1 Allgemeine Grundsätze
2 Definition des Inventars
3 Inventarerstellung
4 Erleichterungen bei der Inventarerstellung
4.1 Festbewertung
4.2 Gruppenbewertung
4.3 Verbrauchsfolgeverfahren
4.4 Fortlaufendes Bestandsverzeichnis
5 Literaturhinweise
6 Verwandte Lexikonartikel
Die §§ 238 ff. HGB regeln die Buchführungs- und Inventarpflicht des Kaufmanns (→ Buchführungspflicht). Nach § 238 Abs. 1 HGB ist jeder Kaufmann verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) ersichtlich zu machen (→ Doppelte Buchführung; H 5.2 [Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung] EStH). Die ordnungsgemäße Führung der Handelsbücher ist in § 239 HGB normiert. Die Inventarpflicht selbst ist in § 240 HGB geregelt. Fehlt eine körperliche Bestandsaufnahme oder enthält das Inventar in formeller oder materieller Hinsicht nicht nur unwesentliche Mängel (s.a. H 5.4 [Fehlende Bestandsaufnahme] sowie [Fehlendes Bestandsverzeichnis] EStH), ist die Buchführung nicht als ordnungsgemäß anzusehen (R 5.3 Abs. 4 EStR). Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gelten auch für Stpfl., die nach § 141 Abs. 1 AO buchführungspflichtig sind (R 5.3 Abs. 5 EStR und BFH Urteil vom 6.12.1983, VIII R 110/79, BStBl II 1984, 227; → Buchführungspflicht).
Mit Urteil vom 23.6.1971 (I B 6/71, BStBl II 1971, 709) hat der BFH u.a. Folgendes entschieden: Eine Buchführung ist ordnungsmäßig, wenn sie den Grundsätzen des Handelsrechts entspricht. Zu einer ordnungsgemäßen Buchführung gehört eine Vermögensübersicht am Ende eines jeden Wj., der eine Aufnahme (Inventur) aller vorhandenen WG zugrunde liegen muss. Der Kaufmann hat im Inventar die Vermögensgegenstände »genau zu verzeichnen, dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände anzugeben« (§ 240 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HGB). Die Bestände sind nach Art, Menge und Wert festzustellen. Die Warenbestandsaufnahme muss eine angemessene Kontrolle ermöglichen und die Gewähr bieten, dass die Bestände vollständig erfasst und bewertet sind.
Das KG Berlin hat mit Urteil vom 20.12.2005 (13 U 26/05, KGR Berlin 2006, 237) u.a. Folgendes entschieden: Die Anforderungen, die an einen Jahresabschluss für den Betrieb des Klägers zu stellen sind, ergeben sich aus den Vorschriften über die Führung von Handelsbüchern nach §§ 238 ff HGB. Gem. § 242 Abs. 3 HGB bilden die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung den Jahresabschluss, der nach § 243 Abs. 1 HGB nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung zu erstellen ist. Entsprechend kodifiziert § 140 AO die steuerrechtliche Verpflichtung zur Buchführung und zum Jahresabschluss für den, der dies auf Grund anderer Gesetze zu tun hat. Nach § 5 Abs. 1 EStG ist das in der sog. Handelsbilanz festgestellte BV auch für die zur Ermittlung des steuerlichen Gewinns zu erstellende Steuerbilanz maßgebend. Gem. § 246 hat der Jahresabschluss grundsätzlich sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge zu enthalten. In der Bilanz sind u.a. das AV und das UV auszuweisen, wobei zu letzterem Vorräte, Forderungen, Wertpapiere, Schecks, Kassenbestand, Guthaben gehören. Zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung i.S.d. § 243 Abs. 1 HGB gehört auch die Aufstellung eines Inventars i.S.d. §§ 240, 242 HGB, wobei die Inventur des sog. Umlauf- bzw. Vorratsvermögens – um solches handelt es sich bei den Immobilien des Klägers, denn er handelt damit – im Wege körperlicher Bestandsaufnahme erfolgt. Diese hat entweder nach § 240 HGB zum Bilanzstichtag oder im Rahmen des Inventurvereinfachungsverfahrens nach § 241 Abs. 2 HGB im Verlaufe des Geschäftsjahres zu erfolgen, denn auch bei der sog. permanenten Inventur i.S.d. § 241 Abs. 2 HGB ist eine jährliche und körperliche Aufnahme des Vorratsvermögens erforderlich, jedenfalls unter Anwendung des § 241 Abs. 1 HGB als Stichprobeninventur. Das erforderliche Inventar muss so beschaffen sein, dass die Vermögensgegenstände artikelgenau nach Art, Menge und Wert verzeichnet sind. Zum Vorratsvermögen gehörende Grundstücke sind also konkret zu bezeichnen, dies schon deshalb, weil anderenfalls die nach §§ 252 ff. HGB in der Bilanz vorzunehmende Bewertung gar nicht erfolgen kann.
Bei der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 5 EStG sind – soweit sich aus den Steuergesetzen nichts anderes ergibt – die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften (§§ 238 bis 263 HGB) zu beachten (H 5.2 [Allgemeines] EStH).
Unter Inventar i.S.d. § 240 HGB ist die Aufstellung der Vermögensgegenstände, das Bestandsverzeichnis zu verstehen. In ihm sind die einzelnen Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert genau zu verzeichnen. § 240 Abs. 1 HGB spricht von
Grundstücken,
Forderungen und
Schulden,
dem Betrag des baren Geldes sowie
die sonstigen Vermögensgegenstände.
Das Inventar ist also das genaue Verzeichnis aller Vermögensgegenstände und Schulden mit Angabe ihrer Werte (→ Bewertung von Wirtschaftsgütern).
In das Bestandsverzeichnis müssen u.a. sämtliche beweglichen Gegenstände des AV, auch wenn sie bereits in voller Höhe abgeschrieben sind, aufgenommen werden. Ausnahmen gelten für geringwertige WG (§ 6 Abs. 2 EStG; → Geringwertige Wirtschaftsgüter) und für die mit einem → Festwert angesetzten WG. Das Bestandsverzeichnis muss
die genaue Bezeichnung des Gegenstandes und
seinen Bilanzwert am Bilanzstichtag
enthalten. Das Bestandsverzeichnis ist auf Grund einer jährlichen körperlichen Bestandsaufnahme aufzustellen (R 5.4 Abs. 1 EStR).
Nach § 240 Abs. 1 HGB ist das Anfangs- oder Eröffnungsinventar zu Beginn des Handelsgewerbes zu erstellen (Beginn der Buchführungspflicht). Es bildet somit die Grundlage der Eröffnungsbilanz.
Nach § 241a HGB (i.d.F. vom 27.3.2024, gültig ab 28.3.2024; anzuwenden auf Umsätze der Kj. bzw. Wj., die nach dem 31.12.2023 beginnen) sind Einzelkaufleute, die
in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren
Umsatzerlöse von nicht mehr als je 800 000 € und
einen Jahresüberschuss von nicht mehr als je 80 000 €
ausweisen, nicht zur Buchführung verpflichtet (→ Buchführungspflicht).
In diesen Fällen entfällt die Verpflichtung zur Erstellung eines Inventars sowie eines Jahresabschlusses (§ 242 Abs. 4 HGB).
In § 240 Abs. 2 HGB ist die Erstellung eines Schlussinventars geregelt. Der Kaufmann hat am Schluss jedes Geschäftsjahres ein Inventar aufzustellen (H 5.3 [Inventur] EStH). Das Inventar ist innerhalb der einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit zu erstellen (§ 240 Abs. 2 Satz 3 HGB). Die jährliche Bestandsaufnahme (→ Inventur) ist zeitnah – in der Regel innerhalb einer Frist von zehn Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag – durchzuführen (R 5.3 Abs. 1 EStR). Danach ist innerhalb angemessener Frist das Inventar und die Bilanz zu erstellen (§ 243 Abs. 3 HGB). Mit Urteil vom 6.12.1983 (VIII R 110/79, BStBl II 1984, 227) hat der BFH zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung und somit auch zum Zeitpunkt der Inventarerstellung Stellung genommen. Der BFH macht deutlich, dass die Frist des § 243 Abs. 3 HGB unmittelbar nur für bilanzierende Gewerbetreibende (§ 5 Abs. 1 EStG) gilt. Sie ist jedoch auf Personen, die nicht Gewerbetreibende sind, sinngemäß anzuwenden. § 243 Abs. 3 HGB enthält einen allgemeinen Bilanzierungsgrundsatz, der für sonstige bilanzierende Stpfl. (§ 4 Abs. 1 EStG) entsprechend gilt, weil die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für alle bilanzierenden Stpfl. einheitlich zu beurteilen und von diesen zu befolgen sind. Andernfalls wäre die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Gewerbetreibenden und nicht buchführungspflichtigen, aber Bücher führenden Freiberuflern nicht gewährleistet.
Mit Urteil vom 25.4.1978 (VIII R 96/75, BStBl II 1978, 525) hat der BFH zum Ausdruck gebracht, er neige der Ansicht zu, dass die Bilanz innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Geschäftsjahres aufgestellt werden müsse. In seinem Urteil vom 6.12.1983 (VIII R 110/79, a.a.O.) ist der BFH der Auffassung, dass eine Bilanz jedenfalls dann nicht mehr innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufgestellt ist, wenn die Bilanzaufstellung nicht innerhalb eines Jahres nach Ablauf dieses Geschäftsjahres erfolgt ist.
Sowohl das Handelsrecht als auch das Steuerrecht enthalten nur wenige Regeln darüber, welche Anforderungen im Einzelnen an ein ordnungsmäßiges Inventar zu stellen sind. In mehreren Urteilen hat sich der BFH zur Erstellung eines ordnungsmäßigen Inventars auseinandergesetzt.
BFH Urteil vom 13.10.1972 (I R 123/70, BStBl II 1973, 114): Das nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung aufzustellende Inventar muss den Nachweis darüber ermöglichen, dass die bilanzierten Bestände vollständig aufgenommen worden sind. Lässt sich im Einzelfall aufgrund einander widersprechender Inventurunterlagen das Ausmaß der nicht oder nicht richtig in die Bilanz aufgenommenen Bestände nicht erkennen, so fehlt es an einem ordnungsmäßigen Inventar.
BFH Urteil vom 24.11.1971 (I R 141/68, BStBl II 1972, 400): Erfolgt die Inventur leicht aufnehmbarer Bestände unmittelbar in Reinschrift, so ist das Inventar nur dann ordnungsmäßig, wenn es mit dem Datum der Aufnahme und den Unterschriften der aufnehmenden Personen versehen ist.
BFH Urteil vom 12.12.1972 (VIII R 112/69, BStBl II 1973, 555): Die Buchführung ist nicht ordnungsgemäß, wenn die Jahresschlussbilanz erst etwa zweieinhalb Jahre nach dem Bilanzstichtag erstellt wird (s.a. BFH Urteil vom 25.4.1978, VIII R 96/75, BStBl II 1978, 525). Siehe aber auch das BFH-Urteil vom 6.12.1983 (VIII R 110/79, a.a.O.), nach dem die Bilanz innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Geschäftsjahres aufgestellt sein muss.
BFH Urteil vom 12.12.1973 (I R 163/69, BStBl II 1974, 188): Die Buchführung eines Weinhandelsbetriebes mit eigenem Weinbau ist nicht ordnungsmäßig, wenn das Inventar kein Bestandsverzeichnis der einzelnen Weinbaugrundstücke und der einzelnen Rebanlagen enthält.
Grundsätzlich sind Vermögensgegenstände einzeln zu bewerten (→ Bewertung von Wirtschaftsgütern; R 6.8 Abs. 3 EStR). Nach § 240 Abs. 3 HGB können Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens (§ 247 Abs. 1 i.V.m. § 266 Abs. 2 unter A.II. HGB) sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (§ 266 Abs. 2 unter B.I.1. HGB) mit gleichbleibender Menge und gleichbleibendem Wert angesetzt werden (→ Festwert; H 5.4 und H 6.8 [Festwert] EStH).
Gleichartige WG des Vorratsvermögens (§ 266 Abs. 2 unter B.I. HGB) sowie andere gleichartige oder annähernd gleichwertige bewegliche Vermögensgegenstände (§ 266 Abs. 2 A. und B. HGB – AV und UV) und Schulden können jeweils zu einer Gruppe zusammengefasst werden (§ 240 Abs. 4 HGB, R 6.8 Abs. 4 EStR). Für vertretbare WG des Vorratsvermögens kann die Durchschnittsbewertung angewandt werden, wenn die AK wegen Schwankungen der Einkaufspreise im Laufe des Wj. und wegen Vermischung dieser WG bei der Lagerhaltung im Einzelnen nicht mehr einwandfrei festgestellt werden können und deshalb ein Mittelwert errechnet werden muss (R 6.8 Abs. 3 EStR).
Beispiel:
Einheiten |
Einzelpreis |
Gesamtpreis |
|
Anfangsbestand |
500 |
20 € |
10 000 € |
Zugang |
100 |
21 € |
2 100 € |
Zugang |
400 |
22 € |
8 800 € |
Zugang |
500 |
23 € |
11 500 € |
Abgang |
900 |
22 € |
|
Endbestand |
600 |
Summe = 32 400 € |
Lösung:
Der einfache gewogene Durchschnittspreis beträgt 32 400 € : 1 500 Einheiten = 21,60 €/Einheit. Der Endbestand der 600 Einheiten ist im Inventar mit 12 960 € zu erfassen.
Für gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens können gem. § 256 HGB → Anschaffungskosten oder → Herstellungskosten nach Maßgabe einer unterstellten Verbrauchs- oder Veräußerungsfolge ermittelt werden, sofern dies den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht. Nach § 256 Satz 1 HGB sind nur das Fifo- (»first in – first out«) und das Lifo-Verfahren (»last in – first out«) zulässig. Bei dem Fifo-Verfahren wird davon ausgegangen, dass die jeweils ältesten Bestände zuerst verbraucht bzw. veräußert werden. Der Jahresendbestand umfasst folglich die zeitlich letzten Zugänge und wird dementsprechend mit aktuellen Preisen angesetzt. Bei dem Lifo-Verfahren wird davon ausgegangen, dass die jeweils zuletzt erfolgten Zugänge zuerst wieder verbraucht bzw. veräußert werden. Der Jahresendbestand umfasst bei dieser Methode die zeitlich gesehen ältesten Preise und führt bei steigenden Preisen zu stillen Reserven.
Steuerlich ist neben der Durchschnittsbewertung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG weiterhin nur das Lifo-Verfahren zulässig (R 6.9 EStR). Das Lifo-Verfahren ist nur möglich, wenn es nicht völlig unvereinbar mit den betrieblichen Geschehensabläufen ist (vgl. R 6.9 Abs. 2 EStR). Es ist nicht anwendbar bei leicht verderblichen Waren, Saisonbetrieben ohne Vorräte aus dem Vorjahr und bei Vorräten mit hohen AK (z.B. Pkw eines Kfz-Händlers), die ohne Weiteres identifizierbar und zuordenbar sind (vgl. H 6.9 [Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung] EStH. Näheres zur Lifo-Methode s. BMF-Schreiben vom 12.5.2015 (BStBl I 2015, 462).
Der Stpfl. braucht die jährliche körperliche Bestandsaufnahme für steuerliche Zwecke nicht durchzuführen, wenn er jeden Zugang und jeden Abgang laufend in das Bestandsverzeichnis einträgt und die am Bilanzstichtag vorhandenen Gegenstände des beweglichen AV aufgrund des fortlaufend geführten Bestandsverzeichnisses ermittelt werden können (R 5.4 Abs. 5 EStR).
Zimmermann/Wrede, Bilanzierung und Bewertung von Vorratsvermögen, NWB 52/2020, 3895.
→ Bewertung von Wirtschaftsgütern
→ Bilanz
→ Festwert
→ Inventur
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