1 Wahlrecht zwischen Einspruch und Antrag auf Schlichte Änderung
2 Antragsform
2.1 Antrag durch E-Mail
2.2 Zustimmung
3 Antragsfrist
4 Umfang des Antrags auf Schlichte Änderung
5 Schlichte Änderung von Steuerbescheiden, die durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert wurden
6 Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über die Schlichte Änderung
7 Kleinbetragsverordnung
8 Entscheidung durch Allgemeinverfügung nach § 172 Abs. 3 AO.
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Nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO kann der Stpfl. gegenüber einem fehlerhaften Steuerbescheid zwischen einem Einspruch (→ Einspruchsverfahren) und einem formlosen schlichten Änderungsantrag wählen. Nicht ausdrücklich als Einspruch bezeichnete, vor Ablauf der Einspruchsfrist schriftlich oder elektronisch vorgetragene Änderungsbegehren des Stpfl. können regelmäßig als schlichte Änderungsanträge behandelt werden, wenn der Antragsteller eine genau bestimmte Änderung des Steuerbescheids beantragt und das Finanzamt dem Begehren entsprechen will. Andernfalls ist ein Einspruch anzunehmen, da der Einspruch die Rechte des Stpfl. umfassender und wirkungsvoller wahrt als der bloße Änderungsantrag.
Geht in einem Schätzungsfall nach Erlass des Steuerbescheides beim FA innerhalb der Einspruchsfrist die Steuererklärung ohne weitere Erklärung ein, so ist dies im Zweifel als Einlegung eines Einspruchs gegen den Schätzungsbescheid – und nicht als (bloßer) Antrag auf schlichte Änderung des Schätzungsbescheides – zu werten (BFH Urteil vom 27.2.2003, V R 87/01, BStBl II 2003, 505).
Die Aufhebung oder Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist möglich, soweit der Stpfl. zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird. Das gilt zugunsten des Stpfl. nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat.
Der Antrag bzw. die Zustimmung durch den Stpfl. bedarf keiner Form. Der Antrag kann folglich schriftlich, telefonisch oder elektronisch gestellt werden. Ebenso kann die Zustimmung durch schlüssiges Verhalten konkludent erfolgen.
Erfolgt die Einlegung des Antrags auf schlichte Änderung durch E-Mail, ist eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz nicht erforderlich. Voraussetzung für die Übermittlung elektronischer Dokumente ist nach § 87a Abs. 1 AO, dass der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Die Zugangseröffnung kann durch ausdrückliche Erklärung oder konkludent sowie generell oder nur für bestimmte Fälle erfolgen. Finanzbehörden, die eine E-Mail-Adresse angeben, erklären damit ihre Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Dokumente.
Ein elektronisches Dokument ist nach § 87a Abs. 1 Satz 2 AO zugegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung es in für den Empfänger bearbeitbarer Weise aufgezeichnet hat. Ob und wann der Empfänger das bearbeitbare Dokument tatsächlich zur Kenntnis nimmt, ist für den Zeitpunkt des Zugangs unbeachtlich. Erfolgt jedoch die Einlegung des Antrags auf schlichte Änderung via E-Mail und ist das Dokument durch das Finanzamt nicht bearbeitbar, ist der Antrag nicht zugegangen und löst somit noch keine Rechtsfolgen, insbesondere die Wahrung der Einspruchsfrist bei Änderungsanträgen zugunsten des Stpfl., aus. In diesen Fällen muss die Finanzbehörde nach § 87a Abs. 2 AO dem Absender unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitteilen, dass das elektronische Dokument für sie zur Bearbeitung nicht geeignet ist.
Die Zustimmung zur Korrektur eines Steuerbescheides ist die Erklärung des Einverständnisses mit der Aufhebung oder Änderung durch den Inhaltsadressaten.
In der vom Stpfl. im Zusammenhang mit einer tatsächlichen Verständigung abgegebenen Erklärung, dass nach den durchgeführten Änderungen alle Einsprüche gegen die Steuerbescheide erledigt sein sollen, liegt eine Zustimmung i.S.v. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO, aufgrund derer die tatsächliche Verständigung unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verfahrensrechtlich umgesetzt werden darf (BFH vom 3.8.2005, I B 20/05, BFH/NV 2005, 1971).
Erklärt sich der selbst fachkundige Stpfl. mit der von einem Beamten der Steuerfahndungsstelle vorgeschlagenen Hinzuschätzung von Einkünften (→ Schätzung) einverstanden, kann darin nach den Umständen des Einzelfalls eine Zustimmung i.S.v. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu einer Änderung des Steuerbescheids zu Ungunsten des Stpfl. liegen. Die formalen Voraussetzungen, die der BFH für eine sog. tatsächliche Verständigung aufgestellt hat, müssen in diesem Fall nicht erfüllt sein (BFH vom 27.4.2005, X B 145/04, BFH/NV 2005, 1494).
Die Anzeige eines Stpfl. nach § 153 AO (→ Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO) hingegen stellt noch keine Zustimmung zu einer Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Ungunsten dar (AEAO zu § 172, Nr. 3). Insoweit kommt aber ggf. eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in Betracht (→ Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden).
Die steuererhöhende schlichte Änderung kann jederzeit, also innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist (→ Festsetzungsverjährung), beantragt werden. Anwendungsfälle für einen Änderungsantrag zuungunsten des Stpfl. sind die Selbstanzeigen (→ Selbstanzeige) sowie die nachträgliche steuererhöhende Berücksichtigung von stpfl. Einnahmen, um die damit einhergehende Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen zu erwirken.
Steuermindernde Anträge sind nur zulässig, soweit sie innerhalb der Einspruchsfrist erfolgen. Insoweit ist in diesen Fällen eine Einspruchsfristberechnung vorzunehmen (→ Fristen und Termine). Bei unverschuldeter Fristversäumnis ist → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO möglich. Die Antragstellung vor Ablauf der Festsetzungsfrist löst die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Antrag aus (→ Festsetzungsverjährung).
Es ist auch nicht ausreichend, dass der Stpfl. die Änderung rechtzeitig innerhalb der Einspruchsfrist ohne Begründung beantragt und den Umfang seines Änderungsbegehrens erst nach Ablauf der Einspruchsfrist konkretisiert (BFH Urteil vom 27.10.1993, XI R 17/93, BStBl II 1994, 439). Die Anforderungen an die Konkretisierung des Antrags auf schlichte Änderung i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind nicht strenger als die Anforderungen an die Konkretisierung des Gegenstands des Klagebegehrens i.S.d. § 65 Abs. 1 FGO (vgl. BFH Beschluss vom 22.5.2019, XI R 17/18, BStBl II 2019, 647).
Der Steuerbescheid kann zugunsten des Stpfl. noch geändert werden, wenn die Einspruchsfrist bereits abgelaufen ist, soweit vor Ablauf der Einspruchsfrist eine genau bestimmte Änderung bezogen auf einen konkreten Lebenssachverhalt beantragt wurde (BFH Urteil vom 20.12.2006, X R 30/05, BStBl II 2007, 503). Es ist nicht ausreichend, dass im Antrag lediglich die betragsmäßige Auswirkung bzw. der Änderungsrahmen, wie z.B. die Herabsetzung der Steuer auf »Null«, bezeichnet wird. Ebenso ist ein auf Änderung des Bescheides lautender allgemeiner Antrag des Stpfl., der erst nach Ablauf der Einspruchsfrist hinsichtlich der einzelnen Korrekturpunkte konkretisiert wird, nicht zulässig.
Die Anforderungen an die Konkretisierung des Antrags auf schlichte Änderung i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind nicht strenger als die Anforderungen an die Konkretisierung des Gegenstands des Klagebegehrens i.S.d. § 65 Abs. 1 FGO (vgl. BFH Beschluss vom 22.5.2019, XI R 17/18, BStBl II 2019, 647). Die Vorlage vollständiger Steuererklärungen ist daher in Schätzungsfällen für einen hinreichend konkreten Änderungsantrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht erforderlich.
Eine erst nach Ablauf der Klagefrist erfolgte Konkretisierung des Änderungsbegehrens kann nicht deshalb als fristgerecht angesehen werden, weil das Finanzamt einen Gesprächstermin zur Erörterung des Begehrens für die Zeit nach Ablauf der Klagefrist vereinbart und durch ein Schreiben mitgeteilt hat, dass die Möglichkeit einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 2 AO bestehe (BFH vom 25.9.2013, VIII R 46/11, NV, LEXinform 0928984).
In den Fällen, in denen eine Überprüfung eines Steuerbescheides durch den Stpfl. oder seinen Berater innerhalb der Einspruchsfrist nicht erfolgen konnte, ist daher der Antrag auf schlichte Änderung nicht geeignet. Hier ist die Einlegung eines Einspruchs zu empfehlen, da insoweit eine Begründung nicht zwingend erforderlich ist (Begründung als »Soll«-Voraussetzung nach § 357 Abs. 3 Satz 3 AO). Ein schlichter Änderungsantrag kann nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht erweitert werden. Allerdings kann der Antragsteller nach Ablauf der Einspruchsfrist Argumente oder Nachweise zur Begründung eines rechtzeitig gestellten, hinreichend konkreten Änderungsantrags nachreichen oder ergänzen, soweit hierdurch der durch den ursprünglichen Änderungsantrag (Lebenssachverhalt) festgelegte Änderungsrahmen nicht überschritten wird.
Das Finanzamt kann die Steuerfestsetzung lediglich punktuell überprüfen – keine Gesamtaufrollung wie beim Einspruchsverfahren – und kann auch keine Verböserung durchführen. Eine Fehlerkompensation gegenläufiger materieller Fehler i.S.d. § 177 AO, die mit der beantragten Änderung nicht in sachlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehen, ist allerdings möglich. Eine → Aussetzung der Vollziehung ist nicht möglich; jedoch kann eine Stundung beantragt werden.
Eine Aufhebung und Änderung eines Steuerbescheides, der durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert wurde, ist nach § 172 Abs. 1 Satz 2 AO auch dann noch nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zulässig, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung aufgehoben oder geändert wurde. Die Zustimmung bzw. der Änderungsantrag muss in diesen Fällen vor Ablauf der Klagefrist erfolgen (§ 172 Abs. 1 Satz 3 AO).
Der Steuerpflichtige kann mit einem schlichten Änderungsantrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO) nicht mit Erfolg eine nochmalige sachliche Überprüfung der bereits im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumente verlangen (FG Münster Urteil vom 19.10.2017, 5 K 3971/14 U, EFG 2017, 1865; vgl. auch BFH Beschluss vom 5.2.2010, VIII B 139/08, BFH/NV 2010, 831). Neue materiell-rechtliche Gesichtspunkte, die erstmals nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung in einem Änderungsverfahren vorgebracht werden, müssen nicht weiter geprüft werden, wenn der Steuerpflichtige keine hinreichenden sachlichen Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner Behauptungen liefert.
Einspruch und Verpflichtungsklage gegen die Ablehnung eines Antrags auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 2 AO sind zulässig (BFH Urteil vom 27.10.1993, XI R 17/93, BStBl II 1994, 439). Gegen Entscheidungen über die schlichte Änderung ist der Einspruch gegeben. Dabei ist allerdings § 351 AO zu beachten. Wird ein Bescheid angegriffen, der einen unanfechtbaren Bescheid geändert hat, kann der Bescheid nur in dem Umfang geändert werden, in dem er vom ursprünglichen Bescheid abweicht. Diese Beschränkung bezieht sich bei einem Steuerbescheid auf den festgesetzten Steuerbetrag. Der Einspruch führt jedoch nicht zu einer Gesamtaufrollung des Steuerfalls, sondern ist beschränkt auf die mit dem Antrag vorgebrachten Punkte (FG Köln Urteil vom 14.11.1991, 5 K 1078/90, EFG 1992, 246).
Nach § 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 AO ist eine schlichte Änderung auch dann möglich, wenn der zu ändernde Bescheid bereits durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist (vgl. AEAO zu § 172 Nr. 6). Dies gilt auch, wenn lediglich die erneute Überprüfung einer Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist (vgl. BFH vom 27.10.2020, VIII R 30/17, BStBl II 2021, 927). Der Änderungsantrag muss vor Ablauf der Klagefrist gestellt worden sein, nach Ablauf dieser Frist ist er unzulässig.
Bei Änderung und Berichtigung von Steuerfestsetzungen ist die aufgrund des § 156 Abs. 1 AO ergangene → Kleinbetragsverordnung (KBV) zu beachten.
Das Bundesministerium der Finanzen kann gem. § 156 Abs. 1 AO zur Vereinfachung der Verwaltung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass eine Steuer nicht festgesetzt wird, wenn der eigentlich festzusetzende Betrag 25 € nicht übersteigt. Das Gleiche gilt für die Änderung einer Steuerfestsetzung, wenn der Betrag, der sich als Differenz zwischen der geänderten und der bisherigen Steuerfestsetzung ergeben würde, 25 € nicht übersteigt.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Kleinbetragsverordnung unterbleibt die Steuerfestsetzung, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung bei einer Änderung oder Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen mindestens 10 € oder bei einer Änderung oder Berichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen mindestens 25 € beträgt.
Analog § 367 Abs. 2b AO sollen unbegründete, außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nach einer höchstrichterlichen Klärung der im Antrag aufgeworfenen Rechtsfrage nach § 172 Abs. 3 AO rationell abgewickelt werden können (vgl. → Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und -einsprüchen). Die Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung beziehen sich auf anhängige Verfahren vor dem EuGH, dem BVerfG und dem BFH. Kann nach Ausgang des Verfahrens den Anträgen nicht entsprochen werden, sind die Anträge durch Allgemeinverfügung zurückzuweisen. Gegen Allgemeinverfügungen i.S.d. § 172 Abs. 3 AO ist ein Einspruch nach § 348 Nr. 6 AO nicht statthaft. Der Stpfl. hat insoweit unmittelbar den Klageweg zu beschreiten. Zum weiteren Verfahrensablauf s. → Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und -einsprüchen.
→ Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und -einsprüchen
→ Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO
→ Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden
→ Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
→ Rücknahme und Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO
→ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
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