1 Beschreibung des Karussell- und Kettengeschäfts
2 Kettengeschäfte
3 Der Missing-Trader
4 Lieferung
5 Rechnungsbegriff bei Ausstellung von Scheinrechnungen i.S.d. § 14c UStG
6 Vorsteuerabzug
7 Teilnahme eines Erwerbers am Umsatzsteuerbetrug
7.1 Voraussetzungen für die Teilnahme am Umsatzsteuerbetrug
7.2 Vorsteuererstattungsanspruch für steuerehrliche Lieferkettenunternehmer
7.3 Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
7.4 Steuerbetrug bei innergemeinschaftlichen Erwerben
8 Regelungen zur Leistungsortbestimmung bei Betrug
9 Haftung nach § 25d UStG
10 Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gem. § 25f UStG
10.1 Grundsätzliches zur Anwendung des § 25f UStG
10.2 Die Anwendung des § 25f UStG im Einzelnen
10.3 Rechtsfolgen der Anwendung des § 25f UStG
11 Ordnungswidrigkeit
12 Literaturhinweise
Eine weit verbreitete Form der Umsatzsteuerhinterziehung sind die sog. Karussell-Geschäfte. Hierbei wird USt von im Inland und EG-Ausland ansässigen Firmen, die zumeist wirtschaftlich inaktiv sind und die ihre steuerlichen Pflichten verletzen (»missing-trader«), unter Einschaltung wirtschaftlich aktiver Firmen in Inland (»buffer«) hinterzogen (s. FG Saarland Urteil vom 30.6.2010, 1 K 1319/07, EFG 2010, 1740, LEXinform 5010649, Revisionsentscheidung vom 17.2.2011, V R 30/10, BStBl II 2011, 769). Der eingeschaltete Buffer ist ein inländischer Unternehmer, der auch anderweitige Umsätze erzielt und deshalb die von den inländischen Missing-Tradern in Rechnung gestellte Vorsteuer unauffällig verrechnen kann, eventuell für einen schnellen Zahlungs- und Rechnungsumlauf sorgt und eventuell das Betrugsgeschehen überblickt. Beim Karussellgeschäft ist der vorletzte ausländische Käufer auch der erste Verkäufer (Initiator, Exporteur), beim Kettengeschäft wird die Ware nicht ein- oder mehrmals im Kreis geliefert, sondern innerhalb einer Lieferkette an einen Endabnehmer veräußert. Die Zwischenhändler (Buffer) können gutgläubige Unternehmer sein (s.a. Gehm, NWB 40/2012, 3237).
Der BFH hat mit Urteil vom 19.4.2007 (V R 48/04, BStBl II 2009, 315) die Wirkungsweise eines USt-Karussells wie folgt beschrieben (s.a. Pressemitteilung des BFH Nr. 68/07 vom 22.8.2007, LEXinform 0173540): Bei einem Umsatzsteuerkarussell wird – vereinfachend dargestellt – Handelsware nach einem Gesamtplan unter Einbeziehung von mehreren Firmen – z.T. in anderen Mitgliedstaaten der EU – in einer Lieferkette verkauft, wobei planmäßig ein Unternehmer in der Kette zwar die ihm in Rechnung gestellte USt als Vorsteuer geltend macht, seine Umsätze aber nicht anmeldet und verschwindet, bevor diese festgesetzt wird. Die Beteiligten profitieren bei jedem Warendurchlauf durch einen EU-Mitgliedstaat von der Hinterziehung der dortigen Umsatzsteuer. Zweifelhaft war, ob auch einem Unternehmer, der unwissentlich in eine Lieferkette einbezogen worden ist, der Vorsteuerabzug aus den betrugsbehafteten Lieferungen versagt werden darf (s.u. und Abschn. 15.2 Abs. 2 Satz 4 bis 6 UStAE).
Ist ein »Karussell-Betrug« festgestellt, spielt es letztlich keine Rolle, ob und inwieweit es sich bei dem Rechnungssteller um eine Scheinfirma handelt. Es mag sich hierbei um die regelmäßige Erscheinungsform eines Missing-Traders handeln und diese Erscheinungsform lässt durchaus auch Rückschlüsse auf die Existenz einer Umsatzsteuerhinterziehung durch die handelnden Personen zu. Steht die Umsatzsteuerhinterziehung aber aufgrund anderer Umstände des Einzelfalls fest, so ist es nicht unbedingt erforderlich, dass es sich bei dem Rechnungssteller um eine Scheinfirma handelt. Wesentlich ist die Unterscheidung von unmittelbar in das Hinterziehungsgeschehen eingebundenen Personen und Firmen von denen, die außerhalb des »Karussells« stehen, an die die Ware letztlich nach mehrmaligem Umlauf (als Zwischenhändler oder Endverbraucher) weiterveräußert wird.
Abb.: Karussellgeschäft
Da der ausländische Käufer (E) mit dem ersten Verkäufer zusammenfällt, schließt sich der Kreis zu einem »Karussellbetrug«, wobei das Verfahren mehrfach wiederholt werden kann. Zur Beschreibung des Umsatzsteuerkarussells s.a. Füllsack, DStR 2006, 456 und Weimann in Umsatzsteuer – national und international, Kompakt-Kommentar, 5. A., § 25d, Rz. 5 ff.
Beim Kettengeschäft wird die Ware – im Gegensatz zum Karussellgeschäft – nicht ein- oder mehrmals im Kreis geliefert, sondern die Ware wird innerhalb einer Lieferkette an einen Endabnehmer veräußert. Hier erwirbt z.B. U2 aus Deutschland die Ware bei Exporteur E aus Belgien i.H.v. 100 000 €. Die Lieferung von Belgien nach Deutschland erfolgt als innergemeinschaftliche Lieferung ohne USt-Ausweis. U2 veräußert anschließend die Ware für z.B. 95 000 € zzgl. 18 050 € USt innerhalb Deutschlands an U 3 (Buffer) weiter, führt die USt aber nicht an das FA ab (Missing-Trader). Für U2 ergibt sich ein Gewinn von 13 050 €. Da U2 die Waren mit Preisnachlass anbietet, wird es ihm gelingen, innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Geschäften abzuwickeln und hohe Beträge an USt zu hinterziehen. Ist U3 ein Unternehmer, der den Vorsteuerabzug aus der Eingangsrechnung des U2 geltend macht und die Waren seinerseits für z.B. 98 000 € zzgl. USt weiterveräußert, verbleibt für ihn ein Gewinn von 3 000 €, sofern ihm der Vorsteuerabzug gestattet wird. Diese Lieferkette kann um beliebig viele Unternehmer verlängert werden. Oftmals sind die Buffer gutgläubige Unternehmer, die ihren umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten vollumfänglich nachkommen.
Beachte:
Sofern Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten, insbes. eine Steuerhinterziehung, entweder bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen erkennbar sind, muss der Unternehmer weitergehende geeignete Maßnahmen ergreifen (z.B. Auskünfte einholen) und dies auch geeignet dokumentieren (Abschn. 25f.1 Abs. 4 Satz 3 UStAE i.d.F. vom 15.6.2022, BStBl I 2022, 1001).
Anhaltspunkte liegen beispielsweise vor, wenn (Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE):
(angebotene) Mehrfachdurchläufe von Waren festgestellt werden;
dem Unternehmer Waren bzw. Leistungen angeboten werden, deren Preis unter dem Marktpreis liegt;
branchenunübliche Barzahlungen oder eine ungewöhnliche Zahlungsabwicklung erfolgen;
die Ansprechpartner in den Unternehmen oder die Ansprechpartner die Unternehmen häufig wechseln;
die Beteiligten wiederholt ihren Unternehmenssitz verlegen;
dem Unternehmer eine Warenmenge oder ein Leistungsumfang angeboten wird, die für die Größe des Unternehmens in der Branche unüblich ist (z.B. ungewöhnlich hohe Stückzahlen trotz Neugründung);
ungewöhnliche Leistungsbedingungen vorliegen (z.B. die Leistungen werden von einem oder an einen nicht an dem Umsatz beteiligten Unternehmen erbracht);
durch den Unternehmer über zugängliche Informationsquellen (z.B. Internetrecherche) festgestellt werden kann, dass die Anlieferung der Waren an die vom Abnehmer angegebene Lieferadresse nicht möglich erscheint.
In Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE sind 14 Anhaltspunkte aufgeführt, die für Unregelmäßigkeiten bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen sprechen könnten. Kommt der Unternehmer in diesen Fällen seiner weitergehenden Ermittlungspflicht nicht nach oder kann vorliegende Zweifel durch die ergriffenen Maßnahmen nicht ausräumen und geht er die Geschäftsbeziehung dennoch ein oder führt diese fort, ist von einem Wissen oder Wissen-Müssen des Unternehmers auszugehen (Abschn. 25f.1 Abs. 3 Satz 4 UStAE; s.u. den Gliederungspunkt »Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gem. § 25f UStG«).
Der erste Empfänger der Ware, der die USt auf seine Warenlieferung nicht entrichtet, verschwindet, sobald das FA versucht, die fällige USt bei ihm beizutreiben. Er wird daher als Missing-Trader bezeichnet.
Bei dem Missing-Trader handelt es sich in der Regel um ein Scheinunternehmen. Als Scheinunternehmer schuldet er die in Rechnungen ausgewiesene USt gem. § 14c Abs. 2 UStG.
Mit seinem Urteil vom 21.2.2006 (C-223/03, LEXinform 0175995) hat der EuGH entschieden, dass Umsätze, selbst wenn sie ausschließlich in der Absicht getätigt werden, einen Steuervorteil zu erlangen, und sonst keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen und eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 2 MwStSystRL sind, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen. Der EuGH weist aber darauf hin, dass die MwStSystRL dem Recht des Stpfl. auf Vorsteuerabzug entgegensteht, wenn die Umsätze, die dieses Recht begründen, eine missbräuchliche Praxis darstellen (EuGH Urteil vom 21.2.2006, C-255/02, UR 2006, LEXinform 0175994).
Auch das FG des Saarlandes betont in seinem Urteil vom 30.6.2010 (1 K 1319/07, EFG 2010, 1740, LEXinform 5010649, Revisionsentscheidung des BFH vom 17.2.2011, V R 30/10, BStBl II 2011, 769), dass Lieferungen eines inländischen Buffers, die an einen Missing-Trader im EG-Ausland erfolgen, beim Lieferanten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der USt unterliegen. Denn wenn auch die Missing-Trader (zumeist Scheingesellschaften) nicht die wahren Abnehmer sind, so ändert dies nichts daran, dass die Liefervorgänge – an welche im Hintergrund stehende Personen auch immer – tatsächlich stattfinden. Die Waren, die in einem »USt-Karussell« gehandelt werden, sind real existent und werden nach ihrer Nutzung zum Vorsteuerabzug schließlich an außerhalb des »Karussells« stehende Endabnehmer veräußert. In seiner Entscheidung vom 17.2.2011 (V R 30/10, BStBl II 2011, 769, Rz. 20) macht der BFH deutlich, dass, entgegen der FG-Entscheidung, bereits die »dolose Einbindung« in ein USt-Karussell nicht zwangsweise zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferung führt (Anmerkung vom 21.7.2011, LEXinform 0940797).
Hinweis:
Als dolose Handlungen werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur Handlungen im unternehmerischen Bereich bezeichnet, die zu absichtlichen Schädigungen von Unternehmen oder Dritten führen. Darunter fallen Straftatbestände und Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität wie Diebstahl, Betrug, Untreue, Urkundenfälschung und Unterschlagung (s. www.forum-wirtschaftskriminalitaet.org).
§ 14c Abs. 2 UStG stellt auf den Steuerausweis in einer »Rechnung« ab, ohne den Rechnungsbegriff selbst oder mittels einer Verweisung zu definieren. Den Begriff der Rechnung definiert § 14 Abs. 1 Satz 1 UStG.
Die Rechnung, die i.S.v. § 14c Abs. 2 UStG zu einem unberechtigten Steuerausweis führt, muss nicht alle Angaben des § 14 Abs. 4 UStG enthalten (Abschn. 14c.2 Abs. 1 Satz 3 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 20.12.2022, BStBl I 2022, 1694). Für die Anwendung des § 14c Abs. 2 UStG reicht es aus, dass das Dokument als Abrechnung über eine (angebliche umsatzsteuerpflichtige) Leistung durch einen (angeblichen) Unternehmer wegen des Ausweises der USt abstrakt die Gefahr begründet, vom Empfänger oder einem Dritten zur Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gebraucht zu werden. Danach reicht es aus, wenn es sich um ein Dokument handelt, das den Rechnungsaussteller, den (vermeintlichen) Leistungsempfänger, eine Leistungsbeschreibung sowie das Entgelt und die gesondert ausgewiesene USt ausweist (BFH vom 17.2.2011, V R 39/09, BStBl II 2011, 734). Bei der Prüfung, ob eine Rechnung hinreichende Angaben enthält, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, sind auch bei Anwendung von § 14c Abs. 2 UStG Bezugnahmen in der Rechnung auf andere Dokumente zu berücksichtigen (BFH vom 16.3.2017, V R 27/16, BFH/NV 2017, 1435). Die Angabe des Entgelts als Grundlage des gesondert ausgewiesenen Steuerbetrags ist jedoch unverzichtbar (Abschn. 14c.2 Abs. 1 Satz 4 UStAE).
Zu den Anforderungen an einen unberechtigten Steuerausweis nach § 14c UStG hat der BFH mit Urteil vom 19.11.2014 (V R 29/14, BFH/NV 2015, 706, LEXinform 0934830) entschieden, dass eine Rechnung die Anforderungen des § 14c Abs. 2 UStG erfüllt, wenn sie
den Rechnungsaussteller,
den (vermeintlichen) Leistungsempfänger,
eine Leistungsbeschreibung sowie
das Entgelt und die gesondert ausgewiesene USt
ausweist (s.a. BFH vom 16.3.2017, V R 27/16, BFH/NV 2017, 1143, LEXinform 0950909, Rz. 12). Ob diese Angaben unzutreffend sind und zu einer Steuerschuld aufgrund eines unberechtigten Steuerausweises führen können, bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen. Daher sind wie bei der Prüfung, ob eine Rechnung hinreichende Angaben enthält, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, auch bei Anwendung von § 14c Abs. 2 UStG, Bezugnahmen in der Rechnung auf andere Dokumente zu berücksichtigen.
Gegenstand der Regelung ist die Gefährdung des Steueraufkommens durch Abrechnungsdokumente, die die elementaren Merkmale einer Rechnung aufweisen oder den Schein einer solchen erwecken und den Empfänger zum Vorsteuerabzug verleiten. Eine Gefährdung tritt dabei nicht nur ein, wenn eine alle Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 UStG erfüllende Rechnung vorliegt. § 14c UStG könnte den mit der Norm verfolgten Zweck, Missbräuche zu vereiteln und das Steueraufkommen zu sichern, nicht erfüllen, wenn sich Rechnungsaussteller durch Weglassen auch nur eines Merkmals des § 14 Abs. 4 UStG ihrer Inanspruchnahme entziehen könnten. Auch ist, nicht zuletzt wegen der Berichtigungsmöglichkeit nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG, kein schutzwürdiges Interesse eines Rechnungsausstellers erkennbar, risikolos Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen, die als Abrechnungen über angebliche umsatzsteuerpflichtige Vorgänge erscheinen und dem Rechnungsempfänger einen unberechtigten Vorsteuerbetrug erst ermöglichen (→ Unrichtiger und unberechtigter Steuerausweis).
Wie der EuGH mit Urteil vom 21.2.2006 (C-255/02, UR 2006, LEXinform 0175994) entschieden hat, ist die MwStSystRL dahin auszulegen, dass sie dem Recht des Stpfl. auf Vorsteuerabzug entgegensteht, wenn die Umsätze, die dieses Recht begründen, eine missbräuchliche Praxis darstellen. Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis erfordert zum einen, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der MwStSystRL und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde. Zum anderen muss auch aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Ist eine missbräuchliche Praxis festgestellt worden, so sind die diese Praxis bildenden Umsätze in der Weise neu zu definieren, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis begründenden Umsätze bestanden hätte (s.a. BGH vom 22.7.2015, 1 StR 447/14, LEXinform 1597715).
Mit Urteil vom 19.5.2010 (XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132, LEXinform 0588860) hat der BFH zur Versagung des Vorsteuerabzugs im Umsatzsteuerkarussell entschieden. Bei einer Steuerfahndungsprüfung stellte sich heraus, dass die Eingangsumsätze einer GmbH teilweise in ein sog. Umsatzsteuerkarussell verstrickt waren. Der BFH versagte daher den Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen, da die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug nicht gegeben waren. Denn der Vorsteuerabzug ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH von der Gutgläubigkeit des Leistungsempfängers abhängig. Gutgläubigkeit liegt nur vor, wenn der Stpfl. nicht wusste oder nicht wissen konnte bzw. nicht hätte wissen müssen, dass der betreffende Eingangsumsatz in eine Mehrwertsteuerhinterziehung involviert war. Der Vorsteuerabzug ist zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Stpfl. wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (s.a. Abschn. 25f.1 Abs. 4 und 5 UStAE).
Einer GmbH ist hinsichtlich der Kenntnis oder des »Kennenmüssens« der objektiven Umstände, wonach sie an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt war, nicht nur das etwaige Wissen ihres Geschäftsführers als ihres gesetzlichen Vertreters nach § 35 GmbHG, sondern auch das ihrer sonstigen Angestellten in analoger Anwendung von § 166 BGB zuzurechnen (Abschn. 25.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE). Eine Wissenszurechnung kommt jedoch nur für die Kenntnisse in Betracht, welche die Mitarbeiter infolge der vorgesehenen Arbeitsteilung und Organisation des Betriebs im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit erlangt haben (s.a. Nacke, NWB 46/2015, 3396).
Nach der Entscheidung des BGH vom 19.11.2014 (1 StR 219/14, BFH/NV 2015, 463) entfällt eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug auch nicht etwa deshalb nachträglich wieder, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren gekannt hätte. Für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorgelegen haben.
Allerdings kann trotz hinreichender Überprüfung zu Beginn der Geschäftsbeziehungen nach den Umständen des Einzelfalls das spätere Anbieten von Mehrfachdurchläufen ab diesem Zeitpunkt die Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers begründen (Hessisches FG Beschluss vom 7.2.2022, 1 V 1585/21, LEXinform 5024948, rkr.).
Für den Ablauf der »Karussell-Geschäfte« ist – neben dem Missing-Trader die Einschaltung eines Buffer« unabdingbar. Der Buffer ist ein inländischer Unternehmer, der auch anderweitige Umsätze erzielt und deshalb die von dem inländischen Missing-Trader in Rechnung gestellte Vorsteuer möglichst unauffällig verrechnen kann. Der Buffer ist in das betrügerische Geschehen des Weiteren dadurch eingebunden, dass er für einen schnellen Zahlungs- und Rechnungsumlauf sorgt. Er überblickt in der Regel das Betrugsgeschehen und dürfte auch am Betrugsgewinn nicht unerheblich beteiligt sein. Das FG des Saarlandes weist mit rechtskräftigem Beschluss vom 13.5.2003 (1 V 22/03, EFG 2003, 1049, LEXinform 0815130) darauf hin, dass sich ein Unternehmer nur schwerlich auf Gutgläubigkeit berufen kann, wenn er den Zahlungsverkehr mit seinem unternehmerisch tätigen Geschäftspartner ganz oder zum nicht unerheblichen Teil in bar (Barzahlung, Barscheck) abwickelt (s.a. Abschn. 25f.1 Abs. 5 Spiegelstrich 5 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 15.6.2022, BStBl I 2022, 1001).
Beteiligt sich ein Unternehmer vorsätzlich durch Täuschung über die Identität des Abnehmers an einer Umsatzsteuerhinterziehung, um hierdurch die geschuldete Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsmitgliedstaat zu vermeiden, ist die Lieferung nicht nach § 6a UStG steuerfrei (BFH vom 11.8.2011, V R 50/09, BStBl II 2012, 151; Anschluss an das EuGH-Urteil vom 7.12.2010, C-285/09, BStBl II 2011, 846; s.a. § 25f Abs. 1 Nr. 1 UStG).
Das FG des Landes Sachsen-Anhalt hat mit rechtskräftigem Urteil vom 14.7.2008 (1 K 344/03, LEXinform 5007331) zum Vorsteuerabzug des letzten Glieds eines Umsatzsteuerkarussells und zum Wissen-Müssen von den betrügerischen Aktivitäten des Karussells Folgendes entschieden: Einem Unternehmer als letztem Glied in einem Umsatzsteuerkarussell kann der Vorsteuerabzug aus Lieferungen eines Scheinunternehmens (Missing-Trader) verweigert werden, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass die Lieferungen des Scheinunternehmens in einen vom Verkäufer begangenen Mehrwertsteuer-Betrug einbezogen waren, oder wenn der Unternehmer nicht alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können und die sicherstellen, dass er nicht in einen Mehrwertsteuer-Betrug einbezogen wird.
Die Beweislast für die für den Vorsteuerabzug eines an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligten Unternehmers erforderliche Gutgläubigkeit trägt der Unternehmer; das gilt auch für den Negativbeweis, dass er nichts vom Tatplan bzw. der Tatbeteiligung eines Vorlieferanten wissen konnte (Abschn. 25f.1 Abs. 1 UStAE). Hinweise auf fehlende Gutgläubigkeit können die rechtlichen, wirtschaftlichen und personellen Verbindungen zwischen den Akteuren liefern. Je näher die Verbindung zu den bei dem Karussell Handelnden ist, desto wahrscheinlicher ist die Kenntnis von der Einbindung in eine Mehrwertsteuerhinterziehung.
Gegen die »Gutgläubigkeit« des Unternehmers und gegen die Erfüllung der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs spricht u.a., wenn
der Geschäftsführer des Scheinunternehmens ausgesagt hat, dass sein »Unternehmen« anders als vom Kläger behauptet nicht über einen eigenen Firmensitz, über ein Lager oder über Personal verfügt hat,
der Kläger die Geschäfte mit dem Scheinunternehmen in erheblichem Umfang bar (Streitjahr: 6 Mio. €) abgewickelt hat und diese Barzahlungen von den Tätern des Karussells als sehr »vorteilhaft« erachtet worden sind,
der Kläger häufigen Kontakt mit den Haupttätern des Umsatzsteuerkarussells hatte und zeitweise zu ihnen gereist ist, als sie sich nach Südamerika abgesetzt hatten,
das auch gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren nach § 153a der Strafprozessordnung mit Zustimmung des Klägers gegen eine Geldauflage eingestellt worden ist und eine Schuld des Klägers damit feststeht.
In Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE sind 14 Anhaltspunkte aufgeführt, die für Unregelmäßigkeiten bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen sprechen könnten.
Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trägt die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Umsatzsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, kann auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren (s.a. Abschn. 25f.1 Abs. 4 Satz 1 UStAE). Der Umstand, dass eine Lieferung an einen Unternehmer vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen (BFH vom 19.4.2007, V R 48/04, BStBl II 2009, 315; Abschn. 15.2 Abs. 2 Satz 4 ff. UStAE).
Der EuGH hat mit Urteil vom 21.6.2012 (C-80/11 und C-142/11, DStRE 2012, 1336, LEXinform 0589336) entschieden, dass der Vorsteuerabzug grundsätzlich nicht wegen Unregelmäßigkeiten verweigert werden kann, die der Rechnungsaussteller begangen hat (s.a. EuGH Pressemitteilung Nr. 85/12 vom 21.6.2012, LEXinform 0438086). S. dazu auch EuGH vom 31.1.2013 (C-643/11, UR 2013, 346, LEXinform 5212267 und C-642/11, UR 2013, 275, LEXinform 5212266).
Sind die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, ist es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen Stpfl., der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Stpfl. getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren (BFH vom 21.6.2018, V R 28/16, BStBl II 2018, 806; s.a. BFH Pressemitteilung Nr. 42/208 vom 1.8.2018, LEXinform 0448539).
Nach dem EuGH-Urteil vom 13.2.2014 (C-18/13, UR 2014, 861, LEXinform 0589418) schließt die MwStSystRL aus, dass ein Stpfl. die Mehrwertsteuer abzieht, die in den von einem Leistenden ausgestellten Rechnungen ausgewiesen ist, wenn die Leistung zwar erbracht worden ist, sich aber herausstellt, dass sie nicht tatsächlich von diesem Leistenden oder seinem Subunternehmer bewirkt worden ist.
I.S.d. vorgenannten EuGH-Rspr. hat das FG Münster mit Beschluss vom 12.12.2013 (5 V 1934/13 U, EFG 2014, 395, LEXinform 5016057, rkr.) wichtige Grundsätze zur Versagung des Vorsteuerabzuges wegen eines betrügerischen Handelns aufgestellt (s.a. FG Münster Pressemitteilung vom 15.1.2014, LEXinform 0441152). S.a. das BFH-Urteil vom 18.2.2016 (V R 62/14, BStBl II 2016, 589), wonach der Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen nur möglich ist, wenn der Betrug klar ausgeschlossen werden kann. Der BFH macht deutlich, dass aus der Nachweispflicht des FA aber nicht gleichzeitig folgt, dass auch bei unzutreffenden Rechnungsangaben der Vorsteuerabzug nur bei durch das FA nachweislichen objektiven Umständen zu versagen ist, wenn aus diesen darauf geschlossen werden kann, dass das Recht auf Vorsteuerabzug vom Stpfl. in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (s.a. Anmerkung vom 3.5.2016, LEXinform 0652888; s.a. FG Münster vom 4.6.2020, 5 K 694/17, LEXinform 5023244).
Mit Schreiben vom 7.2.2014 (BStBl I 2014, 271) äußert sich das BMF zum Vorsteuerabzug bei Betrugsabsicht. Nach Ansicht des BMF trägt der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen will, die Feststellungslast für die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs. Nach dem EuGH-Urteil vom 4.6.2020 (C-430/19, LEXinform 5217094, Rz. 39 ff.) haben die nationalen Behörden und Gerichte das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Stpfl. selbst einen Betrug begeht, sondern auch dann, wenn ein Stpfl. wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in einen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen war. Das Recht auf Vorsteuerabzug kann dem Stpfl. daher nur unter der Voraussetzung versagt werden, dass aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der betreffende Stpfl., dem die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Erwerb dieser Gegenstände oder der Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine vom Lieferer bzw. Leistenden oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Liefer- oder Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (EuGH C-430/19, Rz. 43; s.a. Abschn. 25f.1 Abs. 2 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 15.6.2022, BStBl I 2022, 1001).
Sofern Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten, insbes. eine Steuerhinterziehung, entweder bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen erkennbar sind, muss der Unternehmer weitergehende geeignete Maßnahmen ergreifen (z.B. Auskünfte einholen) und dies auch geeignet dokumentieren. Kommt der Unternehmer dem nicht nach oder kann vorliegende Zweifel durch die ergriffenen Maßnahmen nicht ausräumen, und geht die Geschäftsbeziehung dennoch ein oder führt diese fort, ist von einem Wissen oder Wissen müssen des Unternehmers auszugehen (Abschn. 25f.1 Abs. 4 Satz 3 und 4 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 15.6.2022, BStBl I 2022, 1001).
Mit Urteil vom 24.11.2022 (C-596/21, LEXinform 0953791) hat der EuGH aufgrund der Vorlagefragen des FG Nürnberg mit Beschluss vom 21.9.2021 (2 K 345/20, EFG 2021, 2096, LEXinform 5024178) folgenden Fall entschieden:
Ausgangssachverhalt:
A, der Händler und Kläger des Ausgangsverfahrens ist, erwarb von C, der sich für W ausgab, für sein Unternehmen einen Gebrauchtwagen (Pkw). W wusste, dass C sich für ihn ausgab, und war damit einverstanden. C stellte W eine Rechnung über die Lieferung dieses Wagens für 52 100,84 € zuzüglich 9 899,16 € Mehrwertsteuer aus, während W anschließend dem Kläger des Ausgangsverfahrens eine Rechnung über 64 705,88 € zuzüglich 12 294,12 € Mehrwertsteuer ausstellte. W übergab diese Rechnung an C, der sie wiederum an den Kläger des Ausgangsverfahrens weiterreichte.
A zahlte an C insgesamt 77 000 €, und zwar 64 705,88 € für den Wert des Gegenstands und 12 294,12 € Mehrwertsteuer. C behielt diese Beträge vollständig für sich. In seiner Buchhaltung und seinen Steuererklärungen berücksichtigte C nur einen Verkaufspreis von 52 100,84 € zuzüglich 9 899,16 € Mehrwertsteuer, wie auf der von ihm für W ausgestellten Rechnung angegeben. C zahlte daher nur Steuer in der sich daraus ergebenden Höhe, d.h. 9 899,16 €. W erfasste den Vorgang weder in seiner Buchhaltung noch in seinen Steuererklärungen und zahlte insoweit auch keine Steuer.
A macht für den Erwerb des in Rede stehenden Wagens 12 294,12 € Vorsteuer geltend. Demgegenüber meint die Steuerverwaltung, A dürfe keinerlei Vorsteuer abziehen, weil er von der von C begangenen Steuerhinterziehung hätte wissen müssen.
Das vorlegende FG Nürnberg ist der Auffassung, dass A aufgrund des Eintritts verschiedener Ereignisse, die es als »auffällig« einstuft, die Identität seines Geschäftspartners hätte prüfen müssen. Anhand dieser Prüfung hätte er zum einen feststellen können, dass C seine Identität gezielt verschleiert habe, was keinen anderen Zweck habe haben können, als durch den Verkauf des in Rede stehenden Wagens entstehende Mehrwertsteuer zu hinterziehen, und zum anderen, dass W nicht die Absicht gehabt habe, seine steuerlichen Pflichten zu erfüllen.
EuGH-Entscheidung C-596/21:
Die Art. 167 und 168 MwStSystRL (Vorsteuerabzug) sind dahin auszulegen, dass dem zweiten Erwerber eines Gegenstands (Kläger A) der Vorsteuerabzug versagt werden kann, weil er von einer vom ursprünglichen Verkäufer bei der ersten Veräußerung begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, obwohl auch der erste Verkäufer Kenntnis von dieser Hinterziehung hatte (EuGH C-596/21, Rz. 32).
Das FG Nürnberg möchte mit seiner 2. Vorlagefrage noch wissen, ob die Art. 167 und 168 MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass dem zweiten Erwerber eines Gegenstands, mit dem auf einer Umsatzstufe vor diesem Erwerb ein betrügerischer Umsatz bewirkt wurde, der nur einen Teil der Mehrwertsteuer betraf, die der Staat erheben darf, das Recht auf Abzug der für diesen Umsatz entrichteten Mehrwertsteuer vollständig oder nur in Höhe des Betrags versagt werden kann, der Gegenstand der Steuerhinterziehung war, die zu dem Steuerschaden geführt hat, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser Erwerb mit einer Steuerhinterziehung in Zusammenhang stand.
Der EuGH stellt in Rz. 38 seiner Entscheidung C-596/21 fest, dass es eine implizite materielle Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug darstellt, dass der Stpfl. trotz Vornahme der Überprüfungen, die vernünftigerweise von jedem Wirtschaftsteilnehmer verlangt werden können, keine Kenntnis vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung hatte, die den besteuerten und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsatz betraf, muss einem Stpfl., der diese Voraussetzung nicht erfüllt, daher die Ausübung seines Rechts auf Vorsteuerabzug vollständig versagt werden.
Mit Urteil vom 11.11.2021 (C-281/20, LEXinform 4242219, Rz. 56) hat der EuGH bereits entschieden, dass die Tatsache, dass ein Stpfl. Gegenstände oder Dienstleistungen erworben hat, obwohl er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen war, ausreicht, um eine Beteiligung des Stpfl. an dieser Steuerhinterziehung anzunehmen und um ihm das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, ohne dass es erforderlich ist, eine Gefährdung des Steueraufkommens festzustellen.
Auf die 2. Vorlagefrage hat der EuGH wie folgt geantwortet: Die Art. 167 und 168 MwStSystRL sind dahin auszulegen, dass dem zweiten Erwerber eines Gegenstands, mit dem auf einer Umsatzstufe vor diesem Erwerb ein betrügerischer Umsatz bewirkt wurde, der nur einen Teil der Mehrwertsteuer betraf, die der Staat erheben darf, das Recht auf Vorsteuerabzug vollständig zu versagen ist, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass der Erwerb mit einer Steuerhinterziehung in Zusammenhang stand.
S.a. die Nachfolgeentscheidung des FG Nürnberg vom 18.4.2023 (2 K 345/20, EFG 2023, 1179, LEXinform 5025393).
Hinweis:
Mit Urteil vom 23.11.2021 (3 K 219/18, EFG 2022, 202, LEXinform 5024607, Rev. eingelegt, Az. beim BFH: V R 42/21, LEXinform 0954206) hat das Thüringer FG entschieden, dass ein Vorsteuerabzug aus Anschaffungskosten einer nach Erwerb an den Veräußerer zurückverpachteten Photovoltaikanlage nicht gewährt werden kann, wenn nicht aufklärbare Differenzen zwischen den Angaben in der Rechnung einerseits und im Pachtvertrag andererseits zur Leistung der Anlage, zur Anzahl der Module sowie zu den Wechselrichtern bestehen und zudem auch die tatsächliche Lieferung einer Photovoltaikanlage nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist.
Anhaltspunkte in diesem Sinne liegen beispielsweise vor, wenn (Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 15.6.2022, BStBl I 2022, 1001):
der Unternehmer durch einen Dritten aufgefordert/gebeten wird, sich an Umsätzen zu beteiligen, bei denen der Dritte die Rahmenbedingungen für das Umsatzgeschäft vorgibt (z.B. Vermittlung von Beteiligten, Vorgabe von Einkaufs-/Verkaufspreisen, Zahlungsmodalitäten oder Liefer- bzw. Leistungswegen);
die Finanzierung des Wareneinkaufs erst nach erfolgtem Warenverkauf möglich ist;
(angebotene) Mehrfachdurchläufe von Waren festgestellt werden;
dem Unternehmer Waren bzw. Leistungen angeboten werden, deren Preis unter dem Marktpreis liegt;
branchenunübliche Barzahlungen oder eine ungewöhnliche Zahlungsabwicklung erfolgen;
die Ansprechpartner in den Unternehmen oder die Ansprechpartner die Unternehmen häufig wechseln;
bei den Beteiligten berufliche Erfahrung und Branchenkenntnis fehlen (s.a. BFH Beschluss vom 20.10.2021, XI R 19/20, LEXinform 0952903; Anmerkung vom 13.4.2022, LEXinform 0888083);
die Beteiligten wiederholt ihren Unternehmenssitz verlegen;
Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Beteiligten bestehen (z.B. aufgrund von Abweichungen des Gesellschaftszwecks oder der Geschäftsadressen zu den Angaben laut Handelsregister);
der Gesellschaftszweck laut Handelsregister nicht dem tatsächlich ausgeübten Gesellschaftszweck entspricht;
dem Unternehmer eine Warenmenge oder ein Leistungsumfang angeboten wird, die für die Größe des Unternehmens in der Branche unüblich ist (z.B. ungewöhnlich hohe Stückzahlen trotz Neugründung);
die Beteiligten über keine ausreichenden Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme verfügen (z.B. Website ohne Impressum, Rufnummer oder E-Mail-Adresse);
ungewöhnliche Leistungsbedingungen vorliegen (z.B. die Leistungen werden von einem oder an einen nicht an dem Umsatz beteiligten Unternehmen erbracht);
durch den Unternehmer über zugängliche Informationsquellen (z.B. Internetrecherche) festgestellt werden kann, dass die Anlieferung der Waren an die vom Abnehmer angegebene Lieferadresse nicht möglich erscheint.
Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 5.2.2020 (5 K 5311/16, EFG 2020, 1263, LEXinform 5023066) dem EuGH Fragen zur Auslegung des Begriffs »Lieferkette« im Zusammenhang mit der Versagung des Vorsteuerabzugs in Missbrauchsfällen bei Kenntnis bzw. Kennenmüssen von einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Steuerhinterziehung vorgelegt. Mit Beschluss vom 14.4.2021 (C-108/20) hat der EuGH die Vorlegefrage dahingehend beantwortet, dass einem Stpfl., der Waren erworben hat, die Gegenstand einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Umsatzsteuerhinterziehung waren, und der davon wusste oder hätte wissen müssen, das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, obwohl er an dieser Steuerhinterziehung nicht aktiv beteiligt war (s.a. Anmerkung von Kemper, UStB 2021, 209 sowie Verein für Internationale Steuern und Finanzen, München, Anmerkung vom 1.3.2021, LEXinform 0402249).
Es ist Sache der zuständigen nationalen Steuerverwaltung, aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne vom Rechnungsempfänger ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern, darzulegen, dass der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug geltend gemachte Umsatz in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war.
Zwar kann der Stpfl. bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung dazu verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen, die zuständige nationale Steuerverwaltung kann jedoch von diesem Stpfl. nicht generell verlangen, zum einen zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen, für die dieses Recht geltend gemacht wird, über die fraglichen Gegenstände verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und keine Steuerhinterziehung vorliegen, oder zum anderen über entsprechende Unterlagen zu verfügen (EuGH C-430/19, Rz. 47).
Da die Vorlage von solchen zusätzlichen Unterlagen in Art. 178 Buchst. a MwStSystRL nicht vorgesehen ist und die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts und damit den Neutralitätsgrundsatz in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen kann, darf die zuständige nationale Steuerverwaltung diese Vorlage nicht generell verlangen.
Nach dem EuGH-Urteil vom 15.9.2022 (C-227/21, LEXinform 4252682) kann dem Käufer im Rahmen des Verkaufs eines Grundstücks zwischen Unternehmern das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb versagt werden, weil er wusste oder hätte wissen müssen, dass sich der Verkäufer in finanziellen Schwierigkeiten befand oder gar zahlungsunfähig war und dass dieser Umstand möglicherweise zur Folge hat, dass der Verkäufer die Mehrwertsteuer nicht an den Fiskus zahlen würde oder nicht würde zahlen können.
Beachte:
Für das Vorliegen objektiver Umstände sowohl für die Kenntnis des Unternehmers als auch das Vorliegen eines Steuerbetrugs liegt die Feststellungslast beim FA (vgl. EuGH vom 28.7.2016, C-332/15, UR 2016, 683, LEXinform 5214247, Rz. 52; vom 18.5.2017, C-624/15, UR 2017, 552, LEXinform 0589547, Rz. 48; BFH vom 18.2.2016, V R 62/14, BStBl II 2016, 589, Rz. 20).
Es obliegt der Steuerbehörde, zum einen die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung genau zu bestimmen und die betrügerischen Handlungen nachzuweisen und zum anderen zu belegen, dass der Stpfl. aktiv an dieser Steuerhinterziehung beteiligt war oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Abzugsrechts geltend gemachte Umsatz in diese Hinterziehung einbezogen war, was jedoch nicht notwendigerweise bedeutet, dass alle an der Steuerhinterziehung beteiligten Akteure sowie deren jeweilige Handlungen anzugeben wären (EuGH vom 1.12.2022, C-512/21, LEXinform 0953752, Leitsatz 1).
Zum Nachweis der Steuerhinterziehung kann sich die Steuerbehörde ergänzend oder hilfsweise auf Beweise stützen, die nicht eine solche Beteiligung, sondern den Umstand belegen, dass der Stpfl. bei Aufbietung aller gebotenen Sorgfalt hätte wissen können, dass der betreffende Umsatz in eine solche Hinterziehung einbezogen war. Der bloße Umstand, dass sich die Mitglieder der Lieferkette, zu der dieser Umsatz gehört, kannten, ist für die Feststellung der Beteiligung des Stpfl. an der Steuerhinterziehung nicht ausreichend (EuGH vom 1.12.2022, C-512/21, LEXinform 0953752, Leitsatz 2).
Beim Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder eine Steuerhinterziehung kann vom Stpfl. verlangt werden, dass er sich mit erhöhter Sorgfalt zu vergewissern muss, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Es kann von ihm jedoch nicht verlangt werden, dass er komplexe und umfassende Überprüfungen durchführt, wie sie von der Steuerverwaltung vorgenommen werden können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob der Stpfl. in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls hinreichend sorgfältig gehandelt und die Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm unter diesen Umständen vernünftigerweise verlangt werden können (EuGH C-512/21, LEXinform 0953752, Leitsatz 3; s.a. Anmerkung vom 15.2.2023, LEXinform 0888817).
Hat das FA nicht dargetan, dass ein Steuerbetrug begangen worden ist, kommt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nach der Missbrauchs-Rspr. des EuGH nicht in Betracht (BFH vom 11.3.2020, XI R 38/18, BFH/NV 2020, 1217, LEXinform 0952283, Rz. 49; s.a. Anmerkung vom 18.8.2020, LEXinform 0653764). S.a. Abschn. 25f.1 Abs. 2 und 6 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 15.6.2022 (BStBl I 2022, 1001).
Zum Beleg- und Buchnachweis sowie zum Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen hat das FG Rheinland-Pfalz mit rechtskräftigem Urteil vom 26.8.2010 (6 K 1130/09, LEXinform 5010781) entschieden, dass der Nachweis einer innergemeinschaftlichen Fahrzeuglieferung auch dann geführt werden kann, wenn es sich bei der abholenden Person nach Auskunft ausländischer Finanzbehörden um einen Missing-Trader handelt.
Nach § 6a Abs. 4 UStG ist eine Lieferung, die der Unternehmer als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt hat, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Zur Gewährung von Vertrauensschutz s. die Verwaltungsregelungen in Abschn. 6a.8 UStAE.
Zu den Nachweiserfordernissen für innergemeinschaftliche Lieferungen s. die Erläuterungen unter → Innergemeinschaftliche Lieferung. Grundsätzlich hat der Unternehmer die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung zu tragen (s.a. Abschn. 25f.1 Abs. 1 UStAE). Die Finanzverwaltung ist nicht an seiner Stelle verpflichtet, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachzuweisen. Insbesondere ist die Finanzverwaltung nicht verpflichtet, auf Verlangen des Unternehmers ein Auskunftsersuchen an die ausländische Finanzverwaltung zu stellen (EuGH-Urteil vom 27.9.2007, C-184/05, BStBl II 2009, 83). Eine Versagung der Umsatzsteuerbefreiung einer tatsächlich ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferung allein mit der Begründung, der Nachweis einer solchen Lieferung sei nicht rechtzeitig erbracht worden, kommt nach dem BFH-Urteil vom 6.12.2007, V R 59/03, BStBl II 2009, 57) nicht in Betracht. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren (s.a. Pressemitteilung des BFH Nr. 36/08 vom 2.4.2008, LEXinform 0174086 sowie EuGH Urteil vom 27.9.2007, C-146/05, BStBl II 2009, 78). Zur Versagung der Steuerbefreiung i.S.d. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG s. § 25f Abs. 1 Nr. 1 UStG i.d.F. des JStG 2019 vom 12.12.2019, BGBl I 2019, 2451 (s.u.).
Mit Beschluss vom 10.11.2010 (XI R 11/09, BStBl II 2011, 237) hat der BFH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das EU-Recht den Mitgliedstaaten erlaubt, eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nur dann anzunehmen, wenn der Stpfl. die USt-IdNr. des Erwerbers buchmäßig nachweist. Nach Auffassung des EuGH (Urteil vom 27.9.2012, C-587/10, DStR 2012, 2014, LEXinform 0589310) darf die Steuerbefreiung des § 6a UStG für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht allein wegen Fehlens der USt-IdNr. versagt werden.
Die Nichtabfrage der USt-IdNr. des Empfängers zeitnah zur ersten innergemeinschaftlichen Lieferung und darauffolgend in regelmäßigen Abständen während der laufenden Lieferbeziehung kann nach den Umständen des Einzelfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen, die Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG ausschließt. Wird die Abfragemöglichkeit nach § 18e UStG sorgfaltspflichtwidrig nicht wahrgenommen, ergibt sich aus sachlichen Billigkeitsgründen kein über § 6a Abs. 4 UStG hinausgehender Vertrauensschutz (BFH vom 11.3.2020, XI R 38/18, BFH/NV 2020, 1217, LEXinform 0952283).
Die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung hängt nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG davon ab, ob der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat der Umsatzbesteuerung unterliegt (→ Innergemeinschaftlicher Erwerb). Dafür reicht aus, dass der Erwerb des Gegenstandes in dem anderen Mitgliedstaat steuerbar ist. Davon kann der liefernde Unternehmer ausgehen, wenn der Abnehmer unter Angabe seiner ausländischen USt-IdNr. Gegenstände erwirbt. Der Lieferer muss diese USt-IdNr. in seiner Rechnung nach § 14a Abs. 3 UStG und in seiner Zusammenfassenden Meldung nach § 18a Abs. 4 UStG angeben. Die Verbindung der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung mit der Steuerbarkeit des innergemeinschaftlichen Erwerbs wird auch dadurch deutlich, dass der Lieferer neben seiner eigenen USt-IdNr. auch auf die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung hinweisen muss (§ 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG). Für den Abnehmer im anderen EU-Mitgliedstaat signalisiert der Hinweis auf die Steuerbefreiung, dass er den Erwerb der Erwerbsbesteuerung unterwerfen muss (Prinzip der spiegelbildlichen Tatbestände).
Zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit sog. steuerfreien innergemeinschaftlichen Erwerben hat der BGH mit Urteil vom 20.11.2008 (1 StR 354/08, LEXinform 5211113) entschieden, dass die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i.S.d. § 6a UStG darstellt, wenn der inländische Unternehmer in kollusivem Zusammenwirken (geheimes, betrügerisches Einverständnis) mit dem tatsächlichen Abnehmer die Lieferung an einen Zwischenhändler vortäuscht, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen. Wird eine solche Lieferung durch den inländischen Unternehmer gleichwohl als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklärt, macht der Unternehmer gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und verkürzt dadurch die auf die Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG anfallende und von ihm geschuldete USt.
Die erklärten und als innergemeinschaftliche Lieferung bezeichneten Lieferungen an die vorgeblichen Zwischenhändler haben nicht stattgefunden. Hierbei handelte es sich um bloße Scheingeschäfte. Bei diesen fehlt es daher bereits an einer Lieferung i.S.v. § 6a Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 UStG. Lieferungen sind dabei Leistungen eines Unternehmers, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, in eigenem Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht, § 3 Abs. 1 UStG). Eine solche tatsächliche Verfügungsmacht wurde den Scheinabnehmern indes weder verschafft noch sollte sie – wie die Angeklagten wussten – zu irgendeiner Zeit verschafft werden. Stattdessen liegen Lieferungen an die tatsächlichen Erwerber der Fahrzeuge vor. Hierbei handelt es sich um Lieferungen i.S.v. § 1 Abs. 1 UStG und somit um steuerbare Umsätze. Deren – allein in Betracht zu ziehende – Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG scheidet aus, da die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG nicht gegeben sind.
Für die Steuerbefreiung der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der EU ist nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG neben den weiteren Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erforderlich, dass der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer im anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. Dabei ist allerdings grundsätzlich nicht Voraussetzung, dass der Gegenstand des Erwerbs tatsächlich besteuert wird. Den inländischen Unternehmer treffen insoweit auch keine Nachweispflichten i.S.v. § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG. § 6a Abs. 1 UStG setzt aber die diesbezüglichen Vorgaben der MwStSystRL in das nationale Recht um. Bei der Auslegung der Vorschrift sind daher die Vorgaben des einschlägigen Gemeinschaftsrechts zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht indes nicht erlaubt. Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts kann nicht so weit gehen, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden. Denjenigen Umsätzen, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen, sind diese Vorteile zu versagen (EuGH Urteil vom 21.2.2006, C-255/02, Rn.69, LEXinform 0175994). Das demnach im Gemeinschaftsrecht verankerte grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken gilt dabei auch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer. Eine missbräuchliche Praxis ist dabei dann gegeben, wenn die Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der MwStSystRL und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe und wenn anhand objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird.
Danach ist § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG gemeinschaftsrechtlich dahingehend auszulegen, dass der Erwerb des Gegenstands einer Lieferung beim Abnehmer dann nicht den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat i.S.d. Vorschrift unterliegt, wenn die im Bestimmungsland vorgesehene Erwerbsbesteuerung der konkreten Lieferung nach dem übereinstimmenden Willen von Unternehmer und Abnehmer durch Verschleierungsmaßnahmen und falsche Angaben gezielt umgangen werden soll, um dem Unternehmer oder dem Abnehmer einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen. Anderes gilt, wenn die Verschleierungsmaßnahme anderen Zwecken dient.
Mit Beschluss vom 11.3.2009 (1 V 4305/08, LEXinform 5008123) hat das FG Baden-Württemberg zur Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen bei unrichtiger Rechnungsausstellung in einem Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung entschieden, dass dann, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen und der gelieferte Gegenstand vom Lieferstaat in einen anderen Mitgliedstaat physisch verbracht worden ist, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1b UStG trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten des § 6a Abs. 3 UStG zu gewähren ist. Es ist zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung wegen missbräuchlicher Berufung auf das Gemeinschaftsrecht versagt werden kann, weil der Lieferant zur Steigerung seines Umsatzes vorsätzlich falsche Belege ausstellt, die allein der Hinterziehung von USt durch die Abnehmer im Empfängerstaat dienen.
Mit Beschluss vom 29.7.2009 (XI B 24/09, BFH/NV 2009, 1567, LEXinform 5008745) hat der BFH die beantragte Vollziehung ausgesetzt, da es ernstlich zweifelhaft ist, ob der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt. Da es allein auf die Gefährdung des Steueraufkommens des Lieferstaates ankommt, hat das FG wegen eines fehlenden Besteuerungsrechts Deutschlands eine Gefährdung des Steueraufkommens verneint. Nach den Feststellungen des BFH ist aber bisher noch nicht geklärt, ob die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung auch dann vorliegen, wenn der Lieferer an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers im Gemeinschaftsgebiet mitwirkt. Nach dem Beschluss des BFH vom 29.7.2009 (XI B 24/09, LEXinform 5008745) wird somit zu klären sein, ob die Mitwirkung eines inländischen Unternehmers an einer Steuerhinterziehung, die sein ausländischer Abnehmer gegenüber dessen Mitgliedstaat begeht, es rechtfertigen kann, dass der deutsche Fiskus eine Steuer festsetzen darf, die nicht entstanden wäre, wenn der deutsche Unternehmer seinen wahren Abnehmer in seinen Büchern benannt und nicht einen Scheinabnehmer vorgetäuscht hätte. Dadurch könnte die Versagung der Steuerfreiheit möglicherweise einen unzulässigen Sanktionscharakter erhalten.
Im parallel verlaufenden Strafverfahren hat der BGH mit Beschluss vom 7.7.2009 (1 Str 41/09, DStR 2009, 1689, LEXinform 1556226) das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, da der BGH eine andere Rechtsauffassung als das FG Baden-Württemberg und der BFH vertritt. Der BGH hat dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL in dem Sinne auszulegen, dass einer Lieferung von Gegenständen im Sinne dieser Vorschrift die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn die Lieferung zwar tatsächlich ausgeführt worden ist, aber aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der steuerpflichtige Verkäufer
wusste, dass er sich mit der Lieferung an einem Warenumsatz beteiligt, der darauf angelegt ist, Mehrwertsteuer zu hinterziehen, oder
Handlungen vorgenommen hat, die darauf abzielten, die Person des wahren Erwerbers zu verschleiern, um diesem oder einem Dritten zu ermöglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen?
Mit Urteil vom 7.12.2010 (C-285/09, BStBl II 2011, 846) hat der EuGH die Vorlagefrage des BGH wie folgt entschieden: Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der ihm nach dem ersten Satzteil von Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL zustehenden Befugnisse die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen (so auch BFH Urteile vom 11.8.2011, V R 50/09, BStBl II 2012, 151 und vom 14.12.2011, XI R 33/10, BFH/NV 2012, 1009, LEXinform 0928235).
Hinweis:
Die Versagung der Steuerbefreiung i.S.d. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG ist in diesen Fällen ab 1.1.2020 in § 25f Abs. 1 Nr. 1 UStG geregelt (s.u.).
Nach dem EuGH-Urteil vom 18.12.2014 (C–131/13, C–163/13 und C–164/13, UR 2015, 106, LEXinform 0589474; s.a. Wäger, UR 2015, 81) gelten die zum Vorsteuerabzug geltenden Umsätze auch bei der Steuerbefreiung beim innergemeinschaftlichen Erwerb. Die nationalen Behörden und Gerichte müssen einem Stpfl. im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Mehrwertsteuerbefreiung oder auf Mehrwertsteuererstattung versagen, auch wenn das nationale Recht keine Bestimmungen enthält, die eine solche Versagung vorsehen, sofern anhand objektiver Umstände nachgewiesen ist, dass dieser Stpfl. wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat.
Nach dem EuGH-Urteil vom 27.10.2022 (C-641/21, LEXinform 0953865) kann der Ort einer Dienstleistung nicht unter Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut von Art. 44 MwStSystRL (§ 3a Abs. 2 UStG) geändert werden, weil bei dem betreffenden Umsatz Mehrwertsteuer hinterzogen wurde.
Entscheidungssachverhalt und -gründe des EuGH-Urteils C-641/21
Im Urteilsfall übertrug die in Österreich ansässige Firma A Treibhausgasemissionszertifikate gegen Entgelt an die Firma B mit Sitz in Deutschland. Das zuständige österreichische FA stufte diese Übertragungen als stpfl. »Lieferungen von Gegenständen« ein, die nicht unter die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen fielen (die Firma B sei insoweit als Missing-Trader an Mehrwertsteuerhinterziehungen in Form eines Mehrwertsteuerkarussells beteiligt gewesen und die Firma A in Österreich habe dies gewusst oder hätte es wissen müssen). Aufgrund der Klage der Firma A stufte das österreichische Gericht die Übertragungen von Treibhausgasemissionszertifikaten als »Dienstleistungen« und nicht als Lieferungen von Gegenständen ein (s.a. EuGH vom 8.12.2016, C-453/15, UR 2017, 24, LEXinform 0651507). Danach liege der Ort der von A erbrachten Dienstleistung nach Art. 44 MwStSystRL in Deutschland.
Das österreichische Gericht fragt sich, ob die Rechtsprechung bezüglich innergemeinschaftlicher Lieferungen, die im Fall des Steuerbetrugs zur Versagung der Steuerbefreiung führt, auf grenzüberschreitende Dienstleistungen entsprechend anwendbar ist.
Der EuGH betont in Rz. 39 seines Urteils C-641/21, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist. So hat der EuGH entschieden, dass die nationalen Behörden und Gerichte in der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Rechte wie das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht werden, grds. versagen können oder sogar müssen. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Stpfl. selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einer Steuerhinterziehung beteiligte, die vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Stufe der Leistungskette begangen wurde. Allerdings betrifft die Rechtssache C 641/21 nicht die Geltendmachung eines Rechts wie das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, sondern die Bestimmung des Orts eines steuerbaren Umsatzes.
Eine Dienstleistung, die ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Stpfl. an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Stpfl. erbringt, weist zwar in tatsächlicher Hinsicht Ähnlichkeiten mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung auf, da an beiden Personen in zwei Mitgliedstaaten beteiligt sind. Gleichwohl sind beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts innergemeinschaftliche Lieferungen und grenzüberschreitende Dienstleistungen innerhalb der Union rechtlich unterschiedlich geregelt.
Die Regelung für innergemeinschaftliche Umsätze ist nicht auf grenzüberschreitende Dienstleistungen innerhalb der Union anwendbar, hinsichtlich der nur einem Mitgliedstaat, der anhand der Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt wird, die Besteuerungsbefugnis zukommt. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Ort einer Dienstleistung nicht unter Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut von Art. 44 MwStSystRL geändert werden kann, weil bei dem betreffenden Umsatz Mehrwertsteuer hinterzogen wurde.
Der Haftungstatbestand des § 25d UStG wurde zum 1.1.2002 eingeführt und 2004 auf der Grundlage der Erfahrungen der Praxis modifiziert, um in Fällen von betrügerischen Karussell- und Kettengeschäften den entstandenen Umsatzsteuerausfall im Wege der gesamtschuldnerischen Haftung bei den wissentlich Beteiligten realisieren zu können.
Unter Berücksichtigung der nur geringen Praxisrelevanz der bestehenden Vorschrift wird § 25d UStG zum 1.1.2020 aufgehoben (Art. 12 Nr. 18 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019) vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451).
Durch Art. 12 Nr. 19 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019) vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451) wird mit § 25f UStG eine neue Vorschrift zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges insbes. in Form von Ketten- oder Karussellgeschäften geschaffen (s.a. Wäger, UR 2/2020, 45 sowie Grommes, UR 4/2020, 135). Die Vorschrift ist erstmals auf Voranmeldungs- und Besteuerungszeiträume anzuwenden, die nach dem 31.12.2019 enden (§ 27 Abs. 30 UStG). S. dazu die Kommentierung unter → Innergemeinschaftliche Lieferung unter dem Gliederungspunkt »Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gem. § 25f UStG«.
Mit BMF-Schreiben vom 15.6.2022 (BStBl I 2022, 1001) wird für nach dem 31.12.2019 endende Voranmeldungs- und Besteuerungszeiträume Abschn. 25f.1 und 25f.2 UStAE neu eingefügt.
Nach § 25f Abs. 1 UStG ist Folgendes zu versagen:
die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG,
der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG,
der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG sowie
der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG.
Die Regelung sieht vor, dass der den Vorsteuerabzug beziehungsweise die Steuerbefreiung begehrende Unternehmer grundsätzlich zunächst in tatsächlicher Hinsicht die Feststellungslast für das Vorliegen der Begünstigung (Vorsteuerabzug/Steuerbefreiung) trägt (Abschn. 25f.1 Abs. 1 UStAE).
Weist das FA nach, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Eingangs- oder Ausgangsumsatz an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer, in eine Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs i.S.d. § 370 AO oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens i.S.d. §§ 26a und 26c UStG einbezogen war, sind der geltend gemachte Vorsteuerabzug und die in Anspruch genommene Steuerbefreiung für die entsprechende innergemeinschaftliche Lieferung zu versagen (§ 25f Abs. 1 UStG; Abschn. 25f.1 Abs. 2 Satz 1 UStAE).
Die Feststellung einer Steuerhinterziehung kann sowohl den unmittelbaren Eingangs- oder Ausgangsumsatz des Unternehmers als auch einen Umsatz auf allen vor- und nachgelagerten Umsatzstufen innerhalb der Leistungskette umfassen (Abschn. 25f.1 Abs. 2 Satz 3 UStAE).
Voraussetzung für die Anwendung der Regelung des § 25f UStG ist, dass der objektive und subjektive Tatbestand des § 370 AO bzw. der §§ 26a oder 26c UStG auf mindestens einer Umsatzstufe innerhalb der Leistungskette erfüllt sind.
Ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine Umsatzsteuerhinterziehung und nicht in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens einbezogen sind, kann grds. auf die zutreffende steuerrechtliche Behandlung dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug oder auf Steuerbefreiung zu verlieren. Sofern Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten, insbesondere eine Steuerhinterziehung, entweder bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen erkennbar sind, muss der Unternehmer weitergehende geeignete Maßnahmen ergreifen (z.B. Auskünfte einholen) und dies auch geeignet dokumentieren. Kommt der Unternehmer dem nicht nach oder kann vorliegende Zweifel durch die ergriffenen Maßnahmen nicht ausräumen und geht die Geschäftsbeziehung dennoch ein oder führt diese fort, ist von einem Wissen oder Wissen-Müssen des Unternehmers auszugehen (Abschn. 25f.1 Abs. 4 UStAE).
In Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE sind 14 Anhaltspunkte aufgeführt, die für Unregelmäßigkeiten bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen sprechen könnten. So können z.B. Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten sprechen, wenn
der Unternehmer durch einen Dritten aufgefordert/gebeten wird, sich an Umsätzen zu beteiligen, bei denen der Dritte die Rahmenbedingungen für das Umsatzgeschäft vorgibt (z.B. Vermittlung von Beteiligten, Vorgabe von Einkaufs-/Verkaufspreisen, Zahlungsmodalitäten oder Liefer- bzw. Leistungswegen);
(angebotene) Mehrfachdurchläufe von Waren festgestellt werden;
dem Unternehmer eine Warenmenge oder ein Leistungsumfang angeboten wird, die für die Größe des Unternehmens in der Branche unüblich ist (z.B. ungewöhnlich hohe Stückzahlen trotz Neugründung).
Das FA muss nachweisen, dass der Unternehmer zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs bzw. der Leistungserbringung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens einbezogen ist. In diesen Fällen hat das FA den geltend gemachten Vorsteuerabzug für den betreffenden Leistungsbezug sowie eine etwaige Steuerbefreiung für die entsprechende innergemeinschaftliche Lieferung jeweils in voller Höhe zu versagen. Liegen die Voraussetzungen des § 25f UStG bei mehreren Beteiligten vor, ist die vorgenannte Versagung bei diesen Beteiligten vorzunehmen (Abschn. 25f.1 Abs. 6 UStAE).
Liegen die Voraussetzungen des § 25f UStG vor, sind ein zunächst vorgenommener Vorsteuerabzug und eine gewährte Steuerbefreiung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 oder § 173 Abs. 1 AO, ggf. auch nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO durch Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung rückgängig zu machen (Abschn. 25f.1 Abs. 7 UStAE).
Hinweis:
Zu den Auswirkungen des § 25f UStG im Rahmen innergemeinschaftlicher Dreiecksgeschäfte s. Abschn. 25f.2 UStAE und die Kommentierung unter → Innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft.
Nach § 26b UStG handelt ordnungswidrig, wer die in einer Rechnung ausgewiesene Steuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Ist die unterlassene Entrichtung der USt entschuldbar, kann die Finanzbehörde auf eine Ahndung verzichten, wobei auch die in § 266a Abs. 5 StGB genannten Umstände als Maßstab für die diesbezüglichen Ermessensentscheidungen in Betracht kommen können. Nur wenn der Betroffene dem FA unverzüglich und plausibel darlegt, weshalb ihm eine fristgerechte Entrichtung trotz ernsthaften Bemühens nicht möglich ist oder war und er anschließend in der gesetzten Frist die USt entrichtet und dadurch die Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens beseitigt, wird dies in der Regel zu einem Absehen von der Verfolgung dienen. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 50 000 € geahndet werden.
§ 26c UStG stellt die gewerbsmäßig oder bandenmäßig begangene Tathandlung i.S.v. § 26b UStG unter Strafe (s. Wilhelm, UR 2005, 474).
Weber, Der lange Weg zum Ursprungslandprinzip – Die Ära des Karussellbetrugs –, UR 2003, 422; Tiedtke, Umsatzsteuerbetrug in Theorie und Praxis – Von Karussellen, Schwindeleien und Gesetzgebungsarbeiten, UR 2004, 6; Rolletschke, Karussellprobleme, UR 2006, 189; Billig, Missbräuchliche Praktiken im Bereich des Mehrwertsteuerrechts, UR 2006, 437; Hundt-Eßwein, Eingangs- und Ausgangsleistungen rund um das »Karussell« – ein Sachstandsbericht, DStR 2007, 422; Merkt, Mehrwertsteuerbetrug des innergemeinschaftlichen Erwerbers, UR 2008, 757; Nacke, Bekämpfung von Karussellgeschäften bei der Umsatzsteuer, NWB 46/2015, 3396; Wäger, Abzugs- und Befreiungsversagung nach Unionsrecht und § 25f Abs. 1 UStG, UR 2/2020, 45; Grommes, Die Einführung des § 25f UStG aus steuerstrafrechtlicher Sicht, UR 4/2020, 135; Pflaum, Versagung von Rechten (§ 25f UStG) und Haftung des Steuerhinterziehers (§ 71 AO) bei Steuerhinterziehung in der Leistungskette, UR 2021, 453; Hammerl, BMF-Schreiben zu § 25f UStG – Anhaltspunkte für die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung und Praxishinweise, NWB 39/2022, 2757; Jansen, § 25f UStG – Auswirkungen bei Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung, UStB 2023, 55; Spilker, Anwendungsbereich und Rechtsfolgen des § 25f UStG, UR 2023, 589.
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