1 Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren
2 Aufgaben der Steuerfahndung
3 Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Steuerpflichtigen
4 Einwendungen gegen Maßnahmen der Steuerfahndung
5 Informations- und Erkenntnisaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
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Die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren vom 16.10.2023 (AStBV (St) 2023/2024, BStBl I 2023, 1798; mit Wirkung vom 1.12.2023) sollen der einheitlichen Handhabung des Gesetzes dienen und die reibungslose Zusammenarbeit der zur Verfolgung von → Steuerstraftaten und → Steuerordnungswidrigkeiten berufenen Stellen der Finanzbehörden untereinander, mit anderen Stellen der Finanzbehörden sowie mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften gewährleisten. Die Anweisungen enthalten eine Zusammenfassung von hierfür maßgeblichen Grundsätzen sowie Hinweise für deren praktische Anwendung und sind in allen Straf- und Bußgeldverfahren anzuwenden, in denen die Finanzbehörde ermittelt oder zur Mitwirkung berufen ist.
Nach § 208 AO hat die Steuerfahndung folgende Aufgaben:
die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten,
die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen der oben genannten Fälle,
die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle.
Die Steuerfahndung ist nach § 208 Abs. 1 Satz 3 AO berechtigt,
andere Personen als die Beteiligten sofort um Auskunft anzuhalten,
Auskunftsersuchen ohne Einschränkung mündlich zu stellen,
die Vorlage von Urkunden ohne vorherige Befragung des Vorlagepflichtigen zu verlangen,
die Einsicht dieser Urkunden beim Vorlagepflichtigen unabhängig von dessen Einverständnis zu erwirken. Wegen der Bereitstellung eines Arbeitsplatzes usw. vgl. § 200 AO.
Im Besteuerungsverfahren hat die Steuerfahndung alle Befugnisse, die auch die Finanzämter, insbesondere die Außendienste haben. Gleichwohl ist die Steuerfahndung keine Außenprüfung. Eine Änderungssperre i.S.d. § 173 Abs. 2 AO wird daher nicht ausgelöst (→ Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden). Die Beamten der Steuerfahndung sind Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft und haben dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (§ 404 AO). Insbesondere haben sie das Recht
des ersten Zugriffs (§ 163 Abs. 1 StPO),
der vorläufigen Festnahme (§ 127 Abs. 2 StPO),
der Vernehmung des Beschuldigten (§ 163a Abs. 4 StPO),
der Anhörung von Zeugen (§ 163 Abs. 3 StPO) sowie
der Durchführung von Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Telekommunikationsüberwachungen.
Sind noch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit gegeben, kommt jedoch die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht, sind Vorfeldermittlungen i.S.d. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO geboten. Die Ermittlungen können sich sowohl auf unbekannte Stpfl. als auch auf unbekannte Sachverhalte beziehen. Es handelt sich um Ermittlungen im Besteuerungsverfahren, sog. Vorfeldermittlungen, die zur Aufklärung unbekannter Steuerfälle dienen. Zu diesen Maßnahmen gehören auch die Sammelauskunftsersuchen. Davon abzugrenzen sind Vorermittlungen. Ergibt sich aufgrund der Ermittlungen der Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit (→ Steuerstraftaten), führt die Steuerfahndung weitere Ermittlungen im Rahmen ihrer Aufgaben nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO durch.
In Ausnahmefällen hat die Steuerfahndung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde Außenprüfungen vorzunehmen sowie Ermittlungen im Besteuerungs- und Vollstreckungsverfahren durchzuführen, auch wenn keine Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat (→ Steuerstraftaten) oder Steuerordnungswidrigkeit (→ Steuerordnungswidrigkeiten) vorliegen (§ 208 Abs. 2 Nr. 1 AO; z.B. bei überörtlichen oder schwierigen Ermittlungen und Auskunftsersuchen in besonderen Fällen).
Die Beamten der Steuerfahndung sind bei der Vornahme von Amtshandlungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht an den Bezirk ihrer Dienststelle gebunden. Bei Amtshandlungen in einem anderen Bezirk ist jedoch die für den Bezirk zuständige Steuerfahndungsstelle oder die sonst zuständige Stelle um Amtshilfe zu ersuchen oder vorher zu unterrichten; Anträge auf gerichtliche Untersuchungshandlungen, insbesondere Anträge auf Durchsuchung und Beschlagnahme, hat die ersuchende Stelle zu veranlassen. Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Vernehmungen in einem anderen Bundesland dürfen, außer bei Gefahr im Verzuge, nur im Benehmen mit der örtlich zuständigen Steuerfahndungsstelle vorgenommen werden. Werden die Steuerfahndungsbeamten im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren tätig, gelten o.a. Aussagen zur Herstellung des Benehmens mit den örtlich zuständigen Behörden nicht; jedoch soll die zuständige Steuerfahndungsstelle unterrichtet werden. Vgl. hierzu auch den Teil 5 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) (AStBV St 2022 – BStBl I 2022, 251) vom 14.3.2022 (mit Wirkung vom 1.5.2022).
Die Finanzbehörde darf sich erst dann unmittelbar an andere Personen als den Beteiligten (sog. Dritte) wenden, wenn sie es im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung aufgrund konkret nachweisbarer Tatsachen als zwingend ansieht, dass der Versuch der Sachverhaltsaufklärung durch den Beteiligten erfolglos bleiben wird (BFH Urteil vom 29.7.2015, X R 4/14, BStBl II 2016, 135; vgl. auch BFH vom 28.10.2020, X R 37/18, BFH/NV 2021, 365). Um eine Prognose zu den fehlenden Erfolgsaussichten einer Auskunft durch die Beteiligten machen zu können, bedarf es eines klar umrissenen und für die Besteuerung des Stpfl. erheblichen Sachverhalts; Ermittlungszweck und potenzielles Ermittlungsergebnis müssen erkennbar sein. Die rechtliche Befugnis zu Auskunftsverlangen an andere Personen als der Beteiligten im Besteuerungsverfahren ergibt sich aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AO. Für ihr Tätigwerden bedürfen die Finanzbehörden eines hinreichenden Anlasses. Ermittlungen »ins Blaue hinein« sind unzulässig. Ein hinreichender Anlass liegt nicht erst vor, wenn ein begründeter Verdacht dafür besteht, dass steuerrechtliche Unregelmäßigkeiten gegeben sind. Vielmehr genügt es, wenn aufgrund konkreter Umstände oder aufgrund allgemeiner Erfahrung ein Auskunftsersuchen angezeigt ist. Auskünfte von anderen Personen dürfen schon dann eingeholt werden, wenn die Finanzbehörde im Rahmen ihrer Tätigkeit zu dem Ergebnis gelangt ist, die Auskünfte könnten zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen. Zu den steuerlich erheblichen Tatsachen zählt alles, was die finanzbehördlichen Entscheidungen in einem steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren beeinflussen kann.
Ein Auskunftsersuchen an einen sog. Dritten über erhaltene Provisionen ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO. Nach den Ausführungen des BFH hat der Stpfl. ein Anrecht darauf, dass seine Reputation nicht beschädigt wird und seine Geschäftspartner nicht den Eindruck bekommen, er vernachlässige seine steuerlichen Pflichten. Etwas anderes gilt nur, wenn von vornherein feststeht, dass der Beteiligte entweder nicht mitwirken wird oder die Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung offenkundig ist. Auf Letzteres kann eine Finanzbehörde aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beteiligten bei konkreten nachweisbaren Fakten im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung schließen.
Für Einwendungen gegen ihre Maßnahmen im Besteuerungsverfahren ist der Finanzrechtsweg, für Einwendungen gegen Maßnahmen im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.
Durch das Gesetz über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 21.7.2012 (BGBl I 2012, 1566) wurde die AO um die neuen §§ 117a und 117b AO mit Wirkung vom 26.7.2012 ergänzt (→ Maßnahmen gegen missbräuchliche Steuergestaltungen mit Auslandsbezug). Die Rechtsgrundlagen der zwischenstaatlichen Amts- und Rechtshilfe in Steuer- und Steuerstrafsachen ergeben sich aus den §§ 117, 117a, 117b AO, dem Gesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen sowie multi- und bilateralen Verträgen. Wegen der zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen vgl. BMF vom 23.11.2015 (BStBl I 2015, 928) und wegen der zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen vgl. BMF vom 16.11.2006 (BStBl I 2006, 698).
Die zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen richtete sich bislang nach § 117 AO, der allerdings den Bereich der Verhütung von Steuerstraftaten nicht erfasst. Mit dem neuen § 117a AO wurde für den Bereich der Verhütung von Steuerstraftaten die Möglichkeit geschaffen, auf ein Ersuchen einer für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten zuständigen öffentlichen Stelle eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sowie der Schengen-assoziierten Staaten personenbezogene Daten an die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen zu übermitteln, soweit dies auch innerstaatlich zulässig wäre.
Stammen die Daten aus einem Steuerstrafverfahren, bildet § 481 Abs. 1 Satz 2 StPO die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung. Über § 481 Abs. 2 StPO ist dabei auch § 30 AO als besondere bundesgesetzliche Verwendungsregelung zu beachten. Die Datenübermittlung zu Zwecken der Verfolgung von Steuerstraftaten richtet sich auch weiterhin nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG, BGBl I 1994, 1537), dessen Datenübermittlungsvorschriften ebenfalls an die Erfordernisse des Rahmenbeschlusses angepasst wurden.
→ Maßnahmen gegen missbräuchliche Steuergestaltungen mit Auslandsbezug
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