1 Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 4 UStG)
1.1 Unechte Steuerbefreiungen
1.2 Echte Steuerbefreiungen
2 Unechte Steuerbefreiungen
3 Echte Steuerbefreiungen
4 Verzicht auf unechte Steuerbefreiungen (Option zur Steuerpflicht)
5 Umsatzsteuerbefreiung kann steuererhöhend wirken
6 Enge Auslegung der Befreiungstatbestände
7 Steuerbefreiung entgeltlicher Umsätze führt nicht zwangsläufig zur Befreiung unentgeltlicher Wertabgaben
8 Aufzeichnungspflichten (§ 22 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 UStG)
Steuerbare Umsätze, also Umsätze, die im Inland ausgeführt werden und daher grundsätzlich dem deutschen UStG unterliegen, führen im Ergebnis nur dann zu einer Umsatzbesteuerung, wenn keine Steuerbefreiung des UStG greift, wenn sie also nicht nur steuerbar, sondern mangels Vorliegens einer Umsatzsteuerbefreiung auch umsatzsteuerpflichtig sind. Die Steuerbefreiungen sind zu unterscheiden in solche, die
den Vorsteuerabzug ausschließen (unechte Steuerbefreiungen) oder
den Vorsteuerabzug nicht ausschließen (echte Steuerbefreiungen).
Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die Umsatzsteuer aus Eingangsleistungen, die er zur Ausführung eigener steuerfreier Umsätze verwendet, grundsätzlich nicht als Vorsteuer geltend machen (Vorsteuer-Ausschluss). Dies führt dazu, dass für den von ihm ausgeführten Umsatz zwar einerseits keine Umsatzsteuer anfällt, andererseits jedoch die bisher auf den vorherigen Wirtschaftsstufen angefallene Umsatzsteuer durch die Versagung des Vorsteuerabzugs erhalten bleibt, also in der Gesamtbetrachtung keine vollständige Umsatzsteuerentlastung eintritt. Man spricht insofern von »unechten« Steuerbefreiungen.
Beispiel 1:
Ein blinder Fahrradhändler (B), der seinen Fahrradladen mit einem Angestellten betreibt, kauft beim Hersteller ein E-Bike für 3 000 € zzgl. 570 € Umsatzsteuer, das er mit einem Aufschlag von 600 € an einen Privatkunden (P) weiterverkaufen möchte.
Lösung 1:
Die Lieferung des E-Bikes von B an den Privatkunden P ist nach § 4 Nr. 19 Buchst. a UStG steuerfrei, da der leistende Unternehmer blind ist und in seinem Geschäft nur einen ArbN beschäftigt. Die Umsatzsteuer für den Einkauf des E-Bikes i.H.v. 570 € kann B allerdings gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht als Vorsteuer geltend machen. Diese Umsatzsteuer muss B daher in seinen Verkaufspreis einkalkulieren, sodass sie als Preisbestandteil erhalten bleibt. B ermittelt seinen Verkaufspreis daher folgendermaßen: 3 570 € Einkaufspreis + 600 € Rohaufschlag = 4 170 € (brutto = netto).
Hinweis:
Ein Umsatz, der steuerfrei ist, muss kalkulatorisch Umsatzsteuer enthalten, wenn dem betreffenden Unternehmer kraft Gesetzes der Vorsteuerabzug auf Eingangsumsätze verwehrt wird. Die Steuerbefreiung tritt in diesen Fällen materiell nur für die Wertschöpfung durch den befreiten Unternehmer ein (Weimann in Weimann/Lang, 4. A. 2015, § 4 Rz. 1 f.).
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG greift der o.a. Ausschluss des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG jedoch nicht bei Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 1 bis 7 UStG, § 25 Abs. 2 UStG und § 26 Abs. 5 UStG (Rückausschluss). Dies gilt gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b UStG ebenso auch für steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 8 Buchst. a bis Buchst. g, § 4 Nr. 10 und § 4 Nr. 11 UStG, wenn der Leistungsempfänger im Drittlandsgebiet ansässig ist oder diese Umsätze sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden.
Da die Eingangsleistungen des Unternehmers in diesen Fällen durch den aufgrund des Rückausschlusses in § 15 Abs. 3 Nr. 1 UStG möglichen Vorsteuerabzug von bisheriger Umsatzsteuer entlastet werden und zugleich für die Ausgangsleistungen des Unternehmers an Dritte keine weitere Umsatzsteuer mehr anfällt, tritt hier eine vollständige Umsatzsteuerentlastung ein. Man spricht bei diesen Steuerbefreiungen daher auch von sog. echten Steuerbefreiungen.
Beispiel 2:
Ein Fahrradgroßhändler (F) kauft bei einem Hersteller in Deutschland ein E-Bike für 3 000 € zzgl. 570 € Umsatzsteuer ein, das er mit einem Aufschlag von 600 € an den Fahrradeinzelhändler B aus Belgien weiterverkaufen möchte. Die Voraussetzungen des § 6a UStG liegen vor.
Lösung 2:
Die Lieferung des E-Bikes von Fahrradgroßhändler F an Fahrradeinzelhändler B aus Belgien ist nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a UStG als innergemeinschaftliche Lieferung umsatzsteuerfrei. Da F aufgrund des Rückausschlusses in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG dennoch den Vorsteuerabzug aus dem Einkauf des E-Bikes i.H.v. 570 € in Anspruch nehmen kann, tritt in der Gesamtbetrachtung eine vollständige Umsatzsteuerentlastung ein. Aus Sicht des F ist die Umsatzsteuer aus dem Einkauf des E-Bikes daher kein Preisbestandteil und muss folglich auch nicht mehr in den Verkaufspreis einkalkuliert werden. B ermittelt seinen Verkaufspreis daher wie folgt: 3 000 € Einkaufspreis + 600 € Rohaufschlag = 3 600 €.
Die wichtigsten unechten Steuerbefreiungen betreffen:
bestimmte Finanzumsätze (§ 4 Nr. 8 UStG)
Rechtsprechung zu § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG
Mit Urteil vom 5.9.2019, V R 57/17 (LEXinform 0951619) hat der BFH entschieden, dass die Veräußerung von Kapitallebensversicherungen auf dem Zweitmarkt als Umsatz im Geschäft mit Forderungen nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG von der Umsatzsteuer befreit ist.
Der höchstrichterlichen Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft (AG), deren Unternehmensgegenstand der Erwerb und die anschließende Veräußerung von Kapitallebensversicherungen ist. Die AG erwarb von privaten Versicherungsnehmern deren Kapitallebensversicherungen zu einem Kaufpreis, der niedriger als die Summe der eingezahlten Versicherungsprämien, aber höher als der Rückkaufswert der jeweiligen Versicherung war. Daraufhin änderte die Klägerin die Versicherungsverträge dahingehend, dass sie für die Restlaufzeit möglichst gleichförmig weiterliefen und kündigte Versicherungsbestandteile wie bspw. Zusatzversicherungen, die für die Ablaufleistung unerheblich waren. Außerdem stellte sie die Verträge entweder auf jährliche Zahlungsweise um oder beließ sie, wenn möglich, beitragsfrei. Schließlich veräußerte sie die Rechte an den modifizierten Kapitallebensversicherungen an Fondsgesellschaften und behandelte diese Leistungen als nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerfreie Umsätze im Geschäft mit Forderungen.
Im Gegensatz dazu waren FA und Finanzgericht der Auffassung, es handele sich bei der Veräußerung von Kapitallebensversicherungen auf dem Zweitmarkt um einheitliche Leistungen, die auf der Grundlage des von den Fonds gezahlten Kaufpreises der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Die Übertragung der Forderung stelle nicht die Hauptleistung dar, sondern sei nur ein wesentlicher, aber nicht der allein charakteristische Teil der aus mehreren Teilen bestehenden Hauptleistung.
Im anschließenden Klageverfahren kam der BFH – entgegen der Meinung des FG – zur Überzeugung, dass die Übertragung der zukünftigen Geldforderung die Hauptleistung darstellt, während die Übertragung der weiteren Rechte und Pflichten aus den Kapitallebensversicherungen als Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt, insbes. hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung. Hierbei stellte der BFH zunächst klar, dass im Streitfall eine einheitliche Leistung in Gestalt von Haupt- und Nebenleistung vorliegt. Da das Interesse der Fonds als Leistungsempfänger allein auf den Erwerb einer Kapitalforderung gerichtet sei, dienten die übrigen Rechte und Pflichten als Nebenleistung lediglich der Optimierung der erworbenen Kapitalanlage. Die Absicherung des versicherten Risikos sei für die Fonds als Erwerber ohne Bedeutung, da für sie ausschließlich die Renditeerwartungen aus der Kapitalanlage relevant seien. Die Hauptleistung liege somit in der Übertragung der Forderung und falle als Geschäft mit Forderungen unter die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG. Die Abtretung des Anspruchs auf die zukünftige Ablaufleistung bilde ein eigenständiges Ganzes und erfülle damit die spezifischen und wesentlichen Funktionen eines Geschäfts mit Forderungen, weil durch die Übertragung zumindest in Bezug auf die Bezugsberechtigung eine Änderung der rechtlichen und finanziellen Situation herbeigeführt werde.
Rechtsprechung zu § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG
Der BFH hat in seinem Urteil vom 13.11.2019 (V R 30/19, BFH Az.: 0952484) die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG auf die strittigen Umsätze eines Finanzdienstleistungsunternehmens abgelehnt. Das betreffende Dienstleistungsunternehmen stellte für eine Bank, die Geldausgabeautomaten betreibt, diese Geldausgabeautomaten auf, wartete sie, befüllte sie mit Bargeld, stattete sie mit Hard- und Software zum Einlesen der Geldkartendaten aus und leitete darüber hinaus Autorisierungsanfragen zu Bargeldabhebungen weiter an die Bank, die die verwendete Geldkarte ausgegeben hatte. Außerdem nahm das Dienstleistungsunternehmen die gewünschte Bargeldauszahlung vor und generierte auch einen Datensatz über die jeweiligen Auszahlungen.
Mit seinem Urteil widersprach der BFH der Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 23.10.2014, 6 K 1465/12 (EFG 2015, 588), das die in Rede stehenden Umsätze entgegen der Einspruchsentscheidung des zuständigen FA als steuerfrei nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG angesehen hatte. Im Rahmen des Verfahrens hatte der erkennende Senat des BFH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, auf das dieser mit EuGH-Urteil »Cardpoint« vom 3.10.2019 (Rs. C-42/18) dahingehend antwortete, dass Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der sechsten MwStSystRL dahingehend auszulegen sei, dass die von Finanzdienstleistungsunternehmen für Geldausgabeautomaten betreibende Banken erbrachten o.g. Dienstleistungen keine von der Mehrwertsteuer befreiten Umsätze im Zahlungsverkehr i.S.d. genannten Vorschrift der MwStSystRL ist. Mit dem zitierten Urteil vom 13.11.2019 schloss sich der BFH nunmehr der Rechtsauffassung des EUGH an und beurteilte die Leistungen des Finanzdienstleistungsunternehmens als stpfl. Umsätze.
Mit Urteil vom 26.1.2022, XI R 19/19 (XI R 12/17) LEXinform 0952472 hat der BFH entscheiden, dass es sich bei dem im Rahmen eines bargeldlosen Zahlungssystems für die Überlassung elektronischer Zahlungskarten in Fußballstadien erhobenen Kartenpfand nicht um Schadensersatz, sondern um eine steuerbare sonstige Leistung handelt, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG als Umsatz im Zahlungs- und Überweisungsverkehr steuerfrei ist, wenn der leistende Unternehmer selbst die Übertragung von Geldern vornimmt. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger betrieb in Fußballstadien bargeldlose Zahlungssysteme, d.h., die Stadionbesucher konnten gegen ein Kartenpfand von 2 € elektronische Zahlungskarten erwerben, um im Stadionbereich insbes. Speisen und Getränke zu kaufen. Die Besucher konnten die Karten mit Geldbeträgen aufladen, das Guthaben konnte – wenn nicht verbraucht – wieder in Bargeld zurückgetauscht werden. Bei Rückgabe der elektronischen Zahlungskarte wurde auch das Kartenpfand von 2 € wieder erstattet. Während die Stadionbesucher selbst keine Entgelte für die Nutzung des Systems zahlten, entrichteten Stadionbetreiber und Caterer Provisionen an den Kläger, die teilweise fest und teilweise variabel bemessen wurden. Dabei stellte der Kläger das gesamte Zahlungssystem zur Verfügung, insbes. Kartenlesegeräte und Personal, das Vertrieb, Aufladung und Rückgabe der Zahlungskarten organisierte.
Der Kläger behandelte die Erlöse aus dem Kartenpfand als umsatzsteuerfrei, während das zuständige FA die Kartenausgabe als umsatzsteuerpflichtige Lieferungen von Gegenständen nach § 3 Abs. 1 UStG ansah. Bei einer Kartenrückgabe mit Rückzahlung des Pfandes liege eine Entgeltminderung nach § 17 UStG vor.
Nach erfolgloser Klage (FG Hamburg vom 7.2.2017, 2 K 14/16, EFG 2017, 783) verwies der BFH das Verfahren an das FG zurück, weil dieses bezüglich der Kartenausgabe gegen Zahlung des Kartenpfandes unzutreffend von selbstständigen Lieferungen von Gegenständen ausgegangen. Vielmehr handle es sich nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG um umsatzsteuerfreie Umsätze im Zahlungs- und Überweisungsverkehr.
Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers liege allerdings kein pauschalierter Schadensersatz vor. Ein Leistungsaustausch erfordere ein Rechtsverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden und die empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die erbrachte bestimmbare Dienstleistung darstellt. Zwischen Kläger und Stadionbesucher sei ein Vertrag über die Nutzung der Zahlungskarte als Zahlungssystem zustande gekommen. Der Pfandbetrag stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kartenüberlassung und bilde den tatsächlichen Gegenwert für diese. Nur durch die Zahlung des Pfandbetrags habe der Nutzer Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr erhalten. Gegen Schadensersatz spreche, dass der Karteninhaber nach den AGB zwar kein Eigentum an der Karte erwarb, jedoch auch nicht zur Rückgabe verpflichtet war.
Im Unterschied zur Auffassung des FA handelt es sich auch nicht um selbstständige Lieferung von Gegenständen nach § 3 Abs. 1 UStG, weil die Kartenausgabe so eng mit der bargeldlosen Zahlungsmöglichkeit verbunden sei, dass objektiv ein einziger untrennbarer wirtschaftlicher Vorgang in Gestalt einer sonstigen Leistung vorliege. Gegen eine Lieferung spreche außerdem, dass das Interesse der Karteninhaber ausschließlich auf die bargeldlose Zahlung gerichtet war, da in den Stadien regelmäßig keine Bargeldzahlung möglich gewesen sei. Der Karteninhaber habe nicht das Interesse gehabt, getrennt die Karte zu erwerben, sondern lediglich damit bezahlen wollen. Somit liege eine einheitliche sonstige Leistung der Klägerin an den Karteninhaber vor, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG umsatzsteuerfrei ist.
Rechtsprechung zu § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG
Hinsichtlich der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG hat der BFH entschieden, dass die Verwaltungsleistungen von betrieblichen Versorgungseinrichtungen jedenfalls dann nicht nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG steuerfrei, sondern umsatzsteuerpflichtig sind, wenn die ArbN kein Anlagerisiko tragen und der ArbG gesetzlich zur Zahlung an das Altersversorgungssystem gegenüber seinen ArbN verpflichtet ist (BFH Urteil vom 26.7.2017, XI R 22/15, LEXinform 0950928).
In einem weiteren Urteil (BFH Urteil vom 22.11.2018, V R 21/17, LEXinform 0951406), das zu § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG in seiner alten Fassung ergangen ist, hat der BFH entschieden, dass sich der im Rahmen dieser Vorschrift bestehende Verweis auf das InvG nur auf die Verwaltung inländischer Investmentvermögen bezieht, aber nicht auf ausländische Investmentvermögen, die dem InvG nur in Bezug auf den Anteilsvertrieb unterlagen.
Verkauf von Grundstücken (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG),
bestimmte Glücksspielumsätze (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG),
Der BFH hat mit Urteil vom 11.12.2019, XI R 13/18 entschieden, dass sich ein Aufsteller von Geldspielautomaten nicht auf die Steuerbefreiung nach Unionsrecht berufen kann, und damit sein vorheriges Urteil vom 10.11.2010, XI R 79/07, BStBl II 2011, 311 bestätigt.
Im Entscheidungsfall betrieb ein Automatenaufsteller Geldspielautomaten, die nach den gesetzlichen Vorschriften technisch so eingestellt sind, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze an die Spieler ausgezahlt wird. Dem Betreiber selbst verbleibt dabei wegen der Zufallsabhängigkeit des Spielverlaufs zwar nicht spielbezogen, aber zeitbezogen ein durchschnittlicher Gewinn.
Der BFH stellte in seiner o.a. Entscheidung nochmals klar, dass die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit steuerbar und stpfl. sind, wie auch der EUGH in seiner Rechtsprechung bereits bestätigt hat. Dabei ist der Teil der Spieleinsätze, der an die Spieler als Gewinn ausgezahlt wird, nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Zur Begründung führt der BFH aus, die Veranstaltung von Glücksspielen stelle eine steuerbare Dienstleistung dar, und zwar unabhängig von der Zufallsabhängigkeit einzelner Spielverläufe. Die Bereitstellung der Automaten und die Gewährung einer Gewinnmöglichkeit begründen eine entgeltliche Leistung, bei der das Entgelt nur aus dem Teil der Gegenleistung besteht, über den der Automatenaufsteller selbst verfügen kann (vgl. EuGH vom 5.5.1994, C-38/93, BStBl II 1994, 548). Die Ungewissheit in Bezug auf den Gewinn schließt nach Auffassung des EuGH das Vorliegen eines Umsatzes nicht aus, sondern ist wesentlicher Bestandteil der von den Automatennutzern angestrebten Unterhaltung. Der Aufsteller räumt dem Spieler eine Gewinnchance ein und nimmt im Gegenzug dafür das Risiko hin, den Gewinn auszahlen zu müssen.
Trotz der Zufallsabhängigkeit, ob dem Spieler ein Gewinn ausgezahlt wird oder nicht, fällt das Entgelt in Form der Netto-Kasseneinnahmen aus den Spielen aller Spieler unter die Umsatzsteuer, da die Automaten so konstruiert sind, dass dem Betreiber ein vorhersehbarer Ertrag verbleibt. Seine Einnahmen sind daher nicht als Gewinne, sondern vielmehr als Gebühr für seine Dienstleistung anzusehen. Der Teil der an die Spieler ausgezahlten Gewinne gehört nicht zur Besteuerungsgrundlage für die Umsatzsteuer (EuGH vom 24.10.2013, C-440/12, »Metropol Spielstätten« HFR 2013, 1166, BFH vom 14.12.2015, XI B 113/14, BFH/NV 2016, 599).
Auch das Argument, es sei dem Automatenaufsteller nicht möglich, jedem einzelnen Spieler eine ordnungsgemäße Rechnung auszustellen, führt nach Meinung des EuGH nicht im Umkehrschluss dazu, dass der Umsatz nicht der Umsatzsteuer unterliegt. Der Besitz oder die Ausstellung einer Rechnung sei kein wesentliches Merkmal für die Erhebung der Umsatzsteuer (vgl. EuGH vom 26.6.1997, C-370/85, »Careda u.a.«, HFR 1997, 781).
Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG),
Im Rahmen eines Verfahrens zur Frage der Aussetzung der Vollziehung hat der BFH mit Beschluss vom 26.9.2022, XI B 9/22 (AdV), LEXinform 4252784 festgestellt, dass auch nach Einführung der virtuellen Automatensteuer zum 1.7.2021 keine ernstlichen Zweifel an der Umsatzsteuerpflicht der Umsätze aus dem Betrieb terrestrischer Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit bestehen. Dagegen unterliegen Umsätze aus dem Betrieb virtueller Automatenspiele ab dem 1.7.2021 der virtuellen Automatensteuer nach dem RennwLottG und sind folglich ab diesem Zeitpunkt umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG. Die Glücksspielbrache sah in der unterschiedlichen Behandlung von virtuellen und terrestrischen Geldautomatenspielen einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz.
Nach Auffassung des BFH ist der Betrieb von Geldspielautomaten in Spielhallen weiterhin umsatzsteuerpflichtig, während das vorinstanzliche FG (FG Münster vom 27.12.2021, 5 V 2705/21 U, EFG 2022, 362) die Gleichartigkeit von terrestrischem und virtuellem Automatenspiel noch bejaht hatte. Die infolge der Erweiterung der Rennwett- und Lotteriesteuerpflicht auf virtuelle Automatenspiele herbeigeführte unterschiedliche Behandlung von virtuellen und terrestrischen Automatenspielen verletzt den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nach Meinung des Gerichts nicht. Zum einen bestehen bei beiden Gewinnspielarten unterschiedliche ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen z.B. hinsichtlich der Ausschüttungen oder der gewerberechtlichen Bestimmungen, außerdem werden jeweils unterschiedliche Spielerkreise angesprochen. Weiterhin unterscheiden sich Online-Angebote von terrestrischen Angeboten dadurch, dass virtuelle Spiele günstiger zu betreiben sind, permanent und ortsungebunden verfügbar sind und einen größeren Kundenkreis ansprechen. Damit sind sie auch hinsichtlich der Spielsucht anders einzuschätzen als terrestrische Angebote. Nicht von entscheidender Bedeutung ist, ob das virtuelle Onlinespiel das terrestrische Automatenspiel simuliert oder nachbilden soll. Aus den genannten Gründen kommt der BFH zur Überzeugung, dass virtuelle und terrestrische Spielangebote – auch aus der Sicht des Durchschnittsbetrachters – nicht gleichartig sind, nicht miteinander in Wettbewerb stehen und in der Folge auch eine unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung gerechtfertigt ist. Auch nach Unionsrecht werden auf elektronischem Weg erbrachte Glücksspielumsätze und terrestrische Glücksspielumsätze vielfach unterschiedlich besteuert. Sogar Online-Umsätze desselben Leistungserbringers können je nach Leistungsempfänger zu unterschiedlichen Steuersätzen umsatzsteuerpflichtig oder sogar umsatzsteuerfrei sein. Diese Unterschiede schließen es aus, die dem Ursprungslandprinzip unterliegenden Umsätze und die dem Bestimmungslandprinzip unterliegenden Umsätze der Erbringer von Online-Glücksspielen mehrwertsteuerrechtlich gleich behandeln zu müssen. Denn es handelt sich um nicht vergleichbare Leistungen, die völlig unterschiedlichen mehrwertsteuerrechtlichen Regelungen unterliegen.
Zu beachten ist, dass der Beschluss des BFH im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung ergangen ist und die endgültige Entscheidung über die Streitfrage dem Hauptverfahren vorbehalten bleibt. Allerdings dürfte davon keine vom vorliegenden Beschluss abweichende Auffassung des BFH zu erwarten sein.
Versicherungsumsätze (§ 4 Nr. 10 UStG),
Umsätze von Versicherungs- und Bausparkassenvertretern (§ 4 Nr. 11 UStG),
Post-Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG (§ 4 Nr. 11b UStG),
Die Regelung des § 4 Nr. 11b UStG befreit Universaldienstleistungen nach der o.a. Postrichtlinie (Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG) unter der Voraussetzung von der Umsatzsteuer, dass der leistungsausführende Unternehmer sich gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) verpflichtet hat, flächendeckend in der gesamten Bundesrepublik sämtliche Universaldienstleistungen oder zumindest einen Teilbereich dieser Leistungen anzubieten. Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung ist nach § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG formell eine entsprechende Bescheinigung des BZSt erforderlich.
Hierzu hat der EUGH mit Urteil vom 16.10.2019, C-4/18 und C-5/18, Winterhoff u.a. entschieden, dass Anbieter von Briefzustelldienstleistungen, die in ihrer Eigenschaft als Inhaber einer nationalen Lizenz, die ihnen die Erbringung dieser Dienstleistung gestattet, und die verpflichtet sind, förmliche Zustellungen von Schriftstücken von Gerichten oder Verwaltungsbehörden nach Vorschriften des nationalen Rechts durchzuführen, als Universaldiensteanbieter i.S.d. Richtlinie 97/67/EG anzusehen sind. Folglich sind derartige förmliche Zustellungen als von »öffentlichen Posteinrichtungen« erbrachte Dienstleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG anzusehen und von der Umsatzsteuer zu befreien.
In Umsetzung der EUGH-Rspr. hat der BFH mit Urteil vom 6.2.2020 (BFH V R 36/19, LEXinform 0952555) entschieden, dass die förmliche Zustellung von Schriftstücken nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften als Post-Universaldienstleistung nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG anzusehen ist, die als von »öffentlichen Posteinrichtungen« erbrachte Dienstleistung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit ist. Dabei kann sich der Stpfl. nach Auffassung des Gerichts unabhängig von einer entsprechenden nationalen Regelung unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der MwStSystRL berufen.
In einem weiteren – teilweise inhaltsgleichen – Urteil (BFH V R 37/19, LEXinform 0952559), das ebenfalls am 6.2.2020 ergangen ist, hat der BFH zusätzlich entschieden, dass Unternehmer, die Post-Universaldienstleistungen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 97/67/EG, § 4 Nr. 11b UStG erbringen, gegenüber dem BZSt einen Anspruch auf Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG haben. Dementsprechend verpflichtet der BFH im Bezugsurteil das BZSt als Beklagten und Revisionsbeklagten dazu, die vom Kläger beantragte Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b Satz 2 UStG auszustellen.
Durch die o.a. Rspr. des EuGH und nachfolgend auch des BFH ist die bisherige Verwaltungsauffassung in Abschn. 4.11b.1. Abs. 8 UStAE überholt, nach der förmliche Zustellungen i.S.d. § 33 PostG nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 11b UStG fallen. Mit BMF-Schreiben vom 28.9.2021 (GZ. III C 3 – S 7167-b/19/10003 :001, DOK 2021/1035367) hat die Finanzverwaltung nunmehr reagiert und die einschlägigen Verwaltungsanweisungen des UStAE an die Rspr. angepasst.
Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 UStG),
Mit Urteil vom 24.3.2021, V R 1/19 hat der BFH entschieden, dass der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften ebenso wie der Betrieb kommunaler Obdachlosenunterkünfte durch eine GmbH im Auftrag von Ländern und Kommunen nicht nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei ist, weil die Klägerin insoweit nach den bindenden Feststellungen des FG keine Grundstücke an die Träger der Unterkünfte überlässt und mangels Rechtsbeziehung auch gegenüber den dort untergebrachten Personen keine steuerfreien Vermietungsleistungen erbringt. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen sind auch nicht nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG von der Umsatzsteuer befreit, weil sie nicht mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden sind. Die genannte Steuerbefreiung erfasst nämlich nur Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege von Personen, die krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind. Dies ist jedoch bei den hier in den Einrichtungen untergebrachten Personen i.d.R. nicht der Fall, weil diese aufgrund asyl- bzw. ordnungsrechtlicher Verpflichtung zur Sicherung ihres Existenzminimums untergebracht werden.
Ebenso wenig sind die von der Klägerin erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 18 UStG von der Umsatzsteuer befreit, weil die Klägerin weder ein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege noch einem solchen Verband als Mitglied angeschlossen ist.
Allerdings beinhaltet das Unionsrecht in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL eine über das nationale Recht hinausgehende Steuerfreiheit, auf die sich der Stpfl. unmittelbar berufen kann. Danach befreien die Mitgliedstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, von der Umsatzsteuer. Nach dieser Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL kann der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften und kommunalen Obdachlosenunterkunft für Länder und Kommunen steuerfrei sein.
Leistungen von Wohnungseigentümergemeinschaften (§ 4 Nr. 13 UStG),
humanmedizinische Heilbehandlungen (§ 4 Nr. 14 UStG),
Der BFH hat mit Urteil vom 18.12.2019 (XI R 23/19) entschieden, dass medizinische Analysen eines Facharztes für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik nicht nur nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, sondern auch nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG steuerfrei sein können und widerspricht somit der Verwaltungsmeinung in Abschn. 4.14.2. Abs. 2 Satz 1 UStAE. Hierzu hat das Gericht – ebenfalls gegen die Verwaltungsmeinung in Abschn. 4.14.1, Abs. 1 und Abschn. 4.14.5. Abs. 9 UStAE – weiter ausgeführt, dass das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient keine Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer Tätigkeit im Rahmen einer Heilbehandlung i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG darstellt. Das Gericht schließt sich damit der Auffassung des EuGH in seinem zum Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 11.10.2017 (XI R 23/15) ergangenen Urteil vom 18.9.2019 (C-700/17) an.
Der EuGH hat mit Urteil vom 5.3.2020 – C-48/19 (BFH/NV 2020, 607) entschieden, dass telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten als Heilbehandlungen steuerbefreit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG i.V.m. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sein können. Voraussetzung hierzu ist allerdings, dass mit den Beratungsleistungen ein therapeutischer Zweck verfolgt wird. Außerdem – so der EuGH weiter – gilt die Steuerbefreiung entsprechend auch für telefonische Beratungsleistungen, die von Krankenpflegern und medizinischen Fachangestellten erbracht werden, die auch ansonsten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Beratungsleistungen telefonisch erbracht werden, ist insoweit keine zusätzliche berufliche Qualifikation erforderlich.
In seinem Urteil in der Rs. »Finanzamt D« hatte der EuGH (Urteil vom 8.10.2020, C-657/19, BFH/2021, 174) aufgrund eines Vorlageverfahrens des BFH (EuGH Vorlage vom 10.4.2019, XI R 11/17, BStBl II 2019, 683) zu entscheiden, ob die Leistungen einer Krankenschwester mit Zusatzausbildung im Bereich der Pflege, die für den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten erstellte, von der Umsatzsteuer befreit sind. Nach Auffassung des Gerichts sind die betreffenden Umsätze weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht steuerfrei. Die Gutachtertätigkeit sei zum einen nicht als therapeutische Heilbehandlung i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG anzusehen, da sie lediglich als Grundlage für die Feststellung dient, in welcher Höhe den Versicherten ein Anspruch auf Kostenersatz nach dem Pflegeversicherungsgesetz zusteht. Auch die Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 15 und Nr. 15a UStG seien nicht einschlägig, da nur die Umsätze der darin genannten Einrichtungen (z.B. Sozialversicherungsträger, MDK) steuerbefreit sind. Da es sich bei der Gutachtertätigkeit auch nicht um Leistungen zur Betreuung oder Pflege von Personen handelt, könne des Weiteren die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG keine Anwendung finden. Schließlich sei die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ebenfalls nicht einschlägig. Es liegen zwar eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen vor, allerdings setze das Leistungsmerkmal »eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden« nach Art. 134 Buchst. a MwStSystRL voraus, dass die betreffenden Leistungen für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sind, was im Vorlagefall nicht gegeben sei. Nicht gegen die Steuerfreiheit spreche hingegen, dass die Gutachterleistungen an den MDK und nicht unmittelbar an die Hilfsbedürftigen erbracht wurden.
In seinem im Nachgang zur o.a. Entscheidung des EuGH (a.a.O.) ergangenen Urteil (BFH vom 24.2.2021, XI R 30/20, BFH/NV 2021, 1158) stellt der BFH nochmals klar, dass die »Unerlässlichkeit« i.S.v. Art. 134 Buchst. a MwStSystRL bereits dann gegeben sei, wenn die Dienstleistungen nicht unmittelbar an den Hilfsbedürftigen erbracht werden, sondern als Subunternehmer an einen anderen Stpfl., der sie benötigt, um seine eigenen steuerbefreiten Leistungen zu erbringen. Weiterhin führt der BFH aus, dass es für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht ausreicht, wenn die Kosten mittelbar von einer Eirichtung der sozialen Sicherheit getragen werden, wenn – wie beim Subunternehmer – keine direkten vertraglichen Beziehungen zum öffentlichen Träger bestehen. Die Möglichkeit einer vertraglichen Vereinbarung genüge nicht, die vertragliche Grundlage müsse tatsächlich bestehen.
Mit Urteil vom 30.6.2022, V R 36/20, DStR 2022, 2369 hatte der BFH den Fall eines Chefarztes zu beurteilen, der gegen monatliche Ausgleichszahlungen gegenüber dem Klinikträger auf das ihm eingeräumte Recht zur Privatliquidation verzichtet hatte, damit der Klinikträger selbst gegenüber Privatversicherten abrechnen konnte. Nach Meinung des Gerichts erbringt der Chefarzt eine steuerbare sonstige Verzichtsleistung an den Klinikträger in Form eines Unterlassens nach § 3 Abs. 9 Satz 2 UStG. Die Leistung ist steuerbar und stpfl., sie ist nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen nach § 4 Nr. 14 Bucht. a UStG steuerfrei.
Der Stpfl. S war als Medizinprofessor und Klinikdirektor bis zum Ausscheiden aus dem Dienst bei einer Universitätsklinik berechtigt, Privatpatienten zu behandeln und hierfür zu liquidieren. Im Rahmen der Neuorganisation des Klinikbetriebs vereinbarte S mit Universität und Klinik, dass er auf das Privatliquidationsrecht verzichtet und an eine Forschungseinrichtung der Universität versetzt wird. Im Gegenzug verpflichtete sich die Klinik, an S bis zum Ruhestand monatliche Zahlungen zu leisten.
Ob eine Leistung des Unternehmers S vorliegt, die sich auf die Erlangung einer Gegenleistung richtet, bestimmt sich nach Auffassung des BFH in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (BFH vom 30.6.2020, XI R 22/08, BStBl II 2010, 1084 Rz. 13). Dabei kann ein Leistungsaustausch auch vorliegen, wenn ein Stpfl. auf eine ihm zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet (BFH vom 26.8.2021, V R 13/19, BStBl II 2022, 197 Rz. 20). S erbrachte aufgrund der Vereinbarung eine sonstige Leistung durch Unterlassen, indem er auf das ihm eingeräumte Recht zur Privatliquidation und damit auf eine ihm zustehende vermögenswerte Rechtsposition verzichtete. Das Klinikum erlangte das Recht, die vom Nachfolger des A erbrachten Behandlungen von Privatpatienten selbst abrechnen zu können.
Im Übrigen schließt das Vorliegen eines steuerbaren Umsatzes aus, das Entgelt als nicht steuerbaren (echten) Schadensersatz zu qualifizieren. Zahlungen sind nur dann als Schadensersatz zu werten, wenn zwischen Zahlung und Leistung – anders als im Urteilsfall – kein unmittelbarer Zusammenhang besteht (BFH vom 26.1.2022, XI R 19/19, BStBl II 2022, 582 Rz. 36).
Die Steuerfreiheit der Verzichtsleistung ergibt sich auch nicht aufgrund der Rechtsprechung zur spiegelbildlichen Beurteilung (»actus-contrarius«) von Leistung (steuerfreie Heilbehandlung) und Verzichtsleistung (Verzicht auf die steuerfreie Heilbehandlung). Charakteristisch hierfür ist, dass die jeweiligen Leistungen und der darauf bezogene Verzicht im Rahmen desselben Zweipersonenverhältnisses erfolgen. Davon unterscheidet sich die hier vorliegende Konstellation eines Dreipersonenverhältnisses, bei dem zunächst das Klinikum mit der Anstellung des S eine nicht steuerbare sonstige Leistung an S (Einräumung des Rechts auf Privatliquidation) erbrachte, aufgrund der S gegenüber seinen Patienten umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen erbrachte. Für den Verzicht gegenüber dem Klinikum auf die weitere Behandlung von Privatpatienten erhielt S einen finanziellen Ausgleich. Die Verzichtsleistung betraf allerdings das Rechtsverhältnis zwischen S und dem Klinikum und nicht das Rechtsverhältnis zu seinen Patienten.
Der Verzicht des S auf die Privatliquidation erfolgte auch als Unternehmer. Beamtenrechtlich berührt war lediglich der Verzicht auf die Klinikleitung und die Zustimmung zur Versetzung. Aufgrund der Interessenlage des Klinikums (Erwerb der Liquidationsbefugnis) und des S (Ausgleich für den Wegfall der Privatliquidation) lag zwischen der erbrachten Verzichtsleistung des S und dem erhaltenen Gegenwert in Form monatlicher Ausgleichszahlungen der für die Steuerbarkeit erforderliche unmittelbare Zusammenhang vor.
Umsätze der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung, Träger der Sozialhilfe, sonstigen Stellen und Träger der Kriegsopferversorgung und -fürsorge (§ 4 Nr. 15 UStG),
medizinische Dienste (§ 4 Nr. 15a UStG),
Eingliederungsleistungen nach dem SGB II, Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III und vergleichbare Leistungen (§ 4 Nr. 15b UStG),
Leistungen bestimmter Einrichtungen und Personen, die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbunden sind, (§ 4 Nr. 16 UStG), Unter die Steuerbefreiung fallen gem. § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG auch Leistungen von Einrichtungen, die als Verfahrenspfleger nach §§ 276, 297, 298, 317 und 419 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) bestellt worden sind. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass die von den betreffenden Einrichtungen geforderten Preise von den zuständigen Behörden genehmigt sind oder die bereits genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Umsätzen, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen die verlangten Preise unter den Preisen liegen, die der Umsatzsteuer unterliegende gewerbliche Unternehmen für entsprechende Umsätze verlangen. Die Regelung des § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG wurde mit dem Wachstumschancengesetz vom 27.3.2024 (BGBl I 2024, 108, LEXinform 0464203) eingeführt und gilt für Umsätze, die nach dem 31.3.2024 ausgeführt wurden.
Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch (§ 4 Nr. 17 Buchst. a UStG),
Beförderung von kranken und verletzten Personen mit hierfür besonders eingerichteten Rettungsfahrzeugen = Krankentransporte (§ 4 Nr. 17 Buchst. b UStG),
eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen, wenn diese Leistungen entweder von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder von anderen Einrichtungen erbracht werden, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben (§ 4 Nr. 18 UStG).
Mit Urteil vom 24.2.2020 – XI R 32/20 (LEXinform 0952930) hat der BFH entschieden, dass auch Abrechnungen von Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen gegenüber Sozialversicherungsträgern, die ein gemeinnütziger Verein als Rettungsdienst für den Träger des Rettungsdienstes und alle anderen Rettungsdienste zentral übernommen hat, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sein können, wenn der Sozialversicherungsträger die zentrale Abrechnung der Leistungen durch einen einzigen Rettungsdienst verlangt.
Weiterhin kann – so der BFH weiter – die Anerkennung als »Einrichtung mit sozialem Charakter« i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL auch bezüglich solcher Abrechnungsleistungen darin begründet sein, dass der Sozialversicherungsträger ein solches Abrechnungsverfahren von den Leistungserbringern verlangt und diesbezügliche Vereinbarungen geschlossen werden, die auf einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage beruhen.
Dabei bejaht das Gericht die Steuerfreiheit der Abrechnungsleistungen, lässt jedoch ausdrücklich offen, ob die Leistungen bereits nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG als Bestandteil der Leistung »Beförderungen von Kranken und verletzten Personen mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind«, oder nach § 4 Nr. 18 UStG als »eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen« steuerfrei sind.
Mit BMF-Schreiben vom 15.6.2021 (BStBl I 2021, 855) hat die Finanzverwaltung vor dem Hintergrund der Eindämmung und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie verfügt, dass Leistungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Eindämmung und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, erbracht werden, aus Billigkeitsgründen als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen angesehen und nach § 4 Nr. 18 UStG als umsatzsteuerfrei behandelt werden können.
Als mögliche begünstigte Leistungen werden aufgeführt die entgeltliche Gestellung von Personal, Räumlichkeiten, Sachmitteln oder die Erbringung von anderen Leistungen an Körperschaften privaten oder öffentlichen Rechts, soweit die empfangende Körperschaft selbst Leistungen im Zusammenhang mit der Eindämmung und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie erbringt. Dabei ist unbeachtlich, ob die erbrachten Leistungen steuerbar sind.
Zu beachten ist allerdings, dass Unternehmer, die sich für ihre entsprechenden Ausgangsumsätze auf die im Billigkeitsweg zu gewährende Steuerbefreiung berufen, gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht zum Vorsteuerabzug aus damit zusammenhängenden Eingangsleistungen berechtigt sind.
Die Billigkeitsregelung war zunächst mit BMF-Schreiben vom 15.6.2021 (a.a.O.) auf Umsätze begrenzt, die im Zeitraum vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2021 ausgeführt wurden und wurde durch ein weiteres BMF-Schreiben vom 3.12.2021 (III C 3 – S 7130/20/10005 :015) auf bis zum 31.12.2022 ausgeführte Umsätze verlängert.
§ 4 Nr. 18 UStG wurde durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl 2019 I, 2451) zum 1.1.2020 neu gefasst. In ihrem BMF-Schreiben vom 14.2.2023 (BStBl I 2023, 348) nimmt die Finanzverwaltung zu dieser Neuregelung Stellung, verweist auf aktuelle BFH-Rspr. zu § 4 Nr. 18 UStG und trifft Regelungen zur Anwendung der Urteilsgrundsätze. Außerdem werden die Vorschriften in Abschn. 4.18.1. UStAE entsprechend aktualisiert.
Blindenumsätze (§ 4 Nr. 19 UStG),
Umsätze von Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles, Chören, Museen, botanischen und zoologischen Gärten, Tierparks, Archiven, Büchereien und Denkmälern der Bau- und Gartenbaukunst (§ 4 Nr. 20 UStG),
Mit BMF-Schreiben vom 12.11.2020, III C 3 – S 7177/17/10001 hat die Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Begünstigung von Theateraufführungen und vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler Stellung genommen. Unter Verweis auf die höchstrichterliche Rspr. versteht die Verwaltung unter begünstigten »Theatervorführungen« nicht nur Aufführungen von Theaterstücken im engeren Sinne wie Opern und Operetten, sondern auch Darbietungen der Pantomime und Tanzkunst, der Kleinkunst, der Eisrevuen und des Varietés bis hin zu Puppenspielen und Bauchreden. Auch Mischformen von Sprech-, Musik- und Tanzdarbietungen sind begünstigt. Das BMF weist ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff der Theatervorführung sowohl für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 UStG als auch für die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG in gleicher Weise zu bestimmen ist.
Die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 12.11.2020 sind in allen offenen Fällen anzuwenden, wobei es die Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn Umsätze, die vor dem 1.1.2021 ausgeführt werden, abweichend von den Verwaltungsanweisungen als umsatzsteuerpflichtig behandelt bzw. dem allgemeinen Steuersatz unterworfen werden. Die Übergangsregelung gilt entsprechend auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs.
Gleichzeitig mit o.a. Schreiben ändert die Finanzverwaltung die diesbezüglichen Bestimmungen in Abschn. 4.20. UStAE. Nach Abschn. 4.20.1. Abs. 1 Satz 2 UStAE liegen begünstigte Theaterumsätze nur dann vor, wenn Personen auf einer Bühne vor einem Publikum ein Stück zur Aufführung bringen oder eine für Zuschauer bestimmte Aufführung durch eine Person erfolgt. Nicht unter die Steuerbefreiung fallen Filmvorführungen sowie reine Autorenlesungen vor Publikum (vgl. BFH vom 25.2.2015, XI R 35/12, BStBl II 2015, 677).
Mit Urteil vom 22.11.2018 (V R 29/17, BStBl II 2021, 495) hat der BFH entschieden, dass der Museumsbegriff in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG im Hinblick auf die zwischen der Steuersatzermäßigung und der Steuerfreiheit bestehenden Unterschiede nicht mit dem Museumsbegriff in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG identisch ist, zu beachten sei lediglich die grundlegende Begriffsdefinition in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 4 UStG. Die Steuersatzermäßigung erfasse nur die Eintrittsberechtigung für Museen und damit für die in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 4 UStG genannten Sammlungen, während die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG auf alle Umsätze mit Kulturbezug eines Museums anzuwenden sei. Steuerfrei seien folglich nicht nur Eintrittsberechtigungen, sondern bspw. auch andere typische Museumsleistungen wie der Verkauf von Katalogen und Museumsführern sowie die Aufbewahrung der Garderobe (vgl. hierzu Abschn. 4.20.3. Abs. 3 UStAE).
Der BFH weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass eine Begünstigung von Ausstellungen, die statt kulturellen und bildenden Zwecken bloßen Verkaufszwecken dienen, nicht mit dem Museumsbegriff des § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 4 UStG und damit auch nicht mit dem des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG vereinbar sei. Die Steuerersatzmäßigung sei daher entsprechend der Verwaltungsauffassung in Abschn. 4.20.3. Abs. 3 UStAE für die Eintrittsberechtigung zu Verkaufsausstellungen ausgeschlossen. Mit BMF-Schreiben vom 28.6.2021 (BStBl I 2021, 868) hat die Finanzverwaltung auf die BFH-Rspr. vom 22.11.2018 (a.a.O.) zur Abgrenzung des Museumsbegriffs in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG vom Museumsbegriff in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG reagiert und den Umsatzsteuer-Anwendungserlass in Abschn. 4.20.3. Abs. 1 und Abs. 2 sowie Abschn. 12.5. Abs. 6 UStAE entsprechend angepasst.
Mit Urteil vom 15.2.2022, XI R 30/21, XI R 37/18, LEXinform 0953695 hatte der BFH über den Fall eines Gästeführers für ein Museum, das ausschließlich über Gruppenführungen begehbar ist, zu entscheiden. Auftraggeber des Klägers ist eine gemeinnützige Stiftung, die das Museum betreibt und dabei durch den Verkauf von Eintrittsberechtigungen steuerfreie Umsätze i.S.d. § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG an die Museumsbesucher erbringt. Die zuständige Bezirksregierung hatte dem Kläger gem. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG bescheinigt, dass er als Museumsführer die gleichen kulturellen Aufgaben erfülle wie vergleichbare Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. In den Bescheinigungen wird außerdem darauf hingewiesen, dass die Entscheidung darüber, ob es sich beim Kläger um eine »gleichartige Einrichtung« i.S.d. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG handele, der Finanzverwaltung obliege. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Umsätze des Klägers aus seiner Tätigkeit als Gästeführer nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei sind.
Der BFH hat mit o.a. Urteil vom 15.2.2022 – im Gegensatz zur Auffassung des FG Münster (FG Münster vom 8.10.2018, 5 K 1215/16, EFG 2018, 2072) – zwar die Anwendbarkeit der Steuerbefreiungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. n und Buchst. i MwStSystRL verneint, hält jedoch den Kläger für eine dem Museum gleichartige Einrichtung und in der Folge die vom Kläger erbrachten Umsätze als Gästeführer für steuerfrei nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG. Die Steuerbefreiung umfasse nicht nur die Einräumung von Eintrittsberechtigungen in ein Museum, sondern auch andere typische Museumsleistungen mit Kulturbezug. Das Museum, mit dem die gleichartige Einrichtung i.S.d. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG, also der Kläger, ihre Museumsleistung erbringt, könne auch das Museum einer dritten Person, hier das Museum der Stiftung sein. Die Führung der Museumsgäste stelle bei einem Museum, das nur in Begleitung eines Gästeführers besucht werden darf, eine typische Museumsleistung dar. Der Begriff »Einrichtung« i.S.d. § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG umfasse auch natürliche Personen (wie im Urteilsfall den Kläger) und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht, sodass Museumsleistungen i.S.d. § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG auch von nur einer Person, im vorliegenden Fall dem Kläger erbracht werden könnten.
Schul- und Bildungsumsätze (§ 4 Nr. 21–22 UStG),
Der Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 vom 5.6.2024 (LEXinform 0465623) sieht – neben vielen weiteren Neuerungen im gesamten Steuerrecht – vor, dass die Regelungen zur Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen nach § 4 Nr. 21 UStG neu gefasst werden sollen. Mit der Neuregelung sollen die Vorgaben und die Terminologie des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL in nationales Umsatzsteuerrecht übernommen werden, darüber hinaus wird die Vorschrift des § 4 Nr. 21 UStG an die aktuelle EuGH-Rspr. angepasst. Durch die vorgesehene Reform sollen der Anwendungsbereich der Steuerbefreiung deutlich ausgeweitet und das bisherige sehr aufwendige Bescheinigungsverfahren abgeschafft werden. Im Bereich der Fortbildung setzt die Steuerbefreiung voraus, dass keine systematische Gewinnerzielung angestrebt wird. Der Bundestag hat den Gesetzesentwurf für das Jahressteuergesetz 2024 am Mittwoch, dem 25.9.2024, erstmals beraten und die Vorlage zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Die Neuregelungen sollen mit Wirkung ab dem 1.1.2025 in Kraft treten.
Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 5.7.2021, 7 K 7102/20 (EFG 2021, 1768) entschieden, dass die Umsätze eines Tennislehrers nicht nach § 4 Nr. 21 UStG steuerfrei sind. Beim Kläger handelte es sich um einen freiberuflichen Tennis-Übungsleiter, der für einen Tennisverein im Bereich der Jugend- und Nachwuchsarbeit tätig war. Der Lehrer verfügte über Bescheinigungen zweier Landesregierungen, in denen ihm bescheinigt wurde, dass der von ihm angebotene Tennisunterricht ordnungsgemäß auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereite. Strittig war, ob die Umsätze steuerfrei sind. Das FG Berlin-Brandenburg stellte klar, dass weder eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL noch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG einschlägig ist, weil der Tennislehrer keine dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen erbracht habe.
Präventions- und Persönlichkeitstrainer (§ 4 Nr. 21 UStG),
Mit Urteil vom 5.12.2021 (XI R 3/20, BFH/NV 2022, 1010) hat der BFH entschieden, dass die Tätigkeit eines Präventions- und Persönlichkeitstrainers nicht als Schul- oder Hochschulunterricht i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL anzusehen ist.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Präventions- und Persönlichkeitstrainer und fungierte zusammen mit weiteren Kursleitern als deren Teamleiter. Er bietet selbst oder über seine Kursleiter verschiedene Kurse an, insbes. Kinderbewegungsprogramme, Präventionstrainings im Kindergarten, der Grundschule und weiterführenden Schulen, Persönlichkeitstrainings für Frauen und ältere Menschen sowie Erziehungsseminare für Eltern. Das FA und ihm folgend das FG lehnten den Antrag des Klägers ab, seine Umsätze für Konfliktpräventionskurse an Schulen nach § 4 Nr. 21 UStG steuerfrei zu belassen.
Der BFH kam in o.a. Urteil zum Ergebnis, dass die Leistungen des Klägers nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG steuerfrei sind. Denn es sei weder erkennbar, dass sein Unternehmen als Ersatzschule nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. aa UStG staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sei, noch liege eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde i.S.v. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG vor.
Auch die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG, die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Unterrichtsleistungen selbstständiger Lehrer u.a. an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen steuerfrei stellt, sind nach Meinung des Gerichts nicht erfüllt, da die Vorschrift nur die von selbstständigen Lehrern persönlich erbrachten Unterrichtsleistungen erfasst (BFH vom 23.8.2007, V R 10/05, BFH/NV 2007, 2217). Daran fehle es im Urteilsfall, da der Kläger für die streitigen Unterrichtsleistungen Subunternehmer beauftragt habe.
Schließlich sei auch die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL nicht einschlägig, da es sich bei den durchgeführten Kursen nicht um Schul- oder Hochschulunterricht handle. Darunter fällt die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten. Ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht – wie im Streitfall – werde von der Steuerbefreiung nicht erfasst (vgl. EuGH vom 21.10.2021, C-373/19, BFH/NV 2021, 1629).
Der BFH hob das vorinstanzliche Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 14.8.2019 (7 K 7342/16, EFG 2020, 1101) auf und verwies den Fall zurück, da das FG nicht sämtliche in Frage kommenden Befreiungstatbestände geprüft habe. Zu prüfen seien insbes. die Steuerbefreiung für Leistungen zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sowie die Steuerbefreiung für Schul- und Hochschulunterricht von Privatlehrern nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL.
Die Entscheidung des BFH verdeutlicht, dass im Bereich der Steuerbefreiung von Lehrkräften mangels Anpassung des nationalen Rechs an die unionsrechtlichen Regelungen immer wieder Zweifelsfragen aufkommen. In seiner Rechtsprechung hierzu hat der BFH mehrfach betont, dass die Begriffe in Art. 132 MwStSystRL als Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz, dass jede Leistung gegen Entgelt der Mehrwertsteuer unterliegt, eng auszulegen sind (vgl. BFH vom 19.8.2021, V R 21/20, BFH/NV 2022, 144).
Ortskundeprüfungen für Taxifahrer (§ 4 Nr. 22 Buchst. a UStG),
Mit Urteil vom 30.6.2022, V R 32/21 (V R 31/17), LEXinform 0953721 hat der BFH entschieden, dass Ortskundeprüfungen für angehende Taxifahrer als Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Beruf gem. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei sind.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein nicht gemeinnütziger Berufsverband in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins führte in Berlin Ortskundeprüfungen für angehende Taxifahrer durch, für die die Bewerber eine Gebühr zu entrichten hatten. Das Bestehen der Prüfung war Voraussetzung für den Erwerb der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen und musste der für deren Erteilung zuständigen Behörde nachgewiesen werden. Der Berufsverband übernahm dabei lediglich die Durchführung der Prüfungen, nicht jedoch die der Prüfung vorangehenden Schulungsmaßnahmen Streitgegenstand zwischen den Beteiligten war die Frage, ob die Leistungen des Berufsverbandes in Form der entgeltlichen Durchführung der Ortskundeprüfungen der Umsatzsteuerpflicht unterliegen oder nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG steuerfrei sind.
Der BFH sah die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit als gegeben an und führte aus, die Ortskundeprüfung stelle den Schlusspunkt und notwendigen Bestandteil einer Schulungsmaßnahme i.S.v. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG dar. Nach richtlinienkonformer Auslegung müsse es sich bei den in der Vorschrift genannten Vorträgen, Kursen und Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art um die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung oder um berufliche Umschulungen gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL handeln (BFH vom 7.10.2020, V R 12/10, BStBl II 2011, 303). Danach gehören zu den Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung alle Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf und alle Maßnahmen zum Erwerb oder zur Erhaltung beruflicher Kenntnisse, unabhängig von der Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung. Die Ortskundeprüfungen, deren Bestehen Voraussetzung für den Erwerb der Fahrerlaubnis war, sind eine Schulungsmaßnahme mit direktem Bezug zu einem Beruf, da sie den Schlusspunkt und notwendigen Bestandteil einer Schulungsmaßnahme zur Ausübung des Taxifahrerberufs darstellen. Es widerspräche dem Grundsatz der Neutralität und würde die mit der Steuerbefreiung bezweckte Förderung bestimmter Tätigkeiten beschränken, wenn die Steuerbefreiung davon abhinge, dass ein und derselbe Anbieter sowohl die Schulungsmaßnahme als auch die Prüfung durchführen muss. Der Verband erfüllt auch die unternehmerbezogenen Voraussetzungen des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG, da seine Leistungen dem Zweck eines Berufsverbandes dienen. Unionsrechtlich ist er daher als eine »andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung« i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL anzusehen.
Fahrsicherheitstraining (§ 4 Nr. 22 Buchst. a UStG),
Mit Urteilen vom 17.11.2022 BFH, V R 33/21 und V R 26/18 (LEXinform 0953727) hat der BFH entschieden, dass ein Fahrsicherheitstraining als »Kurs belehrender Art« nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG anzusehen ist, wenn es sich um eine Schulungsmaßnahme handelt, die konkret zum Erwerb oder zur Erhaltung beruflicher Kenntnisse i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL i.V.m. Art. 44 Satz 1 Alt. 2 MwStVO geeignet ist.
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG seien nicht alle Vorträge, Kurse und Veranstaltungen zur Erlernung von Fähigkeiten oder Fertigkeiten »wissenschaftlicher oder belehrender Art« von der Umsatzsteuer befreit, sondern nur diejenigen, die als Erziehung von Kindern und Jugendlichen, als Schul- oder Hochschulunterricht sowie als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung anzusehen sind.
Beförderung kranker und verletzter Personen (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL), Mit Urteil vom 24.8.2022, XI R 25/20 (LEXinform 0953312) hat der BFH entschieden, dass die Beförderung kranker, verletzter und behinderter Menschen durch einen dafür anerkannten Unternehmer als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung unmittelbar unter die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL fällt. Der Steuerbefreiung stehe nicht entgegen, dass der Kläger die Leistungen teilweise nicht gegenüber der hilfsbedürftigen Person (Selbstzahler), sondern gegenüber einem Sozialleistungsträger erbracht haben. Außerdem stünden die Beförderungsleistungen im Streitfall nicht in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von Taxi- und Mietwagenunternehmern. Zwar werden kranke, verletzte oder behinderte Personen auch von diesen Unternehmern befördert, die vom Kläger erbrachten Dienstleistungen seien jedoch über die reine Beförderung hinausgegangen, sodass auch Art. 134 Buchst. b MwStSystRL der Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht entgegenstehe.
Erteilung von Schwimmunterricht (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL),
Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens (Beschluss vom 27.3.2019, V R 32/18) wollte der BFH vom EuGH wissen, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL und die damit verbundene unionsrechtliche Umsatzsteuerbefreiung auch die Erteilung von Schwimmunterricht erfasst. Streitig war im zugrundeliegenden Fall, ob die Umsätze einer GbR, die eine Schwimmschule betreibt und Schwimmkurse für Kinder durchführt, die von den Kursteilnehmern oder ihren Eltern vergütet wurden, nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit sind.
Daraufhin hat der EuGH mit Urteil vom 21.10.2021 (C-373/19, Dubrovin & Tröger Aquatics, BFH/NV 2021, 1629) entschieden, dass der Begriff »Schul- und Hochschulunterricht« i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL dahingehend auszulegen ist, dass er den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht nicht umfasst. Mit Bezug auf seine frühere Rechtsprechung zur Steuerfreiheit von Bildungsleistungen kommt der EuGH zum Ergebnis, dass der Schwimmunterricht in einer Schwimmschule zwar unzweifelhaft von Wichtigkeit ist und im allgemeinen Interesse liegt, jedoch gleichwohl ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht bleibt, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt. Die Erteilung von Schwimmunterricht fällt somit nach Auffassung des EuGH nicht unter die unionsrechtliche Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL.
In der zum besprochenen EUGH-Urteil ergangenen Folgeentscheidung (BFH vom 16.12.2021, V R 31/21 (V R 32/18), LEXinform 0953707) hat sich der BFH – unter Änderung seiner bisherigen Rspr. – dem EUGH angeschlossen und entschieden, dass der von einer Schwimmschule erteilte Schwimmunterricht nicht unter den in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL genannten Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts fällt und somit nach Unionsrecht nicht von der Umsatzsteuer befreit ist.
Auch die nach nationalem Recht bestehende Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist nach Meinung des Gerichts nicht einschlägig. Die Steuerfreiheit komme zwar auch für eine Schwimmschule in Betracht, allerdings nur dann, wenn sie die Teilnehmer ihrer Schwimmkurse auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereite, was im Streitfall jedoch nicht gegeben sei. Schließlich scheide auch die nationale Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG aus, da die Stpfl. als GbR die unternehmensbezogenen Voraussetzungen der Steuerbefreiung (juristische Person des öffentlichen Rechts, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, Volkshochschule oder Einrichtung, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dient) nicht erfülle.
In seiner früheren Rechtssauffassung vertrat der BFH die Meinung, Schwimmunterricht könne als von Privatlehrern erteilter Schulunterricht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei sein. Er hatte dies damit begründet, dass der von Privatlehrern steuerfrei erteilte Schul- und Hochschulunterricht insbes. das Kleinkindschwimmen umfasst. An der Erlernung des Schwimmens bestehe zum einen ein hohes Gemeinwohlinteresse und zum anderen werde das Schwimmen auch in öffentlichen Schulen unterrichtet (BFH vom 5.6.2014, V R 19/13, BFH/NV 2014, 1687).
Aufgrund der dargestellten aktuellen Rspr. von EuGH und BFH erscheint es fraglich, ob an dem BFH-Urteil zur Befreiung von Ballett- und Tanzunterricht (BFH vom 24.1.2008, V R 3/05, BStBl II 2012, 267) festgehalten werden kann. Der BFH hat derartige Unterrichtsleistungen selbst dann als steuerfrei angesehen, wenn nur sehr wenige Schüler (rund 2 %) eine weitere Berufsausbildung anstrebten. Denn derartige Kurse ermöglichten es, die vermittelten Fähigkeiten später durch Vertiefung und Fortentwicklung beruflich zu nutzen. Ob hieran im Hinblick auf das Erfordernis der Vermittlung eines breiten und vielfältigen Spektrums von Stoffen (so der EuGH im Urteil Dubrovin & Tröger) weiter festzuhalten ist, ließ der BFH ausdrücklich offen.
Supervisionsleistungen (Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL),
Mit Beschluss vom 22.6.2022, XI R 32/21 (XI R 6/19), DStRE 2022, 1530 hat der BFH festgestellt, dass auch Supervisionsleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL umsatzsteuerfrei sein können. Unter die genannte unionsrechtliche Regelung können auch Unterrichtseinheiten fallen, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen. Zu beachten ist dabei, dass die Anforderungen, die der EuGH an die Steuerfreiheit des Schul- und Hochschulunterrichts stellt, nicht anzuwenden sind.
Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Stpfl. ist als Supervisorin für verschiedene Auftraggeber u.a. im Bereich der Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe tätig. Intension ihrer Unterrichtsleistungen ist es, mit den Teilnehmern – ausschließlich ArbN der Auftraggeber – Handlungsempfehlungen für einen besseren Umgang mit beruflichen Alltagsproblemen zu erarbeiten.
Die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfasst nach EuGH-Rechtsprechung (EuGH vom 28.1.2010, C-473/08, BFH/NV 2010, 583) auf Schul- und Hochschulunterricht bezogene Unterrichtseinheiten, zu denen auch die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Rahmen einer Ausbildung zur Ausübung einer Berufstätigkeit gehört. Es muss sich dabei nicht zwingend um Schulungen handeln, die auf eine bestimmte Abschlussprüfung oder Qualifikation vorbereiten oder die eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermitteln (vgl. BFH vom 28.5.2013, XI R 35/11, BStBl II 2013, 879). Dementsprechend erfasst die Steuerbefreiung auch Unterrichtsleistungen, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen, zu denen auch Supervisionsleistungen gehören können (BFH vom 24.1.2019, V R 66/17, BFH/NV 2019, 593).
Die streitigen Leistungen bezogen sich nicht auf Veranstaltungen mit bloßem Freizeitcharakter. Unterrichtsgegenstand war die Vermittlung im Berufsalltag erforderlicher Kompetenzen, nicht die Lösung persönlicher Probleme der Teilnehmer. Vielmehr sollten gemeinsam Lösungen und Handlungsmuster erarbeitet werden, um künftig im beruflichen Umfeld auftretende Schwierigkeiten selbst oder gegenseitig kollegial zu bewältigen. Dafür spricht auch, dass Auftraggeber nicht die Teilnehmer der Veranstaltungen selbst, sondern deren ArbG waren.
Außerdem war die Stpfl. auch als »Privatlehrerin« i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig. Sie handelte für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung und war Trägerin der Bildungseinrichtung, ihren Auftraggebern ging es um die Aus- und Fortbildung des eigenen Personals (vgl. BFH vom 20.3.2014, V R 3/13, BFH/NV 2014, 1175).
Mit dem Beschluss vom 22.6.2022 (a.a.O.) setzt der BFH seine an die EuGH-Rspr. anschließende geänderte Rspr. fort, nach der es nicht mehr darauf ankommt, ob der Privatlehrer an einer Schule oder Hochschule tätig ist, ob er sich an Schüler oder Hochschüler wendet und ob es sich um in einen Lehr- oder Studienplan eingebetteten Unterricht handelt. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL bezieht sich nach Meinung des Gerichts vielmehr auf jegliche Aus- und Fortbildung, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat.
Beherbergung, Beköstigung an Personen bis zum 27. Lebensjahr für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke (§ 4 Nr. 23 UStG),
bestimmte Leistungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 4 Nr. 25 UStG).
Nach einem Urteil des BFH vom 17.7.2019, V R 27/17, kann sich eine natürliche Person, die nach § 158 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) gerichtlich als Verfahrensbeistand bestellt wurde, auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Die aus den Leistungen als Verfahrensbeistand bezogenen Umsätze unterliegen somit nicht der Umsatzsteuer.
Die Klägerin, die als Diplom-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin und Systemische Beraterin eine freiberufliche Praxis betreibt, erbrachte im Streitjahr (2013) daneben auch Leistungen als Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG, die das zuständige FA der Umsatzsteuer unterwarf. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage vor dem FG Köln hatte keinen Erfolg. Nach dessen Urteil vom 17.5.2017, 9 K 3140/14 (EFG 2017, 1556, DStRE 2019, 1462) fallen die Leistungen der Klägerin weder unter die nationale Regelung in § 4 Nr. 25 UStG noch unter die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
Im Gegensatz dazu sind die Umsätze der Klägerin als gerichtlich bestellter Verfahrensbeistand nach Meinung des BFH (Urteil vom 17.7.2019, V R 27/17, LEXinform 0951440) gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL umsatzsteuerfrei, sodass das Urteil des FG Köln aufgehoben und der Klage stattgegen wurde. Die Umsätze seien zwar nicht nach § 4 Nr. 25 des nationalen UStG steuerfrei, da die Klägerin weder Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 oder § 2 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 50 SGB VIII (Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten) noch die in § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. a bis c UStG im Einzelnen bezeichneten Leistungen erbringe.
Das FG Köln habe aber zu Unrecht eine Umsatzsteuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ausgeschlossen. Entgegen dem Urteil des FG erbringe die Klägerin steuerbegünstigte Leistungen und ist auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.
ehrenamtliche Tätigkeiten für juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 4 Nr. 26 UStG).
Hinweis:
Aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG und der Negativabgrenzung in § 15 Abs. 3 UStG ergibt sich, dass für die genannten Umsätze der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist.
Zu den wichtigsten echten Steuerbefreiungen gehören:
Ausfuhrlieferungen (grenzüberschreitende Lieferungen in ein Land außerhalb der EU, §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG)
Mit BMF-Schreiben vom 27.9.2021 (BStBl I 2021, 1812) hat die Finanzverwaltung A 6.6 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 UStG geändert und darin geregelt, dass neben Bescheinigungen des Auswärtigen Amtes und der diplomatischen oder konsularischen Vertretungen Deutschlands im Bestimmungsland nunmehr auch Bescheinigungen des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten als Ausfuhrnachweise in Beförderungsfällen zur Erlangung der Steuerbefreiung nach §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG in Frage kommen.
innergemeinschaftliche Lieferungen (grenzüberschreitende Lieferungen in ein anderes Land der EU, §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG),
Umsätze für die Seeschifffahrt, §§ 4 Nr. 2, 8 UStG
Die unter die Steuerbefreiung fallenden Umsätze für die Seeschifffahrt sind in § 8 Abs. 1 UStG im Einzelnen aufgeführt. Dazu gehören nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 UStG im Wesentlichen Umsätze im Zusammenhang mit Wasserfahrzeugen für die Seeschifffahrt, die dem Erwerb durch die Seeschifffahrt oder der Rettung Schiffbrüchiger dienen. Begünstigt sind außerdem gem. § 8 Abs. 1 Nr. 4 UStG auch Lieferungen zur Versorgung von Kriegsschiffen auf Fahrten, bei denen ein Hafen oder Ankerplatz im Ausland außerhalb des zollrechtlichen Küstengebiets angelaufen werden soll. Mit BMF-Schreiben vom 15.6.2020 (BStBl I 2020, 580) hat sich die Finanzverwaltung zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 UStG geäußert und Änderungen im Abschn. 8.1. UStAE vorgenommen. In einem weiteren BMF-Schreiben vom 26.3.2021 (III C 3 – S 7155/19/10004 :001) hat die Finanzverwaltung die Definition der »Gegenstände zur Versorgung von Schiffen« i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 UStG dahingehend präzisiert, dass Waren für Schiffsapotheken, Bordkantinen sowie Bordläden nur dann einzubeziehen sind, wenn sie üblicherweise zum Gebrauch oder Verbrauch durch die Besatzungsmitglieder oder die Fahrgäste bestimmt sind. Die Neuregelung gilt für Lieferungen von entsprechenden Gegenständen, die nach dem 31.3.2021 ausgeführt wurden.
Umsätze für die Luftfahrt, §§ 4 Nr. 2, 8 UStG
Die steuerbefreiten Umsätze für die Luftfahrt sind im Einzelnen in § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 UStG aufgeführt. Darunter fallen Leistungen von Unternehmern, die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend grenzüberschreitende oder ausschließlich ausländische Beförderungsstrecken und nur in unbedeutendem Umfang auf das Inland beschränkte Beförderungsstrecken befahren. Das BMF hat mit Schreiben vom 9.12.2021 (III C 3 – S 7155-a/19/10001 :003) im jährlichen Turnus die Liste der im Inland ansässigen Unternehmer veröffentlicht, die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend internationalen Luftverkehr betreiben. Auch eventuelle Adressänderungen und Namensänderungen der betroffenen Unternehmen werden in der Liste aufgeführt.
Außerdem hat die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben vom 22.7.2021 (BStBl I 2021, 1023) den Umsatzsteueranwendungserlass in Abschn. 8.2. UStAE geändert, insbes. im Hinblick auf Leistungen für Zwecke der Luftsicherheitskontrollen zur Überprüfung von Fluggästen und Gepäck (sog. Fluggastkontrollen). Im neuen Abschn. 8.2. Abs. 7 UStAE werden die unter § 8 Abs. 2 Nr. 4 UStG fallenden steuerfreien sonstigen Leistungen für die Luftfahrt erstmals beispielhaft erläutert. Außerdem wird der Katalog der nicht begünstigten sonstigen Leistungen für die Luftfahrt nunmehr in Abschn. 8.2. Abs. 8 UStAE (früher Abschn. 8.2 Abs. 7 UStAE) aufgeführt und punktuell ergänzt. Die Neuregelungen gelten grds. für alle nach dem 31.12.2020 ausgeführten Umsätze, für vor dem 1.10.2021 ausgeführte Umsätze gilt lt. o.a. BMF-Schreiben (a.a.O.) eine Übergangsregelung.
Mit BMF-Schreiben vom 9.12.2022 (III C 3 – S 7155-a/19/10001 :004) wird die Liste der im Inland ansässigen Luftfahrtunternehmen, die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend internationalen Luftverkehr betreiben, auf den Zeitpunkt 1.1.2023 aktualisiert und veröffentlicht. In der Liste werden Firmen erstmals aufgeführt bzw. gelöscht sowie Adressänderungen und Änderungen des Firmennamens erfasst.
Transportleistungen in und aus Ländern außerhalb der EU und damit zusammenhängende Leistungen (§ 4 Nr. 3 UStG)
Mit Urteil vom 29.6.2017, C-288/16, L.C. (DStRE 2018, 366) hat der EuGH entschieden, dass die Steuerbefreiung für grenzüberschreitende Beförderungen und damit zusammenhängenden Leistungen nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL i.V.m. der nationalen Regelung in § 4 Nr. 3 Buchst. a UStG nur dann anwendbar ist, wenn es sich um die Beförderung von Gegenständen in einen Drittstaat handelt, bei der die begünstigten Leistungen unmittelbar an den Versender oder den Empfänger der beförderten Gegenstände, nicht jedoch an einen Subunternehmer erbracht werden. Auf diese Rechtsprechung hat die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben vom 6.2.2020 (BStBl I 2020, 235) reagiert und den UStAE entsprechend geändert: Nach Abschn. 4.3.2. Abs. 4 Satz 5 UStAE kann die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 3 Buchst. a UStG für Beförderungsleistungen und damit zusammenhängende sonstige Leistungen, die sich unmittelbar auf Gegenstände der Ausfuhr beziehen, grds. nur noch für die Leistung des Hauptfrachtführers, nicht aber für die Leistungen eventueller Unterfrachtführer angewendet werden, da diese die Leistungen nicht unmittelbar an den Versender oder den Empfänger der Gegenstände erbringen, sondern an den Hauptfrachtführer. Diese Regelungen sind nach o.a. BMF-Schreiben grundsätzlich auf alle offenen Fälle anzuwenden, allerdings beanstandet es die Finanzverwaltung nicht, wenn die bisher geltende Rechtslage des § 4 Nr. 3 Buchst. a UStG i.V.m. Abschn. 4.3.2. Abs. 4 UStAE a.F. für vor dem 1.7.2020 ausgeführte Umsätze weiterhin angewendet wird. Diese Nichtbeanstandungsregelung wurde inzwischen mit BMF-Schreiben vom 2.6.2020 (BStBl I 2020, 545) zunächst bis zum 1.1.2021 und mit BMF-Schreiben vom 14.10.2020 (BStBl I 2020, 1043) nochmals bis zum 1.1.2022 verlängert.
Weitere Anpassungen an die geänderte Rechtslage hat die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben vom 27.9.2021 (GZ III C 3 – S 7156/19/10002 :006 DOK 2021/1008637) vorgenommen, die Verwaltungsanweisungen in Abschn. 4.3.2. Abs. 4 Satz 5 UStAE geändert sowie Abschn. 4.3.4. Abs. 3 UStAE neu eingefügt.
Leistungen, die der Steuerlagerregelung unterliegen (Einlagerungen, Lagerlieferungen, Folgeumsätze, § 4 Nr. 4a UStG),
Lieferungen vor Einfuhr (§ 4 Nr. 4b UStG),
die Vermittlung von Ausfuhren und bestimmten damit zusammenhängenden sonstigen Leistungen (§ 4 Nr. 5 UStG),
Lieferungen für die Seeschifffahrt und Luftfahrt (§ 4 Nr. 2, § 8 UStG),
Leistungen an NATO-Streitkräfte, an die im Gebiet eines anderen EG-Staats ansässigen diplomatischen Missionen und an die im Gebiet eines anderen EG-Staats ansässigen zwischenstaatlichen Einrichtungen (z.B. Behörden der EG, § 4 Nr. 7 UStG),
bestimmte Finanzumsätze (§ 4 Nr. 8 UStG).
Hinweis:
Aus § 15 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 UStG und der Negativabgrenzung in § 15 Abs. 3 UStG ergibt sich, dass für die genannten Umsätze der Vorsteuerabzug zulässig ist.
Trotz der Vorteile einer unechten Steuerbefreiung (Verzicht auf die Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Steuererklärungen) wirkt sich diese u.U. nachteilig aus, und zwar immer dann, wenn bei Steuerpflicht hohe Eingangsumsätze zu einem Vorsteuerüberhang und damit zu einem Erstattungsanspruch führen würden. Für einige unechte Steuerbefreiungen sieht § 9 UStG daher die Möglichkeit eines Verzichts vor, und zwar für
bestimmte Finanzumsätze (§ 4 Nr. 8 Buchst. a bis g UStG),
grunderwerbsteuerpflichtige Umsätze (z.B. Verkauf von Grundstücken, § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG),
Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 UStG),
Leistungen der Wohnungseigentümergemeinschaften (§ 4 Nr. 13 UStG),
Blindenumsätze (§ 4 Nr. 19 UStG).
Der Verzicht auf die Steuerbefreiung wird als Option bezeichnet. Er zieht die Steuerpflicht des Umsatzes nach sich, und zwar mit dem Regelsteuersatz von derzeit 19 %. Die Optionsmöglichkeit bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken wurde in der Vergangenheit mehrmals geändert. Je nachdem, wie alt das vermietete oder verpachtete Gebäude auf dem Grundstück ist, werden an die Option unterschiedliche Bedingungen geknüpft (§§ 9 Abs. 2, 27 Abs. 2 UStG).
Der BFH hat mit Beschluss vom 2.7.2021 (XI R 22/19, BFH/NV 2021, 1624) festgestellt, dass der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG solange widerrufen werden kann, bis die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder nach § 164 AO noch änderbar ist. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG regelt zwar, dass der Verzicht auf die Steuerbefreiung im notariellen Kaufvertrag erklärt werden muss. Daraus kann jedoch – so der BFH weiter – nicht abgeleitet werden, dass auch die Rückgängigmachung des Verzichts mittels notariellen Kaufvertrags erfolgen muss.
Zu weiteren Einzelheiten s. → Verzicht auf Steuerbefreiungen nach § 9 UStG.
Eine Umsatzsteuerbefreiung wirkt sich u.U. steuererhöhend aus, wenn ein steuerfreier Umsatz an einen stpfl. tätigen Unternehmer ausgeführt wird. In diesem Fall wird der Umsatz, den der Empfänger mit dem (stpfl.) Ausgangsumsatz erzielt, in vollem Umfang von der Umsatzsteuer erfasst, während beim (unecht steuerfreien) Eingangsumsatz bereits die nicht abzugsfähige Vorsteuer Kostenbestandteil geworden ist (Heidner, a.a.O., Rz. 5).
Beispiel 3:
Bauträger BT errichtet zum 15.3.2018 am Timmendorfer Strand eine Ferienwohnanlage. Eine der Wohneinheiten veräußert BT an Reiseveranstalter RV. Dieser beabsichtigt, die Wohnung i.S.v. § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG kurzfristig (= Mietdauer unter sechs Monate, vgl. Abschn. 4.12.3. Abs. 2 UStAE unter Hinweis auf BFH Urteil vom 13.2.2008, XI R 51/06, BStBl I 2009, 63 sowie EuGH Urteil vom 12.2.1998, Rs. C-346/95, Blasi, UR 1998, 189) an Reisende zu überlassen. Im Interesse des RV ist zu prüfen, ob wirtschaftlich ein steuerfreier oder ein stpfl. Erwerb sinnvoller ist.
BT hätte den Verkaufspreis (VKP) wie folgt zu kalkulieren:
VKP mit Option |
VKP ohne Option |
|
Gestehungspreis des BT netto |
240 000 € |
240 000 € |
+ nicht abziehbare Vorsteuer (19 % des Gestehungspreises) |
– entfällt – |
45 600 € |
+ Rohgewinnaufschlag |
40 000 € |
40 000 € |
= Nettoverkaufspreis |
280 000 € |
325 600 € |
+ USt (19 %) |
53 200 € |
– entfällt – |
= VKP |
333 200 € |
325 600 € |
Aufgrund des möglichen Vorsteuerabzugs wäre für RV bei unverändertem Rohgewinnaufschlag des BT ein stpfl. Erwerb sinnvoll.
Das Beispiel zeigt, dass
wenn der Veräußerer bei der Kalkulation seinerseits i. S. v. § 15 Abs. 1 UStG abzugsfähige Vorsteuerbeträge zu berücksichtigen hat und
gleichzeitig bei dem Erwerber in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer nach § 15 Abs. 2 ff. UStG abziehbar wäre,
der Veräußerer im Interesse des Erwerbers bei dem der Nutzungsüberlassung vorangehenden Erwerb gem. § 9 UStG zur Steuerpflicht optieren sollte.
Nach ständiger Rspr. des EuGH sind die in Art. 131 ff. MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen und bei denen der Gesamtzusammenhang des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu beachten ist (EuGH Urteil vom 8.3.2001, Rs. C-240/99, Försäkringsaktiebolag Skandia, UR 2001, 157, Rz. 23, mit zahlreichen Querverweisen auf die eigene Rspr.; vgl. auch den Quellennachweis von Heidner in Bunjes, 13. A. 2014, § 4 Rz. 5). Letzterer gebietet eine enge Auslegung, da die Steuerbefreiungen Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Stpfl. gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (EuGH, a.a.O., Rz. 32, mit zahlreichen Querverweis auf die eigene Rspr.). Diese Gedanken sind letztlich auch die Grundlage der Seeling-Rechtsprechung des EuGH.
Zur Seeling-Rspr. des EuGH und dem kurzfristigen Ende der Gestaltungsmöglichkeiten zum 1.1.2011 vgl. → Gemischt genutzte Gebäude in der Einkommen- und Umsatzsteuer.
Aus den Aufzeichnungen des Unternehmers muss ersichtlich sein, wie sich die vereinbarten Entgelte (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG) bzw. die vereinnahmten Entgelte oder Teilentgelte (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 UStG) auf die steuerfreien und stpfl. Umsätze verteilen.
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