Beendigung des Insolvenzverfahrens entstanden und ist der Insolvenzverwalter noch im Besitz der entsprechenden Bücher und Aufzeichnungen, so ist er nach § 36 i.V.m. § 34 Abs. 3 AO und § 18 Abs. 1 und Abs. 2 UStG weiterhin verpflichtet, die USt-Voranmeldung für den betreffenden Zeitraum abzugeben.

Ist das Vertretungsverhältnis erloschen, so darf sich die Finanzbehörde nicht mehr an den früheren Vertreter, sondern nur noch an den Vertretenen oder den neuen Vertreter wenden. Dies bedeutet, dass Steuerbescheide nach Beendigung des Insolvenzverfahrens dem früheren Insolvenzschuldner und nicht mehr dem Insolvenzverwalter bekanntzugeben sind. Umsatzsteueransprüche des FA sind gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend zu machen, Steuererstattungsansprüche durch Leistung an ihn zu erfüllen, soweit nicht eine Aufrechnung mit Steuerforderungen, die vor oder während des Insolvenzverfahrens entstanden sind, in Betracht kommt.

Zu beachten ist, dass der bisherige Insolvenzschuldner auch hinsichtlich der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steuerforderungen weiterhin Steuerschuldner ist. Somit können die während des Bestehens des Insolvenzverfahrens begründeten Steuerschulden nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Stpfl. geltend gemacht werden (BFH vom 2.4.2019, IX R 21/17, BStBl II 2019, 481).

Beispiel 2:

Der Stpfl. S war Eigentümer eines bebauten Grundstücks, welches er vermietete. Im Dezember 03 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des S eröffnet. Die Insolvenzverwalterin setzte die Vermietung zunächst fort. Daraus ergaben sich positive Einkünfte für die Kj. 04 bis 06. Anschließend wurde die Immobilie zugunsten der Masse veräußert. Die Insolvenzverwalterin gab keine Steuererklärungen für den Stpfl. S ab und leistete auch keine Zahlungen auf die aus der Vermietung entstandene ESt. Das Amtsgericht erteilte dem S im November des Kj. 10 die Restschuldbefreiung. Das Insolvenzverfahren wurde im April 11 aufgehoben. Das FA erließ im Jahr 12 erstmals ESt-Bescheide für die Jahre 04 bis 06, in denen es u.a. die Einkünfte aus Vermietung ansetzte. Die Bescheide gab es dem S bekannt.

Lösung 2:

Der Sachverhalt und die Lösung sind dem BFH-Urteil vom 2.4.2019 (IX R 21/17, BStBl II 2019, 481) nachgebildet.

S ist Schuldner der ESt, soweit sie sich aus der Vermietung in den Jahren 04 bis 06 ergibt. Für die persönliche Zurechnung der ESt-Schuld enthält die InsO keine Vorschriften. Die ESt schuldet, wer die ihr zugrunde liegenden Einkünfte erzielt hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1EStG). Das ist grundsätzlich derjenige, der durch eine eigene oder durch eine ihm steuerlich zurechenbare Handlung eines Dritten den Besteuerungstatbestand verwirklicht, also (bei § 21 EStG) z.B. Wohnraum gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Danach kann der Schuldner aus Rechtsgründen die vermietende Tätigkeit nicht mehr durch eigenes Tun ausüben, soweit das vermietete Grundstück dem Insolvenzbeschlag unterfällt (§ 35 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter muss jedoch Mietverträge, die der Schuldner als Vermieter geschlossen hat, fortführen (§ 108 InsO); insofern steht ihm kein Erfüllungswahlrecht zu (§ 103 InsO). Die daraus erzielten Einkünfte werden dem Schuldner und nicht dem Insolvenzverwalter persönlich zugerechnet. Der Insolvenzverwalter handelt steuerlich nicht auf eigene Rechnung, sondern als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO). Als solcher hat er lediglich die in § 34 Abs. 1 AO aufgeführten steuerlichen Pflichten des Stpfl. zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Die Steuerschuld (§ 33 AO) ist davon nicht erfasst. Dem Schuldner ist die Insolvenzmasse bis zu ihrer Verteilung rechtlich zuzurechnen. Ihm sind deshalb auch die Mieten zugeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG), die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter zur Masse gezahlt werden (§ 35 Abs. 1 InsO). Handlungen des Insolvenzverwalters werden dem Schuldner grundsätzlich zugerechnet. Dies gilt jedenfalls, soweit sie sich im Rahmen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis halten und der Masse zurechenbar sind. Deshalb sind auch die vom Insolvenzverwalter aus der Masse geleisteten Aufwendungen im Zusammenhang mit der Vermietung dem Schuldner persönlich und wirtschaftlich zurechenbar.

Die Steuerschuld ist nicht durch die Restschuldbefreiung entfallen. Die Restschuldbefreiung wirkt nur gegen alle Insolvenzgläubiger (§ 301 Abs. 1 InsO). Insolvenzgläubiger ist, wer nach Maßgabe des § 38 InsO wegen der Erfüllung seiner Forderung auf die Insolvenzmasse verwiesen ist. Die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S.v. § 38 InsO begründeten Steuerforderungen, soweit sie aus der von der Insolvenzverwalterin fortgeführten Vermietungstätigkeit des S herrühren, haben insolvenzrechtlich gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten geführt. Rechtsfolge davon ist u.a., dass die dem S erteilte Restschuldbefreiung sich nicht auf diese Forderungen erstreckt.

Die Steuerschuld ist auch nicht durch Zahlung (§§ 47, 224, 224a, 225 AO) erloschen. Masseverbindlichkeiten müssen zwar vor Verteilung der Masse vom Insolvenzverwalter berichtigt werden (§ 53 InsO). Das ist im Streitfall jedoch nicht geschehen. Die Insolvenzverwalterin hat auf die Steuerforderung nichts bezahlt und auch keine Rücklagen gebildet, sondern die Masse verteilt und das Insolvenzverfahren ohne Beachtung der Steuerforderung beendet. Das FA muss die Steuerforderung deshalb ungeachtet der Aufhebung des Insolvenzverfahrens festsetzen und erheben (§ 85 Satz 1 AO).

Bekanntgaben an den Insolvenzverwalter können nur dann erfolgen, wenn dieser vom früheren Insolvenzschuldner zur Entgegennahme von Bescheiden (und ggf. Erstattungszahlungen) ausdrücklich ermächtigt worden ist (vgl. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO).

Mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens endet auch die Befugnis des Insolvenzverwalters, gegen einen den früheren Insolvenzschuldner betreffenden Steuerbescheid Einspruch einzulegen. Etwas anderes kann gelten, wenn der frühere Insolvenzschuldner den Insolvenzverwalter mit der Wahrnehmung seiner steuerlichen Interessen aus der Zeit des Insolvenzverfahrens beauftragt und ihn nach § 80 AO bevollmächtigt hat. In diesem Fall sind aber die Bestimmungen über die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen zu beachten (§§ 2 bis 7 StBerG).

13.5. Beendigung des Insolvenzverfahrens mit Vorbehalt der Nachtragsverteilung

13.5.1. Erstattungsfälle

Betrifft die Nachtragsverteilung ein noch nicht erstattetes Umsatzsteuerguthaben, so bleibt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters insoweit bestehen. Er ist in Bezug auf die betroffenen Gegenstände befugt, anhängige Prozesse weiterzuführen und erforderlichenfalls neue Prozesse anhängig zu machen. Ist der Umsatzsteuerüberschuss, dessen Erstattung begehrt wird, noch nicht festgesetzt, so hat der Insolvenzverwalter das Recht, einen Antrag auf Steuerfestsetzung zu stellen und die betreffenden Besteuerungsgrundlagen mitzuteilen. In der Regel wird der Antrag auf Steuerfestsetzung durch eine einen Überschuss ausweisende USt-Voranmeldung gestellt werden (s.a. BFH Urteil vom 28.2.2012, VII R 36/11, BStBl II 2012, 451).

Die Mitteilung über die Zustimmung zur Anmeldung, ein Umsatzsteuerbescheid, der zu einer geringeren Erstattung führt, oder ein Bescheid über die Ablehnung des Antrags, den Umsatzsteuerüberschuss festzusetzen, ist dem Insolvenzverwalter bekanntzugeben. Der Insolvenzverwalter hat aufgrund seiner insoweit weiterbestehenden Rechtsposition die Befugnis, gegen die Verwaltungsakte Einspruch einzulegen.

Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstandene, aber bereits während seiner Dauer begründete Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners unterliegen weiterhin dem Insolvenzbeschlag, falls mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Nachtragsverteilung vorbehalten worden ist. Für solche dem Insolvenzbeschlag weiterhin unterliegenden Ansprüche gelten die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote (BFH Urteil vom 28.2.2012, VII R 36/11, BStBl II 2012, 451; Anmerkung vom 10.5.2012, LEXinform 0941650).

13.5.2. Fälle mit Zahllast

Ergibt sich entgegen der ursprünglichen Annahme des Insolvenzverwalters kein Umsatzsteuerguthaben, so ist eine Festsetzung der USt-Vorauszahlung vorzunehmen, die sowohl dem Insolvenzverwalter als auch dem Unternehmer bekanntzugeben ist.

Die Zahlungsaufforderung kann in diesem Fall nur dann an den Insolvenzverwalter gerichtet werden, wenn es – unabhängig von dem ursprünglich angenommenen Umsatzsteuererstattungsanspruch – aus anderen Gründen zu einer Nachtragsverteilung kommt und wenn die Steuerfestsetzung einen (nachträglichen) Masseanspruch darstellt, der dem Insolvenzverwalter bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (§ 206 InsO).

Sowohl der Unternehmer als auch der Insolvenzverwalter sind befugt, gegen die Steuerfestsetzung Einspruch einzulegen. Die jeweils andere Partei ist ggf. zum Verfahren hinzuzuziehen.

14. Das Verbraucherinsolvenzverfahren

14.1. Allgemeiner Überblick

Das Verbraucherinsolvenzverfahren regeln die §§ 304 ff. InsO. Zur Definition des Verbrauchers s. § 13 BGB.

Das Verbraucherinsolvenzverfahren gilt ausschließlich für natürliche Personen, die keine oder nur eine geringfügige selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben. Eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ist unschädlich, wenn die Vermögensverhältnisse überschaubar sind (§ 304 Abs. 1 Satz 2 InsO). Überschaubar sind die Vermögensverhältnisse nur, wenn der Schuldner zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird, weniger als 20 Gläubiger hat (§ 304 Abs. 2 InsO).

Dem Verbraucherinsolvenzverfahren muss zwingend ein außergerichtlicher Schuldenbereinigungsversuch vorausgegangen sein (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

Hinweis:

Zu den Kriterien für die Entscheidung über einen Einigungsversuch zur außergerichtlichen Schuldenbereinigung (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO) nimmt das BMF mit Schreiben vom 27.1.2021 (BStBl I 2021, 152) Stellung.

Nach § 305 InsO hat der Schuldner mit dem schriftlich einzureichenden Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgende Unterlagen vorzulegen:

  • Bescheinigung von einer geeigneten Stelle – etwa einer Schuldnerberatungsstelle –, aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern innerhalb der letzten sechs Monate erfolglos versucht wurde (s. Beachte);

  • Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung (§ 287 InsO);

  • Vermögensverzeichnis sowie dessen Zusammenfassung (Vermögensübersicht);

  • einen Schuldenbereinigungsplan.

Beachte:

Mit Art. 3 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird ab 1.10.2020 § 103k EGInsO als Überleitungsvorschrift zur Anwendung der InsO eingefügt.

Nach Art. 103k Abs. 4 EGInsO wird für eine Übergangszeit der Zeitraum, innerhalb dessen ein Einigungsversuch unternommen worden sein muss, auf 12 Monate verlängert. Der 12-Monatszeitraum gilt in den Fällen, in denen der Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens zwischen dem 31.12.2020 und dem 30.6.2021 gestellt wird. Nach Ablauf der Übergangsfrist wird allerdings wieder zu der bisherigen Sechsmonatsfrist des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückgekehrt.

Das Verfahren über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ruht bis zur Entscheidung über den Schuldenbereinigungsplan. Dieser Zeitraum soll drei Monate nicht überschreiten. Das Gericht ordnet nach Anhörung des Schuldners die Fortsetzung des Verfahrens über den Eröffnungsantrag an, wenn nach seiner freien Überzeugung der Schuldenbereinigungsplan voraussichtlich nicht angenommen wird (§ 306 Abs. 1 InsO).

Widerspricht kein Gläubiger, so gilt der Plan als angenommen (§ 308 Abs. 1 InsO); widerspricht nur eine Minderheit, so kann das Gericht bei einem inhaltlich angemessenen Plan die fehlende Zustimmung ersetzen (§ 309 Abs. 1 InsO). Der Schuldenbereinigungsplan hat die Wirkung eines Vergleichs i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (§ 308 Abs. 1 Satz 2 InsO) und damit Titelfunktion.

14.2. Restschuldbefreiung

14.2.1. Grundsätzliches zu den Anwendungsvoraussetzungen

Im Regelfall wird der Gläubiger im Insolvenzverfahren nur quotal befriedigt. Die §§ 286 ff. InsO sehen für natürliche Personen die Möglichkeit der Restschuldbefreiung vor. In § 1 Satz 2 InsO wird die Restschuldbefreiung für redliche Schuldner sogar zum eigenständigen Verfahrensziel des Insolvenzverfahrens erklärt. Die Restschuldbefreiung hat folgende Voraussetzungen:

  • einen Antrag des Schuldners (verbunden mit dem Insolvenzantrag) bzw. dessen Nachholung binnen zwei Wochen nach Insolvenzantragstellung (§ 287 Abs. 1 Satz 1 InsO);

  • eine Restschuldbefreiung kann nur eine natürliche Person beantragen;

  • der Antragsteller muss sein pfändbares Einkommen für die Dauer von drei Jahren abtreten (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO).

    Mit Art. 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung weiterer Gesetze vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird § 287 Abs. 2 InsO neu gefasst. Nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO n.F. wird die bisherige Abtretungsfrist von sechs Jahren ab 1.10.2020 auf drei Jahre verkürzt (s. Pape, NWB 3/2021, 188).

    Ist dem Schuldner auf Grundlage eines nach dem 30.9.2020 gestellten Antrags bereits einmal Restschuldbefreiung erteilt worden, so beträgt die Abtretungsfrist in einem erneuten Verfahren fünf Jahre; der Schuldner hat dem Antrag eine entsprechende Abtretungserklärung beizufügen (§ 287 Abs. 2 Satz 2 InsO);

  • es liegen keine Versagungsgründe i.S.v. § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 InsO vor.

    Unrichtige schriftliche Angaben des Schuldners über seine wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens können auch dann zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen (s. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO), wenn sie im Rahmen eines Vergleichsangebots erfolgen BGH Beschluss vom 18.11.2021, IX ZB 1/21, NWB 5/2022, 298, LEXinform 4240164).

    Die Restschuldbefreiung ist durch Beschluss zu versagen, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist. Der Antrag des Gläubigers kann bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung nach § 211 Abs. 1 InsO (Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit) schriftlich gestellt werden; er ist nur zulässig, wenn ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird (§ 290 Abs. 2 Satz 1 InsO).

    Nach dem BGH-Beschluss vom 24.3.2022 (IX ZB 35/21, NWB 28/2022, 1962, LEXinform 4246848) kann ein Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung bei angezeigter Masseunzulänglichkeit bis zur Einstellung des Insolvenzverfahrens gestellt werden, auch wenn eine abschließende Gläubigerversammlung durchgeführt worden ist. Die Regelung des § 290 Abs. 2 Satz 1 InsO kann nicht teleologisch dahingehend reduziert werden, dass an die Stelle der Entscheidung nach § 211 Abs. 1 InsO der Termin der abschließenden Gläubigerversammlung treten würde (BGH IX ZB 35/21, Rz. 13).

    Beachte:

    Bei natürlichen Personen, die keiner Insolvenzantragspflicht unterliegen, kann die Unterlassung eines Insolvenzantrags zur Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO führen.

Ob die Restschuldbefreiung gewährt wird, entscheidet das Insolvenzgericht (§ 287a Abs. 1 und § 300 InsO). § 287a Abs. 2 InsO beinhaltet besondere Unzulässigkeitsgründe.

Der Antrag auf Restschuldbefreiung ist u.a. unzulässig, wenn dem Schuldner in den letzten elf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag Restschuldbefreiung erteilt oder wenn ihm die Restschuldbefreiung in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag nach § 297 InsO versagt worden ist.

Beachte:

Mit Art. 2 Nr. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung weiterer Gesetze vom 22.12.2020 (BGBl I 2020 Nr. 67, 3328) wird ab 1.10.2020 die Zehnjahresfrist des § 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO auf 11 Jahre verlängert.

Während der Laufzeit der Abtretung wird ein Treuhänder bestellt, an den jährlich die abgetretenen Bezüge abzuführen sind (§§ 287 Abs. 1 und 2, 291 InsO). Während der Laufzeit der Abtretung hat der Schuldner die Obliegenheiten gem. § 295 InsO. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, wird die Restschuldbefreiung gem. § 300 Abs. 1 InsO erteilt, andernfalls wird sie versagt (§§ 296 Abs. 1 Satz 1, 297, 298 InsO).

Die Restschuldbefreiung wirkt gegenüber allen Insolvenzgläubigern, d.h. auch gegenüber solchen, die ihre Forderung nicht angemeldet haben (§ 301 Abs. 1 InsO). Insolvenzgläubiger sind alle persönlichen Gläubiger des Schuldners, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Der anspruchsbegründende Tatbestand muss also bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen sein. Massegläubiger (§ 53 InsO) sind keine Insolvenzgläubiger und Masseverbindlichkeiten sind keine Insolvenzforderungen. Daher werden Masseverbindlichkeiten nach dem eindeutigen Wortlaut des § 301 Abs. 1 Satz 1 InsO und der Systematik der §§ 35 ff. und 286 ff. InsO von der Restschuldbefreiung nicht erfasst (BFH Urteil vom 28.11.2017, VII R 1/16, BStBl II 2018, 457, Rz. 13 und 14). Zwar trifft es zu, dass es das Ziel des Insolvenzverfahrens ist, dem redlichen Schuldner Gelegenheit zu geben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (§ 1 Satz 2 InsO). Aber unter welchen formellen und materiellen Voraussetzungen und in welchem Umfang dies geschehen soll, wird allein durch die gesetzlichen Regelungen der InsO bestimmt, im Fall der Restschuldbefreiung durch § 301 InsO. Die in dieser Regelung klar vorgegebene Reichweite der Restschuldbefreiung kann nicht unter Hinweis auf die allgemeine Zielsetzung der InsO auf Masseverbindlichkeiten ausgedehnt werden. Hätte der Gesetzgeber Masseverbindlichkeiten in die Restschuldbefreiung einbeziehen wollen, hätte er den Anwendungsbereich des § 301 InsO nicht ausdrücklich auf Insolvenzgläubiger beschränkt.

Steuerschulden, die als Masseverbindlichkeiten entstanden sind, können nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit Erstattungsansprüchen des ehemaligen Insolvenzschuldners verrechnet werden. Der Verrechnung stehen eine dem Insolvenzverfahren immanente sog. Haftungsbeschränkung bzw. eine Einrede der beschränkten Haftung des Insolvenzschuldners nicht entgegen (BFH Urteil vom 28.11.2017, VII R 1/16, BStBl II 2018, 457; s.a. Anmerkung vom 13.3.2018, LEXinform 0949479).

Die aus der Restschuldbefreiung resultierenden Steuern sind im Fall der Betriebsaufgabe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie Folge der Verwaltung durch den Insolvenzverwalter sind (BFH vom 6.4.2022, X R 28/19, BStBl II 2023, 341; s.a. Anmerkung vom 20.12.2022, LEXinform 0654004).

14.2.2. Restschuldbefreiung und Steuerstraftaten

Mit Urteil vom 28.6.2022 (VII R 23/21, BStBl II 2022, 791) nimmt der BFH Stellung zur Geltendmachung einer Insolvenzforderung gem. § 174 Abs. 1 InsO und dabei zur Wirkung einer nachträglichen Anmeldung i.S.d. § 177 Abs. 1 i.V.m. § 174 Abs. 2 InsO (s.a. Anmerkung vom 21.9.2022, LEXinform 0888496).

Entscheidungssachverhalt des BFH-Urteils VII R 23/21

Über das Vermögen des Stpfl. wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem lag ein Eigenantrag des Stpfl. zugrunde, der mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung verbunden war.

Vor dem Prüfungstermin meldete das FA Abgabenforderungen i.H.v. 116 642,65 € an, ohne auf einen Zusammenhang mit einer Steuerstraftat hinzuweisen. Den Abgabenforderungen lagen u.a. Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide zugrunde. Die Forderungen wurden wie angemeldet zur Insolvenztabelle festgestellt.

Danach wurde der Stpfl. mit Strafbefehl rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dabei ging es um einen Betrag i.H.v. insgesamt 65 178 € aus ESt und USt.

Im Anschluss beantragte das FA, die Insolvenztabelle dahingehend zu ergänzen, dass es sich bei den Abgabenforderungen in Höhe eines Teilbetrages von 65 178 € um Forderungen aus einer Steuerstraftat nach § 370 AO handele, für die gem. § 302 Nr. 1 InsO die Restschuldbefreiung ausgeschlossen sei (Attribut). Der Stpfl. legte nach einem Hinweis des Insolvenzgerichts auf die Widerspruchsmöglichkeit gem. § 175 Abs. 2 InsO Widerspruch gegen die Anmeldung des Attributs ein. Im Prüfungstermin im schriftlichen Verfahren wurde sein Widerspruch in die Tabelle eingetragen.

Entscheidungsgründe

Das FA macht eine Insolvenzforderung geltend, indem es diese nach § 174 Abs. 1 InsO zur Tabelle anmeldet (s.a. den Gliederungspunkt »Geltendmachung der Ansprüche« und dort »Insolvenzforderungen«). Bei der Anmeldung sind nach § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO zugrunde liegt.

Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 2 InsO ist nicht die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat anzumelden, sondern jene Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Forderung nach Einschätzung des Gläubigers eine Steuerstraftat zugrunde liegt. Insoweit unterscheiden sich die Regelungen in § 174 Abs. 2 und § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO, der Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis von der Restschuldbefreiung ausnimmt, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist. Nach der Begründung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BT-Drs. 17/11268, 32) soll nämlich bei der Anmeldung zur Tabelle unbeachtlich sein, wann die Verurteilung tatsächlich erfolgt (BFH VII R 23/21, Rz. 25).

Forderungen können nach § 177 Abs. 1 InsO auch nachträglich, d.h. nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldet werden. Die gem. § 28 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmende Anmeldefrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Deshalb sind Forderungsanmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 1 InsO) und Änderungsmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 3 InsO) bis zum Schlusstermin möglich (BFH VII R 21/21, Rz. 26).

Aus § 177 Abs. 1 InsO ergibt sich, dass auch eine nachträgliche Anmeldung des Attributs i.S.d. § 174 Abs. 2 InsO möglich ist. Dabei handelt es sich um eine nachträgliche Änderung i.S.d. § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO.

Durch die Rspr. des BGH ist bereits geklärt, dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, auch für eine bereits zur Tabelle festgestellte Forderung nachträglich angemeldete Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der Forderung eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt, in die Tabelle einzutragen.

Dies gilt auch für Forderungen aus Steuerstraftaten gem. § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO. Auch in diesem Fall kann sich nachträglich herausstellen, dass der Forderung eine Steuerstraftat zugrunde liegt. Eine Nachmeldung muss auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung möglich sein. Denn wenn diese Feststellung in der Tabelle fehlt, kann sich der Gläubiger auf einen Ausschluss seiner Forderung von der Restschuldbefreiung nicht mehr berufen (BT-Drs. 14/5680, 28; BGH vom 18.5.2006, IX ZR 187/04, LEXinform 1540718, BFH VII R 23/21, Rz. 30).

14.2.3. Übergangsregelung

Mit Art. 3 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird ab 1.10.2020 § 103k EGInsO als Überleitungsvorschrift zur Anwendung der Abtretungsfrist eingefügt.

Art. 103k Abs. 1 EGInsO legt zunächst fest, dass auf alle Insolvenzverfahren, deren Eröffnung vor 1.10.2020 (dem Inkrafttreten dieses Gesetzes) beantragt worden ist, das bisherige Recht weiterhin anzuwenden ist. Umgekehrt gilt für alle Insolvenzverfahren, die ab dem 1.10.2020 beantragt werden, das geänderte Recht.

Auf Insolvenzverfahren, die im Zeitraum vom 17.12.2019 bis einschließlich 30.9.2020 beantragt worden sind, verkürzt sich die Abtretungsfrist i.S.d. § 287 Abs. 2 InsO für jeden vollen Monat, der seit dem 16.7.2019 bis zur Stellung des Insolvenzantrages vergangen ist, um denselben Zeitraum (zur Begründung der Übergangsregelung s. BT-Drs. 19/21981, 22 f.). Demgemäß beträgt die Abtretungsfrist:

Datum der Stellung des Insolvenzantrages:

Abtretungsfrist:

zwischen dem 17.12.2019 und 16.1.2020

fünf Jahre und sieben Monate

zwischen dem 17.1.2020 und 16.2.2020

fünf Jahre und sechs Monate

zwischen dem 17.2.2020 und 16.3.2020

fünf Jahre und fünf Monate

zwischen dem 17.3.2020 und 16.4.2020

fünf Jahre und vier Monate

zwischen dem 17.4.2020 und 16.5.2020

fünf Jahre und drei Monate

zwischen dem 17.5.2020 und 16.6.2020

fünf Jahre und zwei Monate

zwischen dem 17.6.2020 und 16.7.2020

fünf Jahre und ein Monat

zwischen dem 17.7.2020 und 16.8.2020

fünf Jahre

zwischen dem 17.8.2020 und 16.9.2020

vier Jahre und elf Monate

zwischen dem 17.9.2020 und 30.9.2020

vier Jahre und zehn Monate

Eine in der Abtretungserklärung erklärte, anderslautende Abtretungsfrist ist insoweit unbeachtlich.

14.3. Ertragsteuerliche Behandlung von Gewinnen aus einer erteilten Restschuldbefreiung

14.3.1. Verwaltungsregelung im BMF-Schreiben vom 22.12.2009

Das BMF (koordinierter Ländererlass) nimmt mit Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl I 2010, 18) zur ertragsteuerlichen Behandlung von Gewinnen im Insolvenzverfahren Stellung (s.a. Janssen, NWB 2010, 1854). Im Insolvenzverfahren können natürliche Personen als Schuldner einen Antrag auf Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) stellen, um nach einer Wohlverhaltensperiode von drei Jahren die Befreiung von bislang gegenüber den Insolvenzgläubigern nicht erfüllten Verbindlichkeiten zu erlangen (sog. Restschuldbefreiungen). Die Restschuldbefreiung kann bei Land- und Forstwirten, Gewerbetreibenden und Selbstständigen zu »steuerpflichtigen« Gewinnen führen. Eine vergleichbare Problematik ergibt sich auch im Rahmen des Planinsolvenzverfahrens (§§ 217 ff. InsO) und der Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO).

Im sog. Verbraucherinsolvenzverfahren erhalten u.a. auch Personen, die eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben, die Möglichkeit der Restschuldbefreiung; Voraussetzung ist u.a., dass ihre Vermögensverhältnisse überschaubar sind, d.h. im Zeitpunkt des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind weniger als 20 Gläubiger vorhanden, und dass gegen sie keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen.

Im Rahmen des Planinsolvenzverfahrens besteht die Möglichkeit, die Vermögensverwertung und -verteilung abweichend von den gesetzlichen Vorschriften der InsO durch die Erstellung eines Insolvenzplanes zu regeln. Der Insolvenzplan soll den Beteiligten (Insolvenzgläubiger und Schuldner) die Möglichkeit geben, die Zerschlagung des Unternehmens zu vermeiden und stattdessen eine Sanierung oder Übertragung des Unternehmens zu beschließen. Zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger und zur Verteilung der Insolvenzmasse durch einen Insolvenzplan s. den Gliederungspunkt »Beendigung des Insolvenzverfahrens«.

Mit dem am 8.2.2017 veröffentlichten Beschluss des GrS vom 28.11.2016 (GrS 1/15, BStBl II 2017, 393) hat der Große Senat des BFH entschieden, dass das BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (BStBl I 2003, 240), ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl I 2010, 18) – sog. Sanierungserlass – gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt (s. BMF vom 27.4.2017, BStBl I 2017, 741).

14.3.2. Steuerbefreiung nach § 3a Abs. 5 EStG

Mit Art. 2 Nr. 2 i.V.m. Nr. 4 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017 (BGBl I 2017, 2074) wird § 3a EStG neu eingefügt. Die Regelungen des § 3a EStG sind auf alle Fälle anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 (Tag der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des BFH (GrS 1/15)) erlassen wurden (§ 52 Abs. 4a Satz 1 EStG). Für Steuerfälle, in denen der Schuldenerlass bis zum 8.2.2017 ausgesprochen wurde oder in denen bis zum Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, ist nach dem BMF-Schreiben vom 27.4.2017 (BStBl I 2017, 741, s.o.) der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen weiterhin anwendbar. Auf Antrag des Stpfl. ist § 3a EStG auch in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden vor dem 9.2.2017 erlassen wurden (§ 52 Abs. 4a Satz 3 EStG).

§ 3a Abs. 5 EStG regelt die entsprechende Anwendung der Steuerbefreiung für unternehmensbezogene Sanierungen auch für die Erträge aus einer erteilten Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO), einem Schuldenerlass aufgrund eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans zur Vermeidung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens (§§ 304ff. InsO) oder aufgrund eines Schuldenbereinigungsplans, dem in einem Verbraucherinsolvenzverfahren zugestimmt wurde oder wenn diese Zustimmung durch das Gericht ersetzt wurde. Diese Fälle sind entsprechend der bisherigen Verwaltungsauffassung auch dann begünstigt, wenn es sich um eine unternehmerbezogene Sanierung handelt, weil z.B. bereits vor Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens eine Betriebsaufgabe stattgefunden hat. Die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 EStG müssen nicht vorliegen.

Gewinne aus einer erteilten Restschuldbefreiung sind dabei grds. erst im Jahr der Restschuldbefreiung zu berücksichtigen (s. BMF vom 22.12.2009, BStBl I 2010, 18; BFH vom 3.2.2016, X R 25/12, BStBl II 2016, 391). Etwas anderes gilt, wenn es sich bei der erteilten Restschuldbefreiung um ein rückwirkendes Ereignis handelt (z.B. bei einer zwischenzeitlich stattgefundenen Betriebsaufgabe). In diesen Fällen ist der Gewinn aus der Restschuldbefreiung nach den allgemeinen Grundsätzen bereits im Jahr der Betriebsaufgabe zu berücksichtigen (BT-Drs. 18/12128, 33).

Mit Urteil vom 13.12.2016 (X R 4/15, BStBl II 2017, 786) bestätigt der BFH seine Rechtsauffassung im Urteil X R 25/12, wonach ein Buchgewinn, der aufgrund der Erteilung einer Restschuldbefreiung entsteht, grds. im Jahr der Rechtskraft des gerichtlichen Beschlusses zu erfassen ist. Allerdings liegt ein in das Jahr der Aufstellung der Aufgabebilanz zurückwirkendes Ereignis vor, wenn der Betrieb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde (so auch FG Münster vom 21.7.2016, 9 K 3457/15, EFG 2016, 1871, LEXinform 5019527, rkr.).

Um ein rückwirkendes Ereignis handelt es sich z.B., wenn aufgrund einer Restschuldbefreiung Verbindlichkeiten, die bislang in einer Betriebsaufgabebilanz erfasst waren, ausgebucht werden. Die Restschuldbefreiung muss also mit einer früheren Betriebsaufgabe im Zusammenhang stehen (BFH vom 13.12.2016, X R 4/15, BStBl II 2017, 786 Rz. 25). Entscheidend ist, dass der Sanierungsertrag zu einer BV-Mehrung oder einer Betriebseinnahme führt.

Zur ertragsteuerlichen Behandlung des Gewinns aus einer Restschuldbefreiung nimmt das BMF (koordinierter Ländererlass) mit Schreiben vom 8.4.2022 (BStBl I 2022, 632) erneut Stellung. Abweichend von den Aussagen im BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl I 2010, 18) stellt die erteilte Restschuldbefreiung ein auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe rückwirkendes Ereignis dar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betrieb vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde (bestätigt durch BFH vom 6.4.2022, X R 28/19, BStBl II 2023, 341).

Das BMF-Schreiben vom 8.4.2022 ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Aus Gründen des Vertrauensschutzes muss der Stpfl. die erteilte Restschuldbefreiung nicht als rückwirkendes Ereignis behandeln, wenn der Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Veröffentlichung dieses BMF-Schreibens aufgegeben wurde bzw. als aufgegeben gilt. Sofern der Betrieb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde bzw. als aufgegeben gilt, kann der Stpfl. bei Betriebsaufgaben vor dem 8.8.2017 (Veröffentlichungsdatum des BFH-Urteils X R 4/15, BStBl II 2017 Nr. 15–16, 786) entsprechend verfahren.

14.4. Die ertragsteuerrechtliche Behandlung der Treuhändervergütung im Verbraucherinsolvenzverfahren

Die Vergütung des Insolvenztreuhänders ist dem Privatbereich des Stpfl. zuzuordnen und kann deshalb nicht als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben abgezogen werden. Hat der Stpfl. die entscheidende Ursache für seine Zahlungsschwierigkeiten selbst gesetzt, so kann die Insolvenztreuhändervergütung auch nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden (BFH vom 4.8.2016, VI R 47/13, BStBl II 2017, 276; s.a. Anmerkung vom 18.10.2016, LEXinform 0948180).

Nach dem BFH-Urteil vom 16.12.2021 (VI R 41/18, BStBl II 2022, 321) ist die zugunsten des Insolvenzverwalters festgesetzte Tätigkeitsvergütung beim Insolvenzschuldner nicht als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen. An der in dem Urteil vom 4.8.2016 (VI R 47/13, BStBl II 2017, 276) geäußerten Rechtsauffassung hält der BFH nicht länger fest (BFH VI R 41/18, Rz. 33; s.a. Niedersächsisches FG vom 22.6.2023, 3 K 105/22, LEXinform 5025593, Rev. eingelegt, Az. BFH: VIII R 15/23, LEXinform 0954732).

Zwar ist die Insolvenzverwaltervergütung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners geleistet worden. Denn vorliegend ist die Insolvenzverwaltervergütung aus den Guthaben auf den zur Abwicklung des Insolvenzverfahrens eingerichteten offenen (Treuhand-)Konten beglichen worden. Steuerlich ist dieses treuhänderisch gebundene Guthaben (Einnahmen wie Ausgaben) dem Vermögen des Insolvenzschuldners zuzuordnen. Damit stellt sich die Leistung der Insolvenzverwaltervergütung als »Aufwendung« des Insolvenzschuldners i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG dar.

Der Insolvenzschuldner ist hierdurch auch in dem für die Anwendung des § 33 EStG erforderlichen Sinne belastet. Dem steht insbes. nicht entgegen, dass ihm nach Abschluss des Insolvenzverfahrens Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Denn von der Restschuldbefreiung werden nur Insolvenzforderungen, nicht jedoch die Kosten des Insolvenzverfahrens oder sonstige Masseverbindlichkeiten (§ 301 Abs. 1 InsO) erfasst.

Die Tätigkeitsvergütungen sind jedoch mangels Außergewöhnlichkeit nicht gem. § 33 Abs. 1 EStG steuermindernd zu berücksichtigen. Die Überschuldung von Privatpersonen ist kein gesellschaftliches Randphänomen. Daher sind Insolvenzverfahren von Verbrauchern und bestimmten natürlichen – unternehmerisch tätigen – Personen (Privatpersonen) keineswegs unüblich. Der Gesetzgeber sah sich deshalb im Jahr 1999 veranlasst, mit Einführung der Insolvenzordnung für diesen Personenkreis ein vereinfachtes (Verbraucher-)Insolvenzverfahren einzuführen. Von dieser Möglichkeit haben bis Ende 2019 rund 2,13 Mio. Privatpersonen Gebrauch gemacht (BFH VI R 41/18, Rz. 32).

Da auch das vereinfachte Insolvenzverfahren für jedermann kostenpflichtig ausgestaltet ist, fallen insbes. Vergütungen und Auslagen des Insolvenzverwalters/Treuhänders, Gerichtskosten sowie unter Umständen Kosten einer Schuldnerberatung an. Es kann vorliegend deshalb nicht angenommen werden, dem vormaligen Insolvenzschuldner seien durch die in Rede stehende Tätigkeitsvergütung des Insolvenzverwalters größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Stpfl. gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Außergewöhnliche Aufwendungen im Sinne der Legaldefinition in § 33 Abs. 1 Satz 1 EStG liegen mithin nicht vor (s.a. Anmerkung vom 9.3.2022, LEXinform 0888004).

15. Literaturhinweise

Schädlich, Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse, NWB 33/2014, 2486; Pape, Die Zahlungsunfähigkeit als Dreh- und Angelpunkt des Insolvenzverfahrens, NWB 14/2018, 961; Schädlich, Wenn Gesellschaft und Gesellschafter gleichzeitig in Insolvenz fallen…, NWB 48/2018, 3540; Adrian u.a., Verlust der Gemeinnützigkeit bei Insolvenz oder Liquidation?, NWB 37/2019, 2709; Sterzinger, Umsatzsteuern als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten – zugleich Besprechung der Entscheidung des BGH v. 22.12.2018 – IX ZR 167/16, UStB 5/2019, 153; Witfeld, Die Behandlung der Umsatzsteuer in der (vorläufigen) Eigenverwaltung, NWB 44/2020, 3243; Pape, Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre ist da, NWB 3/2021, 188; Schädlich, Praxisrelevante insolvenzrechtliche Neuregelungen neben dem StaRUG, NWB 7/2021, 480; Schulze u.a., Auswirkungen des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens auf den Umsatzsteueranspruch, UR 2021, 213; Schädlich, Keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das SanInsKG, NWB 2/2023, 117.

16. Verwandte Lexikonartikel

Aufrechnung

Einkünfte aus selbstständiger Arbeit

Haftung

Insolvenzen und Steuern

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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